Am Spiel zerbrochen
Süchte greifen ein. In das Eigene, in das Andere, in Familien, Freundschaften. Süchte stellen das Leben auf die Seite, beim Spielen ist es der fixe Gedanke den großen Coup zu laden. Zu gewinnen, schuldenfrei zu sein. „Als Markus mein Konto geplündert hat, war die Bestätigung für mich da. Markus ist Spieler. Immer wieder hat er sich von mir Geld geliehen, auch von seinen Verwandten und Freunden. Ja, ich glaube er war Spieler von Anfang an. Seit wir zusammen waren.“ Angelika ist heute, fünf Jahre später, auf einem Punkt, der ihr viel Kraft gekostet hat. Die Trennung war unausweichlich - sie weiß, was sie für sich und ihre beiden Kinder nie mehr haben will: Unsicherheit, Ausreden, kein Geld im Portemonnaie.
Mehr als eine Milliarde Euro wurden 2011 in der Region Trentino verspielt. In St. Georgen im Pustertal wollten die Bürger nicht länger zu schauen. Sperrten im Oktober kurzerhand mit Betonblocks der Spielhölle im Dorf die Parkplätze ab. "Dass diese Automaten nur dem Betreiber und dem Staat nützen, müsste eigentlich logisch sein", sagt Angelika, "aber die Männer, die dort sitzen, haben nur eins vor Augen: den großen Gewinn." Zehn bis 20 Euro täglich in Glücksspiele investiert führt monatlich schnell zu Ausgaben von 500 bis 600 Euro. Schuldenfalle vorprogrammiert, mit allen denkbaren Auswirkungen: Scham, Isolation, Depression, Suizidgefahr.
Die Notbremse
Seit fünf Jahren sind Markus und Angelika getrennt, ihre gemeinsame Tochter Laura ist heute 15, Emil der kleinere, acht Jahre alt. Als das Finanzielle nicht mehr tragbar wurde, hat Angelika die Notbremse gezogen, „ich hab ihm gesagt es geht nicht mehr, ich kann nicht mehr. Aber Markus von heute auf morgen auf die Straße setzen, das hätt ich nicht können. Er hatte nichts - keine Arbeit, kein Geld, keine Wohnung.“ Im Sommer 2008 die Trennung, der Auszug dann erst im November. Bis Markus eine Wohnung findet, verstreichen einige Monate, drei Mal wechselt er Bleibe. „Das war ganz eine schwierige Zeit. Die Trennung war beschlossen und doch musste ich ihn für vier Monaten an meiner Seite aushalten. Wenn er gekommen ist, bin ich gegangen. Das war schon zach.“ Als freiberuflicher Handwerker war Markus tätig, Angelika ist Kindergärtnerin in Teilzeit. „Ich hab gemerkt, es gab einfach kein Auskommen mit dem Geld. Mir wäre eine geregelte Arbeit lieber gewesen, für ihn, aber das wollte er nicht. Da wäre erstens weniger Geld gewesen für ihn zu spielen und zweitens wär er weniger flexibel gewesen spielen zu gehen.“
Das Forum Prävention lässt sich etwas einfallen. Um die Bevölkerung zu sensibiliseren wird ein interaktiver Parcours, der die mathematischen und statistischen Gesetze, die das Glücksspiel regeln, einfach und spannend vermittelt.
Zerbrochene Welt
Dass er spielt, leugnet Markus bis heute. Einmal war er bei der Therapeutin, erzählt Angelika, doch stellen will er sich nicht. Arbeit hat er keine - er sagt wozu - die Schulden sind zu groß. Er lässt sich gehen, körperlich, seelisch, „seine Mitwelt nimmt er oft gar nicht mehr wahr.“ Schlimm war das vor allem für Laura, „als sie mit zehn Jahren gemerkt hat, dass sich alle von ihrem Papa abwenden, dass die Freundschaften bröckeln, das Soziale wegfällt, sich die Schwiegereltern abwenden.“ Eine zerbrochene Welt – für die Kindern, für die Partner. Angelika blickt zurück: „Laura hat den Papa immer verteidigt, sie konnte das einfach nicht verstehen. Es ging ja nicht nur ums Streiten, wir sind mit dem Geld einfach nicht mehr ausgekommen.“ Bei der kleinsten Streitigkeit versuchte Laura auszubrechen, gab der Mutter die Schuld an der Trennung. „Sie konnte einfach nicht verstehen, dass spontane Besuche nicht mehr möglich sind. Manchmal musste ich sogar die Tür zu sperren.“ Viel Wut, viel Enttäuschung auf die Eltern, auf die Erwachsenen, die eine Kinderwelt vor vollendete Tatsachen stellen. Trennungen sind weitreichend, Systeme kippen, Menschen müssen sich neu aufstellen.
Auch die Südtiroler Parteien finden, die Spielsucht ist ein Thema wert. Drei Wochen vor den Landtagswahlen starten Aktionen.
Mama-Welt, Papa-Welt
Bis heute ist Angelika mit ständigen Diskussionen konfrontiert: Was für sie klar ist, ist es für Markus noch lange nicht. „Wenn er die Kinder hat, dann sind Absprache fast unmöglich, anpassen muss ich mich an seine Zeiten. Wenn es regnet bringt er Emil einfach früher, obwohl ich nicht zu Hause bin.“ Hin und Herswitchen von der geordneten Mama-Welt, in die chaotische Papawelt, Vera Nicolussi-Leck, Südtirols Kinder- und Jugendanwältin unterstreicht: "Wenn Sucht und Trennung zusammenkommen, kann man nicht von einer normalen Trennungssituation sprechen. Da wird es einmal mehr schwierig für die Frau und die Kinder." Markus pumpte nicht nur Freunde um Geld an, er lieh auch bei Angelika, nahm heimlich Geld aus den Sparschweinen der Kinder. "Auch noch heute passiert es, dass er sich Geld von ihnen 'leiht'."
