Wirtschaft | Gemeinwohlökonomie

Vinschger Pilotprojekt zur Gemeinwohlökonomie vor Abschluss

Andreas Tappeiner, Präsident der Bezirksgemeinschaft Vinschgau, sieht die Gemeinwohlbilanz als wertvolles Messinstrument für alle Gemeinden in ganz Südtirol.

Das Pilotprojekt „Gemeinwohlregion Vinschgau ist im März 2013 gestartet – mit welchen Absichten?

Andreas Tappeiner: Es handelt sich zwar nicht um den gesamten Vinschgau, sondern um die vier Gemeinden Laas, Latsch, Schlanders und Mals, die geografisch und von der Größe her ziemlich homogene Einheiten sind. Der Grundgedanke war und ist, wie kann man in der öffentlichen Verwaltung im regionalen Kontext denken und handeln, was können wir als Gemeinden tun, um die regionalen Kreisläufe nachhaltiger zu gestalten.

Kam das Projekt über das Terrainstitut Brixen zustande oder gibt es auch andere Träger?

Der Grundgedanke war bei den politischen Verantwortungsträgern bereits da, es hat persönliche Kontakte mit Günther Reifer vom Terrainstitut gegeben durch dessen familiäre Verwurzelung im Vinschgau, wir kennen ihn, sein Institut und seine Gedankengänge.

Welche Schritte wurden in diesem halben Jahr von den Gemeinden unternommen?

Als erstes haben wir eine Bestandsaufnahme gemacht, um zu erfahren, wie die Abläufe in den öffentlichen Verwaltungen auf den aktuellen Stand gebracht aussehen. Weiters, welche Transaktionen sind in der Region abwickelbar und machbar. Wir haben aufgezeigt, was bereits auf dem richtigen Weg ist, um nachhaltig wirksam zu sein. Und wo sind Verbesserungen nötig. Diese Bestandserhebung wurde im Sommer 2013 gemacht, zeitgleich abgestimmt zwischen den 4 Gemeinden.

Wie kann man sich eine solche Bestandsaufnahme innerhalb einer Gemeindeverwaltung vorzustellen?

Wir haben einzelne Bereiche abgegrenzt, Schule, Vereinswesen, Freizeiteinrichtungen etc. und diese Einheiten dann getrennt bewertet, auch haben wir die Akteure mit in die Bestandsaufnahme hereingenommen. Im Vergleich zwischen den Gemeinden haben wir versucht zu verstehen, wo wir liegen, nach den Kriterien der Gemeinwohlbilanz. Auch haben wir Vergleiche mit anderen öffentlichen Verwaltungen außerhalb des Vinschgau gesucht, bzw. auch mit privaten Unternehmen, da es hier einige gibt, die bereits gemeinwohlökonomisch arbeiten.

Nun hat eine öffentliche Verwaltung von vornherein die Aufgabe kostenbewusst zu wirtschaften – welche anderen Kriterien kamen in dieser Bewertung neu hinzu?

Uns ist es nicht so sehr um die Kosten gegangen, da es ja eh schon, wie Sie sagen, Aufgabe von öffentlichen Verwaltungen ist, kostenminimierend zu wirtschaften. Uns kam es viel eher auf die Themen Nachhaltigkeit und Regionalität an, und es hat sich herausgestellt, dass dies doch eher schwierig ist, umzusetzen. Denn durch die gesetzlichen Vorgaben der EU und durch die italienischen Liberalisierungsbestrebungen wird das sehr verkompliziert.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Ja, wir als Verwaltung wollen auf Regionalität setzen und beispielsweise vor Ort im Lebensmittelbereich einkaufen, bei lokalen Produzenten und Verteilern, um so der Zentralisierung Einhalt zu gebieten und Abwanderungstendenzen aufzufangen. Wenn wir also die Lebensmittel für den Kindergarten in Matsch vor Ort im Geschäft einkaufen wollen, dann wird das durch diese Gesetze erschwert bzw. unmöglich gemacht. Der Gesetzgeber sieht Wettbewerbsfreiheit vor, alle Lieferanten müssen dieselben Chancen haben, auf nationaler oder mindestens regionaler Ebene. Denn ein Großanbieter wird natürlich nicht separat zum Kindergarten in Matsch oder Langtaufers hinfahren, aber wenn er zig-Abladestellen hat, dann wird das Vinschgau für ihn interessant und der kleine Produzent hat keine Chance. Das bringt für uns als Gemeinde zwar einige Euros an Ersparnis, aber langfristig gehts gegen die regionalen Kreisläufe und die Sicherung des Wohn- und Lebensraumes in einem abwanderungsgefährdeten Gebiet.

