Wirtschaft | Tourismus

Die Hotelblase und der Virus

Südtirols Gastronomie befindet sich vor einer anstehenden Krise. Die Ursachen dafür liegen jedoch nicht beim Virus alleine.
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Nebelstimmung
Foto: Othmar Seehauser

Angesichts der Corona-Pandemie finden sich viele aus der Tourismus Branche in einer äußerst schwierigen Lage wieder, welche voraussichtlich über die nächsten Jahre noch spürbar sein wird. Ökonomen wie Ashoka Mody sehen keine andere Alternative zu einer annähernden Wirtschaftskrise. Vor allem Italien solle es hart treffen und die Entscheidung liege dann an Merkel, ob Deutschland wieder einmal den Rettungsdienst spielen kann oder nicht.

Südtirol ist es als Region in gut 50 Jahren gelungen, vom Ende eines verheerenden Krieges zu einem der attraktivsten Ziele für zahlreiche Touristen zu werden. Die Südtiroler, vor allem jene, die diese Umwälzung miterlebt oder gar gestaltet haben, betrachten dies zu Recht mit einer Priese Stolz.

Doch wie sieht momentan ein Blick in die Zukunft für das Alpenparadies aus?

Finanzexperten sprechen heute von der Ära des Turbokapitalismus. Alles ist bzw. muss schneller, besser, größer, effizienter (werden). In der technologischen Branche spricht man vom Mooreschen Gesetz, einer Theorie, welche die Geschwindigkeit der allgemeinen Entwicklung im industriellen Zeitalter darstellen soll. Dabei gäbe es eine konstante Verdopplung der Entwicklung, d.h. es geht zuerst doppelt so schnell, dann vier mal, dann acht mal, usw.

Selbst bei der Ausbreitung des Coronavirus kann man feststellen, dass es in der Tat eine Verbindung zwischen Globalisierung, Vernetzung, Industrie, Kapitalismus und dem Virus selbst gibt. Es ist doch kein Zufall, dass er sich genau in den Regionen am schnellsten verbreitet, in denen die Geschäfte der Industrie am größten florieren (siehe Lombardei, Nordrheinwestfalen, etc.).

Unser Wirtschaftssystem ist zudem so ausgelegt, dass Angebot der Nachfrage folgt, was zwar legitim ist, aber auch impliziert, dass der Markt alleine die Regeln diktiert und fast die gesamte Wirtschaft zur Privatwirtschaft werden muss. Historisch betrachtet, vor allem für das Beispiel Südtirol, ist diese Rechnung aufgegangen. Privathäuser wurden ursprünglich zu Pensionen, man begann mit dem Ausbau von Skigebieten und die Touristen kamen alle Jahre wieder und vermehrt.

Mittlerweile bietet die Region Luxushotels samt integrierter Gourmet-Küche, Spa und was eben zum Luxus dazu gehört. Im internationalen Vergleich spielen einzelne Hotels sogar mit den ganz großen Player mit, was natürlich dazu anspornt, in der ersten Liga zu bleiben und ja nicht abzusteigen.

Wenn man sich historische Muster in zeitlich verschiedenen Gesellschaften ansieht, so wird man eine bereits gängige Theorie erkennen: Innovation, Wechsel und aternative Ideen wachsen immer aus einer Krise heraus und niemals, wenn die Dinge gut laufen. Eine von Optimismus verlassene Krise ist nämlich der Moment, der endlich eine selbstkritische und bodenständige Perspektive zulässt und somit die Frage nach den eigenen Fehlern und Schwächen aufbringt. Die zur Zeit unglücklichen Zustände in Südtirol werfen darum zum ersten Mal die entscheidende Frage auf: Wie lange kann sich dieses System noch selbst aufrecht erhalten?

Bis jetzt schien es so, als ließe man den Ball unbesorgt rollen, so lange er den Mehrwert steigert. Dies hat sich im Februar 2020 allerdings so gut wie über Nacht verändert.

Wir sprechen hier von einem Geschäft, welches in den letzten Jahren ca. 32 Millionen Übernachtungen für mehr als 7 Millionen Gäste beherbergte, Tendenz steigend. Die Branche bietet rund 150.000 Betten und beschäftigt 37.500 Arbeitskräfte. Der Umsatz wird auf 8 bis 10 Milliarden geschätzt. Zu diesen Zahlen muss man natürlich noch die von der Hotellerie abhängigen Betriebe mit einberechnen, wie etwa Handwerk, Lieferanten, Händler, usw.

