Kultur | Bahnhof Bozen

Bahnhof Bozen - Ein Gespräch

Das Bahnhofsareal ist das erste städtebauliche Großprojekt seit dem Faschismus. Städtebauer Benno Agreiter über zeitgenössische Stadtentwicklung und den Fall Bozen.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Bahnhof Bozen Projekt
Foto: Boris Prodecca Architects / ABDR / Hotz

In Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol / in collaborazione con la Fondazione Architettura Alto Adige.

 

Die Geschichte des Großprojekts Bahnhofsareal Bozen beginnt im Jahr 2006, als die Rete Ferroviaria Italiana, die Provinz Bozen und die Gemeinde Bozen eine Vereinbarung zur Wiedergewinnung und Neuorganisation des Areals unterzeichnen.

Mit der Neuentwicklung des heute zum Teil brach liegenden Areals samt Bahnhof soll Bozen den Anforderungen des 21. Jahrhunderts an Funktionalität, innerstädtischer Dichte und Vielfalt näher kommen. Im Kern des Projekts soll ein zeitgemäßes Mobilitätskonzept stehen, das die volle Bandbreite von öffentlichem Nah-, Regional-, und Fernverkehr abdeckt und das Umsteigen zwischen Verkehrsmitteln erleichtert.

Für die Abwicklung der Planung und Finanzierung des Projekts wird 2007 die Aktiengesellschaft Areal Bozen AG gegründet. Es folgt die Ausschreibung eines internationalen Wettbewerbs für den Masterplan, aus dem 2012 die Bietergemeinschaft der Architekturbüros Podrecca / ABDR / Hotz als Sieger hervorgeht. Im Sommer 2019 beschließt die Stadt Bozen einen einzigen privaten Investor mit der Umsetzung zu beauftragen – ein weitreichender Beschluss, der in der Bevölkerung nicht nur auf Wohlwollen stößt und über den gesprochen werden muss.

 

Es ist wichtig, dass die öffentliche Hand im Zuge einer solchen Landabgabe die Kontrolle über das entstehende Gebiet und die übergeordneten Entwicklungsziele nicht aus den Augen verliert.

 

Der in Südtirol aufgewachsene Architekt und Städtebauer Benno Agreiter lebt und arbeitet in Zürich und hat das Projekt seit Anbeginn mitverfolgt. Architektin Veronika Mayr spricht mit ihm über die heutigen Herausforderungen und Möglichkeiten der städtebaulichen Planung.

 

VERONIKA MAYR: Das Kräftespiel zwischen öffentlichem und privatem Interesse ist so alt wie die Idee der Stadt selbst. Der gesellschaftliche Kontext einer jeden Zeit beeinflusst das Verhältnis zwischen diesen Kräften und somit die Entwicklung einer Stadt. Wo stehen wir heute und was hat sich verändert?

BENNO AGREITER: Unsere planerische Realität wird immer komplexer. Zunächst pflegen wir heute in Europa einen sehr sorgfältigen Umgang mit dem historischen Bestand unserer Städte. Es sind sehr viel mehr Parteien in die Planung involviert. Größere städtebauliche Projekte werden heute meist in interdisziplinären Teams erarbeitet, wo neben Architekten und Landschaftsplanern oft auch Bauingenieure, Verkehrsplaner, Soziologen, Ökonomen, Akustiker und andere Fachexperten mitwirken. Auf der Seite der öffentlichen Hand kommen die aufwändigen Vergabeverfahren hinzu. Die Investoren sehen sich einem starken Renditedruck ausgesetzt und sind immer sensibler, was die Kosten für die Umsetzung anbelangt. Insgesamt wird unsere Gesellschaft immer vielschichtiger, was für den demokratischen Prozess der Entscheidungsfindung neue Herausforderungen bedeutet. Deshalb, und auch aufgrund der wirtschaftsliberalen Grundausrichtung unserer politischen Systeme wird es für die öffentliche Hand immer schwieriger koordinierte Planungen umzusetzen. Die Entwicklung der Stadt wird mehr und mehr von Privaten mitbestimmt.

 

VM: In Bozen hat man sich bei der Entwicklung des Bahnhofsareals für die heute sehr übliche Form der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und privaten Investoren entschieden. Was sind die Beweggründe für diesen eingeschlagenen Weg und warum ist das Modell so erfolgreich?

BA: Die Ausgaben und Investitionen der öffentlichen Hand werden heute von der Allgemeinheit genau beobachtet. Wenn sie als Bauträger auftreten will, muss sie sich vor dem Steuerzahler politisch rechtfertigen und die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit des Vorhabens gut begründen. Ein privater Investor ist dem politischen Druck in dieser direkten Form nicht ausgesetzt. Durch das Delegieren kann die öffentliche Hand somit finanzielles und politisches Risiko abgeben. Zudem geht damit eine Vereinfachung in der Umsetzung einher, da der Private als Bauträger nicht den komplexen Bestimmungen der öffentlichen Ausschreibung unterstellt ist. Oft ist es daher für die öffentliche Hand also schlichtweg einfacher, das eigene Bauland Dritten freizugeben und Ihnen die Entwicklung zu überlassen.

