Gesellschaft | Interview

“Die Situation in Südtirol ist ernst”

In Südtirol gibt es zwei weitere mögliche Covid-19-Fälle. Was sagt die Präsidentin der Ärztekammer, Monica Oberrauch, zur derzeitigen Lage im Land?
Monica Oberrauch
Foto: LPA/Barbara Franzelin

Die Nachricht kommt am Freitag um 17.48 Uhr: Der Sanitätsbetrieb teilt mit, dass es zwei weitere neue mögliche Coronavirus-Fälle in Südtirol gibt. Bei den zwei Patienten, die am Freitag positiv getestet wurden, handelt es sich um Personen, die bereits auf der Infektionsabteilung in Bozen stationär aufgenommen sind. Die Laborproben aller zwei Patienten sind aktuell auf dem Weg nach Rom, wo der Kontrolltest vorgenommen wird. Damit steigt die Anzahl der möglichen Fälle in Südtirol auf vier. Beim dritten Patienten, der am Donnerstag bekannt wurde, ist das Testergebnis aus Rom immer noch ausständig.

Eine weitere Person, die in Südtirol arbeitet, wurde laut Informationen der Hygienedienste in einem oberitalienischen Krankenhaus positiv getestet.

Am Freitag Nachmittag hat salto.bz mit der Präsidentin der Südtiroler Ärztekammer gesprochen. Monica Oberrauch ist zugleich in Brixen als Hausärztin tätig – und sagt: “Die Situation in Südtirol ist ernst – und ernst zu nehmen.”

salto.bz: Frau Oberrauch, welche Anweisungen haben die Hausärzte, die für die meisten Bürger die erste Anlaufstelle sind, im Hinblick auf das Coronavirus von den Gesundheitsbehörden erhalten?

Monica Oberrauch: Wir haben mehr oder weniger genaue Anweisungen bekommen. Etwa, Menschenansammlungen zu vermeiden. In den Praxen haben wir den Patientenansturm jetzt weitgehend eingedämmt. Die genauen Details wurden an jeder Praxis aufgeschlagen. Patienten mit Husten und Fieber werden generell zurück nach Hause geschickt oder eventuell zu einem späteren Zeitpunkt herbestellt, wo keine anderen Leute kommen. Oder, wenn es gar nicht anders geht, wird ein Hausbesuch durchgeführt. Sollte der Patient ein Risikopatient für einen Infekt sein, wird natürlich die Kette angeworfen: Entweder wird die Notrufnummer 112 oder die Grüne Nummer kontaktiert und das Team, das dort dahinter arbeitet, wird dann entscheiden, ob der Patient einem Abstrich bzw. einem Schnelltest zugeführt wird oder nicht.

Es ist ernst zu nehmen, wenn diese Reisewarnung ausgesprochen wird, die vom RKI ausgegangen ist

Wie schützen sich die Hausärzte selbst vor einer möglichen Ansteckung?

Wir haben von der Sanitätseinheit alle eine Schutzausrüstung erhalten, mit FFP3-Masken. Schutzanzüge und Handschuhe haben wir selbst. Schutzbrillen kann sich jeder nach eigenem Ermessen anziehen. Wenn wir einen effektiven Verdachtsfall auf einen Coronavirus-Infekt haben, dann lassen wir den Patienten gar nicht in die Praxis, sondern führen wir ihn der eigenen Überwachungszentrale vor, wo er dann dort versorgt wird.

Sind genügend Vorräte für Masken, Anzüge, Handschuhe vorhanden? Oder ist mit Engpässen zu rechnen?

Ja, Schutzausrüstung ist Mangelware. Alle Krankenhäuser haben Schwierigkeiten, an diese Schutzausrüstungen zu kommen. Auch die Hausärzte sind nicht damit überhäuft worden. Es gibt seit voriger Woche eine Verordnung von Ministerpräsident Conte, dass Handschuhe, Masken usw. nicht ins Ausland exportiert werden dürfen.

Können Schnelltests auf das Coronavirus auch beim Hausarzt gemacht werden?

Nein, derzeit noch nicht.

Diese Tests müssen im Landeskrankenhaus Bozen vorgenommen werden?

Korrekt, die werden nur in Bozen gemacht.

Ein Hausarzt kann bei einem Patienten, den er vor sich hat, nicht feststellen, ob er an einer normalen Grippe oder möglicherweise an Covid-19 erkrankt ist?

Nein, kann er nicht. Das wird alles in der Infektionsabteilung – hoffentlich nicht in der Wiederbelebung, denn man hofft, dass es dem Patienten nicht so schlecht geht, dass er dort landet – abgeklärt, auch über Ultraschall oder Röntgen.

Schutzausrüstung ist Mangelware

Wie schätzen Sie die Lage in Südtirol momentan ein?

