Politik | Nach den Landtagswahlen 2013

Pallaver: Appell für zweiten italienischen Landesrat

Wer wird in den nächsten fünf Jahren mit der Volkspartei regieren? Politikwissenschaftler Günther Pallaver zeigt alle Optionen auf und gibt Arno Kompatscher noch ein persönliches Anliegen mit.

Herr Pallaver, die SVP muss erstmals ohne absolute Mandatsmehrheit einen Koalitionspartner suchen. Was bringt das mit sich?
G
ünther Pallaver: Prinzipiell ändert der Verlust der Absoluten nichts daran, dass laut Autonomiestatut alle Sprachgruppen gemäß ihrer Stärke im Landtag in der Landesregierung vertreten sein müssen. Für die Ladiner gibt es hier noch eine Sonderbestimmung, aber Fakt ist, dass diese maximale Einbindung aller Sprachgruppen in einer ethnisch fragmentierten Gesellschaft vorgesehen ist. Was sich nun verschoben hat, ist dass die Fortführung der bisherigen Koalition mit dem PD nach dem Verlust der Absoluten bei 17 plus zwei Mandaten ein risikoreiches Unternehmen geworden ist. Und hier stellt sich die nun die Frage, was Herr Kompatscher vorhat.

Welche Möglichkeiten stehen ihm überhaupt offen? Könnte er beispielsweise statt mit dem PD auch nur mit den Grünen koalieren und Riccardo dello Sbarba zum Landesrat machen?
Theoretisch könnte es genauso gut Alessandro Urzì sein, es geht einfach darum, dass ein Mitglied der italienischen Sprachgruppe in der Landesregierung sitzt. Doch dabei sind natürlich auch andere Dimensionen zu beachten. Eine davon ist die numerische, das heißt Parteien mit nur einem Abgeordneten kommen kaum in Frage. Deshalb bleiben nur vier mögliche Koalitionspartner übrig: PD, Grüne, Freiheitliche und Südtiroler Freiheit.

Doch einen Italiener gibt es nur bei den Grünen...
Natürlich müsste immer ein Italiener in der Regierung vertreten sein, aber theoretisch wäre es zusätzlich möglich die SVP-Mandatare durch Abgeordnete anderer Parteien zu ersetzen, also statt sieben Volksparteilern nehmen ich fünf, und dafür noch zwei einer anderen deutschsprachigen Partei. Doch dabei wirkt eine weitere Dimension, nämlich die ideologische mit. Wenn wir uns die vier Parteien ansehen, haben PD und Grüne durchaus große Schnittmengen mit Kompatscher und seiner Partei; es gibt sich aber auch ideologische Gemeinsamkeiten mit den Freiheitlichen und der Südtiroler Freiheit.

Aber auch große Differenzen...
Wo es sich vor allem spießt, ist die Frage der Autonomie. Denn hier gibt es im Landtag Autonomieparteien, also SVP, PD und die Grünen. Dann gibt es die Anti-Autonomiepartei von Eva Klotz, die sagt, die Autonomie ist gescheitert, die Lösung heißt Selbstbestimmung und schließlich die Freiheitlichen. Die stehen wiederum in der Mitte und sehen die Autonomie nur als eine Übergangslösung auf dem Weg zum Freistaat. Das heißt, angesichts dieser Inkompatibilitäten mit der SVP ist die Zahl der Parteien, die für eine Koalition in Frage kommen, gering.

Um es auf den Punkt zu bringen: Es bleiben PD und Grüne?
Und theoretisch auch die Freiheitlichen, wenn das Problem der Autonomie überwunden werden kann. Es gibt natürlich auch noch die Alternative jemanden von außen in die Landesregierung zu berufen.

