Gesellschaft | Amazonas-Synode

Aufruf zu kirchlichem Ungehorsam

Vielleicht ist es besser, wenn das derzeitige priesterzentrierte, sexistische, zentralistische und absolutistische System von Kirche ganz zusammenbricht.
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Kathedrale
Foto: Pixabay

Das nachsynodale Schreiben Querida Amazonia (12.2.2020) von Papst Franziskus hat meiner Meinung nach seine Glaubwürdigkeit sehr beeinträchtigt – trotz zukunftsweisender ökologischer Visionen. Hatte er doch im Vorfeld die Bischöfe aufgefordert, mutige Vorschläge zu machen. Hatte die Bischofssynode doch mit 2/3 Mehrheit Ausnahmen in Richtung verheirateter Priester beschlossen. Und nun ein Schreiben, in dem die Frage des Pflichtzölibates nicht erwähnt wird und Frauen mit vagen Zusicherungen und Selbstverständlichkeiten abgespeist werden. Franziskus hat nicht nur die Bischöfe vor den Kopf gestoßen, sondern die Hoffnungen vieler auf kleine Schritte in Richtung Reform bis auf weiteres schwer enttäuscht. Ich habe den Eindruck, dass auch er alles in der Kirche so belassen möchte wie bisher. Er hatte wohl nicht den Mut und die Kraft, vielleicht auch nicht den Willen, ein Zeichen gegen konservative Kreise in der röm. Kurie und gegen verschiedene Bischöfe zu setzen. Dies tut mir für uns Gläubige und für die Kirche sehr leid.

Der emer. Bischof Erwin Kräutler erklärte öffentlich, er wisse nicht, wie er das Schreiben den Gläubigen erklären solle und dass der Pflichtzölibat offensichtlich über die Eucharistie gestellt würde. In der italienischen Tageszeitung Fatto Quotidiano war zu lesen, dass Papst Franziskus wohl die Kirche lieber langsam sterben lassen wolle als Reformen zu wagen. Selbst der dem Papst sehr gewogene Wiener emer. Pastoraltheologe Paul Zulehner zeigte sich verwundert bis entsetzt über die Äußerungen von Franziskus im besagten Dokument und ließ nur zarte Hoffnungen aufkommen. Der Papst habe wenigstens keine Türen zugeschlagen. Ich frage mich, welche offen waren. Heribert Prantl rechnete in einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung schonungslos mit der derzeitigen Leitung der Kirche ab. In einem Artikel auf Spiegel.de wurde die derzeitige Situation des Systems Kath. Kirche mit den Umwälzungen im Jahre 1989 in der DDR und im Ostblock verglichen, wobei die Redakteurin zum Schluss kam, dass in der Kirche nur mehr beten helfe. Der Vatikanist Marco Politi spricht in seinem jüngsten Buch von einem „heimlichen Bürgerkrieg“ gegen Franziskus im Vatikan. Zugleich hofft er auf Überraschungen durch Papst Franziskus in der Schlussphase seines Pontifikates. Selbst die Kath. Männerbewegung Südtirols hat das päpstliche Dokument als rückwärtsgewandt und gesellschaftsfremd abgelehnt. Kath. Frauenbewegungen des deutschen Sprachraums inklusive der Kath. Frauenbewegung Südtirols (kfb) sprachen sich öffentlich für eine Gleichbehandlung der Frauen bis hin zur Priesterweihe aus. Die geistliche Assistentin der kfb und Professorin für Neues Testament an der Phil.-Theol. Hochschule Brixen Maria Theresia Ploner betonte, dass die Frau in der Kirche diskriminiert sei und dass das Weiheamt der erste dringende Schritt hin zu einer gleichberechtigten Kirche sei.

Ja, ich rufe zu kirchlichem Ungehorsam auf, weil ich darin die derzeit einzige sinnvolle Lösung sehe.

Was tun also? Sollen wir weiterhin über die schlimmen, ja teilweise unchristlichen Zustände in der Kirche klagen, sollen wir austreten oder uns unbemerkt verabschieden, sollen wir Unterschriften für eine Kirchenreform sammeln, wie beim Kirchenvolksbegehren vor 25 Jahren, sollen wir Vertreter der Diözesanleitung zu Gesprächen einladen?

