Wirtschaft | Arbeitszeit

Wirtschaft im Wandel

Dramatische Ereignisse bewirken meist große Veränderungen. Die Zeit nach Covid-19 wirft viele Fragen auf.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Mondo
Foto: Fabio Petrini

Vorhersagen sind derzeit schwierig und gilt sowohl aus epidemiologischer, als auch in wirtschaftlicher Sicht. Die Zeit drängt, denn in wenigen Wochen gilt es, Entscheidungen zu treffen. Die aktuelle schwierige Situation kann dabei auch neue Möglichkeiten bieten. Man kann planen, Altbekanntes wiederherzustellen, oder sich bemühen, die Wirtschaft neu zu gestalten.

Auch in der Vergangenheit wurden große Veränderungen durch dramatische Ereignisse angestoßen, besonders, wenn dadurch festgefahrene Modelle abgeändert wurden. Man denke z.B. an die veränderte Position der Frauen in der Gesellschaft nach dem ersten Weltkrieg.  

Auch die Einführung des 8-Stunden Tages geht auf diese Zeit zurück. Tatsache ist aber auch, dass sich seit damals diese Arbeitszeitmodell, trotz radikaler industrieller, technologischer und sozialer Veränderungen kaum verändert hat. Dabei hat sich unser Produktionssystem andauernd geändert und der Prozentsatz an Arbeitslosen, aber noch mehr an unterbeschäftigten Menschen, ist gestiegen.

In den 90er Jahren gab es zwar eine Diskussion über eine generelle Arbeitszeitverkürzung, diese Vorschläge sind aber wegen der angeblich zu hohen Kosten, den Erfahrungen in anderen Ländern wie in Frankreich und aufgrund der Überzeugung, dass es wichtigere Dinge gibt, gescheitert. Dabei wäre eine Arbeitszeitverkürzung angesichts der vielen neu gegründeten Teilzeitjobs, oder der Jobs mit einer verkürzten Arbeitszeit, eigentlich notwendig.

Heute stehen die Wirtschaftstheorien der letzten Jahrzehnte und die daraus resultierende Wirtschaftspolitik im Kreuzfeuer der Kritik. Dabei ist die Heuchelei unerträglich: Die Anhänger des freien Marktes, die an der Aushebelung das öffentliche Gesundheitswesens und der öffentlichen Dienste beteiligt waren, berufen sich jetzt auf den Staat und die Dogmatiker der strengen Sparpolitik auf eine expansive Wirtschaftspolitik und eine massive Verschuldung der öffentlichen Hand.

Heute wird zu Recht viel Geld in die reale Wirtschaft gepumpt, um das Schlimmste abzuwenden. Dies könnte nach der Krise aber die Spekulation und eine neuerliche Sparpolitik beflügeln und zu einem weiteren Ausverkauf des öffentlichen Vermögens, zur Verarmung der Arbeitnehmer und zur Vernichtung des Wertpapiervermögens der Familien führen. Die Politik muss nun endlich das Ruder in die Hand nehmen und den Entgleisungen des freien Marktes Einhalt gebieten.

Die Rolle, der Gewerkschaft ist in dieser Phase wichtig. Es ist unrealistisch zu glauben, dass man nach einer globalen Krise einfach zum Altbewährten zurückzukehren kann. Vielleicht wäre es nicht einmal wünschenswert, angesichts der großen Ungleichheiten und der Ausbeutung der letzten Jahrzehnte.

Auch herrschen individuelle Angst und die Sorge vor der Zukunft. Der Gedanke, dass es große Verschlechterungen geben könnte, rückt momentan durch die gesundheitliche Ausnahmesituation, den Gemeinschaftssinn und eine neue Solidarität in den Hintergrund.

Trotzdem wäre es wichtig, sofort einen Plan für die Verteilung der Arbeit durch eine Reduzierung der Arbeitszeit zu starten. Nützen wir diesen Zeitpunkt, um eine längst fällige Diskussion anzukurbeln. Dies könnte bei vielen Bürgern die Zukunftsängste und die Sorgen um den Verlust des Arbeitsplatzes mildern.

