Umwelt | Interview

„Es ist für mich brutal bedrohlich"

Karl Bär über die Klage von Arnold Schuler und 1400 Bauern gegen ihn und Alexander Schiebel, den Schaden für Südtirol und das internationale Interesse am Prozess.
Bär, Karl
Foto: Othmar Seehauser

Salto.bz: Herr Bär, seit einigen Jahren haben Südtirols Bauern einen Erzfeind: Den Braunbären. Jetzt aber ist anscheinend ein neuer Bär dazugekommen zu sein, der die Existenz der Südtiroler Bauern bedroht?

Karl Bär: (lacht) Diesen Witz hat man schon einmal gemacht. Dabei hat eine Zeitung sogar eine Fotomontage von einem Bären mit meinem Kopf mitten in einer Apfelplantage gebracht. Darunter standen dann ein paar vermeintlich lustige Sätze, dass ein Bär jetzt hier sein Unwesen treibt und die Frage, ob ihn Bayern aufnehmen würde, wenn man ihn dorthin zurückschickt. Das war insofern etwas gemein, weil das letzte Mal als ein Bär von Südtirol nach Bayern einwanderte, dieser dann in der Region wo ich herkomme, gezielt erschossen wurde. Aber ich vermute, dass der Journalist diesen Hintergrund nicht gekannt hat.

Arnold Schuler hat in seiner Funktion als Landesrat eine Strafanzeige gegen Sie eingebracht. 1342 Südtiroler Bauern haben sich als Nebenkläger angeschlossen. Kommende Woche beginnt gegen Sie und dem Buchautor und Filmemacher Alexander Schiebel vor dem Bozner Landesgericht der Prozess. Wie ernst nehmen Sie die Sache?

Die Bedrohung ist sehr ernst. Denn im italienischen Strafrecht steht auf dieser Anklage der Verleumdung (diffamazione) eine Haftstrafe. Der Europarat hat diese gesetzliche Regelung bereits mehrmals scharf kritisiert. Tatsächlich ist das viel Bedrohlichere für mich aber etwas anderes: Sollte ich strafrechtlich verurteilt werden und eine Geldstrafe zahlen müssen, dann können die fast 1400 Bauern mich auch noch auf Schadenersatz verklagen. Muss ich dann 1.000 Leuten auch nur einen symbolischen Beitrag zahlen, geht das sehr schnell in einen sechs- oder siebenstelligen Eurobetrag. Dann bin an einem Punkt, wo das Ganze dann bei weitem das übersteigt, was ich in meinem ganzen Leben als fix angestellter Umweltschützer verdienen kann.

Ich werde den Prozess als Bühne benutzen, nicht nur auf das Pestizidproblem aufmerksam zu machen, sondern auch auf das Demokratieproblem, das es in hier in Südtirol offensichtlich gibt.

Sie hätten dem Land Südtirol geschadet. So lautet der Vorwurf den Schuler und die Regimebauern gegen Sie erheben.

Ich bin überzeugt, dass das was wir 2017 gemacht haben, dem Land Südtirol nicht geschadet hat. Wir haben ein Problem dargestellt, einen Konflikt nachgezeichnet, aber gleichzeitig auch Lösungen aufgezeigt. Dabei haben wir selbst auf unserer Homepage „pestizidtirol“ immer darauf hingewiesen, dass es etwa am Bodensee nicht anders ausschaut.  Am Ende haben wir gesagt, dass man in Südtirol auch Wege einschlägt, die beispielhaft für andere Regionen sein können.

Die Klage und das internationale Interesse am Prozess wird dem Land Südtirol weit mehr schaden?

Was jetzt passiert, das schadet Südtirol ganz sicher. Nachdem man bereits mit der Aggressivität gegenüber den Malsern den Fokus in der internationalen Aufmerksamkeit weg von diesem wunderbaren Projekt geleitet hat, hin zu den Problemen, die man hat, lenkt man jetzt die Aufmerksamkeit auch noch auf ein Demokratieproblem. Also, das ist wirklich keine hohe Qualität des Marketings vonseiten der Südtiroler Landesregierung.