Ständig jammern tut nicht gut, glaube ich. Das Kirchenvolksbegehren hat die Diözesan- und röm. Kirchenleitung ausgesessen, wie auch Reformvorschläge im Rahmen der Diözesansynode 2013-15. Gespräche wurden zahlreiche geführt, Argumente ausgetauscht. Ich bin inzwischen der Meinung, dass im heutigen System von Kirche dies alles praktisch nichts nützt, denn die Macht zur Umsetzung liegt ausschließlich bei der Leitung. Viele Gläubige haben sich verabschiedet. Austreten ist bei uns ja nicht nötig. Die Kirchenbesuchszahlen sprechen für sich und der Priestermangel auch. Der Seelsorgenotstand scheint allen anderen, nur nicht der Kirchenleitung bewusst zu sein. Sollen wir also warten, bis der Karren Kath. Kirche ganz im Straßengraben gelandet ist?

Noch ist einiges möglich, bin ich überzeugt. Wir Gläubige und alle Menschen guten Willens können handeln. Wir, die wir von der Faszination des Evangeliums und seiner konkreten Bedeutung für die Menschen von heute, erfüllt sind, können etwas tun. Dies dürfte allerdings nicht ohne kirchlichen Ungehorsam möglich sein.

Vielleicht ist es besser, wenn das derzeitige priesterzentrierte, sexistische, zentralistische und absolutistische System von Kirche ganz zusammenbricht.

Ja, ich rufe zu kirchlichem Ungehorsam auf, weil ich darin die derzeit einzige sinnvolle Lösung sehe. Ich werde einige Beispiele – keineswegs vollständig und unumstritten – aufzeigen.

  • Streiken: Als die Frauen von Maria 2.0 im Mai 2019 eine Woche lang gestreikt haben und die Gottesdienste vor der Kirche abgehalten haben, sind die Bischöfe nervös geworden, auch Bischof Ivo Muser. Warum nicht einen Monat oder länger streiken? Nur durch Streiks sind fast immer die Frauenwahlrechte erreicht worden, die Rechte von Arbeiter*innen! Fridays for future hat eine junge Frau durch nicht genehmigte Streiks in der Schule angeregt. Es wurde eine weltweite Bewegung gegen den Klimawandel daraus! Fridays for the future church.
  • Gottesdienste ohne Priester durchführen und trotzdem Brot brechen und Wein / Saft trinken, sei es zu Hause oder in bzw. vor der Kirche. Hätte Jesus etwas dagegen? Haben das nicht auch die ersten Christ*innen getan? Die Kirchenleitung kann derzeit geweihte Priester nicht mehr garantieren, also ist Selbsthilfe angesagt.
  • Wort-Gottes-Feiern gleichwertig mit Eucharistiefeiern durchführen: Die Kommunion wird trotz Verbot in der Diözese ausgeteilt. Wenn alle Wortgottesleiter*innen einer Pfarrei das tun würden, könnte die Diözesanleitung nichts ausrichten. Die Pfarrer Initiative Österreich hat schon 2011 dies als priesterlose Eucharistiefeier bezeichnet und dazu aufgerufen.
  • Pfarrer weigern sich, mehr als eine Pfarrei zu übernehmen. Zwei Pfarrer in Südtirol machen dies bereits vor. Pensionierte Priester übernehmen keine Aushilfen mehr. Wenn 5, 10 oder mehr Priester dies tun würden, würde das derzeitige System der Seelsorgeeinheiten zusammenbrechen. Es wäre nicht schade darum. Ich halte sie für eine schleichende Bankrotterklärung.
  • Bischöfe weihen verheiratete Männer aufgrund des Seelsorgenotstandes zu Priestern. Das wäre kirchenrechtlich gültig, wenn auch nicht erlaubt. In der ehemaligen Tschechoslowakei ist dies in der Notsituation geschehen. Dort wurden auch Frauen zu Priesterinnen geweiht, die heute noch leben. Ein Bischof würde wohl seine Absetzung riskieren. Aber wäre es das nicht wert? Nicht auszudenken, wenn mehrere Bischöfe dies beschließen würden oder eine Bischofskonferenz. Der Kapuziner Walbert Bühlmann hat das schon in den 90er Jahren vorgeschlagen.

