Gesellschaft | Salto Gespräch

“Diese Krise wird Junge weniger treffen”

Der Generationenforscher Klaus Hurrelmann über die Auswirkungen der Coronakrise auf junge Jahrgänge und welche Weltereignisse frühere Generationen beeinflusst haben.

Klaus Hurrelmann
Foto: Hertie School of Governance

Der Soziologe Klaus Hurrellmann lehrt als Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin. Was ihn besonders interessiert: Die Wesenszüge der verschiedenen Generationen, der Grund für ihre Entstehung und ihr Verhältnis zueinander. Warum war die Generation der 68er-Bewegung so politisch und die darauffolgenden Jahrgänge hingegen so zurückgezogen? Wie kommt es, dass die Jungen von heute mit ihrer Umweltbewegung die Klimapolitik revolutionieren? Was machten Fukushima oder die Anschläge in New York 9/11 mit der Einstellung der Jahrgänge, die mit diesen Ereignissen aufwuchsen? Und die allerwichtigste Frage, die sich in der jetzigen Situation viele stellen: Wie wird die Coronakrise die junge Generation von morgen prägen?

 

salto.bz: Sie betreiben seit vielen Jahren Jugend- und Generationenforschung. Warum ist gerade dieses Feld der Soziologie so interessant für Sie, und warum ist es wichtig?

Klaus Hurrelmann: Wenn man wissen will, wohin sich eine Gesellschaft bewegt, wenn man wissen will, welche politischen Themen als nächstes kommen werden, welche Parteien stark werden und welche nicht, dann kann man das nur erfahren, indem man junge Leute befragt und ihre Positionen sensibel erforscht. Und etwa nicht nur jene junge Leute, die schon im Berufsleben stehen, sondern auch die unter 25-Jährigen. Das ist eine Lehre der Fridays-for-Future-Bewegung, dass eben bereits Kinder im 11. oder 12. Lebensjahr eine eigene politische Position haben und diese vertreten. Das finde ich faszinierend. 

Ein solcher Blick auf die Gesellschaft, nach unterschiedlichen Interessen der Generationen führt außerdem sehr schnell in das Grundgefüge einer jeden Gesellschaft. Er zeigt, wie es um eine Gesellschaft steht und wo die großen Konfliktlinien und Herausforderungen, aber auch Lösungsansätze liegen. Und eine Gesellschaft funktionieren nur, wenn die verschiedenen Generationen im Dialog miteinander bleiben, wenn sie gegenseitige Solidarität zeigen. 

Stichwort Solidarität zwischen den Generationen: War diese in Corona Zeiten ausreichend gegeben?

Gerade jetzt, wo ältere Generationen stärker gesundheitlich gefährdet sind als die jüngeren, merkt man wieder, es kommt sehr auf Generationensolidarität an. Bisher fiel auf, dass die jungen Leute sehr solidarisch mit den Älteren waren. Denn die jungen Generationen leiden ganz besonders unter den Kontaktsperren und Schulschließungen, und haben sie trotzdem fast zwei Monate lang mitgetragen. Umgekehrt aber genauso: Während der aktiven Zeit von Fridays-for-Future haben die älteren Generationen vorsichtig die radikalen klimapolitischen Forderungen der jungen Leute akzeptiert und teilweise die Bewegung sogar mit unterstützt. Im Großen und Ganzen spielt der Solidaritätsaspekt im Moment eine größere Rolle zwischen den Generationen als der Konfliktaspekt.

Kann man denn Menschen unterschiedlicher sozialer Umfelder, persönlicher Erfahrungen und privater Umstände überhaupt unter einen Generationenhaufen kehren, nur weil sie in etwa demselben Zeitraum geboren wurden?

Dieser Generationenbegriff ist ein Kunstbegriff. Natürlich kann man nicht sagen, dass Menschen so stark von ihren Lebensverhältnissen geprägt werden, dass sie sich dann nicht mehr voneinander unterscheiden. Aber es fällt auf: Wenn ganz starke politische, wirtschaftliche, kulturelle oder technische Einflüsse auf mehrere aufeinander folgende Altersgruppen einwirken, dann entstehen ähnliche Charakterzüge. Und so unterscheiden wir verschiedene Generationen, etwa im 15-Jahres-Rhythmus.

Ein solcher Blick auf die Gesellschaft nach unterschiedlichen Interessen der Generationen, führt  schnell in das Grundgefüge einer jeden Gesellschaft. Er zeigt,  wo die großen  Herausforderungen, aber auch Lösungsansätze liegen

Lassen Sie uns über die jungen Generationen sprechen, deren VertreterInnen noch dabei sind, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Dazu gehört zum Beispiel die Generation Y. Welche großen Ereignisse haben die heute 20-35-jährigen geprägt und wie?