Es wird bei genauerer Betrachtung der Entwicklung dieser Zahlen über die Jahre klar, dass Südtirol hier in einer wirtschaftlichen Blase steckt, welche die Hoteliers bedingungslos dazu zwingt, ständig zu wachsen, auszubauen, innovativ zu sein. Die Alternative wären nämlich Steuern, also für den Betrieb nicht investiertes Geld. Der Staat hat aber ein Interesse an wirtschaftlichen Wachstum und erleichtert es deshalb privaten Unternehmern, in ihren eigenen Wachstum zu investieren. So weit so gut.

Wenn mit der selben Steuerabschreibung aber die Hotels nicht jede Saison massive Investitionen durchführen, um die Immobilie auszubauen, so bleiben sie auf der Strecke, verlieren Gäste. Gäste sind heute ein kompliziertes Publikum. Mit nur wenigen Klicks am Rechner gibt es Zugang zu Preis-Leistungs-Vergleiche, Billig-Flüge, Rezensionen, Ratings und was vor allem am wichtigsten ist: Die europäische Außengrenze ist für Touristen innerhalb schon lange keine Grenze mehr, denn es besteht zu jeder Zeit die Möglichkeit, wortwörtlich die ganze Welt zu erreichen.

Südtirol scheint also im kommenden Jahrzehnt in einem unaufhaltsamen Teufelskreis fest zu stecken. Es hat sich einem Wettrennen verschrieben, in dem es genau darum geht, mit den ganz großen Player auf einer regelrecht globalen (!) Skala mit zu halten.

Zudem sind manche Hoteliers mittlerweile so hoch verschuldet, dass ihr eigenes Leben zum Teil gar nicht genug Zeit gibt die Summen zurückzuzahlen. Dieser Umstand führt dazu, sich noch mehr zu verschulden, um nicht aus dem Rennen auszuscheiden. Damit die Eskalation der Ausgaben – zumindest im Gefühl - einigermaßen unter Kontrolle bleibt, sind die Konsequenzen davon folgerichtig überall da, wo der Tourist keinen Einblick bekommt, hinter den Kulissen; Kürzung von Personal, günstige Arbeitskräfte, Schwarzarbeit, Saisonverträge, etc. gehören zur Norm.

Zur selben Zeit wird aber auch klar, dass der italienische Staat im Rahmen der Sparmaßnahmen über die letzten zehn Jahre gut über 37 Milliarden Euro aus dem Gesundheitswesen gekürzt hat, welches sich nun in einer Situation befindet, wo man sich zwischen einem und dem anderen Patienten entscheiden muss. Man entscheidet über Leben und Tod. Zum Vergleich: Italien stehen im März 2020 pro 100.000 Einwohner rund 9 Intensivstation-Betten zur Verfügung, in Deutschland sind es pro 100.000 Einwohner 29.

Die dunkle Seite der Hotelblase ist, dass der Südtiroler Tourismus mittlerweile so stark zum DNA der Region gehört, dass die ganze Wirtschaftsmaschine gar nicht mehr funktionieren kann, sollte die Variable Tourist (Mehrwert) wegfallen. Dieser Krisengedanke würde nicht nur die Hotels selbst ruiniert sehen, sondern aufgrund der Verschuldung und eventuell mangelnden Arbeit auch die abhängigen Branchen und die Banken mit in den Abgrund ziehen. Das Problem dabei ist, dass es sich nach und nach zu einem größeren Komplex entwickelt hat, der kurzfristig zwar effizient zu sein scheint, aber in keinster Weise Nachhaltigkeit garantiert. Es bleibt eine reine Frage der Zeit, bis das ganze Kartenhaus zusammenfällt.

Gerade jetzt, wo es unbestreitbar ist, dass die eigentlich wahren Leistungsträger unserer Gesellschaft in den Krankenhäusern und vor den Lebensmittelregalen stecken, ist es doch vernünftig zu fragen, in wie fern die Symbiose zwischen Staat und Privatwirtschaft nicht ausbalaciert ist.

Die Frage nach Südtirols Zukunft kann natürlich nur unbeantwortet bleiben, aber vielleicht wäre es an der Zeit, eine Debatte anzustoßen wo Gedanken, die bis jetzt vom kollektiven Wohlstand stillgelegt wurden zur Aussprache kommen.