Umwelt | Rückzug

Bye bye, Braies

Die TV-Serie “Un passo dal cielo” verabschiedet sich vom Pragser Wildsee. Auch, weil ein Landesamt festgestellt hat: Die Folgen des Erfolgs sind nicht mehr zumutbar.
Pragser Wildsee
Foto: Othmar Seehauser

Als vor über zehn Jahren im Hochpustertal die erste Klappe fiel, hatte sich wohl niemand ausmalen können, was damit losgetreten wird. Am 12. Juni 2010 begannen die Dreharbeiten zur ersten Staffel von “Un passo dal cielo” am Pragser Wildsee. Ein Jahrzehnt und 72 Folgen später sind Tal und See längst am Limit. Das hat nun dazu geführt, dass die Produktionsfirma der erfolgreichen italienischen TV-Serie ihre Zelte am Pragser Wildsee abbricht. Mit ausschlaggebend: ein Gutachten der Abteilung 28 des Landes – jener für Natur, Landschaft und Raumentwicklung. Daraus geht hervor, dass Prags und sein Wildsee nicht mehr ertragen. “Es schien uns nicht korrekt, einem solch fragilen Ambiente noch mehr zuzumuten”, bestätigen die zuständigen Beamten.
Damit geht eine Ära zu Ende, die wie kaum eine andere für die Licht- und Schattenseite einer Erfolgsgeschichte steht.

 

Zehn Jahre Försterdasein

 

Die Handlung von “Un passo dal cielo” ist simpel gestrickt und schnell erzählt: Pietro hat sich nach einem tragischen Bergunfall, bei dem seine Frau das Leben verlor, ins Hochpustertal zurückgezogen. Dort versieht er seinen Dienst als Forstinspektor und wird in einen Kriminalfall nach dem anderen verwickelt. Bis zum Ende der dritten Staffel wird die Hauptrolle von Terence Hill verkörpert, dann verlässt Pietro die Forststation Innichen Richtung Nepal. Sein Nachfolger Francesco wird seither von Daniele Liotti gespielt. Die bisher letzte Staffel – Nummer Fünf – wurde von Frühjahr bis Spätsommer 2018 am Pragser Wildsee und anderen Drehorten in der Umgebung in den Kasten gebracht.

2018 ist dann auch das Jahr, das die Wende bringt.

 

 

Erfolg mit Folgen

 

Seit Beginn der Dreharbeiten hat das Land Südtirol “Un passo dal cielo” kräftig mitfinanziert. Über 3,4 Millionen Euro hat die Produktionsfirma – die Serie wird von Lux Vide in Kooperation mit RAI Fiction produziert – seither von der IDM Film Fund & Commission erhalten. Wegen des großen Südtiroleffekts – jeder Euro für die Filmförderung fließt mindestens wieder in Südtirols Kassen zurück – und des “hohen touristischen Mehrwerts”, so die Begründung. Dieser Mehrwert aber läuft aus dem Ruder. Alsbald wird der Pragser Wildsee, der im Naturpark Fanes-Sennes-Prags, in einem Natura-2000-Schutzgebiet und zugleich im UNESCO-Weltnaturerbe Dolomiten liegt, zum Besuchermagneten. Zunächst für italienische Gäste, die die Wirkungsstätte von Pietro selbst erkunden wollen. Zunehmend zieht es aber auch Touristen von weither an den türkis schimmernden See. Einen kräftigen Beitrag dazu leisten Influencer, die dem Pragser Wildsee bzw. dem Lago di Braies, als der er über die Landesgrenen hinaus bekannt wird, mittels Instagram & Co. weltweite Berühmtheit verschaffen. Mit Folgen, die sich keiner gewünscht haben dürfte: Der flüchtige Massentourismus sorgt für steigenden Verkehr, für den zusätzliche Parkplätze errichtet werden. Mit den Menschenmassen nimmt die Lärm- und Luftbelastung genauso zu wie die zurückgelassene Müllmenge am See.