Einen Italiener bzw. einer Italienerin?
Ja, oder auch einen Deutschsprachigen. Der künftige Landeshauptmann könnte beispielsweise nicht jemanden von den Freiheitlichen selbst, sondern aus ihrem Umfeld kooptieren, und sich so ihre Unterstützung von außen sichern. Klar ist auf jeden Fall, dass Kompatscher aufgrund seines guten Wahlergebnisses bei der Zusammensetzung der Landesregierung einen größeren Handlungsspielraum erhalten hat. Denn die Wähler haben der alten Landesregierung klar das Misstrauen ausgesprochen, da alle kandidierenden Landesräte stark an Vorzugsstimmen eingebüßt haben bzw. überhaupt abgewählt wurden. Das gibt dem künftigen  Landeshauptmann natürlich einen größeren Verhandlungsspielraum.

Zeichnet sich also für Sie ab, dass ein Landesrat wie Thomas Widmann nicht mehr in die neue Landesregierung kommt?
Das kann sein, es kann aber auch so sein, dass Landesräte, die in der Vergangenheit breite Zuständigkeiten hatten, in Zukunft weniger zu sagen haben. Sicher ist derzeit nur, dass es einen größeren Spielraum gibt, und dass die Rebellen in der SVP prämiert wurden, also Arnold Schuler und Sepp Noggler. 

Sie haben sich dafür ausgesprochen, zwei Italiener in die Landesregierung zu berufen, obwohl die Proporzregelung bei fünf Italienern im Landtag nur einen verlangt. Warum?
Mein These lautet seit längerem, dass der sogenannte disagio ganz stark mit der mangelnden Einbindung der italienischen Bevölkerung in die Entscheidungsprozesse zusammenhängt. Hier sind sie im Laufe der vergangenen Jahrzehnte immer stärker ausgeschlossen worden. Waren sie in Zeiten der ersten Republik, also bis 1992, noch mit einem Verhältnis von rund 40 bis 50 Prozent in der Landesregierung und im Landtag vertreten, waren es nun infolge der Änderungen im Parteiensystem nur noch 14 Prozent im Landtag und an die 30 Prozent in der Regierung. Das bedeutet, dass 70 Prozent der italienischen Zivilgesellschaft von Entscheidungsprozessen auf Landeseben ausgeschlossen sind.

Man könnte aber auch sagen, sie schließen sich selber aus, weil sie zum Beispiel nicht zur Wahl gehen.
Die geringere Wahlbeteiligung der italienischsprachigen Bevölkerung hat ebenfalls dazu geführt, dass im Laufe der Jahre Mandate von italienischer zu deutscher Seite gewandert sind.

Doch warum geht man nicht wählen, wenn man gleichzeitig weiß, dass man damit die eigene politische Vertretung schwächt?
W
eil die Wertschätzung der Parteien in Italien auf  einen Tiefpunkt gesunken ist, hier wird die lokale Politik sehr stark von der gesamtstaatlichen Situation beeinflusst. Dazu kommt die Parteienfragmentierung, die es an sich bei den Italienern schon seit 1948 gibt. Das Problem ist aber, dass es im Gegensatz zu früher heute keine klaren Logos mehr gibt, und es einen ständigen Wechsel von Bezeichnungen und Personen gibt, der zu einer vollkommenen Unübersichtlichkeit geführt hat. Außerdem lieben es auch die Italiener nicht, wenn zwischen den Parteien zu viel gestritten wird.

Das heißt, die Zeiten, in denen die Rechtsparteien in Südtirol Wahlerfolge feiern, sind für immer vorbei?
Die großen Wahlsiege der Achtziger und Neunziger Jahre waren damals auf Proteststimmen zurückzuführen, mit denen die italienischsprachige Bevölkerung glaubte, Veränderungen beim Proporz und anderen, in ihren Augen, problematischen Aspekten der Autonomie herbeizuführen zu können. Doch mittlerweile haben sie verstanden, dass sie hier nichts bewegen können. Deshalb haben sie nun die Schnauze voll und gehen nicht mehr zur Wahl bzw. wählen in immer stärkeren Ausmaß SVP.

Wissen Sie schon, wie viele italienischsprachige Wähler diesmal SVP gewählt haben?
Nein, solche Wählerstromanlysen sind sehr aufwendig, diese Daten werden wir im nächsten Jahr haben. Doch aus der Analyse von 2008 wissen wir, dass damals rund sieben bis acht Prozent der italienischsprachigen Wähler für die SVP gestimmt haben, während nur zwei Prozent der Deutschsprachigen für den PD votierten.

