Gesellschaft | INTERVIEW

„Fakes verbreiten sich wie das Virus“

Drei Südtiroler haben das „Fact-O-Meter“ entwickelt – ein Tool zur Erkennung von Fake News. Was steckt dahinter?
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Foto: Florian Gasser

Der Feldthurner Florian Gasser hat mehrere universitäre Abschlüsse in Wirtschaft- und Politikwissenschaft, promoviert und lehrt zurzeit an der Universität in St. Gallen am Institut für Systematisches Management & Public Governance. 2019 wurde er im Rahmen des St. Gallen Symposium als ein „Leader of Tomorrow“ ausgezeichnet. Gemeinsam mit Alexander Klement und Ivan Waldboth, beide IT-Studenten in Innsbruck und im App Development tätig, hat er, an dem von der EU organisierten, Hackathon namens „EUvsVirus“ teilgenommen. 

salto.bz: Was kann man sich unter einem Hackathon vorstellen?

Florian Gasser: In der IT-Szene gibt es den Hackathon schon länger. Das Prinzip dahinter ist immer noch dasselbe, nur der Rahmen hat sich verändert. Ein Team mit meist unterschiedlichen Backgrounds arbeitet 2-3 Tage sehr intensiv an einem Problem und präsentiert am Ende einen Lösungsvorschlag. Unterstützung gibt es durch Webinars und von Mentoren. Bei diesem Hackathon haben 20.000 Menschen teilgenommen, 2.150 Projekte wurden eingereicht. Pro Themenbereich gab es ein Siegerteam, das direkt finanziell gefördert wurde und viele spannende Projekte, die in den nächsten Monaten umgesetzt werden. 

Unser Slogan ist: „Fake News? Look at Pinocchio’s nose“

Und was ist ein „Fact-O-Meter“?

Das ist unser Projekt. Eine auf „Machine-Learning“ basierte Browsererweiterung, die in Echtzeit anzeigt, ob eine Nachricht auf Fakten basiert oder fake ist. Inspirieren ließen wir uns dabei von Pinocchio, dessen Nase bekanntlich wächst, wenn er Unwahrheiten verbreitet und dies somit für alle ersichtlich ist – so funktioniert auch unsere Lösung. Deshalb ist unser Slogan auch: „Fake News? Look at Pinocchio’s nose“. Zusätzlich soll eine Feedbackfunktion für Nutzer integriert werden, um die Qualität der Einschätzung kontinuierlich zu verbessern. 

Wie soll das funktionieren?

In einer ersten Phase markiert der Nutzer den Text, mit einem Rechtklick schaut er, ob die Daten fake sind, im Hintergrund werden die Daten abgeglichen und es erscheint ein Prozentsatz, der angibt, wie wahrscheinlich es ist, dass die Nachricht stimmt. Auf diesem Prozentsatz basiert der Pinocchio, unser Symbol. Grün für Fakten, Rot für Fake News und Orange für den Bereich dazwischen, der noch nicht mit Sicherheit bestimmt werden kann. Wichtig war uns auch, dass die Darstellung nicht das normale Nutzungsverhalten stört. In einer zweiten Phase soll, wenn vom User gewünscht, hinter den Informationen immer dezent das Pinocchio-Symbol aufleuchten, ohne dass man etwas machen muss z.B. auch direkt bei einem Twitter- oder Facebook-Post. Ziel ist es auch, alternativ Informationen zur Validierung des Gelesenen anzubieten. Gedacht ist das Tool für Privatpersonen, also für dich und mich.

 

Wie erkennt das System, ob eine Nachricht auf Fakten beruht?

Im Hintergrund läuft ein neuronales Netzwerk, das die Informationen abgleicht und dadurch validiert oder falsifiziert. Um den Algorithmus noch weiter zu trainieren, wäre es ideal, eine Zusammenarbeit mit einer internationalen Nachrichtenagentur wie Reuters zu sichern. Sicher ist, je mehr Daten wir zur Verfügung haben, desto besser funktioniert die Validation und desto sicherer können wir uns sein. Wir benötigen aber unbedingt vertrauenswürdige Quellen, auf die wir unseren Algorithmus stützen können. 

Fake News sind für die Gesellschaft gefährlich und fördern „Hate Speech“. Sie haben das Potenzial, die Gesellschaft zu spalten und Menschen gegeneinander aufzubringen.

Verfolgt ihr das Projekt weiter?

Aktuell finden wir es sehr spannend und sind dran – vielleicht finden wir noch einen Sponsor. Wir fokussieren uns zur Zeit auf die Suche nach einem verlässlichen Partner in Bezug auf die Daten. Wir müssen uns ja sicher sein, dass keine Fake News als Fakten dargestellt werden. Sonst würden wir ja das Problem unterstützen statt beheben. Und falls das jetzt gerade jemand liest, der sich gut mit neuronalen Netzwerken auskennt oder das Projekt sonst irgendwie unterstützen möchte, kann er sich gern melden.

Ziel dieses Hackathons war es Problemlösungen für Corona zu finden. Beim Hackathon standen sechs verschiedene Themenbereiche zur Auswahl. Warum habt ihr euch für Fake News entschieden?

