Umwelt | Berglandwirtschaft

Wolf und Almvieh

Die traditionelle Berglandwirtschaft veränderte sich und mit dem Wolf kehrt ein Teil der traditionellen Berglandwirtschaft zurück.
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Die traditionelle Hochlagen-Landwirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv gewandelt. Klassische Nutzungsformen wie Mahd natürlicher "Urwiesen" oder die Geißhut (=Ziegenbeweidung) sind fast vollkommen verschwunden. Andererseits konnte nach einem Tief in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts durch effiziente Erschließung, öffentliche Förderungen und Leistungsabgeltungen die Alm- und Berglandwirtschaft stabilisiert werden. Deren Kernelemente, die artenreichen Bergwiesen und Almweiden, verlieren durch moderne Nutzungsformen allerdings an biologischer Vielfalt. Der Grund ist zwiespältig. Für heutige Hochleistungstiere ist z.B. Alpung ein Stress, zusätzliche Kraftfuttergaben sind notwendig um das Leistungspotential nutzen zu können. Die Frage nach der Alptauglichkeit des Milchviehs stellt sich. Ein weiteres Problem ist die Eutrophierung der Weiden durch flächendeckende Ausbringung des Stalldüngers in Form von Gülle oder Jauche, eine Maßnahme, die durch Gewässerschutzvorschriften ausgelöst wurde. Viele Arten der Weiden und Wiesen sind düngeempfindlich. Ihre Erhaltung verlangt gezieltes Düngemanagement und Weideführung.“ schrieb Prof. Georg Grabherr zum Biodiversitätsverlust auf Almweiden und Almwiesen. Die „traditionelle Berglandwirtschaft“ der Alpen setzt seit Jahrzehnten auf importiertes Kraftfutter und mit dem Kraftfuttereinsatz verbunden ist ein Nettoinput an Stickstoff und anderen Nährstoffen, wodurch das Kreislaufsystem Almnutzung aufgebrochen wird. Über das Ausbringen des Stalldüngers verändern sich Artenzusammensetzung und –vielfalt massiv. Auf der Seiseralm lag die Diversität von ungedüngten Mähweiden bei mehr als 40 Pflanzenarten, in gedüngten bei weniger als 15. Attraktive Arten wie Enzian oder Orchideen waren auf gedüngten Flächen nicht mehr vorhanden. Insgesamt verlor die Seiseralm seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ca. sechs Millionen Enziane durch Düngung, erläuterte der renomierte Professor Georg Grabherr, ehemaliger Vorstand des Department für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie der Universität Wien.

Die Wiesen und Weiden der als traditionell bezeichneten Berglandwirtschaft sind in ihrer Biodiversität nicht erhalten geblieben und auch die Nutztiere veränderten sich. Die Hochleistungstiere in den Ställen der Bergbauern sind nicht die genügsamen Nutztiere, die mit Gras und Heu und ohne Kraftfutter auskommen und auch die traditionellen autochthonen Rassen, wie das Grauvieh Südtirols wurde auf erhöhte Leistung hochgezüchtet. Der Verein Pro Patrimonio montano widmet sich der Erhaltung der letzten kleinwüchsigen Grauviehexemplare, einige sehr kleine Kühe sind erhalten geblieben, die durch ihre Robustheit und Genügsamkeit an die widrigen Bedingungen im Gebirge gut angepasst sind (https://patrimont.org/de/buischa-grauvieh).

Standortangepasste Kuh- und Schafrassen

Die Universität für Bodenkultur in Wien hat für die österreichischen Bundesländer eine gutachterliche Stellungnahme zu den Auswirkungen von rückkehrenden Wölfen auf die Landwirtschaft und traditionelle Weidehaltung erstellt und darin festgehalten: „Als Vorraussetzung für einen günstigen Erhaltungszustand dieser FFH- Schutzgüter (geschützte Lebensräume auf Almen, Anmerkung) ist als zentraler Punkt die extensive Beweidung mit stanortangepassten Tierrassen zu erachten.“

