Gesellschaft | Verhalten

Moralische Absonderlichkeit unserer Zeit

Wie konnte es soweit kommen, dass wir Politiker, Menschen, Väter, Unternehmer beinahe auf dem Scheiterhaufen verbrennen möchten wegen 600 Euro?
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600 euro
Foto: upi

Ich bin zwar nicht bibelfest, aber da gab es den einen Satz, war glaube ich irgendwo wenn es um Maria Magdalena ging, erinnere ich mich: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Zurzeit wird aus allen Rohren geschossen, also müssen die christlich getauften Südtiroler*innen wohl alle ohne Sünde sein.

Andererseits ist es wohl eines jeden Recht sich über empfundenes Unrecht aufzuregen. Wobei es schon allgemein bekannt sein sollte, dass jedes empfundene Unrecht ein Subjektives ist. Was für den einen noch Unrecht ist, ist für einen anderen Recht und billig, sogar gerecht. Die Bandbreite ist riesig. Trotzdem spielen sich jetzt Hinz und Kunz in diesem Land auf, als ob kleine Mädchen geschändet worden sind.

Verharmlose ich hier etwas? Ist es mir egal, wenn Menschen in den letzten Monaten schwer über die Runden kamen? Bei weitem nicht. Mir geht es nur darum meiner Verwirrung im Kopf ein wenig nachzuhelfen, die Dinge korrekt einzuordnen. Anschließend ist es vielleicht leichter zu urteilen, oder auch nicht.

Kommen wir zurück auf die eingangs erwähnte Moral. Ein Freund von mir hat vor kurzem auf die Stadtpolizei geschimpft. Ich fragte warum. Weil er einen Strafzettel bekomme habe wegen falsch parken. „Ja, aber hast du falsch geparkt?“ fragte ich weiter. „Ja, aber nur ganz kurz. Ich musste was abholen und die Scheißpolitiker haben die Parkplätze abgeschafft, deshalb musste ich im Halteverbot stehen.“ Also waren nicht nur die Polizisten Idioten, sondern auch die Politiker. Leuchtet ein, oder?

Mir scheint es in der Natur des Menschen zu liegen sich die eigenen Verfehlungen schön zu reden, aber die Fehler des andern zu finden. Da gab es doch noch so einen Bibelspruch. „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“ Weiß selbst nicht, warum mir diese Sätze gerade einfallen, aber irgendwie passen sie. Oder gibt es unter den Leser*innen keinen der:

  • Nicht schon mal Steuern hinterzogen hat
  • Der dem Handwerker bar auf die Hand gezahlt hat, damit er keine MwSt. zahlen muss
  • Falsch geparkt hat
  • Gelogen (und sei es auch nur einen Notlüge, dass die neue Friseur doch wunderschön sei)
  • Dem Nachbar Schlechtes gewünscht hat
  • Sich seiner sexual Phantasien geschämt hat
  • Mit Gleichgesinnten Abkommen zum eigenen Vorteil und zum Nachteil anderer ausgemacht hat

Wie wäre eine Welt, in der wir zuerst unser Haus aufräumen müssten, bevor wir das Chaos im anderen Haus ankreiden? Ich weiß es nicht, wäre wahrscheinlich nicht möglich und vielleicht gar nicht wünschenswert. Aber wie sieht eine Welt aus in der wir das eigene Haus gar nicht mehr in Betracht ziehen und uns zur moralischen Keule erheben über andere? Denen das Recht absprechen Fehler zu machen? Denen das Recht absprechen auch „nur“ Menschen zu sein? Ich wage mal eine These, und teile die Gruppe der Menschen die jetzt „Kreuzigung“ rufen ein. Da gibt es:

  • Die Einheizer – denen sind die 600 Euro so was von scheißegal. Die haben nur auf irgendwas gewartet, um ihre Widersacher fertig zu machen
  • Die Gierigen – da ist vielleicht was rauszuholen
  • Die Mitläufer – habe eh selten eine Meinung, stimmen im Chor der Masse mit ein
  • Die Betroffenen – die hatten selbst in den letzten Monaten viel zu leiden und finden es einfach ungerecht, dass sie leiden mussten
  • Die Frustrierten – ihre eigene Ziele konnten sie bis jetzt nicht verwirklichen, also müssen alle anderen dran glauben
  • Die Stillen – die sagen nichts. Haben vielleicht Angst es könnte ihr Schaden sein

Vielleicht fehlen noch einige, aber für mich klar ist, dass die empörten Stimmen nicht aus einem Mund kommen. Und dass wir nicht imstande sind diese zu unterscheiden. Wir hören nur eine Kakophonie von Lauten und fürchten den Weltuntergang.

Was wäre(n) die Lösung(en)?

Mal runter vom Gas: Fackeln und Mistgabeln mögen geil aussehen, haben aber in der Weltgeschichte selten die Probleme gelöst. Meist eher weitere geschaffen. Soweit müssten wir im 21. Jhdt. bald schon sein, oder?

Einordnen: Das dies keine rechtliche Verfehlung war ist ja den meisten schon klar. Und moralisch lässt sich streiten bis ans Ende aller Tage. Bringt uns also nicht wirklich was. Wie wäre es, wenn wir versuchen diese Verfehlung den Erfolgen gegenüber zu stellen? Haben diese jetzt Angeklagten nicht das Recht ihr ganzes Tun und handeln in die Waagschale zu werfen? Nehmen wir den einen (vermeintlichen) Fehltritt her und wiegen ihn härter und stärker als alles was bisher geleistet wurde?

Konsequenzen: Die Konsequenzen liegen weniger in der Bestrafung oder nicht-Bestrafung der Personen. Die Konsequenzen sollten bei jedem zu Hause gezogen werden, wenn er in den Spiegel schaut. Welches Spiel läuft hier? Und dabei ist die Gruppe der Betroffenen die einzige, die das mal zuerst nicht machen muss. Das sind die einzigen Geschädigten. Die anderen Gruppen sollten am besten, nachdem sie tief in den Spiegel geschaut, in die Kirche gehen zum Beichten.

Wünsche allen noch eine schöne Zeit und freue mich, wenn wir wieder über die Probleme dieser Welt sprechen können:

  • Eine Mrd. Menschen, die mit 2 $ am Tag auskommen müssen.
  • Alle fünf Minuten stirbt ein Kind auf diesem Planeten an Unterernährung.
  • Frauen werden immer noch erniedrigt, geschlagen, vergewaltigt, auch in den eigenen vier Wänden.
  • Das Klima steht vor noch nie dagewesenen Kipppunkten, die die Existenz von uns Menschen real gefährdet.
  • 90 Mio To Lebensmittel werden jährlich in der EU weggeworfen.
  • Wir leben so, als ob wir 3 Erden hätten.

Ach ja, und da war doch noch was mit so einem Virus. Das Eingreifen von Politker*innen weltweit (außer USA und Brasilien) hat mittlerweile Mio. Menschen das Leben gerettet. Ganz egoistisch gedacht: Vielleicht war ich da auch darunter. Danke Politik!