Umwelt | welchen tourismus?

Es geht um “Nix”

Neben den altbekannten Kritikern treten nun neue Gegner der Skiverbindung Langtaufers-Kaunertal auf den Plan. Alle Seiten drängen auf eine Entscheidung.
Kapl in Langtaufers
Foto: Südtiroler Heimatpflegeverband

Die drei Männer, die an den beiden Tischenden sitzen, sind eigentlich keine, die die große Öffentlichkeit suchen. Dennoch sind Siegfried Patscheider, Richard Fliri und Gerald Burger am Montag zeitig aufgebrochen und vom Oberen Vinschgau in die Landeshauptstadt gekommen. Sie wollen ein Bild zurechtrücken, das – so sagen sie – die tatsächliche Situation völlig verzerre. Und zwar, dass ihre Region und speziell das Langtauferer Tal ohne skitechnische Verbindung ins Nordtiroler Kaunertal dem (wirtschaftlichen) Untergang geweiht sei. “Wir brauchen uns nicht schämen, für ‘Nix’ zu stehen”, sagt Richard Fliri am Ende.

Das “Nix”, von dem der Biobauer aus Langtaufers spricht, ist das, wofür Umweltschützer, Heimatpfleger, Alpenvereine und Grüne seit Jahren kämpfen: den weitestgehend unberührten, unverbauten und in ökologischer Hinsicht einzigartigen Lebensraum, den das Langtauferer Tal darstellt. Dort will die Oberländer Gletscherbahn AG ein neues Skigebiet aus dem Boden stampfen und über eine Kabinenbahn samt Skipiste mit dem Gletscherskigebiet Kaunertal auf Nordtiroler Seite zusammenschließen. Die Pläne dafür liegen seit Jahren auf dem Tisch, eine Entscheidung zögert sich aber ebenso lange hin.

Inzwischen hat die Landesregierung Südtirol zum “Klimaland” und “Land der Artenvielfalt” erklärt. Der Ski-Tourismus stagniert. Viele Gäste suchen Ruhe und Unberührtheit, abseits von Hektik und Bespaßung. “Wir wollen auch in Zukunft nachhaltig zusammenleben, arbeiten und wirtschaften können. Wir stehen am Beginn einer neuen Zeitrechnung”, brachte es Landeshauptmann Arno Kompatscher bei der Klima-Klausur der Landesregierung am Wochenende dramatisch auf den Punkt. Es scheint also, als ob die Zeit den Gegnern und Kritikern des Projekts im Obervinschgau in die Hände spielt. Doch man ist nach wie vor misstrauisch.

 

Der Gutachten-Wirrwarr

 

Das Gutachten des Umweltbeirates zur Machbarkeitsstudie der Oberländer Gletscherbahn AG ist negativ ausgefallen. Zwei Mal – aufgrund eines möglichen Interessenkonflikts von AVS-Präsident Georg Simeoni musste es erneut eingeholt werden, nachdem die Landesregierung Ende 2017 bereits einmal Nein zur geplanten Skischaukel gesagt hatte.

Außerdem liegt ein negatives Gutachten der sozioökonomischen Kommission vor, die sich mit den wirtschaftlichen, sozialen und touristischen Aspekten befasst hatte. Doch auch dieses Gutachten musste ein zweites Mal eingeholt werden. Die Oberländer Gletscherbahn AG hatte beanstandet, dass eines der Kommissionsmitglieder möglicherweise befangen sei. Interessanterweise richtete sich der Vorwurf gegen Luca Filippi. Als Vertreter der Handelskammer repräsentiere er eine Einrichtung, die sich bereits positiv zu ihrem Vorhaben geäußert habe, so der Vorwurf der Gletscherbahn AG nachdem das – trotz Beteiligung von Filippi eindeutig negativ ausgefallene – erste Gutachten Ende 2018 auf dem Tisch lag. Filippi wurde durch den EURAC-Forscher Andrea Omizzolo ersetzt.

Seit Juli 2019 liegt das zweite sozioökonomische Gutachten vor. Es fällt weder positiv noch negativ aus. “Allerdings wurde es gemacht, ohne die Grauner Bevölkerung zu befragen”, betont der Grüne Landtagsabgeordnete Hanspeter Staffler, der mehrere Anfragen bei Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer eingereicht hat.

 

Eigentlich hätte die Landesregierung im Oktober endlich entscheiden sollen. “Die Entscheidung wurde vertagt, weil das neue sozioökonomische Gutachten für eine Landesregierungsmitglieder – im Gegensatz zu den Experten im zuständigen Amt, das eine Ablehnung empfohlen hatte – nicht eindeutig genug war”, erzählt Klauspeter Dissinger nach. Dem Präsidenten des Dachverbands für Natur- und Umweltschutz drängt sich ein Verdacht auf: “Es werden so lange neue Gutachten gemacht und Verfahrenstricks angewandt, bis das Projekt gegen alle Widerstände durchgedrückt werden kann. So wie es am Gitschberg der Fall war, wo UVP- und sozioökonomisches Gutachten gegeneinander ausgespielt wurden. Gleichzeitig werden die Kritiker durch die Verzögerungstaktik mürbe gemacht.”

