Kultur | Salto Weekend

Stadt, Raum, Mensch, Zukunft

Kann sich ein ehemaliges Militärareal in Meran zum neuen Kulturraum entwickeln? Ein Gespräch mit Stephan Pircher über Politik, Eigeninitiativen und Partizipation.
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salto.bz: Sie haben sich intensiv mit der Geschichte rund um das Kasernenareal Rossi in Meran beschäftigt. Wie ist es dazu gekommen?

Stephan Pircher: Mit der Geschichte des Areals habe ich mich weniger beschäftigt, sehr wohl aber mit der Zukunft, dem Potential räumlicher Ressourcen, sowie der strategischen und partizipativen Entwicklung eines neuen Stadtteils. Für mich begann die Geschichte 2007, als wir als freies Kollektiv modular-t.org das Militärareal als Veranstaltungsort für das Kunst- und Musikfestival (un)defined ins Auge gefasst hatten.
Von allen Seiten hieß es damals, es sei unmöglich und von der Gemeinde kam keine Unterstützung. Doch die Vision, einen Teil des Areals einer kulturellen Nutzung zuzuführen war enorm. Eine zufällige Begegnung mit dem Journalisten Jimmy Nussbaumer brachte dann den entscheidenden Kontakt zu Gerhard Berger, der im Zuge die Verbindung zum General Ivan Felice Resce ermöglichte. Zu dieser Zeit waren die Verhandlungen über die Rückgabe der Militärzonen ans Land voll im Gange. Das war wahrscheinlich unser Glück damals.

 

Das Festival „[un]defined“ hat wesentliche Schritte zur Nutzung des Areals gesetzt und mit vielen Veranstaltungen zahlreiche Menschen an diesen militärischen "Unort" gebracht. Der Funke auf die Politik wollte aber nicht überspringen. Im Jahr 2010 war Schluss. Warum?

2010 lief das Festival (un)defined unter dem Titel STADT RAUM ZUKUNFT. Zehn Tage vor der Eröffnung kam die Hiobsbotschaft, dass wir keines der Gebäude verwenden dürfen. Als Begründung wurden statische Bedenken angegeben –but...the show must go on. Dank vieler privater Unterstützer und Geldgeber gelang es uns ein Container-Dorf zu errichten, indem die Kunstwerke Projekte und Performances Platz fanden. Das Festival traf auf großen Anklang und Ideen wie etwa die Zugänglichkeit zum Passerufer wurden konkretisiert. Im Herbst 2010 trat ich an die TU-Wien heran und konnte drei Institute für eine Projektarbeit gewinnen. Nach einer Exkursion in Meran folgten Monate an Projektarbeit in Wien bei der sich knapp 30 Studierende beteiligten. Präsentiert wurden die Arbeiten bei einer abschließenden Podiumsdiskussion im Pferderennplatz in Meran.


Um eine möglichst breite Diskussion anzuregen, waren neben den Professoren der TU-WIEN, Vertreter aus dem Bereich Tourismus, Wirtschaft sowie Gemeindevertreter anwesend. Die Podiumsdiskussion war ein voller Erfolg und die Arbeiten wurden im Kunsthaus Meran und an der Uni Bozen ausgestellt. Es gelang uns eine breite Öffentlichkeit aufzuklären, über das Potenzial aber auch über die Gefahren. Der Funke hat es 2010 zwar bis in die Wahlwerbung geschafft, doch der kommunalpolitische Boden für eine partizipative Weiterentwicklung hat gefehlt. Nach fast 4 Jahren unbezahlter Projektarbeit war es uns nicht mehr möglich aktiv daran weiter zu arbeiten.

Wenn partizipative Projekte beim Wahlkampf zum Einsatz kommen, dann geht es immer um Stimmenfang und nie um Projektentwicklung.

War die SVP am Anfang dagegen, scheint sie nun sehr dafür zu sein?  Wie ordnen Sie diesen Sinneswandel ein?

Nun, ich kann hier leider keinen Sinneswandel erkennen. Wenn die SVP-Meran wirklich vor hätte eine partizipative, kulturelle Nutzung des Areals anzustreben, sollte sie das Projekt an der Basis fördern, anstatt es für die Bürgermeisterwahl auszuschlachten. BIG fail.

Ich erinnere mich mit Freude an das sehr rhythmische Konzert der Gruppe "Attwenger" auf dem Areal. Warum hat ihr Rhythmus nicht – im metaphorischen Sinn – ein pulsierendes Weitermachen Eurer Idee ermöglicht? 10 Jahre später ist die Situation bedauerlich. Und es zeigt sich einmal mehr, dass die SVP seit jeher ein großes Problem mit Kulturthemen hat. Warum hat die Partei kein Vertrauen in junge ausgebildete Menschen, Macherinnen und Macher, die unabhängig von politischer Gesinnung arbeiten wollen?