Bei den standortangepassen Tierrassen beginnen bereits die Probleme. Tierrassen wurden in den letzten Jahrzehnten systematisch auf Leistung selektiert, Rassen wurden leistungsstärker, größer und schwerer. An die extremen Bedingungen des Gebirges angepasste Tierrassen und Schläge von Nutztierrassen verschwanden. Südtirols häufigste Schafrasse, das Bergschaf, wurde immer größer gezüchtet und erreicht heute ein Gewicht von bis zu 130 kg. Schafe sind heute wesentlich schwerer als es Schafe früher waren und auf aufgeweichten Almböden nach Regenfällen oder in den Mooren und anderen Feuchtgebieten der Almgebiete kommt es zu Trittschäden und die geschlossene Vegetationsdecke wird aufgerissen. Das alpine Steinschaf, das charakteristische Schaf des Ostalpenraums, gab es als leichte kleinwüchsige Schafrasse im Raum des historischen Tirols mit ca. 30 bis 40 kg Gewicht noch bis vor 100 Jahren. Heute gibt es diese Steinschafe nicht mehr und die Tiroler Steinschafe wurden zu einer großrahmigen Rasse mit einem Gewicht bis 100 kg. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das klein- bis mittelrahmige Steinschaf die häufigste Schafrasse der Ostalpen und Südtirols. Das heutige typische Südtiroler Schaf, das großrahmige Bergschaf, ist als Rasse keine hundert Jahre alt und im Vergleich zum leichten historischen Steinschaf ein Schwergewicht. Wer nun glaubt, das Bergschaf wäre dafür ein perfektes Fleischschaf, der irrt. Der Rücken ist vergleichsweise schmal und die in der Küche begehrten Lammrücken fallen beim Bergschaf recht bescheiden aus. Dass zunehmend Braune Juraschafe auf den Bergen Südtirols weiden, verwundert nicht weiter, denn an den Rippen dieser Schafe ist Fleisch dran (https://www.stol.it/artikel/chronik/mauls-schafe-brutal-gerissen).

Hochleistungsrinder werden heute auch auf den Almen der Alpen gehalten und gemolken und diese Kühe kommen ohne Zufütterung von Kraftfutter nicht aus. Auf Almen muss deshalb Kraftfutter zugefüttert werden. Mit der Forderung an eine extensive Beweidung und standortangepassten Tierrassen ist jede durchschnittliche Milchkuh nicht als Almkuh geeignet. In der Praxis werden in Südtirol meist nur Jungrinder (Galtvieh) oder trockengestellte Kühe auf Almen gehalten (trockengestellte Kühe: zwischen den Abkalbungen der Rinder muss eine Pause gemacht werden und die Kuh steht trocken und gibt keine Milch). Die Magerwiesen der Almen geben nicht das Futter für Hochleistungstiere her. Bekommen Hochleistungsrinder zu wenig Futter, werden sie krank (z.B. Euterentzündungen) und Hochleistungsrassen können ihren Futterbedarf auf einer Fettwiese nur schwer decken und noch weniger auf einer Magerwiese wie einem Borstgrasrasen der tradtitionellen Almwirtschaft. Die als traditioelle Berglandwirtschaft und Almwirtschaft bezeichnete Landwirtschaft hat mit der Landwirtschaft, wie sie über Jahrhunderte und Jahrtausende üblich war, nicht mehr viel zu tun. Reinhold Messners Almtiere, importierte tibetische Yaks, gehören auch nicht zur traditionellen Almwirtschaft der Alpen. Sie sind nicht Teil der traditionellen Berglandwirtschaft und nicht Teil der Biodiversität der Alpen, im Gegensatz zu Wolf und Bär. Der Wolf kehrt zurück und trifft in den Alpen auf eine Almwirtschaft, die sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert hat.

Verlust der genetischen Vielfalt an Hunderassen

Die Almwirtschaft oder Transhumanz ist keine rein alpenländische Besonderheit. Auch im Appennin oder den Karpaten gibt es diese Form der Transhumanz, im Sommer werden Weidetiere auf Hochweiden gebracht. Im Appennin und in Rumänien starben Wölfe niemals ganz aus und die Kultur des Herdenschutzes ging nicht vollkommen verloren, wie es im Alpenraum der Fall war. Der Biodiversitätsverlust in Südtirol und im Alpenraum macht sich auch bei den Herdenschutzhundenrassen bemerkbar. Während im Appennin oder den Karpaten Herdenschutzhunde immer im Dienst blieben, die Rassen nicht verschwanden und der relativ bekannte Herdenschutzhund Maremmano im Gebirge des Appenin ohne Unterbrechung im Einsatz stand, fehlen in den Alpen Herdenschutzhunderassen. In den Alpen ist die Vielfalt an Hunderassen, Hüte- und Herdenschutzhunderassen verloren gegangen. Alpine Hütehunderassen gibt es mehrere, jedoch in geringen Beständen und die Südtiroler Hunderasse, der Bergspitz, ist vom Aussterben bedroht. Hütehunde lenken die Herde und Herdenschutzhunde bewachen aktiv die Herde. Hütehunde und Herdenschutzhunde waren Teil der traditionellen Almwirtschaft. Auch das Wissen, wie man Herdenschutz betreibt, ist in weiten Teilen der Bauernschaft der Alpen nicht mehr vorhanden. Die Wanderschäferei, bei der Hütehunde unerlässlich sind, ist ebenfalls im Bereich der Alpen weitgehend verschwunden. Der Wolf kehrt zurück und trifft in den Alpen auf eine Almkultur, bei der das Wissen, wie über Jahrtausende Herdenschutz betrieben wurde, verloren ging.  