 

Für Ihre Anliegen hätte es kaum besser laufen können. Plötzlich haben Sie ein internationales Sprachrohr?

Ja. Ich bin in der wunderbaren Situation, dass ich das beruflich machen kann. Ich werde deshalb den Prozess als Bühne benutzen, nicht nur auf das Pestizidproblem aufmerksam zu machen, sondern auch auf das Demokratieproblem, das es in hier in Südtirol offensichtlich gibt.

Steht das gesamte Münchner Umweltinstitut hinter dieser Linie?

Ja, absolut.

Sie persönlich sind politisch bei den bayrischen Grünen aktiv. Man unterstellt Ihnen deshalb immer wieder parteipolitische Gründe für diese Kampagne?

Natürlich bin ich als Umweltschützer bei der richtigen Partei, eben bei den Grünen. Aber ich handle hier nicht als Grüner. Ich würde auch als bayrischer Kommunalpolitiker nicht damit anfangen, mich mit dem Thema Landwirtschaft in Südtirol zu befassen, sondern ich mache das beruflich als Mitarbeiter im Umweltinstitut, der versucht sich europaweit mit dem Thema Pestizide und Landwirtschaft zu beschäftigen. Alles andere sind Unterstellungen, die völlig fern der Realität sind.

Ich gehe davon aus, dass ich am Ende juristisch freigesprochen werde.

Alexander Schiebel hat in seinem Buch „Das Wunder von Mals“, einige sehr provokante Sätze formuliert. Im Nachhinein: Wäre hier weniger nicht mehr gewesen?

Das Problem, das sich uns jetzt stellt – bei Alexander noch mehr als bei uns  - ist eine klare Frage: Wenn ich einmal angezeigt bin, was sage ich dann noch? Wenn man aber anfängt so zu denken, dann ist man sehr bald bei der Selbstzensur. Deshalb glaube ich nicht, dass es besser gewesen wäre, wenn Alexander auf die Südtiroler Befindlichkeiten eingegangen wäre und sein Buch anderes geschrieben hätte, als er es schreiben wollte.

Sie machen aus diesem Prozess jetzt bewusst eine Kampagne. Wie groß ist das internationale Interesse an dieser Geschichte wirklich?

Ich erlebe das Interesse an unserer Situation in Deutschland, in Italien, in Österreich und in der Schweiz als sehr groß. Mir schreiben Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern, die sich solidarisch mit uns erklären. Dabei habe ich auch von Imkerverband aus Estland eine sehr nette Mail bekommen, die mich sehr berührt hat. Die Sekretärin des Verbandes hat mir geschrieben, dass ich einfach anrufen soll, wenn ich jemanden zum Reden brauche. Es gibt ganz viele Leute, die das Gefühl haben, das könnte mich auch treffen. Als Umweltschützer, als Journalisten oder einfach als Menschen, die sich getrauen etwas in der Öffentlichkeit zu sagen, was andere stört. Wenn alle diese Leute zusammenhalten, dann sind es sehr, sehr viele.

Es gibt ganz viele Leute, die das Gefühl haben, das könnte mich auch treffen.

Sie scheinen auch heute noch verwundert über die Reaktion des offiziellen Südtirols auf Ihre Kritik?

Ich bin tatsächlich erstaunt, wie sich die Südtiroler Landesregierung hier verhält. Ich kann es mir einfach nicht erklären. Auch weil ich eine ganze andere Geschichte im Kopf habe. Als wir vor 5 Jahren damit angefangen haben, wollten wir die Geschichte eines Dorfes, das über die Verwendung von Pestiziden abstimmt, überall auf der Welt erzählen. Hätten die Landesregierung und der Bauernbund damals nicht so aggressiv auf Mals reagiert, dann hätten wir im Prinzip Werbung für Südtirol gemacht. Über Jahre hinweg...

Sie sagen die pestizidfreie Gemeinde Mals wäre ein Exportmodell?

