Kultur | Salto Gespräch

„Heute geil, morgen welk“

Der Kunstkritiker Matthias Dusini von der Wiener Wochenzeitung „Falter“ über André Hellers Gartenpläne in Brixen, Political Correctness und neue Südtiroler Denkmalkultur.
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Foto: Ingo Pertamer

salto.bz: Wann haben Sie von André Hellers Gartenplänen für die Stadt Brixen erfahren? Und was war Ihr erster Gedanke?

Matthias Dusini: Ein Südtiroler Architekt hat mich 2018 auf die Diskussion aufmerksam gemacht. Die Positionen waren bereits damals klar: ein respektvoller Umgang mit dem kulturellen Erbe und dem für Städte so wichtigen Freiraum auf der einen Seite, die Interessen der Tourismusindustrie auf der anderen Seite. Bei allem, was ich von André Heller an Projekten im öffentlichen Raum bisher gesehen habe, von Swarowskis Kristallwelten bis zum Garten am Gardasee, dachte ich mir: Oh je!

Statt in Museen sollten Städte mehr in Gärten investieren. Es gibt viel zu schauen und man kann an einem schattigen Platz ein Schläfchen machen.

Weshalb ist das Gartenprojekt von André Heller für Brixen in Ihren Augen eine kulturpolitische Dummheit?

Südtirol hat in den letzten Jahren einen beispiellosen Bauboom erlebt. Wenn ich durch das Land fahre, sehe ich nur Kräne und noch mehr Sternehotels. Eine Besinnung auf die stillen und anhaltenden Qualitäten eines Ortes wäre im Hofburggarten möglich, und es gibt meines Wissens das Siegerprojekt eines Wettbewerbs, das diesen Zugang ermöglicht. Das Gartendesign André Hellers folgt einer anderen, schrillen Logik: heute geil, morgen welk.

André Heller hat bereits mit dem von Arthur Hruska (1880-1971) übernommenen Garten am Gardasee bewiesen, dass er Garten und Kunst zusammenführen kann. Oder?

Ich hab den Garten nicht bei seiner Eröffnung, sondern erst später besucht. Ich kann dieser Modernisierung nicht viel abgewinnen. Der Betreiber wirbt vor allem mit großen Namen wie Keith Haring, doch was hat ein New Yorker Graffiti-Künstler mit Erdbeerbäumen zu tun? Zu Lebzeiten von Hruska sind auch aus Südtirol botanisch interessierte Leute an den Gardasee gefahren, um die Anlage zu besuchen, hat mir mein Vater erzählt. Er hat den alten Hruska kurz vor dessen Tod noch im Zahnarztkittel bei einer Führung fotografiert (siehe Bild). Heute kommt mir die Anlage ungepflegt und in der spirituellen Hippie-Symbolik auch veraltet vor. Heller hat den Garten inzwischen verkauft, aber davon weiß der Besucher nichts. Vor Ort wird die Attraktion als Werk und Eigentum des Künstlers vermarktet.

 

Zufällig lässt die Geschichte die beiden „Gartenbauer“ Hruska wie Heller in Brixen stranden. Kein paradiesisches, gar prophetisches Garten-Zeichen der Bischofsstadt?

Was für ein Zufall, stimmt. Der größere Zufall ist aber schon, dass gleich neben dem Heller-Garten am Gardasee die Villa von Gabriele D'Annunzio steht, die ich für mein neues Buch unlängst besucht habe. Im Zuge meiner Recherchen bin ich auf die Geschichte der Enteignungen gestoßen. Sowohl Hruska als auch die Villa des Kunsthistorikers Heinrich Thode, die sich D'Annunzio unter den Nagel gerissen hat und zum Vittoriale ausgebaut hat, wurden während des Ersten Weltkriegs enteignet. Es gehört wohl zu den Merkwürdigkeiten der italienischen Geschichtspolitik, dass diese Villa nie an ihre rechtmäßigen Erben zurückgegeben wurde. Sogar die Kunstsammlung Thodes, offensichtliche Raubkunst, wird im Museum stolz präsentiert. Der Hruska-Garten wurde restituiert und von Heller, dessen Familie ja selbst Opfer der NS-Raubzüge war, in den 80er-Jahren rechtmäßig gekauft.

 

Südtirols wichtigster Garten wurde vor Jahren um Schloss Trauttmansdorff in Meran angelegt. Eine Stadt, die Sie geprägt hat?

Der Garten in Trauttmansdorff ist toll und das dortige Tourismusmuseum vorbildlich. Statt in Museen sollten Städte mehr in Gärten investieren. Es gibt viel zu schauen und man kann an einem schattigen Platz ein Schläfchen machen. In meiner Jugend war die Anlage ein verstecktes Plätzchen, an dem man in Ruhe kiffen konnte. Mir sind damals schon die vielen wild wachsenden Palmen aufgefallen, was auf ein besonders geschütztes Mikroklima schließen ließ. Botanisch geprägt wurde ich allerdings durch den Ladurner-Garten. Das ist ein Gebiet oberhalb des Tappeinerwegs, das von der Familie Ladurner zu einem Stück Macchia entwickelt wurde. Ich habe dem Eigentümer Arthur Ladurner manchmal beim Jäten und Wassern geholfen. Anfang Juni war die Blüte der Zistrosen. Morgensonne, verschneite Berggipfel, Mittelmeerflora: Das war Best of Merano. Leider ist die Gartenanlage inzwischen in einem schlechten Zustand. Nicht weit davon entfernt entwickelt Dan Pearson, der Star unter den zeitgenössischen Gartendesignern, übrigens gerade eine Anlage. Er arbeitet sehr ökologisch und auch viel mit lokalen Pflanzen. Leider kann man da nicht rein, denn es handelt sich um eine private Villa.

