Politik | Meran

Auf der Überholspur

Nach ihrem ersten Wahlerfolg findet sich Madeleine Rohrer in einem politisch schwierigen Umfeld wieder. Doch das ist für die Meraner Stadträtin nichts Neues.
Madeleine Rohrer
Foto: Thomas Zelger

“Damit habe ich absolut nicht gerechnet.” Madeleine Rohrer ist die meist gewählte Gemeinderatskandidatin in Meran: 1.116 Vorzugsstimmen hat die Stadträtin erhalten. Damit zählt sie auch zu den meist gewählten Frauen bei den heurigen Gemeinderatswahlen. Einzig das Brixner SVP-Urgestein Paula Bacher erhielt mehr. Für Rohrer war es die erste politische Kandidatur, als Spitzenkandidatin für die Liste Rösch/Grüne. 2015 hatte der neue Bürgermeister Paul Rösch die damals 32-Jährige als Externe in seine Regierung geholt – und ihr ein Mammutressort zugewiesen. Fünf Jahre lang war Rohrer neben Umwelt, Energie, Natur- und Landschaftsschutz für Urbanistik, Verkehr und Mobilität zuständig. Schnell wurde sie “Kurys Mädchen” getauft, von der Opposition als Politneuling, der nach der Pfeife der Grünen Grande Dame tanze, belächelt. Immer wieder wurde ihr vorgeworfen, keine Visionen zu haben. Mit Unbeirrtheit, viel und harter Arbeit hat die junge Stadträtin ihre Kritiker eines Besseren belehrt. War sie sich bei Halbzeit der Amtsperiode noch nicht sicher, ist sie es nach den jüngsten Gemeinderatswahlen umso mehr: Sie will weitermachen. Und womöglich 2025 die erste deutschsprachige Bürgermeisterin von Meran werden? Die Passerstadt wurde erst ein Mal, von 1994 bis Juni 1995 von einer Frau regiert. Claudia Chistè vom PSI übernahm das Amt, nachdem die Stadtregierung SVP-DC geplatzt war. Paul Rösch hat bereits verkündet, keine dritte Bürgermeister-Kandidatur anzustreben. “Darüber reden wir dann in fünf Jahren”, winkt Rohrer auf die Frage nach ihren eigenen Ambitionen zur Bürgermeisterin ab.

Über politische Strategien und mögliche Koalitions-Szenarien reden mag sie generell nicht. Sieht sie sich trotz ihres Wahlerfolgs immer noch eher als Quereinsteigerin denn als Berufspolitikerin? “Die Frage ist: Was ist das? Ich hatte noch keine Zeit, über meine Rolle nachzudenken, das wird sich in der Stichwahl entscheiden. Noch ist vieles offen.” Am Sonntag entscheiden die Meraner, ob ihr nächster Bürgermeister wieder Paul Rösch heißt oder Dario Dal Medico. Die SVP, deren Kandidat den Einzug in die Stichwahl verpasst hat, hat beschlossen, keine Wahlempfehlung abzugeben.

 

Richtungsentscheidung vor ethnischen Fragen

 

Rösch, da ist sich Rohrer sicher, hat seit 2015 als “liberaler, offener, Brücken bauender Bürgermeister” wichtige Signale gesetzt. In der zweitgrößten Stadt des Landes, in denen die deutsche und die italienische Sprachgruppe gleich stark vertreten ist, habe er es erfolgreich geschafft, eine Stadtregierung zusammenzuhalten, in der vier Parteien – Liste Rösch/Grüne, SVP, PD, Alleanza per Merano – und “sechs Köpfe und genauso viele Vorstellungen” vertreten seien. Die politischen Kräfteverhältnisse haben sich fünf Jahre später allerdings verschoben. 19 der 36 neuen Gemeinderäte sind italienisch erklärt, 16 deutsch, einer ladinisch. Für den Gemeindeausschuss bedeutet das vier Posten für die Italiener und drei für die Deutschen – die vergangenen fünf Jahre war es umgekehrt. Der Ausschuss könnte auf acht Mitglieder aufgestockt werden. Dazu ist allerdings eine Abänderung des Gemeinde-Statuts notwendig.

