Sie haben keine Lust mehr, etwas über Corona zu lesen? Glückwunsch, ich auch nicht. Trotzdem kommen wir nicht am Thema vorbei. Es wurde zwar alles schon gesagt, und zwar von jedem mindestens zweimal, aber über eine Sache müssen wir uns dennoch unterhalten: Wie halten Sie es mit der Maske? Gehören Sie zu den Übervorsichtigen, die die Maske schon überstülpen, bevor sie das Haus verlassen, damit Auto fahren und das Ding erst ablegen, sobald die Haustür wieder hinter Ihnen ins Schloss gefallen ist? (Übrigens, der Spruch „Home, sweet home“ gehört nach sieben Wochen dort bitte in „home, f***ing home“ abgewandelt – für immer). Oder sind Sie eine/r von den Schlauchtuchhudlern, die den Stofflappen lässig um den Hals tragen und schnell hochziehen, sobald sich potentielle Gesprächspartner nähern? Oder aber zählen Sie sich etwa zu den „superfurbi“ (ach nein, so tief sinke ich jetzt doch nicht), ich meine, zu den störrischen Kinnmasken- oder Nasenfreiträgern, für die die Maske mehr lästiges Accessoire als nötige Schutzmaßnahme ist? Letztere sind nicht in der Mehrheit, Gott sei’s gedankt, ansonsten könnten wir uns die für den 4. Mai in Aussicht gestellte Aufhebung der Ausgangssperre eh abschminken, aber doch: Was geht mit euch?
Die Maske trägst du nicht, damit Kompatscher happy ist und Widmann nicht mehr schimpfen muss.
Gut, ich habe mir sagen lassen, nicht alle Maskenverweigerer*innen handeln aus Trotz; es gibt durchaus Gründe, weshalb sie vom korrekten Gebrauch der Schutzmasken absehen: medizinische etwa, wie chronisch verstopfte Nasennebenhöhlen, die das Atmen unter der Maske extra beschwerlich machen, oder aber ganz banale, eigentlich leicht zu behebende. So erklärte mir die mich nasenfrei bedienende, zierliche Verkäuferin am Wurstbudel, dass ihre Maske viel zu groß sei und ständig rutsche, ihr Arbeitgeber aber nur eine Standardgröße (natürlich für Männer) für seine Angestellten parat habe. Diese Leute sind nicht das Problem (der Arbeitgeber natürlich schon), das Problem grinste mich zwei Reihen weiter am Gemüsebereich an, Maske lässig am Kinn schlatternd, und meinen bösen Blick mit einem kindischen „Sch…t mi nix“- Starren beantwortend, während die Menschen um ihn herum penibel darauf achteten, sich nicht zu nahe zu kommen.
Was geht vor in solchen Köpfen vor, deren einzige Bestimmung ja paradoxerweise das Tragen einer Schutzmaske zu sein scheint, denn zum Denken taugen sie offenbar ja nicht? Mir egal, tragen eh alle Maske, dann muss ich nicht? Corona ist fake news? Meine Lippen sind so sinnlich, ich muss sie herzeigen, sonst hat meine Leben keinen Sinn? Ich weiß es nicht, ich habe auch nicht gefragt, wohl aber hatte ich schon eine Kartoffel in der Hand, drauf und dran, sie als Wurfgeschoss zweckzuentfremden. Da man im Supermarkt mit zwei kleinen Kindern im Schlepptau aber eh schon so entsetzt bis offen feindselig angestarrt wird, als wäre man eben mit zwei entsicherten Handgranaten hereinspaziert, habe ich darauf verzichtet.
