Politik | Quarantäne-Wahl

Wahlsieger Virus?

Der Präsident des Gemeindenverbands stellt die gesamte Gemeinderatswahl in Frage und der Landeshauptmann fordert Rom zum Handeln auf, ist selbst aber machtlos. Warum?
Wahlurne
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Stellen Sie sich vor, es sind Wahlen und Sie gehen nicht hin. Nicht, weil sie nicht wollen. Sondern weil Sie nicht dürfen. Genau das droht jenen Bürgern, die bei den Gemeinderatswahlen wahlberechtigt sind und sich am 20. und 21. September Corona-bedingt in Quarantäne oder häuslicher Isolation befinden. Eine Tatsache, die den Landeshauptmann “sehr verärgert” – und den Präsidenten des Gemeindenverbands sogar die gesamte Wahl in Frage stellen lässt.

 

Nur Krankenhaus garantiert Wahlrecht

 

Die Fakten hat der Ministerrat Mitte August geschaffen. Mit dem Gesetzesdekret Nr. 103/2020 wurden die Formalitäten für die Wahlgänge festgelegt, die am 20. und 21. September stattfinden. Unter anderem gilt die Bestimmung, dass an allen Krankenhäusern mit mindestens 100 Betten und einer Covid-Station ein Wahlamt gebildet wird. Dort werden wiederum Sonderwahlämter eingerichtet, denen je ein Wahlpräsident und zwei Stimmzähler angehören. Diese suchen – unter strengen Sicherheitsauflagen – die wahlberechtigten Bürger, die aufgrund von Covid-19 in Quarantäne oder häuslicher Isolation sind, zu Hause auf, um deren Stimmen abzuholen. Auch die Bürger der umliegenden Gemeinden. Um die betroffenen Personen in Erfahrung zu bringen, müssen sich diese bei ihrer Gemeinde melden, die eine Mitteilung an das Wahlamt macht.

Allerdings hat sich eine absurde Situation ergeben. Denn während die Quarantäne-Wähler, die in der Gemeinde ansässig sind, in der sich das Krankenhaus befindet, sowohl für das Verfassungsreferendum als auch für die Gemeinderatswahlen ihre Stimme abgeben können, wird es in Gemeinden ohne Krankenhaus nur möglich sein, sich am Referendum zu beteiligen, nicht aber an den Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen. “Es fehlt die gesetzliche Grundlage, die Stimme bei der Gemeinderatswahl auch an einem Wahlsitz außerhalb der Wohnsitzgemeinde abzugeben”, erklärt Andreas Schatzer. Tatsächlich kommt für die Quarantäne-Wähler bei den heurigen Gemeinderatswahlen ein Dekret des Staatspräsidenten von 1960 zur Anwendung, das es Wählern, die sich zum Zeitpunkt des Wahlgangs im Krankenhaus ihrer Heimatgemeinde befinden, ermöglicht, dort ihre Stimme abzugeben.

 

Der Präsident des Südtiroler Gemeindenverbands meint: “Wenn schon dieser enorme Aufwand für das Verfassungsreferendum betrieben wird, müsste es doch möglich sein, die Stimme für beide Wahlen abgeben zu können.” Zumal der Präsident und die Stimmzähler der Sonderwahlämter ohnehin für das Referendum die Bürger in der Umgebung aufsuchen müssen. Schatzer sieht hier in Italien, wo für die Gemeinderatswahlen weder Briefwahl noch allgemein die Möglichkeit zur elektronischen Stimmabgabe besteht, “ein Grundproblem”.

 

Rom soll nachbessern, Region kann nicht mehr

 

Von einer “Diskriminierung” spricht Arno Kompatscher. Schließlich beschneidet die in Rom erlassene Sonderregelung dadurch, dass nicht alle Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können, ein demokratisches, in der Verfassung verankertes Grundrecht. “Aus verfassungsrechtlicher Sicht fragwürdig” sei das in seinen Augen, nickt der Landeshauptmann. Dieselbe Befürchtung wurde erst kürzlich in einem offenen Brief an ihn kundgetan. “Umso mehr ärgere mich, weil wir unsere gesetzgeberischen Instrumente nicht anwenden können”, gesteht Kompatscher. Der Regionalrat hat bei Gemeinderatswahlen zwar Gesetzgebungsbefugnis. Doch da das römische Dekret zu einem denkbar späten Zeitpunkt gekommen sei, “schaffen wir es so kurzfristig nicht mehr, einzugreifen”.

 

Im Trentino und in anderen Kommunen Italiens, in denen in knapp zwei Wochen Gemeinderatswahlen anstehen, dürfen Bürger in Quaratäne oder häuslicher Isolation ebensowenig wählen, wenn sich in ihrer Wohnsitzgemeinde kein Krankenhaus befindet. Auch deshalb hofft Arno Kompatscher auf ein Einlenken: “Ich habe bereits interveniert, mit einem Schreiben beim Präsidenten der Staat-Regionen-Konferenz Stefano Bonaccini protestiert und die Aufforderung platziert, mit einem weiteren Dekret nachzubessern.” Er unterstelle der Regierung keine Absicht, fügt der Landeshauptmann hinzu, aber die Sonderregelung sei “mehr als daneben”.

 

Machen Wahlen so Sinn?

 

“Grundsätzlich Nonsens” sei diese Bestimmung, pflichtet Gemeindenverbandspräsident Schatzer bei. Er weist auf ein weiteres fragwürdiges Detail hin. Um an der Quarantäne-Wahl teilnehmen zu können, müssen sich die betroffenen Bürger laut Dekret 103/2020 zwischen dem zehnten und dem fünften Tag vor dem Wahlgang bei der Gemeinde melden. “Bis 15. September muss das Ansuchen gestellt werden”, bestätigt Schatzer. Doch was passiert mit den Personen, denen zwischen dem 15. und dem 20. September eine Quarantäne oder eine Isolation verordnet wird und die daher ihre Wohnung nicht verlassen dürfen? “So wie es momentan ausschaut, dürfen die gar nicht wählen”, berichtet Schatzer. “Das ergibt keinen Sinn. Wenn ich am Samstag in Quarantäne geschickt werde, wird das zuständige Sonderwahlamt doch am Sonntag oder Montag jemanden vorbeischicken können.”

Der Präsident des Gemeindenverbandes sieht es wie der Landeshauptmann: “Diese beiden Sachen – die entsprechenden Bestimmungen entbehren in unseren Augen jeglicher Logik – müssen gelöst werden. Ob das passiert, sei dahingestellt. Aber ich frage mich, ob die Wahl so noch sinnvoll ist? Denn wenn, dann soll sie für beide Wahlgänge und sämtliche Bürger möglich sein.” Arno Kompatscher gibt sich wenig zuversichtlich: “Ich habe noch keine Zusage aus Rom. Aber ich bin sehr verärgert.”