 

Die Spitze des Ansturms wird im Sommer 2018 erreicht. Von Juli bis September strömten 1,2 Millionen Besucher ins Pragser Tal. Das sind im Schnitt 9.936 Menschen pro Sommertag, mit einem Spitzenwert von knapp 18.000 an einem Augusttag. Allein im August wurden 393.522 Besucher verzeichnet. Im darauffolgenden Jahr wurden erstmals Konsequenzen gezogen und die Zufahrtsstraße zum See für fünf Stunden täglich für den motorisierten Privatverkehr gesperrt. Dadurch sanken die Besucherzahlen auf rund 250.000 pro Sommermonat. Heuer will man durch neue Zugangsbeschränkungen für weitere Beruhigung sorgen.

 

Rück- und Umzug

 

Indes laufen bei Lux Vide die Vorbereitungen für die sechste Staffel von “Un passo dal cielo”. Bereits Mitte Juni werden erste LKW des Filmteams am Seeufer gesichtet. Der Drehbeginn ist für den 13. Juli 2020 angesetzt. Dann taucht plötzlich ein Casting-Termin für die Serie auf – im Belluno. Am 3. Juli werden in Ponte delle Alpi Komparsen zwischen 5 und 80 Jahren gesucht. Auch der Bürgermeisterin der bellunesischen Gemeinde Auronzo di Cadore ist das Interesse der Filmschaffenden nicht verborgen geblieben. Tatiana Bais Pecher appelliert an Lux Vide, die Belluneser Kulisse nicht als Südtiroler Landschaft zu vermarkten.
Wenig später berichtet der Alto Adige über die Hintergründe: “Un passo dal cielo” wird umziehen. Und zwar ins Veneto, allem Anschein nach in die Gemeinde San Vito di Cadore und an den dort gelegenen Mosiga-See.
Warum? Das ist längere Zeit nicht klar.

Bei IDM Südtirol hüllt man sich zunächst in Schweigen. Erst Anfang dieser Woche bestätigt der landeseigene Sonderbetrieb, der Filmdrehs in Südtirol betreut und seit Anfang des Jahres alleinig für die Vergabe der Filmförderung zuständig ist: Lux Vide hat ihren Rückzug aus Südtirol offiziell mitgeteilt. Grund dafür sei unter anderem ein negatives Gutachten, das die Abteilung für Natur, Landschaft und Raumentwicklung weiteren Dreharbeiten am Pragser Wildsee ausgestellt habe.

 

Jeder Dreh zu viel

 

Das Gutachten, von dem der Corriere dell’Alto Adige am Dienstag berichtet, stammt aus dem Amt für Natur, das bei der Abteilung 28 angesiedelt ist und in den Zuständigkeitsbereich von Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer fällt und wurde auf Ansuchen der Produktionsfirma erstellt. Aus dem Gutachten geht hervor, dass erneute Dreharbeiten in dem “sensiblen Natur- und Lebensraum” nicht mehr verträglich seien. “Das Problem sind nicht die Dreharbeiten an und für sich, denn die stören die Umwelt nicht maßgeblich”, heißt es aus den zuständigen Ämtern. Das Problem sei vielmehr die daraus folgenden Auswirkungen. “Weitere Aufnahmen sorgen für die Verbreitung weiterer Bilder, erreichen zusätzliches Publikum und werden am Ende weitere Touristen an den Pragser Wildsee bringen” – und das könne diesem nicht mehr zugemutet werden, kommt das Gutachten zum Schluss.

 

“Es gab auch andere Gründe, die für die Entscheidung zum ‘Umzug’ ausschlaggebend waren, unter anderem wirtschaftlicher Art”, präzisiert Landeshauptmann Arno Kompatscher am Dienstag. Er bezeichnet die Zusammenarbeit mit Lux Vide als “großen Erfolg”, der Südtirol und insbesondere der Gegend um den Pragser Wildsee zu großer Bekanntheit verholfen hat. “Diese wird bleiben”, ist sich Kompatscher sicher. Bedauern über die Entscheidung “Un passo dal cielo” woanders fortzusetzen, schwingt in seiner Stimme nicht mit. Denn auch der Landeshauptmann weiß um die “negativen Begleiterscheinungen” der Erfolgsserie. “Der Schauplatz Pragser Wildsee hat uns viel gebracht, aber nicht nur Vorteile”, stimmt Tourismuslandesrat Arnold Schuler zu. Südtirol verkrafte es, wenn die TV-Serie abwandere, so Schuler am Wochenende zu Rai Südtirol.