Der Zeitpunkt ist günstig. Nach einer langen Phase des Individualismus scheint wieder mehr Solidarität in der Gesellschaft Einzug zu halten. Dies sind eigentlich gute Voraussetzungen für ein kollektives Projekt in diese Richtung. Bisher gab es in der Arbeitswelt wenig Interesse für kürzere Arbeitszeiten und dem Risiko, Lohneinbußen hinnehmen zu müssen.

Sogar ein gewisser Lohnverzicht bei einer Verringerung der Arbeitszeit wäre heute leichter zu akzeptieren. Die Opfer, die mit der Erhaltung der Gesundheit und der Unterbrechung aller nicht wesentlichen Tätigkeiten verbunden sind, haben eine unerwartete Solidarisierung in der Gesellschaft bewirkt, ohne die solch radikale Maßnahmen nicht konsensfähig wären.

Es stehen derzeit öffentliche Gelder zur Verfügung, um den Übergang zu einer neuen Produktionsweise und Arbeitsorganisation zu beginnen. Die Verlängerung von Urlaub, die Ausgleichskasse und andere Maßnahmen sind momentan absolut notwendig. Sie geben aber auf die voraussehbaren strukturellen Veränderungen mittel- und längerfristig keine Antwort.

Viele Unternehmen hatten bereits vorher Überkapazitäten und das Wirtschaftswachstum war verlangsamt. Nun bahnt sich eine schwere Rezession an, was zu einem weiteren starken Auftragsrückgang führen wird. In nächster Zeit werden wohl nur wenig neue Mitarbeiter eingestellt. Es wird vorübergehend auch schwierig sein, neue Arbeitsplätze zu schaffen, außer im öffentlichen Sektor, wo nach jahrelangem Abbau Nachholbedarf besteht.

Nur durch eine neue Verteilung der Arbeit kann man eine soziale Katastrophe abfedern und den verängstigten Arbeitnehmern zumindest wieder neue Hoffnung auf eine dauerhafte Beschäftigung geben, auch wenn eine Arbeitszeitverkürzung nicht notgedrungen eine arithmetische Verteilung garantiert.

Wirtschaftskrisen, die einen radikalen Bruch markieren, führen meist aber sehr schnell zu einer Neugestaltung der Produktionssysteme und -ketten. Mittelfristig werden veraltete und unflexible Unternehmen verschwinden, ersetzt durch neue dynamische Unternehmen, die in der Lage sind, Produkte und Prozesse zu erneuern, neue Technologien einzuführen und die Arbeitsorganisation zu verändern.

Allein eine Überbrückung von Liquiditätsproblemen, eine bedingungslose Steuer- und Beitragserleichterung und eine Senkung der Arbeitskosten kann die Konkurrenzfähigkeit wohl kaum retten. Öffentliche Mittel müssen daher vermehrt zur Stimulierung des wirtschaftlichen Wandels eingesetzt werden.

Die Arbeitszeit nimmt dabei eine Schlüsseldimension in der Organisation der Unternehmen ein. Ein Plan zur Arbeitszeitverkürzung, die Ausweitung neuer Arbeitsformen wie Homeoffice, wäre für die Unternehmen ein zusätzlicher Ansporn, ihr Produktionssystem zu analysieren und neu zu gestalten.

Gezielte Investitionen, und damit die Verbesserung des gesamten Produktionssystems eines Territoriums sind zu fördern. Mit diesen Themen wird sich auch unser erfolgsverwöhntes Land Südtirol auseinandersetzen müssen, damit wir gestärkt aus dieser Krise herauskommen. Unsere alten Stärken sind auch weiterhin zu fördern, aber wir müssen unseren Blick und unsere politischen Entscheidungen auch auf neue Horizonte ausrichten.