Alle, die in etwa den fünfzehn Jahren vor 2000 geboren sind, konnten sich nicht sicher sein, dass sie in Ausbildung und Beruf kommen, denn sie wurden in jungen Jahren von der Wirtschaftskrise von 2008, den Anschlägen in New York, von Fukushima geprägt. Das hat Spuren in ihrem Sozialcharakter hinterlassen. Wirtschaftliche Unsicherheit zwingt junge Menschen, sich um sich selbst zu kümmern und sich auf ihre persönliche Zukunftsorientierung zu konzentrieren anstatt auf das Gemeinwohl. Die Generation Y ist daher wenig politisiert und hingegen sehr opportunistisch, suchend und fragend geworden. Deswegen haben sie international auch den Namen Generation Warum-Generation Why? bekommen.

Kürzlich erschien Ihr Buch „Generation Greta“. Darin zeichnen Sie gemeinsam mit Erik Albrecht eine Art „Generationenportrait“ jener jungen Menschen, die nach der Jahrtausendwende geboren wurden und heute zwischen 12 und 20 Jahre alt sind. Was macht diese „Generation Greta“ aus, die ja gemeinhin auch als Generation Z bekannt ist?

Alle, die nach 2000 geboren wurden, erlebten die oben genannten Ereignisse nicht, sondern hatten von der beruflichen Situation her eine klare Perspektive und gute Chancen. Und genau das hat sie politisch gemacht. Denn wir können aus unserer Forschung ableiten: Wenn man als junger Mann und als junge Frau gute Perspektiven hat, wird man politischer. Weil die Generation Z so politisch und umweltorientiert ist, haben wir ihren Namen an der Umweltaktivistin Greta Thunberg orientiert und nennen sie in unserem Buch Generation Greta. Wir können im Moment schätzen, dass in Deutschland, ähnlich auch in Österreich und der Schweiz, etwa 30 Prozent der Generation Z stark politisch in Umweltthemen ist. Weitere 15 Prozent sind mit einer etwas breiteren Orientierung politisiert, also nicht nur im Umweltbereich. Das ist eine starke Politisierung dieser Generation.

 

 

Sie sagen, wichtige Weltereignisse prägen ganze Generationen und somit das Verhalten der Individuen der dazugehörenden Jahrgänge. Ein Ereignis, welches die junge Klima-Generation sicherlich stark prägen wird, ist die Coronakrise. Inwiefern, glauben Sie, wird diese globale Pandemie die jetzige Jugend bzw. die darauffolgende Generation beeinflussen?

Bis jetzt haben Wirtschaftskrisen junge Menschen besonders getroffen, weil in der Regel am Arbeitsmarkt folgender Mechanismus greift: Diejenigen, die Arbeit haben, werden geschützt und versucht, zu halten. Diejenigen, die neu im Arbeitsmarkt dazukommen, werden hingegen zurückgehalten. Wenn die Coronapandemie eine Wirtschaftskrise größeren Ausmaßes auslöst – und danach sieht es derzeit aus –, könnte genau das passieren. Ich denke aber, es wird nur einem Teil der jungen Leute negativ ergehen. Der Großteil der jungen Menschen wird Chancen haben, aus zwei Gründen: zum einen aus demographischen Gründen. Mit den über 65-Jährigen scheiden jetzt riesige Jahrgänge aus dem Berufsleben aus. Diese sogenannten “Baby Boomer” gehören zur zahlenmäßig größten Generation, die wir je hatten. In Deutschland sind das allein 1,4 Millionen Menschen, die nun pro Jahr aus dem Berufsleben scheiden. Deswegen brauchen die Unternehmen Nachwuchs. Die jungen Jahrgänge hingegen sind nur halb so groß, aus diesem Grund haben die gut qualifizierten Leute auf jeden Fall eine Chance. 

Und der zweite Grund?

Der zweite Grund ist, dass sie digital unterwegs sind – sogenannte Digital Natives. Sie sind intuitiv mit dieser modernen Technik verbunden, von der wir merken, welch riesige Bedeutung sie gerade jetzt in Coronazeiten hat. Ich denke hier an Homeworking, Homeschooling usw. Die jungen Leute werden geschickter, schneller und cleverer damit umgehen, als es die älteren Generationen jemals lernen werden. Auch das ist ein Vorteil am Arbeitsmarkt.

Wenn diese jungen politisierten Leute der Fridays-for-Future-Bewegung entdecken, dass die jetzige Gesundheitskrise und die Umweltkrise eigentlich dieselben Ursachen haben, können sie ein zusätzliches Argument finden, um ihre Bewegung wieder zu stärken

Rechnen Sie damit, dass die Generation Z oder die darauffolgende Generation etwas von ihrer Politisierung verlieren wird, angesichts der schweren wirtschaftlichen Zeiten, die laut Prognosen auf uns zukommen werden?