 

Nicht entgleiten lassen

 

Etwas schwermütiger gibt man sich bei der IDM. Dort hat man angeblich versucht, mit dem Vernagter Stausee im Schnalstal der Produktionsfirma einen alternativen Drehort anzupreisen. Vergeblich. Auf Anfrage des Corriere teilt die IDM mit: “La collaborazione con Lux Vide è sempre stata molto piacevole, è stata un grande passo per la Film Location Alto Adige, perché ha dato lavoro a tante eccellenze altoatesine e sappiamo che sono veramente dispiaciuti di dover lasciare il lago di Braies, dove — come essi stessi dicono — si sono sentiti a casa.”

Dabei weiß man auch in der IDM um die Schattenseiten. Im Tätigkeitsprogramm für 2020, das die Landesregierung Anfang März genehmigt hat steht geschrieben: “Filmprojekte wie ‘Un passo dal cielo’ haben gezeigt, welches touristische Potenzial im Filmsektor steckt, aber auch, wie schnell nicht gemanagte Drehorte unter Druck geraten können.” Die Zielsetzung lautet entsprechend: “Es gilt, Potenziale und Gefahren von Filmproduktionen im Allgemeinen zu eruieren, Potenziale zu nutzen und durch gezielte Besucherlenkung mögliche negative Folgen zu vermeiden. Als konkreter Anwendungsfall dient hier die Netfilx-Serie ‘Curon’, die gerade in Südtirol abgedreht wird.”

Auch im Ressort von Landesrätin Hochgruber Kuenzer blickt man aufmerksam an den Reschensee. Er soll keinesfalls zum zweiten Pragser Wildsee im negativen Sinne werden. Bei allen positiven Auswirkungen einer Serie wie “Un passo dal cielo” – der Werbe- bzw. Imageeffekt und die damit einhergehende Wertschöpfung wird kaum zu beziffern sein – gilt es, rechtzeitig die Bremse zu ziehen. “Wir wollen diese sensiblen Gebiete schützen, aber nicht, indem wir sie für die Menschen sperren, sondern indem wir unsere institutionelle Aufgabe wahrnehmen und die Belastungsgrenzen aufzeigen.” So versteht man in der Abteilung 28 und den ihr untergeordneten Ämtern den eigenen Auftrag. Dort steht fest: “Der Pragser Wildsee hat das Seine jedenfalls geleistet.”

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Leonidas Von Tarent Mi., 08.07.2020 - 11:16

Beschämend und peinlich. Jetzt, wo um jeden Preis abkassiert wurde, wir die Sensibilität unserer Umwelt verätzt haben (lassen) und scheinbar kein Ort mehr sein Geheimnis wahrt, uns auch noch vorspielen, dass wir eine "Entscheidungshoheit" haben ist erbärmlich und widerlich.

Mi., 08.07.2020 - 11:16 Permalink
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kuno prey Sa., 11.07.2020 - 22:41

gute, qualifizierte funktionäre sollten weitsicht haben. bin ganz gespannt welchen deal sie (uns) jetzt einfädeln werden…

Sa., 11.07.2020 - 22:41 Permalink
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Daniel Kofler Sa., 11.07.2020 - 23:30

Warum die Zufahrtsstraße nicht gesperrt lassen? Wer ein solches Juwel sehen will, sollte bereit sein, einige Kilometer zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf sich zu nehmen. Wenn man den Touristen gestattet, bis auf Meterentfernung an einen See zu gelangen, sollte man sich nicht wundern, dass dann viele Leute an den See kommen. Würde das so viele Touristen kosten? Ich glaube nicht - und wenn, es ist eh besser, man setzt auf Qualität, als auf Quantität.

Sa., 11.07.2020 - 23:30 Permalink
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Klemens Riegler Sa., 18.07.2020 - 17:09

Antwort auf Ihre Frage: Die Film-Fördergelder der IDM müssen von den Produktionsfirmen (die das Geld erhalten) in Südtirol ausgegeben werden. Es werden mit diesen Geldern also Rechnungen von Südtiroler Firmen beglichen die irgendwelche Dienstleistungen für die Produktionsfirma erbringen. = Hotelrechnungen, Transportdienste, Catering, Personal und vieles mehr.
Und wenn ich mich richtig erinnere müssen sogar mehr als 100% des Förderbetrags in Südtirol "ausgegeben" werden.

Sa., 18.07.2020 - 17:09 Permalink