Klarnamenpflicht für Online-Medien – ja oder nein? An dieser Frage scheiden sich viele Geister. Wir haben kontroverse Meinungen eingeholt. Heute jene von Christoph Franceschini.
Es wird kaum verwundern, dass der Autor dieser Zeilen die geplante Gesetzesänderung im Landtag befürwortet, die Förderung der Onlinemedien an eine Klarnamenpflicht zu binden.
Als Salto-Chefredakteur habe ich mich mehrmals öffentlich gegen all jene Helden und Heldinnen der Tastatur gewandt, denen sogar die Zivilcourage abgeht, die eigenen Belanglos- und Stumpfsinnigkeiten mit Klarnamen zu unterzeichnen.
Ich gehöre einer Generation an, die ohne Computer aufgewachsen ist, deshalb sind meine Bewegungen in der virtuellen Welt relativ beschränkt. Aber ich bin ein Kind der Aufklärung. Dort gehen Freiheit und Verantwortung Hand in Hand. Mein Credo: Mann und Frau kann alles sagen, schreiben und jede Meinung äußern, muss dafür aber auch die Verantwortung tragen. Eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass ich dazu meinen Namen brauche und mein Gesicht zeige. Wer für seine Meinungsäußerung eine virtuelle Online-Burka reklamiert, sollte lieber den Beichtstuhl benutzen als die Kommentarfunktion.
Dabei bedarf es einer Präzisierung: Natürlich spreche ich hier von westlichen Demokratien und nicht von totalitären und illiberalen Regimen, in denen die Bedingungen grundsätzlich anders sind.
Aber bis auf Gegenbeweis funktioniert das demokratische Gefüge in diesem Land noch. Trotz mancher Verwerfungen und dem Allmachtsanspruch einer Partei.
In dieser Diskussion geht es um eine ethische Grundsatzfrage unserer Gesellschaft.
Zugespitzt formuliert lautet sie: Will ich eine Kultur der Feigheit, des anonymen Denunziantentums und der namen- und gesichtslosen Beliebigkeit fördern? Oder stehe ich für einen selbstbestimmten, offenen Weg des Diskurses, der Kritik und der Gegenrede mit allen seinen potenziellen Folgen und Verantwortlichkeiten ein?
Ich möchte mich für eine offene Gesellschaft einsetzen und nicht für eine Kultur des Versteckspiels.
Ich möchte mich für eine offene Gesellschaft einsetzen und nicht für eine Kultur des Versteckspiels.
Es geht für mich dabei um einen Grundpfeiler der Demokratie und des zivilisierten Zusammenleben in- und außerhalb des world wide web.
#whistleblowing
Im Durchschnitt wenden sich in der Woche 20 Personen mit Geschichten, Informationen und brisanten Hintergründen an mich. Rund 80 Prozent dieser Kontakte verlangen, bevor sie etwas sagen, anonym zu bleiben und nicht genannt zu werden. Es ist klar, dass jemand, der Informationen, Dokumente und Vorgänge nach außen trägt, die unter der Decke bleiben sollten, im eigenen Umfeld mit Konsequenzen zu rechnen hat.
Mit ganz wenigen (begründeten) Ausnahmen gebe ich diese verbindliche Zusage auch. Und ich würde und werde notfalls dafür auch ins Gefängnis gehen, bevor ich diese Abmachung breche. Denn ich halte den Informantenschutz für eine der wichtigsten, grundlegendsten und nobelsten Funktionen des seriösen Journalismus. Nur so ist echter investigativer Journalismus möglich.
Die Quelle ist für die Öffentlichkeit anonym, aber nicht für mich. Das ist von entscheidender Bedeutung. Ich weiß, wer mich kontaktiert hat. Ich kenne die Person, die mir die Informationen gegeben hat. Und ich kann damit – wenigstens in den meisten Fällen – auch einschätzen, was ihre Beweggründe und Ziele sind. Das ist bei manchen Informationen ebenso wichtig wie die Information selbst.
Dazu gibt es die Figur des klassischen Whistleblowers. Er oder Sie veröffentlichen direkt oder über ein Medium brisante Dokumente, Fakten oder Vorgänge. Aus denselben Motiven wählt der Whistleblower absolute Anonymität.
In beiden Fällen geht es dabei aber zentral um Fakten, Daten oder Dokumenten. Es sind Dinge, die der Leser und die Leserin nachvollziehen, nachprüfen und analysieren kann. Es sind konkrete Vorwürfe, auf die auch die Gegenseite replizieren, reagieren und notfalls klagen kann.
Im Mittelpunkt einer Kontroverse stehen Fakten. Nicht Meinungen oder Menschen.