Das ist eine interessante Frage. Diese stark politisierte junge Generation hat innerhalb von nur eineinhalb Jahren die politische Agenda bestimmt. Und zwar mit ganz geschickt angelegten öffentlichen Demonstrationen und mit einer wissenschaftsbasierten Position. Sie haben das Handwerk gelernt, wie man die Öffentlichkeit beeinflusst, wie man sich artikuliert. Das kann nicht von heute auf morgen verfliegen. Dennoch merkt man, die Bewegung Fridays-for-Future ist im Moment still, denn sie kann nicht mehr auf die Straße gehen, sie kann nicht mehr als Provokation die Schule schwänzen. Da fallen also ganz viele Elemente weg, die die Bewegung so stark gemacht haben. Aber meine Einschätzung wäre schon, dass diese jungen Leute, einmal politisch aktiviert, in dieser Grundhaltung bleiben werden. Wenn sie entdecken werden, dass die jetzige Gesundheitskrise durch die Coronapandemie und die Umweltkrise eigentlich dieselben Ursachen haben, nämlich, Menschen, die ihre Umwelt ausbeuten und die Tierwelt zurückdrängen, dann haben sie vielleicht sogar ein zusätzliches Argument, um ihre Bewegung wieder zu stärken. Wie lange die politische Haltung bleiben wird, ist aber nicht sicher. Generationen verändern sich im 15-Jahres-Zyklus und es ist durchaus möglich, dass auf diese stark politische wieder eine unpolitische Generation folgen wird, aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheiten.

Wird diese Zeit der Krise auch positive Rahmenbedingungen schaffen können, die es den jungen Generationen ermöglichen, sich besser zu entfalten? Gerade weil Themen wie Klimaschutz, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Digitalisierung oder bedingungsloses Grundeinkommen durch die Coronamaßnahmen neuen Aufwind erfahren.

Das sind alles Themen, die vom politisierten Teil der jungen Generation sehr stark betrieben worden sind. Einige der Themen, insbesondere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, lagen auch schon der vorigen Generation sehr am Herzen. Besonders junge Frauen sind hier Antreiber, weil sie inzwischen eine sehr gute Ausbildung genießen, und sowohl berufstätig sein, als auch Familie gründen wollen. Es zeichnet sich ab, dass dieses Thema auch in der nächsten Generation fortgesetzt wird. Ebenso Digitalisierung ist ein Thema, das von der Generation Y bereits vorangetrieben wurde. Die jungen Leute sind sozusagen die Garanten dafür, dass sich die Kommunikation, die Arbeitsformen, die Lernformen digitalisieren. All diese Themen wurden von den jungen Generationen angesprochen und darin fühlen sie sich jetzt auch bestätigt. Vor allem auch die jüngste Generation hat den Lebensstil angeprangert, den viele ältere Menschen an den Tag legen: die übertriebene Motorisierung, das ständige weltweite Herumfliegen. All das steht jetzt durch die Coronakrise noch mehr zur Diskussion. Das ist schon höchst interessant. 

Wie kann die Gesellschaft dieser jungen Generation helfen, aus der aktuellen Krise positivere Wesenszüge für sich herauszuziehen und besser damit umzugehen?

Die Politik sollte auf diese beiden jungen Generationen besonders hören. Das klingt so banal, aber das ist in einem demokratisch verfassten Staat nicht einfach, denn diese Generationen sind in der Minderheit. Das sind kleine Jahrgänge, in Deutschland etwa um die 700-750.000 Geburten pro Jahr. Die riesige Mehrzahl der Bevölkerung ist über 50 Jahre alt. Jene Mehrheit gehört der Generation der “Baby Boomer”, der 68er-Bewegung und vielleicht noch einigen älteren an. Hier ist die Masse der Bevölkerung, und hier ist auch die Masse der Wählerinnen und Wähler. Wir müssen darüber nachdenken, wie der jüngeren Generation Gehör verschafft werden kann, obwohl sie eine Minderheit im Wählerspektrum darstellen. Denn die zukunftsweisenden Themen, Perspektiven und Lösungen werden von den Jungen schon seit mehreren Jahren vorgetragen. Sie miteinzubeziehen ist umso wichtiger, weil beide Generationen sehr zurückhaltend gegenüber dem bestehenden parlamentarischen System sind, das von Parteien gesteuert wird. Die jüngste Generation ist zwar politisch, denn sie hat eine Bewegung gegründet. Diese ist aber außerparlamentarisch und hat absolut keine Verbindung zu Parteien. Die Jungen möchten nicht in diese aparathafte politische Arbeit hinein. Und da ist noch ganz viel zu tun, um diese Barrieren abzubauen.

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Klemens Riegler So., 24.05.2020 - 09:46

Wunderbarer Beitrag ... hoffnungsvolle Thesen
Kleiner Nachhacker: Herr Klaus Hurrelmann sagt: „Wenn man als junger Mann und als junge Frau gute Perspektiven hat, wird man politischer.“ Ich denke, dass das auf alle Generationen zutrifft. Und noch mehr beim Gegenteil; ... Menschen ohne Perspektiven werden polemischer ... und in der Steigerungsform populistischer.

So., 24.05.2020 - 09:46 Permalink
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Karl Trojer Mo., 25.05.2020 - 18:12

Diese interessante Analyse spricht sehr dafür, den 16-Jährigen das Wahlrecht zuzugestehen !
Ein Thema, von dem ich glaube, dass es für die Zukunft der Menschheit ganz wesentlich ist, sehe ich in der dringenden Notwendigkeit, zwischen Frauen und Männern die Chancengleichheit und den Macht-Anteil an Entscheidungsprozessen nach Jahrtausenden des Patriarchats endlich auszugleichen.

Mo., 25.05.2020 - 18:12 Permalink