Günther Jaritz veröffentlichte ein Buch über gefährdete Nutztierrassen der Alpen und darin werden Rassen und deren Eigenschaften beschrieben: Die traditionelle Hunderasse Berger de Savoie, der Kuhhund Savoiens, schneidet im Vergleich mit dem heute gebräuchlichen Hütehund Border Collie weniger gut ab. „Bei Kühen benötigt man einen Hund, der laut bellen kann, der auf der Alm signalisieren kann, dass es Zeit ist, zur Hütte zurückzukehren. Boder Collies bellen nicht in einer solchen Situation. Sie würden sich anschleichen und die Kühe über steile Hänge nach unten jagen. Das kann für eine 500 Kilogramm schwere Kuh tödlich enden.“, erläutert ein erfahrener Hütehundehalter. Derartiges Wissen um einen effizitienten Einsatz von Hüte- und Herdenschutzhunden ist in der bäuerlichen Bevölkerung der Alpen so gut wie nicht mehr vorhanden. Das Wissen, das Können und die Hütehunderassen in den Alpen sind während der Abwesenheit des Wolfes in den Alpen verloren gegangen. Die Notwendigkeit des Herdenschutzes ergibt sich jedoch daraus, dass viele Nutztierhalter den Verlust von Tieren nicht tollerieren, obwohl die Almbeweidung häufig mit Tierverlusten verbunden ist. Tiere können auf Almen leicht in Stressituationen geraten und Tierverluste auf Almen sind keine Seltenheit. Gewitter, Steinschläge, Lawinen, Blitzeinschläge, streunende Hunde und anderen Gefahren sind Weidetiere auf Almen ausgesetzt. Almabtriebe werden im Herbst gefeiert, weil es nicht selbstverständlich ist, dass die Tiere vollzählig wieder abgetrieben werden. Mehr als 1000 Tiere auf Südtirols Almen kamen durch Unfälle und Ähnliches 2017 zu Tode. Die Rückkehr des Wolfes und damit eines wichtigen Teils der Natur in die Alpen bietet sich an, die traditionelle Hochlagen-Landwirtschaft wieder zu beleben, insbesondere was die Biodiversität der Nutztiere angeht.

Biodiversität beinhaltet auch die genetische Vielfalt der Nutztierrassen und die Vielfalt der Rassen ging verloren, insbesondere auch standortangepasste, genügsame Rassen und Schläge der extensiven Beweidung. Die Rückkehr des Wolfes bietet die Gelegenheit, dass Hüte- und Herdenschutzhunderassen wieder ein Teil der traditionellen Almbeweidung werden. Hunde, domestizierte Wölfe, gehören zu den am längsten domestizierten Tieren, jedoch sind speziell Hüte-und Herdenschutzhunderassen weniger in ihrer eigentlichen Funktion im Einsatz, sondern häufiger als Familienhunde. Die heutige moderne Berglandwirtschaft, hat mit der traditionellen Berglandwirtschaft wenig gemeinsam. Die artenreichen Bergwiesen und Almweiden, verloren an Artenvieffalt und eine Gülleausbringung auf Almwiesen hat es in der traditionllen Almbewirtschaftung nie gegeben, Almflächen wurden überhaupt nicht gedüngt. Mit Almerschließungen und Traktoren wurden aus ungedüngten artenreichen Bergwiesen gedüngte artenarme gewöhnliche Fettwiesen. Der Wolf kehrt zurück und Wölfe selbst sind mehr Teil der tradtitionellen Berglandwirtschaft, als jeder Traktor und jede Melkmaschine.