Um es noch einmal zusammenzufassen: Ein freiwilliger zweiter Landesrat könnte helfen, Frust bei den Italienern abzubauen und damit auch dem Zusammenleben zwischen den Volksgruppen zugute kommen
Ob der zweite freiwillige Landesrat überhaupt möglich ist, ist eine kontroverse Frage. Ich als Politologe plädiere dafür, doch es gibt auch Juristen und Verfassungsrechtler, die sagen, dass dies das Autonomiestatuts nicht erlaubt. Hier sollte man in Südtirol in Richtung freiwilligen Proporz gehen, wie es die Schweizer machen. Dort lautet das Motto, alle Sprachgruppen reinzuholen, egal ob sie das Recht haben oder nicht,  damit das politische System nicht in Schieflage gerät. Klar ist in jedem Fall: Wir müssen neue Formen finden, wie wir Italiener stärker in die Entscheidungsfindung einbinden können.

Doch nachdem es auch die Ladiner und nun die Frauen einzubinden gilt, wird es in der Landesregierung auch für die SVP zunehmend eng bei neun Sitzen. 
In der Schweiz gibt es sieben Regierungsmitglieder und die haben acht Millionen Einwohner. Ich denke, da wird es in Südtirol mit seinen 500.000 Einwohnern wohl auch machbar sein.

 

 

 

 

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Profil für Benutzer Harald Knoflach
Harald Knoflach Do., 31.10.2013 - 08:32

vielleicht liest du das ja. ein paar kurze fragen bzw. korrekturen:

"Eine davon ist die numerische, das heißt Parteien mit nur einem Abgeordneten kommen kaum in Frage."
Wieso?

"Dann gibt es die Anti-Autonomiepartei von Eva Klotz"
Die Position der STF unterscheidet sich diesbezüglich nicht von jener der Freiheitlichen. Zitat STF: Die Autonomie ist als Übergangslösung für Südtirol von großer Bedeutung. Ein Ausbau der Autonomie wäre
auf jeden Fall zu begrüßen, auch wenn die Autonomie nicht die Abtrennung von Italien ersetzen kann.

"Denn die Wähler haben der alten Landesregierung klar das Misstrauen ausgesprochen, da alle kandidierenden Landesräte stark an Vorzugsstimmen eingebüßt haben bzw. überhaupt abgewählt wurden."
Theiner war auch Landesrat, hat aber Stimmen dazugewonnen.

"Waren sie in Zeiten der ersten Republik, also bis 1992, noch mit einem Verhältnis von rund 40 bis 50 Prozent in der Landesregierung und im Landtag vertreten"
Die Italienischsprachigen waren nie mit 40 bis 50 Prozent im Landtag vertreten. 1948 waren es 35 Prozent. Seiddem niemals mehr.

"Das Problem ist aber, dass es im Gegensatz zu früher heute keine klaren Logos mehr gibt, und es einen ständigen Wechsel von Bezeichnungen und Personen gibt"
Es gibt einen Wechseln von Logos und Bezeichnungen. Die Personen sind seit vielen Jahren dieselben: Urzi, Seppi, Biancofiore, Minniti, Artioli usw.

"Ob der zweite freiwillige Landesrat überhaupt möglich ist, ist eine kontroverse Frage. Ich als Politologe plädiere dafür, doch es gibt auch Juristen und Verfassungsrechtler, die sagen, dass dies das Autonomiestatuts nicht erlaubt."
Stimme dir zu. Ich wäre auch dafür, das "flexibler" zu handhaben, denn mir ist wurscht, welcher Muttersprache ein Landesrat ist. Hauptsache er ist gut. Lustig nur, dass du bei Fragen wie der Selbstbestimmung, die rechtlich auch kontrovers diskutiert wird, immer das "rechtlich nicht möglich"-Argument aus dem Hut zauberst :-)

wir sehen uns

Do., 31.10.2013 - 08:32 Permalink