 

Eine Zusammenarbeit mit den italienischen Rechtsparteien hat Rösch bereits ausgeschlossen. Doch gerade diese haben am 20. und 21. September einen Zuwachs an Stimmen erfahren. Die Lega konnte die Anzahl ihrer Gemeinderäte von zwei auf vier verdoppeln, Fratelli d’Italia erzielte zwei Sitze. Dazu kommt, dass die als Mitte-Rechts-Liste geltende Alleanza per Merano, die Dario Dal Medico als Bürgermeisterkandidaten unterstützt, ihre Sitze von vier auf fünf erhöhen konnte. La Civica per Merano, die zweite Liste hinter Dal Medico, die als gemäßigt links gilt, hat hingegen zwei Sitze verloren. Dal Medico selbst wird heute der Civica zugerechnet. 2005 kandidierte er noch – erfolglos – für Berlusconis Forza Italia. Gemeinsam mit Loris Duso und Enrico Lofoco, die nun mit dem scheidenden Stadtrat Nerio Zaccaria für die Alleanza im Gemeinderat sitzen. Den “italienischen Rechtsruck” in Meran schreibt Rohrer dem Trend auf nationaler Ebene zu. Zugleich warnt sie davor, die Stichwahl zu einer ethnischen Frage zu machen. “Die Frage ist nicht, ob ein Deutscher oder ein Italiener Bürgermeister wird, sondern ob Meran eine weltoffene und europäische Stadt sein oder von einer rechts ausgerichteten Regierung verwaltet werden soll.” Die Regierungsbildung wird für Rösch, im Falle eines Siegs, damit nicht einfacher.

 

 

Der lange Weg der (wenigen) Frauen

 

Dazu gesellt sich eine weitere Schwierigkeit: Von den 36 Gemeinderäten sind nur acht Frauen – nicht einmal ein Viertel. Im Stadtrat müssen aufgrund des Wahlergebnisses zwei Frauen vertreten sein. Die SVP stellt, ebenso wie die beiden italienischen Bürgerlisten, keine weiblichen Gemeinderäte. Für Rohrer der Beweis, “dass Politik immer noch stark auf Seilschaften basiert und es – männliche – Kandidaten der Verbände viel einfacher haben”. In ihren Reihen sieht es anders aus. Das Bündnis von Rösch kann auf zehn Gemeinderäte zählen, die Hälfte davon Frauen – vier von der Liste Rösch/Grüne und Francesca Schir von Team K. “Dieses Ergebnis spiegelt unsere Werte wieder”, sagt Rohrer stolz. “Man hat es bereits vor fünf Jahren gesehen, als der Bürgermeister Ressorts, die mit Macht und Geld verbunden sind, Frauen gegeben hat: mir Urbanistik und Mobilität, Gabi Strohmer die Wirtschaft.”

Viel habe sie sich anhören müssen, seit sie als Stadträtin angetreten ist: “Ich kam aus einem Umfeld, in dem ich sehr viel mit Frauen gearbeitet habe, bei der CIPRA oder im Verein der Alpenstädte, und fand mich plötzlich in einer sehr männlichen Welt wieder. Ich musste lernen, mich zu behaupten und die Position zu nutzen, die nich habe.” Sprüche wie “unsere Prinzessin” oder “unsere schöne Stadträtin” oder dass sie als kinderlose Frau keine Ahnung von Mobilität haben könne, weil sie das morgendliche Chaos vor Kindergarten und Schule nicht mitmache, klingen ihr noch heute in den Ohren. In solchen Situationen gelte es, dagegenzuhalten – was sie auch gemacht habe: “Noch immer ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Frauen in der Politik von Männern als gleichwertig angesehen und behandelt werden. Es geht um eine Machtfrage und darum, den Frauen Autorität und Kompetenz abzusprechen.”

 

Sanfte Pläne als Erfolgsrezept

 

