Chronik | Tirol
Vergesslicher Bürgermeister
Foto: upi
Markus Wilhelm braucht nur vier Worte. „Man nennt es Geschichtsklitterung“, beschreibt der Tiroler Blogger, das was in der Gemeinde Telfs jetzt passiert ist. Oder besser gesagt, das was der Telfer Bürgermeister Christian Härting in den vergangenen Tagen öffentlich von sich gegeben hat.
Markus Wilhelm beschäftigt sich seit über 40 Jahren - lange als Mit-Herausgeber der Kulturzeitschrift „Föhn“ - mit zeitgeschichtlichen Themen und vor allem der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Tirol und Südtirol. Wilhelm beleuchtet auch heute immer wieder verdrängte Kapitel aus dieser dunklen Ära.
So ist es beispielweise auf seine öffentliche Intervention zurückzuführen, dass die Sepp-Tanzer-Straße in Wörgl und die Sepp-Tanzer-Musikschule in Kramsach in den vergangenen Jahren umbenannt worden sind. Wilhelm enthüllte die Verstrickung Tanzers in den NS-Unkulturbetrieb. Auch die Aufarbeitung der Geschichte des als Gauhaus erbauten Neuen Landhauses in Innsbruck, die derzeit von einem Historikerteam gemacht wird, wäre ohne den medialen Druck des Tiroler Aufdeckers kaum in Angriffe genommen worden.
Die Telfer Straßennamen
Jetzt hat Markus Wilhelm ein neues Kapitel in dieser verdrängte Aufarbeitung und Beseitigung nationalsozialistischer Restbestände aufgeschlagen. Diesmal in der Gemeinde Telfs. In der drittgrößten Gemeinde Tirols gibt es zwei Straßen, die nach Tiroler Nazis benannt waren. Die Franz Stockermayer-Straße und der Norbert Wallner-Weg.
Franz Stockmayer (1897- 1976), von 1939 bis 1945 Bürgermeister von Telfs, war NSDAP-Ortsgruppenleiter und ein sehr aktiver Nationalsozialist. Stockmayer war zudem auch Denunziant. So verfasste und leitete er eine Liste mit 107 Telfer Namen weiter, die aus seiner Sicht Staatsfeinde waren. Für diese Tat wurde er 1948 auch rechtsmäßig verurteilt. Nach seinem Tod wurde eine Straße in Telfs nach ihm benannt.
Norbert Wallner hingegen war Hauptschullehrer und Volksliedschreiber. Er schrieb Hymnen auf Adolf Hitler und das deutsche Volk und eindeutig antisemitische Texte. Der ebenfalls illegaler Nationalsozialist war Volksbildungsreferent für den Gau Tirol und Vorarlberg und Kulturreferent im Amt für Reichspropaganda. Telfs benannte Mitte der 90er Jahre eine Straße nach Wallner.
Die Umbenennung
Am vergangenen Donnerstag hat der Gemeindeausschuss jetzt beschlossen, die beiden öffentlichen Namen zu tilgen und die Straßen umzubenennen. Der Norbert Waldner-Weg wird in Zukunft Ruth Drexel-Weg heißen. Die bayrische Volksschauspielerin Ruth Drexel (1930 – 2009) braucht in Südtirol nicht mehr vorgestellt zu werden.
Die Franz Stockermayer-Straße hingegen wird in Zukunft den Namen eines Südtiroler Künstlers tragen. Walter Pichler (1936 – 2012) war ein international bekannter Bildhauer, Architekt, Zeichner und Objektkünstler. Der in Deutschnofen geborene Pichler wuchs nach der Option in Telfs auf. Jetzt wird eine Straße dort nach ihm benannt.
„Wir haben die Umbenennung schon länger vorgehabt“, erklärte der Telfer Bürgermeister Christian Härting am vergangenen Samstag der Tiroler Tageszeitung (TT) diesen längst fälligen Schritt.
Es ist dieser Satz, der Markus Wilhelm auf die Palme bringt. Denn in Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall.
Der Mailverkehr
Die Gemeinde Telfs und Bürgermeister Christian Härting wollten diese Umbenennung eigentlich nicht machen. Es war Markus Wilhelm, der diesen Schritt so angestoßen hat, dass ihn die Kommunalverwalter wohl oder übel machen mussten.
Das geht eindeutig aus dem Mailverkehr hervor, denn Wilhelm jetzt als Reaktion auf die Äußerungen des Bürgermeisters auf seiner Seite „dietiwag.org“ veröffentlicht hat.
Demnach hat Markus Wilhelm am 1. März 2020 an Bürgermeister Christian Härting auf diese untragbare Situation hingewiesen. Wilhelm geht in der Mail mit den Telfer Kommunalverwaltern hart ins Gericht und bietet dem Bürgermeister offen einen Deal an.
