Chronik | Skandal

Die Vertuschung

Die Bozner Staatsanwaltschaft hat Vorermittlungen zur Masken-Affäre eingeleitet. Dabei wird man auch auf einen Vorgang stoßen, der noch weit skandalöser ist.
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Foto: Street View
Die Ermittler waren diesmal fast zu schnell.
Am frühen Montagnachmittag wurden Beamte der Carabinierisondereinheit NAS am Sitz des Südtiroler Sanitätsbetriebes vorstellig. Der Besuch erfolgte auf Weisung des stellvertretenden Staatsanwaltes Igor Secco, der Vorermittlungen zu der von Salto.bz enthüllten Affäre um die chinesischen Atemschutzmasken aufgenommen hat.
Die Ermittler ersuchten Generaldirektor Florian Zerzer um die Aushändigung von zwei Dokumenten.
Zum einen um die Zertifikate der gelieferten Masken. Es handelt sich dabei um Routinekontrollen, die man derzeit fast im gesamten Staatsgebiet durchführt.
Die meisten Schutzgüter aus China kommen in einer Verpackung mit ausschließlich chinesischen Schriftzeichen nach Europa. Begleitet von Zertifikaten, die bestätigen sollen, dass sie den EU-Normen entsprechen.
 
 
In mehreren Regionen Italiens haben sich die Sanitätsbehörden bei der Bestellung von Atemschutzmasken an die Finanzwache oder die Gesundheitspolizei NAS gewandt. Mit der Bitte, die Echtheit dieser Zertifikate zu überprüfen. Dabei zeigte sich in vielen Fällen , dass die Zertifikate von den chinesischen Herstellern gefälscht worden waren.
Es gibt zwar keine Anzeichen, dass die auch bei den nach Südtirol gelieferten Schutzgütern der Fall sein könnte, dennoch führt die Gesundheitspolizei diese Kontrolle durch.
In einem freundlichen Gespräch händigte Florian Zerzer Kopien dieser Zertifikaten umgehend den Carabinieri aus.
 

Warten auf das Gutachten

 
Auf das zweite Dokument mussten die Ermittler länger warten. Die NAS-Beamten ersuchten auch um die Aushändigung einer Kopie des von Salto.bz exklusiv veröffentlichen Prüfgutachtens des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik (ARWT) zu den Atemschutzmasken 
Doch das zentrale Dokument in dieser Affäre konnte merkwürdigerweise auf die Schnelle in der Sanitätsdirektion nicht aufgefunden werden. Erst nach einiger Zeit konnte es Florian Zerzer auftreiben; Das Gutachten wurde ausgedruckt und den Ermittlern übergeben.
Ein skurriler  Zwischenfall? Eine Anekdote der Südtiroler Bürokratie?
Es wäre schön, wenn man diesen Zwischenfall als kleines verwaltungstechnisches Missgeschick ad acta legen könnte.
In Wirklichkeit ist es aber nur das letzte Indiz in einer Reihe von Vorgängen, die diesen Skandal auf eine völlig neue Ebene heben.
 
 
Denn es wird immer deutlicher, dass die Spitze der Südtiroler Sanität rund um das brisante Gutachten den Versuch einer Vertuschungsaktion unternommen hat. Es ist eine Operation, der Salto.bz durch die Veröffentlichung des amtlichen Gutachtens einen völlig unerwarteten Strich durch die Rechnung gemacht hat.
 

Verschwundenes Gutachten

 
Was bisher anscheinend noch niemandem aufgefallen ist: Das Gutachten des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik trägt keinen Protokollstempel des Südtiroler Sanitätsbetriebes. Dabei muss jedes Dokument, das in einem öffentlichen Amt eingeht, einem standarisierten Vorgang zur amtlichen Erfassung unterzogen werden. Umso mehr ein Dokument von dieser Tragweite, das zudem aus dem österreichischen Verteidigungsministeriums stammt.
In diesem Fall gibt es aber weder einen offiziellen Beschluss des Sanitätsbetriebes, mit dem man das Gutachten beim Amt für Rüstung und Wehrtechnik in Auftrag gegeben hat, noch eine klare Dokumentation, wann das Gutachten in Bozen angekommen ist und wer es erhalten hat.
Das Gutachten des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik trägt keinen Protokollstempel des Südtiroler Sanitätsbetriebes. Diese fehlende Protokollierung ist alles andere als ein Zufall.
Offiziell existierte dieses Dokument in den Akten der Sanitätsbehörden damit über eine Woche lang nicht. Offiziell protokolliert wurde das Gutachten in der Sanitätsdirektion erst am Dienstag. Also gestern. Einen Tag, nachdem Salto.bz das negative Gutachten publik gemacht hat. Und zehn Tage, nachdem das Gutachten aus Wien eingetroffen ist.
Diese fehlende Protokollierung ist alles andere als ein Zufall.
 