 

 

VM: Klingt bei Projekten einer bestimmten Größenordnung riskant.

BA: Ja, es ist wichtig, dass die öffentliche Hand im Zuge einer solchen Landabgabe die Kontrolle über das entstehende Gebiet und die übergeordneten Entwicklungsziele nicht aus den Augen verliert. Wenn sie den Prozess nicht aktiv begleitet, kann es schnell passieren, dass sie zum Zaungast der eigenen Planung wird.

 

 

VM: Der Private wird sich eher ungern auf die Finger schauen lassen ...

BA: Für den Projektentwickler kann eine starke öffentliche Hand durchaus von Vorteil sein. Als repräsentative Vertretung ist es ihre Aufgabe, die Bedürfnisse der Bevölkerung in das Projektvorhaben einfließen zu lassen. Eine erfolgreiche Entwicklung besteht letztendlich nämlich in der Akzeptanz und Aneignung des neuen Stadtgebietes durch die Menschen, die dort leben.

 

VM: Widerspricht das nicht den ökonomischen Interessen der Investoren?

BA: Nicht unbedingt. Eine in sozialer Hinsicht nachhaltige Stadtentwicklung ist für die Investoren letztendlich rentabler, da sich die Qualität eines entstehenden Stadtgebietes am Ende im Marktwert der Immobilien widerspiegelt.

 

VM: Ein Szenario: Die Gemeinde Bozen und die Provinz übernehmen die gesamte Finanzierung und haben somit die volle Kontrolle und Wertschöpfung aus der Wiedergewinnung – eine Utopie?

BA: Rein theoretisch wäre das sicher interessant. Städtebauliche Entwicklungen sind meist allerdings komplex angelegte Planungsvorhaben. Die öffentliche Hand verfügt, gerade in kleineren Gemeinden, oft nicht einmal über die nötigen personellen Ressourcen diesen Entwicklungen einen angemessenen Rahmen zu geben, geschweige denn sie selbst durchzuführen. Ihre Rolle beschränkt sich also häufig darauf, lediglich grobe Leitlinien vorzugeben oder sich allenfalls nur punktuell einzumischen, was gerade bei größeren Planungsgebieten dazu führen kann, dass an den eigentlichen Bedürfnissen der Stadt vorbeigeplant wird.

 

 

VM: Wie sähe eine Zwischenlösung mit einer stärkeren Kontrolle durch die öffentliche Hand aus?

BA:In der Hafencity in Hamburg beispielsweise hat die Stadt als Grundstückseigentümerin eine eigene Gesellschaft gegründet. Diese befasste sich allerdings nicht nur mit der Grundstücksvergabe und der Investorenauswahl, sondern steuerte auch das gesamte Verfahren über einzelne Architekturwettbewerbe. Über den Erlös durch den Grundstücksverkauf wurde dann auch noch die Gestaltung der öffentlichen Räume finanziert. So kam diese erstens in finanzieller Hinsicht nicht zu kurz und zweitens konnte die Stadt selbst die Qualität und den Charakter des neuen Stadtraums bestimmen.

 

Kleinteiligkeit und Vielfalt entstehen hier normalerweise nicht von selbst, sondern müssen bereits in der Planung bewusst angestrebt werden.

 

VM: In Bozen soll ein einziger Investor die Entwicklung des gesamten Areals übernehmen. Was spricht gegen eine Aufteilung in mehrere, getrennt finanzierte Areale?

BA: Dagegen spricht erst mal nichts. Es ist aber zu berücksichtigen, dass eben ein koordinativer Mehraufwand entsteht. Insbesondere die Schnittstellen zwischen diesen Arealen stellen eine Herausforderung dar. Andererseits entgeht man durch die Aufteilung leichter der Gefahr, dass ein homogenes, monoton wirkendes Stadtviertel entsteht.

Doch auch wenn ein Areal nur von einem einzelnen Investor entwickelt wird, gibt es Möglichkeiten, eine so geartete Entwicklung zu unterbinden. Die Europaallee in Zürich wurde beispielsweise von einem einzelnen Investor, den Schweizerischen Bundesbahnen, realisiert. Hier entschied man sich, eine Vielzahl an Architekturwettbewerben auszuschreiben, um Diversität zu garantieren. Außerdem hat auch in diesem Fall die Stadt den gesamten Umsetzungsprozess unterstützt und begleitet.

 

 

VM: Vielerorts und auch im Falle des Bahnhofsareals Bozen werden große Flächen einer Stadt in einem Zug entwickelt. Die Stadträume solcher Großprojekte stehen oft im starken Kontrast zu den gewachsenen Strukturen die wir heute so sehr schätzen. Wie lässt sich solche Kleinteiligkeit und Vielfalt 'planen'?

BA: Dies hat auch mit der Art und Weise zu tun, wie heute investiert wird. Bei Bauvorhaben im urbanen Kontext haben wir es heute verstärkt mit großen Investitionsvolumen zu tun. Kleinteiligkeit und Vielfalt entstehen hier normalerweise nicht von selbst, sondern müssen bereits in der Planung bewusst angestrebt werden. Dies kann zum Beispiel durch die Begrenzung von Baufeldern, einen festgelegten Nutzungsmix oder die Miteinbeziehung mehrerer Architekten auf einem Areal geschehen.