 

Obervinschger erheben die Stimme

 

Doch anstatt zu resignieren, erheben immer mehr Kritiker offen ihre Stimme. So geschehen bei einer Pressekonferenz am Montag Vormittag in Bozen. Neben den altbekannten Gegnern sitzen mit Siegfried Patscheider und Richard Fliri zwei, die seit jeher im und vom Langtauferer Tal leben und mit Gerald Burger ein neuer Geschäftsführer der Ferienregion Reschenpass, der eine klare Meinung zur geplanten Skischaukel hat: “In unserer Ferienregion gibt es 2.800 Gästebetten und seit 2015 haben wir einen Zuwachs bei den jährlichen Nächtigungen von 330.000 auf über 400.000 zu verzeichnen. In der letzten Wintersaison sind die Nächtigungen im Vergleich zum Jahr davor um 8,8 Prozent gestiegen. Auch die 350 Betten im Langtauferer Tal sind das ganze Jahr über intensiv ausgelastet. Wir sind touristisch nicht so stark entwickelt wie andere Gebiete und möchten uns steigern. Aber wir können das auch ohne Liftverbindung ins Kaunertal.”

 

Langlaufen, Schneeschuhwandern, Skitourengehen – als schneesicheres Gebiet sei Langtaufers geradezu als Paradies für diese sanften Wintersportarten prädestiniert, ist Gerald Burger überzeugt und verweist auf die erste Ausgabe des “La Venosta”-Langlaufwettbewerbs, der am Wochenende mit 700 Teilnehmern über die Bühne gegangen ist. Selbstbewusst tritt auch Richard Fliri auf: “Langtaufers ist bereits heute ein Nischenprodukt, das für einen naturnahen Qualitätstourismus und eine Marke steht. Wir wollen uns als solches und als vollwertiges Mitglied in die Region einbringen und nicht Mehr vom Gleichen oder von einem Investor fremdbestimmt werden.”

 

“Bewahren, weswegen die Gäste zu uns kommen”

 

“Wir Langtauferer sind keine armen Leute, die durch eine Zwangsbeglückung mit einem Skigebiet gerettet werden müssen”, fällt Siegfried Patscheider ein. Ebenso wie Fliri betreibt er einen Urlaub auf dem Bauernhof-Betrieb in Langtaufers: “Wir arbeiten gut und die Gäste kommen, weil sie hier Ruhe, Stille, saubere Luft, ursprüngliche Natur und Berge finden.” “Diese Gäste kommen sicher nicht mehr, wenn der Skizirkus einmal losgeht”, nickt Fliri. Zudem würde das Tal dadurch “zu einem Parkplatz verkommen”.

Ein weiterer Grund, der gegen das Vorhaben der Oberländer Gletscherbahn AG spreche, ist, dass sich durch den Zusammenschluss der Skigebiete Haider Alm und Schöneben 2018 die skitechnische Situation in der Region inzwischen “komplett verändert hat – wir sind skitechnisch gut aufgestellt, ein weiteres Skigebiet würde andere wiederum schwächen”, findet Richard Fliri.

 

Mit der Schaffung des neuen Skigebiets Haider Alm-Schöneben hatten viele damit gerechnet, dass Langtaufers-Kaunertal vom Tisch sei. Doch am Montag wurde auch darüber spekuliert, dass das Vorhaben der Oberländer Gletscherbahn AG nur ein Teil eines größeren geplanten Zusammenschlusses des Ötztals mit dem Pitz- und Schnalstal sei. Bestätigen konnte das niemand. Aber wenn dem so sei, werde man dagegen ankämpfen, so die einhellige Meinung.

 

Druck von hüben wie drüben

 

Welchen Tourismus braucht das Langtauferer Tal? Seit über vier Jahrzehnten scheiden sich darüber die Geister. Für jene, die am Montag nach Bozen gebürgert sind, steht fest: Skitechnische Neuerschließungen wie das Projekt Langtaufers-Kaunertal sind “überholte Lösungen aus dem letzten Jahrhundert”, in Zeiten von Klimawandel und Artenschwund nicht vertretbar und ein “Verlust auf allen Ebenen”. Sanft, umwelt- und sozialverträglich, familienorientiert soll der Tourismus in Langtaufers bleiben bzw. werden, Sommer wie Winter – nach den Beispielen des Gsieser Tales, von Pfitsch, Ridnaun oder Matsch.

Doch wie geht es nach der nicht gefallenen Entscheidung im heurigen Oktober überhaupt weiter? Das weiß von den Anwesenden niemand genau. Selbst die Gemeinde Graun nicht. “Wir haben bei den Ämtern angefragt, ob bzw. was wir tun müssen, ob etwa der Gemeinderat noch einmal über das Projekt zu befinden hat”, berichtet Gemeindereferent Franz Prieth. “Aber niemand weiß so recht, ob der Ball nun bei der Gemeinde oder der Landesregierung liegt.”

Das letzte Wort hat auf jeden Fall die Landesregierung – bei der Oberländer Gletscherbahn AG erwartet man sich noch heuer eine – positive – Entscheidung. Auch im Oberen Vinschgau drängt man darauf, einen Schlussstrich zu ziehen. “Die Bevölkerung streitet seit 40 Jahren, viel wurde deshalb verschlafen”, sagt Gerald Burger, “es ist Zeit, endlich eine Entscheidung zu treffen und die Sache nicht in die Gemeinderatswahlen hineinzuziehen”. Vor allem aber fordert man am Montag eins – von der Landesregierung und dem Landeshauptmann höchstpersönlich: Auf die Worte vom “Klima-Vorreiter” Südtirol und dem Land der Artenvielfalt sollen nun Taten folgen. In Langtaufers hätte man die Möglichkeit dazu.