Sie haben sich in jungen Meraner Jahren dem Spiel auf der Violine verschrieben. Seit wann spielen Sie in der Kulturredaktion des „Falter“ die erste Geige?

Ich leite seit vier Jahren die Kulturredaktion des Falter, angefangen habe ich hier vor 20 Jahren als Kunstkritiker. Meine Geigenkarriere liegt weiter zurück, und meine Umgebung blickt entsetzt, wenn ich Anstalten mache, das Instrument in die Hand zu nehmen. Musikalisch in Erinnerung blieben mir eher die Open Air-Konzerte auf dem Tartscher Bühel im Vinschgau, bei denen auch Salto-Redakteur Christoph Franceschini aufgetreten ist. Der Sound war grottenschlecht, aber die Matte gut.

Sebastian Kurz ist ein Blender, dem es nur um die Macht geht. Er hat die Ressentiments der extremen Rechten bürgerlich vergoren. 

Im Jahr 2012 haben Sie – gemeinsam mit Thomas Edlinger – das Buch „In Anführungszeichen - Glanz und Elend der Political Correctness“ geschrieben. Ein zeitloses Werk? Oder folgt bald eine überarbeitete Neuauflage?

Man könnte eigentlich jedes Jahr einen Ergänzungsband schreiben. Derzeit verwandelt sich die Political Correctness in eine Cancel Culture: Denkmäler werden gestürzt und Autorinnen wie Joanne K. Rowling boykottiert. Als wir das Buch damals geschrieben haben, versuchten wir auch, das Positive an Political Correctness herauszuarbeiten. Es geht ja immer auch um Menschenrechte und eine größere Teilhabe von Minderheiten. Inzwischen fällt es mir schwer, das Produktive an PC zu erkennen. Es geht in erster Linie ums Denunzieren und Fertigmachen.

 

Apropos Political Correctness. Wie beurteilen Sie das politische Wunderkind Sebastian Kurz – bzgl. großer Europa-Fragen und kleinen Südtirol-Stellungnahmen? 

Sebastian Kurz ist ein Blender, dem es nur um die Macht geht. Er hat die Ressentiments der extremen Rechten bürgerlich vergoren. Für einen Kulturjournalisten ist er von einer erschreckenden Kulturlosigkeit. Sein Vorgänger Christian Kern ging auf Nick-Cave-Konzerte, Kurz geht ins Fitnessstudio. Sobald er einen Schriftsteller sieht, rennt er davon. Daher hasst ihn die linksliberale Blase, in der ich mich bewege. Dennoch muss man ihm zugutehalten, dass er das Land bisher gut durch die Corona-Krise navigiert hat, und auch beim EU-Hilfspaket muss ich sagen: Er hat zumindest die richtigen Fragen gestellt. Woher kommt plötzlich das ganze Geld, wohin fließt es? Als er davon gesprochen hat, dass das staatliche System in südeuropäischen Ländern kaputt sei, haben viele aufgeschrien. Es gibt in Italien genug Ökonomen, die das sofort bestätigen würden.

Südtirol gilt seit kurzem in der internationalen Presse als beispielhaftes Vorbild im Umgang mit faschistischen Denkmälern – etwa beim Siegesdenkmal oder beim Wandrelief am Finanzgebäude in Bozen. Verfolgen Sie diese Tatsache im Zuge der Kolonialismus-Debatte…

Ziemlich genau. Ich habe den Umgang des italienischen Staates mit dem faschistischen Erbe schon immer als unterirdisch, fast schon als persönliche Provokation empfunden. Dass in den letzten Jahren ein Umdenken stattgefunden hat, finde ich als echten Fortschritt. Gut finde ich auch, dass nicht mit Zerstörung, sondern mit Kontextualisierung, also begleitender Information, gearbeitet wird. So kann man jetzt am Bozner Siegesdenkmal vorbeigehen, ohne das Gefühl zu haben, von Mussolini beobachtet zu werden. Wiederum für mein Buch habe ich unlängst auch die Pension Briol besucht, die ebenfalls ein Teil dieser düsteren Vergangenheit ist. Sie wird als Bauhaus-Architektur vermarktet, der Architekt war aber ein eingefleischter Nationalsozialist. Solche Widersprüche finde ich spannend.

 

Eine politisch korrekte Garten-Frage am Schluss. Haben Sie einen „grünen Daumen“?

Meine Frau und ich haben seit drei Jahren einen Schrebergarten. Es ist unglaublich, was Stela aus dem Flecken gemacht hat. Die Königskerzen wachsen in den Himmel und demnächst sind die Marillen reif. Die Nacktschnecken werden ökologisch korrekt im Wald ausgesetzt, die Tötung würde das Gewissen belasten. Einige Samen aus dem Ladurner-Garten sind auch schon aufgegangen.