Es ist keine leichte Aufgabe, und es ist kein Wunder, dass alle Beteiligten überfordert sind. Schule in Zeiten von Corona ist wie eine Fahrt auf der Autobahn bei Nebel. Man navigiert auf Sicht. Man weiß zwar, wohin die Reise gehen soll, ob und wann man am Bestimmungsort aber ankommen wird, kann niemand sagen.
Deshalb verwundert es auch, dass Südtirols Schulverantwortliche derzeit mit Selbstlob nicht geizen. „Trotz Corona positive Zwischennote“, heißt es heute groß im Tagblatt der Südtiroler. Bildungsdirektor Gustav Tschenett zieht im Artikel generell ein positives Fazit. „Die Prognosen, die uns die Sanität gestellt hat und aufgrund derer wir unsere Entscheidungen getroffen haben, sind eingetroffen“, erklärt Tschenett, „aber zusammen mit dem Gesundheitswesen ist es gut gelungen, die Fälle rasch einzugrenzen.“
Dabei weiß der Bildungsdirektor nur zu gut, dass die Realität an den Südtiroler Schulen eine völlig andere ist. Es herrscht Konzeptlosigkeit, es wird improvisiert, wo es nur geht, und von der plötzlich hochgehaltenen Zusammenarbeit der Schulen mit dem Sanitätsbetrieb ist in Wirklichkeit wenig zu sehen.
Es herrscht Konzeptlosigkeit, es wird improvisiert, wo es nur geht und von Zusammenarbeit der Schulen mit dem Sanitätsbetrieb ist in Wirklichkeit wenig zu sehen.
Deutlich wird das an einem konkreten Beispiel.
Mitte September wird an einer deutschsprachigen Südtiroler Oberschule ein Coronafall gemeldet. Der Schüler, dessen Vater in einem fleischverabeitenden Betrieb arbeitet, in dem kurz vorher ein Infektionsherd aufgetreten war, wurde positiv auf Covid-19 getestet. 23 Schüler und drei Lehrpersonen werden daraufhin in Quarantäne versetzt und getestet.
Es ist aber nicht der Sanitätsbetrieb, der der Schule die Nachricht vom positiv getesteten Schüler übermittelt, sondern ein privater Telefonanruf bei der Direktorin. Nur so konnten die Schulverantwortlichen umgehend reagieren.
Denn anscheinend gibt es zu diesem Zeitpunkt zwischen Bildungsdirektion und Sanitätsbetrieb kein klares Protokoll, wer die betroffene Schule im Falle von positiv getesteten Schülerinnen und Schülern informiert - und wenn denn es ein solches Protokoll geben sollte, scheint es jedenfalls nicht eingehalten zu werden.
Wie stümperhaft man dabei vorgeht, wird aber deutlich, wenn man sich anschaut, wie die Geschichte weitergeht. Fünf Tage nach dem ersten Coronafall meldet die Bildungsdirektion einen zweiten Coronafall an derselben Schule. Ein weiterer Schüler wurde positiv getestet. Als Sicherheitsvorkehrung werden die gesamte Klasse - 22 Schülerinnen und Schüler und sieben Lehrkräfte - unter Quarantäne gestellt.
Was man bis heute aber tunlichst verschwiegt: Der zweite Schüler ist der Bruder des ersten positiv getesteten Schülers. Er ging anscheinend noch einige Tag weiter zur Schule, bis auch bei ihm das positive Testergebnis feststand. Weder dem Sanitätsbetrieb noch der Schule oder der Bildungsdirektion scheint aufgefallen zu sein, dass es in derselben Schule noch einen zweiten Schüler aus dieser Familie gibt.
Was man bis heute aber tunlichst verschwiegt: Der zweite Schüler ist der Bruder des ersten positiv getesteten Schülers. Er ging anscheinend noch einige Tage weiter zur Schule.
Fakt ist, dass die Bildungsdirektion, der Sanitätsbetrieb oder der zuständige Landesrat bzw. die Landesregierung bis heute keine genauen Vorgaben für die Schulen zum Umgang mit positiv getesteten Schülern erlassen haben. Die Direktoren und Direktorinnen sind damit auf sich allein gestellt. So etwas nennt man „Autonomie der Schulen“. Dieser Umstand treibt zuweilen absurde Blüten. So kommt es vor, dass Lehrpersonen nach einem Positivfall in ihrer Klasse getestet werden, aber bis zum Ergebnis des Tests weiterhin unterrichten müssen. Laut offiziellen Richtlinien ein No-Go.
Laut heutigem Erfolgsbericht in den Dolomiten „funktioniert bislang auch der Fernunterricht grundsätzlich gut“. Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn gerade hier ist die Situation von Schule zu Schule völlig unterschiedlich. Die ganze Wahrheit ist, dass es an manchen Schulen überhaupt keinen Fernunterricht gibt.
Mein jüngster Sohn besucht eine bekannte Bozner Oberschule. Die Klassen wurden dort – wie fast überall – geteilt. Eine Woche hat er normalen Unterricht, die nächste Woche zuhause Fernunterricht. Was gut klingt, schaut in der Praxis so aus: Es gibt keinen Fernunterricht. In der vierten Schulwoche, genau morgen, wird er das erste Mal in diesem Unterrichtsjahr eine Unterrichtseinheit über die Zoom-Plattform bestreiten. Das heißt: Die Woche zuhause wird mit Aufgaben, Lernvorgaben und Übungen gefüllt, die teilweise online gemacht werden.
In der "konventionellen" Schulwoche dann stehen für die Schülerinnen und Schüler ein Test und eine Prüfung nach der anderen an. Verständlich: Die Lehrer haben nur mehr die halbe Zeit, um ihre vorgegeben Benotungsschemata herunterzuklopfen.
Was gut klingt, schaut in der Praxis so aus. Es gibt in manchen Oberschulen keinen Fernunterricht. In der vierten Schulwoche, genau morgen, wird mein Sohn das erstmal in diesem Unterrichtsjahr eine Unterrichtseinheit über die Zoom-Plattform bestreiten.
Ach ja. Was anscheinend auch niemand bedacht hat: Diese Unterrichtsform, aber auch die Corona-Hygiene-Vorgaben bringen es mit sich, dass Schüler keine Bücher, Hefte oder sonstiges Unterrichtsmaterial mehr in der Schule lassen dürfen. Das heißt: Die Schülerinnen und Schüler müssen täglich alles hin- und wieder wegtragen. Wir haben uns die Mühe gemacht, die Schultasche unseres Sohnes zu wiegen. Es sind mehr als 15 Kilogramm, die er täglich in der Schultatsche mit sich herumträgt.
Ich würde dem Bildungsdirektor raten, eine solche Schultasche täglich ins Büro mitzunehmen. Dann wird er spüren, wie gut Südtirols Schule in Zeiten von Corona funktioniert.