Ich kann auch mit weniger radikalen Vorschlägen aufwarten.

  • Laienpredigt: Ausgebildete Laien / Religionslehrpersonen werden trotz Predigtverbot vom Pfarrer eingeladen, die Predigt zu halten und entsprechend gewürdigt. Das Wort Gottes soll ja zeitgemäß und vielfältig verkündet werden.
  • Wenn ein Bischof schon Frauen gleichwertig behandeln will, kann er heute schon den Kurienrat sowie den Bischofsrat mit 50 Prozent Frauen besetzen – wohlgemerkt mit Stimmrecht. Auch der Papst könnte entsprechende Schritte setzten. Das würde neue Sichtweisen einbringen und Lippenbekenntnisse erübrigen.
  • Die Leitung von Pfarrgemeinden wird hauptverantwortlich an Laien haupt- oder nebenamtlich übertragen. Die Diözese Linz macht es vor. Wenn bei unserer Diözesanleitung die Einsicht dafür da ist, sind die Finanzen ein geringes Problem. Ehrenamtliche zu finden ist derzeit bereits schwierig. Wen wundert es! Die Betonung der Mitarbeit der Laien ist Augenauswischerei und systemstützend. Die Initiative Maria 2.0 schlägt eine paritätische Leitung mit einer Frau für Pfarrgemeinden und Bischofsstühle vor. Ich bin überzeugt, dass die Entscheidungsmacht vom Pfarramt entkoppelt werden muss.

Übrigens gibt es den kirchlichen Ungehorsam bereits. Ca. 90 Prozent der Katholik*innen halten sich nicht mehr an die kirchl. Sexualmoral. Der Gottesdienst am Sonntag wäre auch verpflichtend. Nur 10 bis 25% sind gehorsam. Die Mitglieder der Initiativgruppe für eine lebendigere Kirche waren beim Kirchenvolksbegehren 1995 ungehorsam, denn Bischof Egger hat sich ausdrücklich dagegen ausgesprochen. Ich bin nicht mehr bereit, Wort-Gottes-Feiern in meiner Pfarrei zu halten, auch wenn ich es gerne tun würde. Die Bedingungen dafür scheinen mir nicht annehmbar. Als Lektor und Mesner bin ich nach wie vor tätig, weil Kirche Gemeinschaft und Sinn stiftet. Aber beim Gegrüßt seist du Maria lasse ich die Bitte für mich als Sünder schon lange aus.

Beim Gegrüßt seist du Maria lasse ich die Bitte für mich als Sünder schon lange aus.

Manchmal denke ich mir, dass nicht Reförmchen, sondern Systemänderungen, die der heutigen Zeit entsprechen, vonnöten sind. Vielleicht ist es besser, wenn das derzeitige priesterzentrierte, sexistische, zentralistische und absolutistische System von Kirche ganz zusammenbricht. Synodalität d.h. demokratische Strukturen sowie eine zeitgerechte Sprache und Theologie d.h. eine mystische, die die Göttlichkeit in jeder, in jedem einzelnen betont, nicht Sündhaftigkeit und Moral wären gefragt. Es könnte sein, dass Papst Franziskus mit seiner Verweigerung von Reformen unabsichtlich den Weg für eine große Umwälzung bereitet.

Das Magnifikat stimmt mich zuversichtlich. Dort beten wir: Gott „vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten und zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; …. er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“. Dies gilt wohl auch für die Kirche und ihre Leitung, meine ich.

 

*geschrieben aus der Erfahrung als Mitglied der Diözesansynode 2013-15 und als ehemaliger Vorsitzender der Initiativgruppe für eine lebendigere Kirche, die im Herbst 1995 das Kirchenvolksbegehren durchgeführt hat. 18.284 Personen hatten für weitreichende Reformen unterschrieben.