"Wenn Sucht und Trennung zusammenkommen, kann man nicht von einer normalen Trennungssituation sprechen. Da wird es einmal mehr schwierig für die Frau und die Kinder."
Markus Leben spielt sich in der Zukunft ab, was er alles machen wird, wenn er erst mal den großen Gewinn landet. Was bis dahin alles zerbricht, registriert er nicht. Gestorben ist der Wunsch der Kinder, nach einer intakten Familie nicht. "Ja, das wünschen sich die Kinder immer", erklärt Nicolussi-Leck, "ein Spieler kann ja in den Augen der Kinder trotzdem ein toller Papa sein. Aber halt ein unzuverlässiger Partner." Als die Trennung für Angelika fest stand, hat sie von Anfang an mit offenen Karten gespielt. "Ich hab den Kindern erklärt, dass der Papa gehen wird. Auch das Warum, hab ich ihnen erklärt. Dass das Geld nicht reicht, dass er spielt. Für mich war klar: ich musste gehen, es gab keinen anderen Ausweg.“ Die Augen geöffnet hat ihr, ihre Mutter. "Meine Mama hat mich schon früh gewarnt, 'pass auf, der spielt', hat sie gesagt. Ich hab das bagatellisiert und mir gedacht: 'Spielen tut doch öfter jemand."
Wenn die Sucht die Familie ersetzt. Erfahrungsberichte von Spielsüchtigen lesen Sie hier.
Laut einer aktuellen Studie fallen in Deutschland eine halbe Million Menschen durch krankhaftes oder problematisches Spielverhalten auf. Die Zahl junger Männer, die an Automaten ihr Geld loswerden, hat sich in den vergangenen Jahren verdreifacht. Migranten sind besonders betroffen. Den ganzen Artikel lesen Sie im "Der Spiegel".
Heimliche Handtücher
Markus lebt heute in einer Wohnung, in einem kleinen Dorf.„Wie es dort aussieht“, das weiß Angelika nicht. „Am Anfang haben die Kinder immer heimlich Sachen mitgenommen, wenn sie zum Papa gefahren sind. Haarbürsten, Putzhudern, Handtücher, Tassen von der Küche, ein Sieb. So wollten sie ihn unterstützen, sie haben gemerkt, dass es ihm nicht gut geht.“ Hin- und Hergerissen war Laura damals, heute ist sie auf dem Weg ins Erwachsenwerden und versteht: im Leben ihres Vaters läuft einiges schief, sie leistet Widerstand, fordert ihn heraus. „Emil nimmt es prgamatischer, Hauptsache er kann mit dem Papa etwas unternehmen. Laura schmämt sich mittlerweile für ihn, dass er sich nicht pflegt zum Beispiel. Das ist ihr peinlich vor den Leuten. Sie will auch nicht, dass ihre Mitschülerinnen wissen, dass er ihr Vater ist.“ Verantwortung übernimmt Markus bis heute keine „er lebt noch immer von der Hand in den Mund“, sagt Angelika. Dass Unterhalt zahlen seine Pflicht wäre, das verleugnet er, "er kauft den Kindern Süßigkeiten, nein, was zum Anziehen oder Geld für Schulsachen, das kriegen sie von ihm keines."
Keine Respekt, keine Verantwortung
Zahlen tut die Unterhaltvorschuss-Stelle. Dass die Schulden damit immer größer werden, auch das sieht Markus nicht. Jammer kennt Angelika nicht. Als alleinerziehende Mutter ist sie gewohnt die Sachen in die Hand zu nehmen, zu machen, zu handeln: „Ich hab das Glück in einer Sozialwohnung zu sein, Auto haben wir keines, aber wir sind in der Stadt gut an die öffentlichen Verkehrsmittel angebunden – natürlich, wir müssen Abstriche machen. Aber das passt schon so.“ Das Schlimmste ist das Unverständnis, der mangelnde Respekt, die Anerkennung für das, was sie leistet: „Er gibt nach wie vor mir die Schuld an der Trennung, da kommen immer noch massive Vorwürfe.“
Dass er aus dieser Krise heraus kommt, das hofft Angelika. Sie sagt es mit Entschiedenheit, und es ist ihr sehr ernst: „Ich wünsche ihm von ganzem Herzen, dass er sein Leben wieder in den Griff kriegt. Für ihn, für die Kinder, ja – für uns alle.“
Hilfe gibt es beim Forum Prävention, Gespräche für Hilfesuchende rund um die Uhr in allen Erste Hilfe Stationen Südtirols, oder auch bei den Selbsthilfegruppen im Land.
Bin für Einschränkung
Früher habe ich die Meinung vertreten, dass nicht die Substanzen/Angebote selbst das Problem sind, sondern unser Umgang damit. Ergo keine Verbote. Mittlerweile Glaube ich, dass die ständige Verfügbarkeit schon die Sucht nährt und bin mittlerweile für Einschränkungen, um den Zugang zu erschweren. Das Rauchverbot in den Lokalen etwa schützt nicht nur Nicht-Raucher, sondern auch viele Raucher sehen es positiv u sagen, dass sie weniger qualmen.
Was würde ein Spielautomaten-Verbot bringen? Wäre es gesetzlich möglich? Was meint Ihr?