Natürlich. Ich habe jetzt in der Vorbereitung zum Prozess heraus bekommen, dass im vergangenen Jahr in lettischen Landwirtschaftsministerium eine Ausstellung über Mals zu sehen war. Das wäre eine so wunderbare Werbung für Südtirol gewesen. Die hätten im Fahrwasser von Mals – ganz gleich ob es die Malser gewollt hätten oder nicht – die gesamte Südtiroler Landwirtschaft mitgezogen. Aber die Heftigkeit der Gegenreaktion auf die Leute da oben, die nur abgestimmt haben und sagten, wir wollen das nicht so machen, wie die Leute in unserer Nachbarschaft, die verwundert mich wirklich.

Hätten die Landesregierung und der Bauernbund damals nicht so aggressiv auf Mals reagiert, dann hätten wir im Prinzip Werbung für Südtirol gemacht.

Wer aus dem Chor ausschert wird geklagt?

Auch die Klage gegen uns verwundert mich. Ich habe im vergangenen Jahr anlässlich der Vorstellung unserer Studie „Pestizide in der Luft“ sowohl mit der Südtiroler Presse als auch mit Landesrat Arnold Schuler gesprochen. Dabei habe ich offen gesagt, das mit dieser Anzeige muss ein Wahlkampfgag gewesen sein, das kann nicht zu einer Anklage führen. Dass es das jetzt doch tut, das erschreckt mich wirklich.

Hier geht es nicht um die Bauern, sondern um die Agrarlobby, die zeigen will, wer das Sagen im Land hat?

Das wirklich Ärgerliche an der Sache ist für mich, dass die große Agrarlobby bereits etwas gewonnen hat. Wir haben so viel Arbeit jetzt in diese Klage stecken müssen, dass wir andere Sachen vernachlässigen. Vor einem Jahr haben eine Kollegin und ich eine europäische Bürgerinitiative gestartet unter dem Motto „Bienen und Bauern retten“ und wir haben da über Monate unsere gesamte Arbeit hineingesteckt, um die europäische Agrarpolitik zu beeinflussen, die gerade neu diskutiert wird. Das fällt jetzt völlig weg, seitdem wir wissen, wie bedrohlich die Klagen von Herrn Schuler gegen mich, gegen Alexander und allen anderen ist. Denn es geht ja auch gegen den Verleger und ein paar Kollegen am Umweltinstitut.

 

Wären Sie bereit mit Arnold Schuler zu reden?

Wir sind bereits im Dialog und es gab zwei Ansätze, wo es Kommunikation zwischen den Anwälten aber auch zwischen Alexander Schiebel und Landesrat Schuler gab. Bisher haben diese Gespräche aber nicht zu einem Ergebnis geführt, dass uns das ganze Durcheinander, das auf uns zukommt, abwenden würde. Ich wäre auf jeden Fall bereit, auch nicht vor Gericht zu stehen. Das ist etwas, was für mich brutal bedrohlich und aufwendig ist. Wenn wir das abwenden können, dann gerne. Aber ich werde sicher kein Schuldeingeständnis machen oder irgendetwas tun, dass ein Südtiroler Umweltschützer, der sich gegen das Spritzen auflehnt, meint, das kann ich jetzt nicht mehr sagen, weil andere eins auf den Deckel bekommen haben. Diesen Eindruck möchte ich nicht hinterlassen.

Wenn man anfängt vorsichtiger zu werden, dann hat die andere Seite schon gewonnen.

Was erwarten Sie sich von der italienischen Justiz?

Ich gehe davon aus, dass ich am Ende juristisch freigesprochen werde. Ich weiß aber, dass Gerichtsverfahren in Italien sehr, sehr lange dauern können. Und das wird mich noch lange beschäftigen und auch viel kosten.

Und danach: Finger weg von Südtirol?

Nein, nein. Ganz sicher nicht. Wenn man anfängt vorsichtiger zu werden, dann hat die andere Seite ja schon gewonnen. Was auch der eigentliche Sinn dieser Klage ist. Wir sollen alle Angst bekommen und vorsichtiger werden. Aber das werden wir sicher nicht machen.

 

Fotos: Othmar Seehauser