Ist der Gemeindwohlindex zwar Indikator wie es gut gehen könnte, aber die EU-Gesetze und nationalen Gesetze verhindern dann die Umsetzung?

Diese Gesetze sind verpflichend für die öffentliche Verwaltung und da zerbrechen wir uns gerade den Kopf, wie wir diese gemeinwohlökonomischen Indexe in unsere Parameter einfließen lassen können. Die Erkenntnis ist da und wird durch das Gemeinwohl-Denken untermauert, jetzt geht es darum, das zu realisieren.

Und mit wem müssen Sie da reden?

In erster Linie mit den Politikern auf Provinz- und Staatsebene; der Staat muss den Provinzen die möglichen Freiräume geben und diese müssen den Komunen wiederum deren Freiräume geben. Wir Gemeindeverwalter haben sehr wohl erkannt, dass es nichts bringt, große zentrale Einkaufsstrukturen zuzulassen und auf der anderen Seite wieder Maßnahmen zu ergreifen, um ländlichen Rau und periphere Gebiete zu stützen. Wir brauche neue direkte Stützmaßnahmen um vorort die Kreisläufe zu nutzen und brauchen also nicht zuerst 5 Euro sparen und dann wieder 10 Euro auszugeben, um Stützmaßnahmen zu setzen.

Haben Sie Ihr Ansinnen beim Gemeindenverbandspräsident Arno Kompatscher bereits deponiert?

Es ist deponiert, Günther Reifer hat das Gespräch gesucht und es gibt auch schon einen Termin für November, wo wir mit Kompatscher reden, hoffend, dann auch in einer gestärkten Position.

Könnte das Pilotprojekt um die 4 Vinschger Gemeinden noch größer werden, mehr Gemeinden involvieren?

Ja sicher, wir wollen zwar nicht missionarisch unterwegs sein, aber den gemeinwohlökonomischen Grundgedanken schon auf höherer Ebene deponieren, weil wir glauben dass es gute Steuerungsinstrumente sind, um auch in ländlich entlegenem Raum aktiv die Bevölkerung zu halten. Wir wollen damit den Lebensraum attraktiver machen und gesellschaftspolitisch Räume stärken. So wie ich Arno Kompatscher kenne, denkt er gleich und da habe ich auch ein Beispiel parat. Die Handelskammer mit dem Außensitz in Schlanders bot bisher keinen Dienst für digitale Unterschriften an, sodass alle Handwerker nach Meran oder Bozen fahren mussten; hier hat uns Arno Kompatscher unterstützt und nun gibt es diesen Dienst in Schlanders. Die Dezentralisierung ist ihm wie uns ein Anliegen.

Das Gemeinwohl-Pilotprojekt geht aber von euren 4 Gemeinden aus, warum sind die Vinschger doch so oft Vorreiter wenn es um Neuigkeiten geht?

Das kann daher rühren, dass wir als peripherer Bezirk oft auf uns allein gestellt sind, und uns oft auch Gedanken machen wie man Abläufe selbst organisieren kann. Der Weg nach Bozen war bereits früher beschwerlich und ist auch heute noch weit. Auch in Sachen Energie wollen wir unseren Weg gehen und eine dezentrale Energieversorgung aufbauen, für unsere Vinschger Bevölkerung.

Wie geht es jetzt weiter mit dem Pilotprojekt?

Wir wollen jetzt noch mit unseren Gemeinderäten und Angestellten reden, dann wird es ein Treffen mit dem SVP-Spitzenkandidaten Kompatscher innerhalb November geben, wo wir das Projekt vorstellen.