Alle sechs Themenbereiche mit Unterthemen zielten darauf ab, Problemlösungen zu Corona zu finden. Fake News war für uns deshalb so spannend, weil einerseits in Krisenzeiten sehr viele Falschmeldungen kursieren, diese indirekt alle Bereiche beeinflussen und auch über die aktuelle Krisensituation hinaus ein Problem darstellen. Beispielsweise das Thema Gesundheit – Halbwahrheiten über Heilmittel können großen Schaden verursachen. Denken wir an Trumps Aussage über Desinfektionsmittel. Okay, so ganz stimmt das nicht, denn er hat es ja wirklich gesagt. Nur die Aussage und die Implikationen darin war falsch.
Wirtschaftlich zum Beispiel wurden die Auswirkungen bei den unbegründeten Hamsterkäufen in zahlreichen Ländern sichtbar, die kurzfristig Toilettenpapier als neuen Goldstandard deklarierten. Die Menschen reagieren auf Informationen, auf Handeln anderer Menschen – Stichwort Herdenverhalten – auch auf Fake News. Zudem sind Fake News für die Gesellschaft gefährlich und fördern „Hate Speech“. Sie haben das Potenzial, die Gesellschaft zu spalten und Menschen gegeneinander aufzubringen. Dies merkt man aktuell leider wirklich deutlich, wenn man sich den Diskurs in den Sozialen Medien zu Gemüte führt.

 

Fake News und Verschwörungstheorien haben zur Zeit Hochkonjunktur. Warum?

So eine Krisensituation gab es in dieser globalisierten Welt noch nie. Angst, Unsicherheiten und Bestätigungen für seine eigene Meinung gehen damit einher. Nachrichten, die der eigenen Gefühlslage entsprechen und wünschenswert sind, glauben die Menschen lieber. Zum Beispiel, dass ein Heilmittel gefunden wurde. Meistens sind Fake News einfach gestrickt, bedienen sich einer simplen Sprache und sind somit schneller zu lesen, verständlicher, zielen auf eine emotionale Reaktion ab und verbreiten sich schnell.

Viele haben derzeit Existenzängste. Oft wird ein Sündenbock als Ventil gesucht.

Wieso sind Fake News so erfolgreich?

Unsere Umwelt hat sich von einem unidirektionalen zum multidirektionalen Medientyp entwickelt. Früher wurden Informationen über Kanäle wie TV und Zeitungen verbreitet. Heute gibt es sehr viele verschiedene Medien, jeder kann über Soziale Medien Inhalt erstellen und in Sekunden sehr viele Leute erreichen. Den Menschen geht es derzeit nicht so gut, viele haben Existenzängste. Oft wird ein Sündenbock als Ventil gesucht, wie z.B. aktuell Bill Gates. So etwas ist gefährlich.

Wie kann ich Fake News von faktenbasierten Nachrichten unterscheiden?

Das kann ich anhand von drei Schritten überprüfen: Erstens, was ist die Quelle der Nachricht – nicht, wer schickt sie. Zweitens, wer ist die Person/Organisation, die spricht. Was hat sie gemacht, verfügt sie über ausreichend Qualifikationen sich zu einem Thema zu äußern? Worauf beruft sie sich? Ist es die einzige Person oder Institution, die diese Meinung vertritt? Drittens, hat die Person das wirklich in dem Kontext gesagt oder sogar selbst als Fake deklariert? Das hat man am Beispiel der Uni Wien gesehen.

Fake News verbreiten sich exponentiell, wie das Virus. 

Inwiefern?

Am Beginn der Pandemie kursierte eine Nachricht, wonach Ibuprofen gegen Corona hilft, erforscht von der Uni Wien. Aber alles fake: Die Uni Wien hat das so nie gesagt. Hätte man das kurz gegoogelt, wäre die offizielle Stellungnahme dazu von der Uni Wien erschienen. Deswegen: Jede Nachricht kritisch hinterfragen – kann das sein, warum ist das so, wer hätte einen Vorteil? – und die Quelle validieren. Außerdem sich eine zweite Meinung einholen und Sachen, die nicht sicher sind, sollte man nicht teilen. Fake News verbreiten sich exponentiell, wie das Virus. Deshalb ist „Flatten-the-curve“ genauso bei Fake News relevant.

Warum fruchten weitergeleite Nachrichten so sehr?

Das ist relativ einfach zu erklären. Wenn ich die Menschen kenne, die eine Nachricht weiterleiten, dann glaube ich denen eher. Ich denke, die andere Person hat die Nachricht schon validiert bzw. ich habe Vertrauen in die Person. 

Immer sachlich bleiben.

Wie reagiert man darauf, wenn man mit Fake News konfrontiert wird?

Immer sachlich bleiben: Auf die Nicht-Richtigkeit hinweisen und diese mit Quellen hinterlegen. Wenn dies alles nichts nützt, ist es ratsam, die Fakten mit jenen zu teilen, die die Zielgruppe der besagten Person sind, um Falschmitteilungen Wind aus den Segeln zu nehmen und die Verteilungskette aufzubrechen.

Zum Schluss noch ein Blick nach Wuhan. Als erstmals die Rede davon war, dass das Virus durch einen Laborunfall entstanden ist, wurde das dementiert und als fake dargestellt. So fake ist das jetzt anscheinend doch nicht. Was kann man noch glauben bei all der Verwirrung?

Ich habe auch noch keine Meinung dazu. Am Anfang waren es Vermutungen: Von einigen Staatspräsidenten widerlegt, von anderen bestätigt. Noch gibt es keine Fakten, wir müssen abwarten. Eines ist aber in meinen Augen definitiv zu beachten: Wenn eine Information zu wünschenswert erscheint oder man impulsiv den Eindruck hat, dass man es nachträglich „immer schon gewusst hatte“, sollten generell die Alarmglocken läuten. Denn die meisten Fake-News-Initiatoren haben eben genau dieses Gefühl im Fokus und häufig sind solche Informationen leider zu schön, um wahr zu sein.