Sie selbst setzte anfangs darauf, ihre Vorstellungen von einem grüneren, verkehrsreduzierten, fahrradfreundlichen und lebenswerteren Meran – und den Kampf gegen “die Autopartei” – im Stillen umzusetzen. Inzwischen berichtet die 37-Jährige vermehrt auf Facebook und über Aussendungen von ihrer Arbeit und ihren Vorhaben . Warum? “Kommunikation ist der erste Schritt von Partizipation. Ohne Information ist keine Bürgerbeteiligung möglich. Komplexe Vorgänge wie jene in den Bereichen Urbanistik und Mobilität verständlich zu erklären, ist die Voraussetzung dafür, dass Bürger fristgerecht von ihrem Recht Gebrauch machen und Einwände vorbringen können.” In einem Fall dürfte Rohrer darüber weniger glücklich sein: Aufgrund des Rekurses einer Bürgerin hat das Verwaltungsgericht vor wenigen Wochen den Verkehrsplan der Stadt Meran gekipptdas Herzensanliegen der Stadträtin war in einem breiten Partizipationsprozess gemeinsam mit den Bürgern ausgearbeitet worden. “Die Annullierung erfolgte aufgrund eines formalen Fehlers. Es fehlt der Nachweis, dass der Plan keiner Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss.” Mit einem entsprechenden Gutachten, das bestätigt, dass die UVP nicht notwendig sei, könne der Plan erneut dem Gemeinderat zur Genehmigung vorgelegt und dann umgesetzt werden, betont Rohrer.

 

Trotz des gerichtlichen Zwangsstopps sieht sie ihren Wahlerfolg als “Bestätigung dafür, dass der Verkehrsplan gut ist. Die Menschen haben mit mir das Gesicht dieses Plans gewählt, jene Person, die ihn zusammen mit dem Bürgermeister angestoßen und gemacht hat”. Dass es gelungen sei, sowohl mit der Qualität als auch dem Prozess des Verkehrsplans die Bürger zu überzeugen, sei bei einem “emotionalem Thema wie dem Verkehr” ein zusätzlicher Erfolg. Davon abgesehen glaubt sie, die Wähler inhaltlich – “es ist angekommen, dass Klimaschutz wichtig ist” – und mit der Art und Weise, wie sie versucht, Politik zu machen – “die Menschen einbeziehen, ihnen erklären, klare Positionen vertreten und darauf aufbauend Entscheidungen treffen” – für sich hat gewinnen können. Ganz allein ihr hätten die 1.116 Stimmen aber nicht gegolten, will sie festgehalten wissen: “Das ist auch der Verdienst der Mitarbeiter: Projekte wie den selbstfahrenden Bus, Verdoppelungen der Buslinien, E-Bikes für Pendler oder eine intelligente Ampel kannst du nur umsetzen, wenn die Techniker mit Begeisterung mitmachen.”

 

Inspiration ohne Partei

 

Das Image von “Kurys Mädchen” wird ihr allerspätestens nach den Wahlen nicht mehr gerecht. Nicht nur, dass Cristina Kury Anfang August offiziell an Madeleine Rohrer übergeben und sich selbst aus der aktiven Politik zurückgezogen hat (“Ich werde aber – falls gewünscht – weiterhin mit Rat und Tat zur Seite stehen”). Die Stadträtin hat ihre Mentorin in Sachen Wählerzustimmung um knapp 150 Stimmen überholt (Kury erhielt bei ihrer letzten Wahl zur Gemeinderätin 2015 969 Vorzugsstimmen) – obwohl oder vielleicht gerade weil sie “immer noch kein Parteikartl” hat, wie Rohrer verrät. Ist sie also keine Grüne? “Es ist kein Geheimnis, dass ich mich mit vielen Werten der grünen Politik identifizieren kann.”

Nicht umsonst zählt sie den Grünen Vordenker Alexander Langer zu einen ihrer politischen Vorbilder. Genauso wie sie sich von der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern und der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo inspirieren lässt. Die Tage bis zur Stichwahl am 4. Oktober will Madeleine Rohrer nur am Rande mit Wahlkampf verbringen. “Es gibt noch viele schöne Dinge, die ich als Stadträtin machen darf.” Dazu zählt sie ein Treffen mit Schülerinnen und Schülern, die ein Umweltprojekt umsetzen wollen, das mit dem von Alperia gestifteten “Energiepreis Südtirol”, den die Gemeinde Meran heuer erhalten hat, finanziert werden soll. Und dann hofft sie, auch wenn sie es nicht ausdrücklich sagt, weitere fünf Jahre als Stadträtin dranhängen zu können. Was sie machen wird, wenn es nicht dazu kommt, weil Rösch die Stichwahl verliert und eine Regierungsmehrheit ohne sein Bündnis geschmiedet wird? Darüber habe sie sich noch keine Gedanken gemacht, sagt sie. “Das macht derzeit auch null Sinn.”