Apropos Kinder: Sie haben schon fast vergessen, was das ist, oder? Ich meine, man sieht ja kaum mehr welche, was machen die auch außer fröhlich Viren schleudern und alles antatzen? Deshalb husch husch nach Hause mit ihnen und Tür zu, und Tür feste zudrücken, wenn’s geht bis Herbst, oder besser noch: bis der Impfstoff da ist, den es vielleicht auch gar nie geben wird, weil: Wer schreit schon für die Kinder? Es schreit die Wirtschaft, es schreit der Tourismus, es schreit die Gastronomie, und alle schreien zurecht, aber dass jemand für die Kinder schreit, das hat relativ spät erst angefangen, und jetzt, da endlich geschrien wird, da stellt sich die Regierung taub und sagt: Non va. Ich meine, es wird ernsthaft über Plexiglaswände und Desinfektionstunnels am Strand diskutiert, aber was Kleinkindbetreuung und Schule angeht, das müssen im Vergleich zum Strandurlaub absolut vernachlässigbare Luxusthemen sein, dass eine nähere Auseinandersetzung damit, was möglich wäre, einfach grad nicht so pressiert. Aber was weiß ich schon, und mit mir Millionen von Eltern, die in dieser Sache von Vater Staat sträflich allein gelassen werden. Doch pardon, zurück zu den Masken, da sind mir jetzt die Kinder in die Quere gekommen, wie es halt derzeit die Norm ist in unzähligen Haushalten, in denen auch gearbeitet werden sollte.
Wie halten Sie es mit der Maske?
Die Maske, also. Die Maske ist zusammen mit unserem Urteilsvermögen darüber, wie viel in etwa zwei Meter Abstand sind, eine notwendige Voraussetzung dafür, dass wir bald wieder etwas so Ähnliches wie Freiheit genießen können. Genießen ist möglicherweise ein großes Wort hier, und doch: Nach acht Wochen Hausarrest werde ich es genießen, eine Spaziergang in einer anderen Gemeinde zu machen, so popelig sie mir auch immer vorgekommen sein mag, werde ich danach lechzen, mir einen Macchiato im Freien reinzuziehen, Plexiglas hin oder her, werde ich keine Anstrengung scheuen, mir liebe Gesichter wieder zu sehen: in natura! Ich rede gar nicht von Umarmen, von Küssen und Drücken, denn es ist klar: Wenn das funktionieren soll, dann müssen wir uns an die Regeln halten. Also werde ich die blöde Maske tragen, auch wenn sie ziept und meine natürlich unglaublich sinnlichen Lippen verdeckt, und ich werde, so gut es geht, Abstand halten. Die Maske ist nach allem, was wir schon ausgehalten haben, ein lächerlich kleiner Preis, den wir zahlen, um wieder ein großes Stück Normalität zurückzubekommen, und wem dieser Preis schon zu hoch ist, der möge sich bitte vor Augen halten: Die Maske trägst du nicht, damit Kompatscher happy ist und Widmann nicht mehr schimpfen muss. Die Maske trägst du auch nicht, um dich zu schützen, obwohl du ja eh nicht an Corona glaubst.
Solange wir nicht lieber morgens in der Surgrube baden oder auf jegliche körperliche Hygiene verzichten, um ein spontanes Abstandhalten zu erreichen, tragen wir sie doch
Die Maske trägst du für die ältere Frau da hinten, die ungern aus dem Haus geht, aber halt einkaufen muss, du trägst sie für die Kassiererin, die mit dir reden muss, obwohl sie es vielleicht lieber nicht täte, du trägst sie für das Krankenhauspersonal, das froh ist, mal aufatmen zu können, und hofft, dass die Menschen schlau genug sind, es dem Virus so schwer wie möglich zu machen, sich zu verbreiten. Okay, ein bisschen trägst du sie doch auch für Widmann, weil er nämlich endlich zum Friseur gehen kann, wenn das alles wieder einigermaßen läuft. Dass es das tut, das hängt jetzt doch auch sehr stark von jedem Einzelnen ab, und deshalb ist gerade ein sehr schlechter Zeitpunkt, sich im Kontakt mit Menschen mit Maske unterm Kinn (oder gleich gar keiner) als asoziales Arschloch zu outen. Die coolen Boys, die mit dem Motorradhelm lose auf dem Kopf herumdüsen, die schlagen sich nur den eigenen Schädel auf. Wer die Maske nicht trägt, schadet aber den anderen. Auch weil sie das einzig sofort sichtbare Zeichen dafür ist, dass das Virus nach wie vor da ist. Wir können es nicht einfärben, ihm keinen Geruch verleihen, es ist ein unsichtbarer Feind, den man Gefahr liefe zu vergessen: Wenn da nicht die Masken wären und zu Vorsicht mahnten. Und solange wir nicht lieber morgens in der Surgrube baden oder auf jegliche körperliche Hygiene verzichten, um ein spontanes Abstandhalten zu erreichen, tragen wir sie doch und machen kein so lächerliches Tamtam darum.