Die Situation ist ernst. Für Südtirol wurde eine offizielle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen. Das Robert Koch Institut (RKI) warnt ebenso. Deshalb: Die Situation bei uns ist ernst.

Sie nehmen die Einstufung Südtirols als Risikogebiet und die entsprechende Reisewarnung aus Deutschland ernst. In der Landesregierung wurde bereits Unverständnis darüber geäußert. Landeshauptmann Arno Kompatscher hat nun mit dem deutschen Außenministerium Kontakt aufgenommen und sagt: “Südtirol nimmt die Situation sehr ernst und arbeitet intensiv daran, das Infektionsrisiko weiterhin möglichst gering zu halten. Dabei stützen wir uns auf die Vorgaben des Staates und die Empfehlungen der Gesundheitsbehörden.” Kompatscher will “den wirtschaftlichen Schaden für Südtirol gering halten”, betont aber zugleich, “dass der Schutz der Gesundheit der Einheimischen und Urlaubsgäste in jedem Fall absoluten Vorrang hat” und meint: “Ganz Europa ist im weiteren Sinne ein Risikogebiet”.

Der Landeshauptmann ist der Landeshauptmann von allen und denkt natürlich an alle, insbesondere an die Wirtschaft. In diesem Sinne sind seine Äußerungen verständlich. Aber zur Zeit ist es einfach ernst. Und es ist ernst zu nehmen, wenn diese Reisewarnung ausgesprochen wird, die vom RKI ausgegangen ist – ein Institut, das Standards vorgibt, an die wir uns halten. Das kann man nicht abweisen.

Der Landeshauptmann verweist, wie andere, darauf, dass in Südtirol bisher (Stand Freitag, 6. März, 16.30 Uhr, Anm.d.Red.) nur zwei Personen positiv auf das Coronavirus getestet wurden und sich rund 200 Menschen in häuslicher Quarantäne befinden. Kann man davon ausgehen, dass die Infektionsrate in Südtirol tatsächlich so gering ist? Oder sind die wenigen bekannten Fälle nicht vielmehr darauf zurückzuführen, dass bisher wenige Tests gemacht wurden – offiziell 60 bei 28 Personen?

Absolut.

Wenn mehr Tests gemacht würden, würde es auch mehr Infektionsfälle geben?

Das ist so. Die Infektion ist exponentiell. Die Zahlen sind ganz sicher da. Das Resultat schlägt sich dann aber effektiv in den durchgeführten Tests nieder.

Man kann also davon ausgehen, dass in Südtirol mehr Leute mit dem Coronavirus infiziert sind, als bisher offiziell erfasst wurden?

Ja, das kann leicht möglich sein.

Unsere italienischen Kollegen haben gute Arbeit geleistet

Am heutigen Freitag wurde angekündigt, dass die Tests ausgeweitet werden und auch präventiv bei Personen mit Symptomen durchgeführt werden sollen, die auch nur hypothetisch engen Kontakt zu einer infizierten Person gehabt haben könnten. Hätten nicht schon früher flächendeckend getestet werden sollen?

Natürlich kann man immer alles besser von Anfang an machen – wenn man die Wichtigkeit von Anfang an erfasst und das Wissen gehabt hätte. Ich denke, da hat sich nicht Italien, sondern ganz Europa ein bisschen auf die langsame Bahn gestellt – als schon die ersten beunruhigenden Nachrichten aus Wuhan und China kamen. Italien hat sehr rasch sehr viele Tests gemacht und deshalb die positiven und symptomatischen Personen gleich ausfindig gemacht. Unsere italienischen Kollegen haben gute Arbeit geleistet. Wir können uns daran, was sie in Lodi und in Venetien derzeit aushalten müssen, ein Beispiel nehmen. Sie sind doch auch ein bisschen Helden – auch, weil sie es oft sehr viel schwieriger haben als wir was Ressourcen und Logistik anbelangt.

Wie gehen Sie selbst mit der grassierenden Verunsicherung um? Sehen Sie einen Anlass gegeben, Ihren Alltag anders zu gestalten?

Allen voran versuche ich, Patienten aktiv aufzuklären, ihnen die hygienischen Grundregeln beizubringen. Wer in die Praxis kommt, kriegt ein Hände-Desinfektionsmittel. Natürlich ist die Situation jetzt ernst, was jetzt nicht heißt, dass man sich zu Hause verbarrikadieren muss. Aber bestimmte Unternehmungen sollten derzeit nicht gestartet werden: Orte, wo es zu Menschenansammlungen kommen kann, tunlichst vermeiden; ebenso wie den engen Kontakt mit allen anderen Personen, die nicht zum engeren Kreis gehören; Hände konsequent waschen und desinfizieren.