 

VM: Zum jetzigen Stand der Planung ist vorgesehen Teile der öffentlichen Infrastruktur durch den privaten Investor zu realisieren. Kann das bei der Entwicklung des öffentlichen Raums nicht zum Problem werden?

BA: Allerdings. Die öffentliche Infrastruktur inklusive des Straßennetzes wird normalerweise durch die öffentliche Hand geplant und umgesetzt. Im Grunde dient sie gemeinhin als Gerüst für die Entwicklung, wodurch von öffentlicher Seite eine gewisse Grundqualität garantiert wird. Vergibt man diese

ebenfalls an einen Privaten, wird es auch hier wieder schwerer die Bedürfnisse der Allgemeinheit mit einfließen zu lassen, ein weiterer Kontrollverlust.

 

Die Zeichen bei städtebaulichen Großprojekten stehen zunehmend in Richtung direkter Demokratie.

 

VM: Letztlich werden es die Bürger von Bozen und ihre Gäste sein, die die neuen Räume und Infrastrukturen nutzen. Für die meisten ist das neue Areal jedoch noch ein abstraktes Schaubild. Wie könnte man den Boznern das Projekt näher bringen?

BA: Grundsätzlich ist das Wichtigste in dieser Hinsicht sicher eine verständliche Informationsübermittlung. Dies kann neben der medialen Berichterstattung auch über Ausstellungen von Wettbewerbsresultaten, moderierte Diskussionsrunden und partizipative Workshops geschehen. Insbesondere die Workshops mit der Lokalbevölkerung sind sowohl für die Planungsexperten, als auch die Politik ein interessantes Werkzeug, um die allgemeine Stimmung zum Projekt abzutasten und ortsspezifische Informationen zu erhalten.

Die Zeichen bei städtebaulichen Großprojekten stehen zunehmend in Richtung direkter Demokratie. Nicht nur in der Schweiz, auch in Südtirol holt sich die öffentliche Hand bei weitreichenden Entscheidungen immer öfter die Legitimation direkt bei der Bevölkerung. Dadurch schafft man zunächst eine gewisse Planungssicherheit; darüber hinaus wird aber auch gewährleistet, dass nicht an den konkreten Bedürfnissen der künftigen Nutzer – auch im Sinne einer vitalen Gebietsentwicklung - vorbeigeplant wird.

 

 

Benno Agreiter (MSc ETH Arch) ist Architekt und Städtebauer. Er ist beruflich in der Schweiz und in Südtirol tätig. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Wohnungsbau, Ortskernentwicklungen und städtebauliche Planungsaufgaben an komplexer Lage. Er war am Lehrstuhl für Architektur und Städtebau von Prof. Kees Christiaanse an der ETH Zürich als wissenschaftlicher Assistent tätig.

 

Literatur zum Thema:

Agreiter B, Chipperfield D, Christiaanse K, Kretz S, Weyell C. On Planning – A Thought Experiment. Köln: Walter König, 2018.

Angélil M, Kueng L, Kretz S, Lampugnani V, Schmid C, Vogt G. Urbane Qualitäten: Ein Handbuch am Beispiel der Metropolitanregion Zürich. Zürich: Edition Hochparterre, 2016.

Aufgrund dieser wertvollen Hinweise wäre nun ein Check angebracht, welche Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten die öffentliche Hand beim Bahnhofsprojekt noch hat, welche Vorgaben sie für die Planung privater und öffentlicher Bauvolumen definieren will oder sollte und wie Architekturwettbewerbe und die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger ineinandergreifen könnten.

Mi., 18.12.2019 - 22:41 Permalink

"auch in Südtirol holt sich die öffentliche Hand bei weitreichenden Entscheidungen immer öfter die Legitimation direkt bei der Bevölkerung"
....... wann, wie, wobei ???

Do., 19.12.2019 - 16:17 Permalink

„Die Gemeinde Bozen und die Provinz übernehmen die gesamte Finanzierung und haben somit die volle Kontrolle und Wertschöpfung aus der Wiedergewinnung – eine Utopie?“
BER? Elbphilharmonie? ... bei beiden hat die fachliche Inkompetenz und Wahlperiodensichtigkeit der Politiker zu Chaos und Horror geführt.

Mo., 06.01.2020 - 12:04 Permalink

„ Kleinteiligkeit und Vielfalt entstehen hier normalerweise nicht von selbst, sondern müssen bereits in der Planung bewusst angestrebt werden. Dies kann zum Beispiel durch die Begrenzung von Baufeldern, einen festgelegten Nutzungsmix oder die Miteinbeziehung mehrerer Architekten auf einem Areal geschehen“:
darf man annehmen, dass dies in der bestehenden (mehrjährigen) Planung mit Vorstellungs- und Diskussionsterminen erfolgt ist? Ich denke doch.

Mo., 06.01.2020 - 12:27 Permalink