#Meinung
Im Wort Meinung steckt das Wort „mein-en“. Das heißt es bedarf eines konkreten Subjektes, einer erkennbaren Entität, die einen Standpunkt vertritt.
Natürlich werden Sie jetzt sagen: Ob ich jetzt meine Meinung als Christoph Franceschini oder als „krah“ schreibe, ist einerlei. Was zählt, ist allein der Standpunkt.
Ich sage nein. Meinung ist mehr als nur das, was gesagt wird. Die Wertigkeit einer Meinung steht im direkten Zusammenhang mit der Person, die sie äußert. Ich kann keine Aussage völlig losgelöst, von der Person, ihrem Umfeld, ihrer Geschichte und Sozialisation sehen. Nur wenn es ein erkennbares Subjekt gibt, kann ich beurteilen, wie konsequent jemand jenen moralischen Imperativ einhält, den er selbst anonym von anderen großspurig einfordert. Genau davon hängt aber – wenigstens für mich - ab, ob man diesem Menschen und seiner Meinung Gehör schenken soll oder nicht.
Nur wenn ich eine konkrete Person vor mir habe, kann ich nachvollziehen, ob sie gestern nicht genau das Gegenteil von dem behauptet hat, was sie heute sagt. Anonymität und Pseudonymität fördern die völlige Beliebigkeit. Heute so, morgen anders und übermorgen überhaupt ganz umgekehrt. Auch die Änderung der eigenen Meinung gehört zur normalen Entwicklung. Sie sollte aber nachvollziehbar sein und begründet werden.
All das ist in der Welt des Pseudonyme und Anonyme nur schwer möglich. Vor allem wenn dann auch noch eine besondere Spielart dazukommt: Ein und dieselbe Person schreibt gleich unter einer Handvoll verschiedener Pseudonyme und befeuert den Disput gleichzeitig von mehreren Seiten.
#Praxis
Es gibt diesen wunderbaren Kanon, warum Anonymität im Netz wichtig sei.
Ich glaube, es sind 16 Punkte, die da angeführt werden. Und die in der Theorie echt gut klingen.
Aber in der Praxis?
Ok, die Wette gilt: Ich lade jeden zu einem Abendessen bei meinen Freund Herbert Hintner ein, der es schafft, in den vergangenen fünf Jahren zehn Kommentare oder Community-Beträge auf Salto.bz zu finden, auf die auch nur einer dieser Punkte ernsthaft zutrifft.
Ich will niemandem zu nahe treten, aber der Erkenntnisgewinn der allermeisten anonymen Kommentare liegt unter dem Niveau des Watttischs beim Ochsenwirt. Nur dort kommen die Bewissereiern von Menschen, die physisch zumindest erkennbar sind.
Sehr wohl aber führt die Anonymität zur Senkung der Hemmschwelle. Ein Mensch, den es nicht gibt, der kann sich natürlich alles erlauben. Aber ist das fair und moralisch tragbar?
Kann man die Meinung eines Niemands wirklich auf die Stufe eines Menschen setzen, der für seinen wie auch immer gearteten Standpunkt einsteht?
Meine Meinung nach kaum. Wir tun das aber täglich. Und manche brüsten sich auch noch damit.
Eine der wichtigsten Komponenten in der Bildung der eigenen Meinung muss die Frage sein, ob man öffentlich dazu stehen kann. Es ist ein Prozess, mit dem man den eigenen Standpunkt automatisch noch einmal hinterfragt.
Durch die Anonymität fällt dieses Korrektiv aber völlig weg. Und das führt in vielen Fällen dazu, dass der völlig kopflosen Hetze und dem Wutbürger Tür und Tor geöffnet werden. Man kann alles beschimpfen und niedermachen, ohne jemals auch nur einen Funkten Verantwortung tragen zu müssen, für das was man schreibt, sagt und einfordert.
Mir liegt es fern Anonymität mit Hatespeech gleichzusetzen. Es ist aber erweisen, dass allgemein das Internet, die digitale Kommunikation und die damit einhergehende physische Distanz die Hemmschwelle bei uns allen deutlich sinken lässt.
Genau hier hat die Anonymität bei manchen jene Wirkung, die das Heroin auf einen Süchtigen hat.
#Technik
Sicher ist die technische Umsetzung der Klarnamenpflicht keine leichte Aufgabe.
Voraussetzung dafür ist ein gesellschaftlicher Konsens. Dann findet man auch eine technische Möglichkeit.
Nehmen wir zum Bespiel die digitale amtliche Identität SPID. Rund 70.000 Südtiroler und Südtirolerinnen nutzen SPID für verschiedenste Dienste, die weit mehr Schutz verlangen, wie die Äußerung einer Meinung. Wenn ich alle meine Daten für die Anmeldung meiner Kinder in der Schule hergebe, für die Abgabe meiner Steuererklärung oder für meine Gesundheitsakte, warum sollte ich dann nicht dieselbe Identität hernehmen, um zu schreiben, dass dieser Artikel von Franceschini ein Schmarrn ist?