In dem Schreiben heißt es:
„Sehr geehrter Herr Bürgermeister, ich wähle dieses Mal einen anderen Weg als sonst, wo ich die zuständige Politik stets ohne Vorwarnung öffentlich mit Fakten und Dokumenten konfrontiere und so zum Handeln zwinge. Im Falle der nicht verhandelbaren Umbenennung der Franz-Stockmayer-Straße möchte ich Ihnen eine kurze Vorlaufzeit geben, um aus eigenem das zu tun, was jetzt zu tun ist. Falls Sie mir bis Ende dieser Woche verbindlich zusagen, dass Sie der erwähnten Straße einen anderen Namen geben werden, verzichte ich auf die von mir vorbereiteten und kurzfristig realisierbaren Veröffentlichungen in dieser Sache.
Sie können sich frei entscheiden. Es liegt an Ihnen.“
Sie können sich frei entscheiden. Es liegt an Ihnen.“
Christian Härting antwortet zwei Tage später. Der Bürgermeister zeigt sich zwar „verwundert über den Ton des Schreibens“, gibt inhaltlich aber Markus Wilhelm Recht. Härting schreibt:
„Die Straßenbenennung nach Franz Stockmayer ist mit Sicherheit problematisch. Wir werden die Umbenennung des Straßennamens bereits in der nächsten Verkehrsausschuss-Sitzung am 12. März besprechen und ein dementsprechender Antrag wird in der Gemeinderatssitzung am 26. März zur Abstimmung gebracht.“
Gleichzeitig ersucht er den Tiroler Blogger einstweilige Veröffentlichungen zu unterlassen.
Markus Wilhelm bedankte sich noch am selben Tag für die „klare Entscheidung“ bei Härting. In dieser Mail erklärt er auch den harschen Tonfall in seinem ersten Schreiben:
„Wie ich auch weiß, hatten Sie die Causa Franz-Stockmayer-Straße schon vor Monaten auf meinen Vorstoß bei Stefan Dietrich (einer bekannter Telfer Historiker – Anm. der Redaktion) hin mit diesem besprochen, sich aber gegen die Umbenennung ausgesprochen. Deshalb war mein entschiedener Ton sehr wohl angebracht.“
Ausgelöst durch die Coronakrise verzögerte sich die geplante Umbennung aber, was der Bürgermeister in einer weiteren Mail an Wilhelm auch mitteilt. Am vergangenen Donnerstag erfolgte dann der Beschluss des Telfer Gemeinderates. „Die Anrainer sind zum Teil nicht glücklich über die Umbenennung“, erklärte Christian Härting dabei. Zwei FPÖ-Gemeinderäte stimmten auch gegen die Umbenennung. Trotzdem fand sich eine breite Mehrheit für den Schritt.
Markus Wilhelm hat sich an die Abmachung gehaalten, nichts über den Fall zu publizieren. Bis der Bürgermeister in der TT seine Geschichte aufgetischt hat.
In einem Post auf „dietiwag.org“ nimmt sich Wilhelm jetzt kein Blatt mehr vor dem Mund: „Ich hätte ja gar nichts gesagt, Herr Bürgermeister Härting, wenn Sie bloß den Mund gehalten hätten. Aber anlügen brauchen Sie die Leute auch nicht. Daher muss ich leider verraten, wie ich Ihnen erst in den Hintern treten musste.“
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Öffentliche Straßen- oder
Öffentliche Straßen- oder Platzbenennungen nach Personen sind immer problematisch, weil nachträglich immer Probleme ans Tageslicht treten können.
Man sollte sich vielleicht
Man sollte sich vielleicht wirklich überlegen Straßennamen nach Bäumen zu benennen als nach Personen, v.a. in Südtirol. Eine Lindenallee wie in Berlin wäre doch toll..
Es wäre schön, wenn sich der
Es wäre schön, wenn sich der Herr Wilhelm auch einmal um die vielen faschistischen Straßennamen in Südtirol kümmern würde.
Antwort auf Es wäre schön, wenn sich der von Hartmuth Staffler
Da bin ich bei ihnen, auch
Da bin ich bei ihnen, auch wenn Herr Wilhelm bei uns nicht den Druck ausüben kann wie in Tirol, weil er hier kein Standing hat.
Außerdem ist die Situation bei uns viel delikater. Das "Problem" der Extremisten in beiden Sprachgruppen hat Tirol nicht. Daher wäre es vielleicht im Zuge einer generellen Aufarbeitung möglich, bei der auch sämtliche Widmungen an ehemalige Südtiroler Persönlichkeiten durchleuchtet werden, wie es teilweise schon geschehen ist.
Zu Bozen fällt mir die Piazza
Zu Bozen fällt mir die Piazza Vittoria ein, mit Rückbenennung, absolut lächerlich.
Die via Cadorna fröhnt auch einem Psychopathen, der im 1. Weltkrieg bis zu 250000 Leben zu verantworten hatte (Isonzo / Caporetto).
Emilio Comici war selbst podestá, vielleicht nicht der allzu fanatischste, aber gibt es keine anderen Namensgeber für eine Schutzhütte?