Krisensitzung am Sonntag

 
Die Prüfung der Masken in Wien dürfte von höchster österreichischer Stelle und mit besonderer Eile angeordnet worden sein. Das geht aus den Dokumenten deutlich hervor.
Laut Prüfbericht werden die 50 Südtiroler Masken im Amt für Rüstung und Wehrtechnik am 28. März 2020 um 16.30 Uhr angeliefert. Es ist ein Samstag. Die Testreihe wird noch vor dem Abend abgeschlossen. Bereits am nächsten Tag schreibt der zuständige Sachbearbeiter das Prüfgutachten und übermittelt es nach Südtirol.
 

Nach gesicherten Informationen von Salto.bz wird das Wiener Gutachten aus dem Verteidigungsministerium am Sonntag, den 29. März recht formlos per E-Mail an die Generaldirektion des Südtiroler Sanitätsbetriebes übermittelt. Weil eingehende Unterlagen an einem Sonntag nicht protokolliert werden, wurden weder der Eingang noch das Gutachten ansich in das offizielle Protokoll aufgenommen. Es ist durchaus üblich, dass man in solchen Fällen die Erfassung am Montag nachholt.
Die Mail wird auch an den Führungsstab des Südtiroler Sanitätsbetriebes weitergeleitet. Florian Zerzer & Co merken schnell, welche Bombe sie damit in den Händen halten. Das Gutachten lässt jene Erfolgsstory um die Maskenbeschaffung, die man fast zwei Wochen lang publicitywirksam zelebriert hat, wie einen Luftballon platzen. Nach der Lektüre des Gutachtens wird allen klar, in welchem Schlamassel man sich plötzlich befindet.
Noch am Sonntagabend kommt es so zu einer Krisensitzung der Führungsriege des Sanitätsbetriebes. Teilweise ist dabei  der Innsbrucker Primar Christian Wiedermann als Berater per Videokonferenz zugeschaltet. Auch ihm war das vernichtende Gutachten aus Bozen übermittelt worden. Florian Zerzer & Co wollten die Meinung eines Experten hören.
 

Gelöschter Email-Verkehr

 
Nachdem Wiedermann die Konferenz verlassen hat, kommt man im engen Kreis aber zu einer verhängnisvollen Entscheidung, die für die Beteiligten nachhaltige Folgen habe könnte.
Man beschließt, das Gutachten ganz einfach verschwinden zu lassen, in dem man die eingegangene Email löscht. Das Problem dabei: Das Gutachten war nicht nur an den engsten Führungsstab weitergeleitet worden, sondern auch an eine ganze Reihe von Sanitätsverantwortlichen.
 
 
Es ist Florian Zerzer, der am späten Sonntagabend jeden Empfänger persönlich kontaktiert und ihn ersucht, die Email zu löschen. Gleichzeitig wird der gesamte Mailverkehr auf dem Mailserver der Generaldirektion gelöscht. Damit soll jede Spur des Gutachtens getilgt werden.
Da es keine offizielle Protokollierung gibt, geht man davon aus, dass die Vertuschungsaktion niemandem auffällt.
Die Nachricht, dass Salto.bz Kenntnis vom Wiener Prüfgutachten hat, schlägt deshalb genau eine Woche später im Kreis um Florian Zerzer wie eine Atombombe ein.
 

Die Wiederbeschaffung

 
Am Montagnachmittag steht man damit in der Sanitätsdirektion vor einem ernsthaften Problem.
Denn Florian Zerzer soll den Ermittlern ein Dokument aushändigen, das es offiziell (nicht mehr) gibt.
Die Rettung in dieser absurden Situation ist ausgerechnet Christian Wiedermann. Der an der Uniklinik in Innsbruck tätige Internist, der sowohl von Florian Zerzer wie auch vom Oberalp-Manager Christoph Engl jetzt öffentlich als Garant für die Güte der Masken genannt wird, dürfte die Tragweite des Gutachtens des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik sofort erkannt haben.
Noch am Sonntagabend hat Wiedermann per Mail seine Kollegin Chefärztin Cornelia Lass-Flörl, Direktorin des Departments für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Universität Innsbruck vor dem Gebrauch der Südtiroler Masken gewarnt.
Christian Wiedermann hatte die Krisensitzung am 29. März vorzeitig verlassen und war deshalb auch in die Vertuschungsaktion nicht eingeweiht worden. Deshalb hatte er das Wiener Gutachten noch in seinen Mails.
Während die Ermittler warteten, wurde der Innsbrucker Primar ersucht, das Gutachten an die Sanitätsdirektion zu schicken, wo es dann ausgedruckt und den Carabinieri übergeben wurde. Einen Tag später erhält das Dokument dann eine offizielle Protokollnummer.
Spätestens nach dem Bekanntwerden dieser Vorgänge dürften die Mängel an den Masken nicht mehr das einzige Problem für Florian Zerzer & Co sein.