Die SVP vermittelt eine eher konservative Haltung zu Kultur. Das funktioniert in den Dörfern recht gut und ist dort vielleicht auch am richtigen Platz. Eine Stadt kann sich das aber nicht leisten. Eine Stadt lebt vom kulturellen Austausch, vom Zusammentreffen einer großen Diversität und dem dynamischen Dialog. Dies alles bringt immer wieder Neues hervor. Hier ist in erster Linie die  Kommunalpolitik gefragt, sie kann Neues fördern oder auch nicht.
Die SVP-Meran verfolgt hier eine sehr destruktive Haltung, im Sinne ”entweder das Projekt machen wir, sonst macht es keiner”. Eine Sammelpartei kann nur funktionieren wenn sie intern auf Kooperation und nicht auf Konkurrenz setzt. Junge Macher haben es in der Meraner-SVP eher schwer, denn die obersten Plätze in der Liste werden von der “alten Garde” bestimmt, wer da nicht reinpasst, darf als Stimmenfänger im unteren Drittel Platz nehmen. Mit diesem Verhalten hat sich die SVP-Meran selbst die Luft abgeschnürt. Würde die “alte Garde” im unteren Drittel sitzen um Emporkömmlinge zu fördern, könnte aus der Meraner SVP wieder eine wählbare Partei werden. 

Es ist schon fast paradox, dass Wien und Hamburg bisher mehr von der Rossi-Kaserne hatten, als Meran selbst.

Sie haben Ihre Recherchen und Projektentwicklungen 2017 an den Künstler und CAMPUS M-Macher Arnold Mario Dall'O weitergereicht. Was ist dann passiert?

Ein enger Freund ist auf mich zugekommen und hat mich um Hilfe für die Bewerbung von Meran zur Kulturhauptstadt gebeten. Daraufhin habe ich ihm einen Auszug meiner Projektarbeit für die Bewerbung Merans zur "Italienischen Kulturhauptstadt" gegeben, die eine Umwandlung der Rossi-Kaserne in ein Kunst- und Kulturareal beschreibt. Die Arbeit wurde in gedruckter Form Herrn Dall´O übergegeben. In der Arbeit wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um geistiges Eigentum anderer handelt.
Passiert ist dann erstmal gar nichts. Im Februar 2020 wurde mir von einem privaten Treffen berichtet, bei dem ein Projekt namens CAMPUS M vorgestellt wurde. Bei diesem Treffen war auch Richard Stampfl dabei.

 

Wenn Sie das eben vorgestellte Projekt zum Areal mit Ihrem Projekt vergleichen. Wieviel ist abgekupfert? 

Man kann bei CAMPUS-M nicht von einem Projekt sprechen, eher von einer Strategie. Die Idee, die Rossi-Kaserne künstlerisch zu bespielen wurde erstmals 2008 von modular-t und dem Verein FreiRaum-K realisiert, meines Wissens war Herr Dall´O damals nicht dabei. Nun bin ich der Auffassung, dass Ideen frei sein sollen, wenn aber erarbeitete Erkenntnisse als Wahlwerbung auftauchen, dann kann das sauer aufstoßen. 

Sie haben in Hamburg ein ähnliches Projekt mitrealisiert. Wie kam es dazu?

In Hamburg findet jährlich das Kunst- und Musikfestival Dockville statt. 2013 wurde ich zusammen mit Philip Leitner eingeladen, eine künstlerische Installation auf dem Gelände zu realisieren. Leitner war einer der Initiatoren von (un)defined, und so kam es, dass in Hamburg viel über das Militärareal in Meran gesprochen wurde. Zwei Monate später wurde ich von der Festivalorganisation beauftragt, ein ehemaliges Chemie-Laborgebäude für den künstlerischen Betrieb zu adaptieren. Nach einem Jahr Planungs- und Umbauzeit war das Gebäude bezugsfertig. Beinahe zeitgleich mietete ich mit dem Verein Im-Plan-tat einen leerstehenden Wohnblock in der Schönbrunnerstraße in Wien, wo 42  Wohnungen temporär als Künstlerateliers adaptiert wurden. Die Wucht an Informationsaustausch und kreativem Schaffen war enorm. Nach diesem Projekt waren wir in Wien die erste Adresse bezüglich “künstlerische Adaptierung” von Leerstand. So kam es, dass wir 2015 die erste Agentur für Zwischennutzung und Leerstandsmanagement in Wien gründeten. Auch hier diente das Kasernenareal als Referenzprojekt um die nötigen Unternehmensförderungen zu bekommen. Es ist schon fast paradox, dass Wien und Hamburg bisher mehr von der Rossi-Kaserne hatten, als Meran selbst.


Wie stehen Sie zur Online-Performance “www.campus-m.fail”, einer vor kurzem im Internet präsenten Kunstfigur, die sich sehr kritisch zum Projekt "Campus M" äußert und ebenfalls Unterstützer sammelt…

Ich würde es mal so sagen, das gute an CAMPUS-M ist CAMPUS-M.fail. Die Onlienperformance enttarnt Campus M als Wahlstrategie. Wer sich nicht duckt wird hier eiskalt abserviert. Das ist schon ein wenig frech, aber irgendwo eben eine gewachsene Konsequenz, wenn man Kunst und Kulturschaffende an der Nase herum führt. Auf dieser Plattform entsteht gerade die Basis für ein echtes partizipatives Projekt. Das finde ich spannend.

Was wird aus dem Kasernenareal in Meran?

Ob es gelingen wird, einen attraktiven Stadtteil zu entwickeln, der auch angenommen wird, das hängt stark von der richtigen Einbindung der Bürger ab. Partizipative Projekte müssen im Vorfeld politisch neutral behandelt werden. Wenn partizipative Projekte beim Wahlkampf zum Einsatz kommen, dann geht es immer um Stimmenfang und nie um Projektentwicklung.
Die Gemeinde Meran hat in den vergangenen Jahren bezüglich partizipativer Projektentwicklung einige Instrumente für das gesamte Kasernenareal entwickelt. Ich hoffe, dass diese nun auch zum Zug kommen werden.