Natürlich wäre das die radikalste Lösung. Genauso gut könnte man es über die Kreditkarte machen. Man bestellt über Amazon ohne lange zu überlegen die gesammelte Werksausgabe von Karl Marx, spendet für einer Partei oder bucht einen Partner oder eine Partnerin für eine Nacht. Alles mit Klarnamen. Warum soll man sich damit nicht auf einem Onlineportal registrieren. Damit wäre die Identität für die Betreiber der Onlineportale nachvollziehbar.
Natürlich gibt es auch dann Menschen, die das System austricksen. Aber Betrüger gibt es überall.
Nur sollte man ihnen ihre Arbeit nicht auch noch erleichtern.
#Anfeindung
Impliziert das Recht auf Meinungsfreiheit auch eine Recht auf Vermummung? Ich würde sagen Nein.
Ganz im Gegenteil: Niemand muss öffentlich seine Meinung kundtun. Wenn er es aber tut und sich am öffentlichen Diskurs beteiligt, so sollte er auch die Zivilcourage haben, dazu zu stehen.
Anfeindungen? Natürlich gibt es diese. Sind solche Reaktionen aber nicht meinungsimmanent? Gehört das nicht zum Leben? Wer nie den Mund aufmacht, wird kaum Feinde habe? Aber wahrscheinlich auch wenige Freunde.
Vor allem aber frage ich mich: Wenn man bereits in einer Demokratie solche Angst vor den Folgen der eigenen Meinung hat, was tut dann man dann, wenn wir wirklich in ein totalitäres Regime verfallen?
Ich erachte diese Diskussionen als Hohn für alle jene, die wirklich ob ihrer Meinung um ihr Leben fürchten müssen.
Ich erachte diese Diskussionen als Hohn für alle jene, die wirklich ob ihrer Meinung um ihr Leben fürchten müssen.
#Die Förderung
Im Landtag haben vier SVP-Abgeordnete jetzt einen Beschlussantrag eingebracht, mit dem die Medienförderung an die Klarnamenpflicht gebunden werden soll. Ich halte den Vorschlag für unausgegoren und in gewissen Teilen auch für anmaßend.
So soll der Landesrundfunkbeirat etwa eine Netiquette vorgeben. Mit Verlaub: Roland Turk & Co verstehen von Online-Medien ungefähr soviel wie ich vom Friseurhandwerk. Deshalb wäre es sicher besser, hier jene Akteure anzuhören, die das Ganze dann umsetzen müssen.
Zudem wird nicht die SVP diese Regelung erlassen, sondern – nach der Bürgerkunde – der Südtiroler Landtag. Das heißt, es wird genügend Einwände und Kritik von gescheiten Männern und Frauen geben, die möglichen Kontrollfanatasien unterm Edelweiß Einhalt gebieten werden.
Es ist die Aufgabe eines Parlaments, Gesetze und Regelungen zur Verteilung der öffentlichen Gelder zu erlassen. Dabei ist es in allen Bereichen üblich, Förderungen an gewisse Regulative zu binden, die auch in die Kategorie der Wert- und Moralvorstellungen fallen.
Genau das würde mit der vorgeschlagenen Klarnamenpflicht passieren.
Ich sehe es als ein klares Bekenntnis zur Transparenz, zur Selbstbestimmtheit der Menschen und zur Aufrichtigkeit. Ein Plädoyer für Zivilcourage.
Eine Demokratie muss Kritik aushalten. Aber der Bürger muss auch den Mut haben, offen Kritik zu üben. Nur so funktioniert es.
Die Bindung der Landesförderung an die Klarnamenpflicht ist eine ethische Vorgabe. Niemand verbietet damit Anonymität im Netz – was auch gar nicht möglich wäre. Es gibt Milliarden von Möglichkeiten, sich im Netz anonym, mit Pseudonym, als Sockenpuppe, Troll oder Verrückter zu äußern.
Demokratie muss Kritik aushalten. Aber der Bürger muss auch den Mut haben, offen Kritik zu üben. Nur so funktioniert es.
Vor allen aber: Wenn Anonymität in dieser neuen, schönen Internetwelt ein so unverzichtbares Gut ist, dann werden die Verfechter dieser Argumentation ihre innerste Überzeugung doch nicht für ein paar Silberlinge verkaufen.
Dann soll Salto.bz den Mut haben, doch auf die mageren 30.000 Euro an Landesförderung zu verzichten und eben keine Klarnamen einführen.
Vielleicht kommt dann ja eine Spende. Anonym natürlich.