Ich habe ja schon ein anderer Stelle angemerkt, dass ich kein Fan der Denke „Corona hat auch Vorteile“ bin: Corona ist einfach nur scheiße. Wenn uns widerwärtige Umstände dazu zwingen, unser Leben zu überdenken, dann ist das nichts, wofür man den widerwärtigen Umständen dankbar sein müsste. Trotzdem gibt es da etwas, eine Begleiterscheinung dieser Zeiten, die ich nicht ganz so übel finde: Wir räumen angesichts dieser Unbill, der wir mehr oder minder ausgeliefert sind, mit Unannehmlichkeiten auf, die wir sehr wohl in der Hand haben und bislang relativ gleichmütig ertragen haben. Ich sage bloß: Bügel-BHs. Nein, das sind keine Büstenhalter, die man unbedingt bügeln müsste; nicht jeder Mann wird das wissen. Der Durchschnittsbürger beschäftigt sich ja eher flüchtig mit diesem Wäschestück. Die Bezeichnung „Bügel“ rührt vielmehr daher, dass bei ebensolchen Büstenhaltern halbkreisförmige Metall-oder Plastikbügel unterhalb der Brust eingearbeitet sind, um letztere zu stützen. Das ist genauso bequem, wie es klingt. Der Bügel-BH ist das klassische BH-Modell und immer noch das meistgetragene, was selbst beim Head of irgendwas eines bekannten Wäscheherstellers zu berechtigtem Unverständnis führt: „90 Jahre, in denen Frauen bereit waren, an empfindlichen Stellen ihres Körpers einen Metallreifen zu tragen. Also als Mann möchte ich mir das gar nicht vorstellen. Das finde ich doch erstaunlich.“ Der gute Mann sagt „erstaunlich“, was er aber eigentlich meint, ist: „Versucht mal, uns Männern tagein tagaus einen Metallbügel um unsere Weichteile zu verpassen, dann seid ihr aber sowas von tot.“ Absolut verständliche Reaktion. Wieso aber macht Frau das dann? Nicht etwa, weil sie darauf steht, tagtäglich ihre Brüste eingefriedet und hochgezurrt zu bekommen wie auf einer Fleisch-Baustelle, sondern weil sie es einfach so gewohnt ist. Den ersten BH gibt’s heutzutage meist schon bevor sich da etwas zu wölben beginnt, und von da an hat Frau Zeit, sich daran zu gewöhnen, dass das halt so muss. Wer schön sein will, muss leiden. Und irgendwann fällt es einem auch nicht mehr großartig auf. Bis der Lockdown kam.
Frauen sind nicht verpflichtet dazu, immer das Höchstmaß an der ihnen möglichen Attraktivität aus sich herauszuholen – außer, sie wollen das selbst so
Im Lockdown musste, nein durfte man nicht aus dem Haus. Wer nicht gerade ständig Videokonferenzen zu absolvieren hatte (was natürlich problemlos in Unterhosen und Sarner Toppern funktioniert, solange obenrum alles halbwegs züchtig aussieht), der konnte mit seinem Äußeren etwas gnädiger verfahren als sonst. Schlabberlook statt Business Look. Wenn wir schon eingesperrt sind, dann bitte bequem eingesperrt. Der BH blieb da bei vielen Frauen in der Schublade. Umso schlimmer der Moment, als es ihn wieder überzustreifen galt. Wenn die Aufhebung des Lockdowns einen Nachteil hatte, dann diesen: Die (stylingstechnische) Freiheit, die uns das häusliche Gefängnis beschert hatte, sie war mit dem Wiedereintreten in die Außenwelt perdu. Kaum war der Lockdown für uns vorbei, nahm der für unsere Brüste wieder seinen Lauf. Autsch.
Der Guardian hat darüber berichtet, wie Frauen im Lockdown ihre „boob cages“, ihre „Busenkäfige“ verlegt hatten und dann auch gar nicht mehr wiederfinden wollten, und fragte: Ist das der Tod des Büstenhalters?. Ich sage, wir müssen ihn ja nicht gleich umbringen, nachdem er uns so lange Zeit ein treuer Begleiter war. Es gibt bequemere Alternativen zum Bügel-BH, die ohnehin in letzter Zeit mehr und mehr Zuspruch finden, und wer sich nie an ihm gestört hat, der soll ihn doch gerne weiterhin tragen. Wir könnten aber die Gelegenheit nutzen, uns zu fragen, was wir neben dem widerstandslosen BH-Tragen noch alles so anstellen mit unseren Körpern, ohne dass uns jemand dazu zwingen würde. Beispiel Haare färben: Auch hier hat der Lockdown Erstaunliches bewirkt, dass nämlich ein deutlicher grauer Haaransatz nicht mehr mit verschämten Entschuldigungen kommentiert, sondern fast schon triumphierend zur Schau gestellt wurde. Die Friseursalons hatten noch geschlossen, „konnsch eh nix tian“, die Nachbarin hatte auch einen, und eigentlich hatte man die Farbe ja eh immer schon auswachsen lassen wollen und sich bloß nicht getraut. Iatz isch aa lei mehr gleich. Die Welt hatte eh schon gemerkt, dass die Farbe aus der Flasche kam, da konnte Frau auch gleich konsequent sein. Und damit ein Sakrileg begehen. „I versteahs net, wieso tiatsn des?“, fragte mich ein Bekannter vor Jahren einmal fassungslos angesichts einer Dame, die es gewagt hatte, ihm mit halb grauer, halb dunkelbrauner Mähne unter seine empfindlichen Augen zu treten. Hätte sie ihm ungefragt ihren ungewaschenen Allerwertesten präsentiert, die Reaktion wäre nicht viel anders gewesen. Denn ist es nicht Aufgabe einer jeden Frau, jederzeit mit ihrem Äußeren so gut es geht das männliche Auge zu erfreuen, ihm zu schmeicheln und es zu ergötzen, auf dass sein Besitzer die Trübsal des irdischen Lebens leichter erdulden möge? Nein, ist es verflixt nochmal nicht.
Wieso macht Frau das? Nicht etwa, weil sie darauf steht, tagtäglich ihre Brüste eingefriedet und hochgezurrt zu bekommen wie auf einer Fleisch-Baustelle, sondern weil sie es einfach so gewohnt ist
Wenn du deine Haare färben willst, färb sie. Wenn du es nicht tun willst, tu’s nicht. Dasselbe gilt für Bügel-BHs tragen, Nägel lackieren, Make-up benutzen, ja für alles, was über ein normales Maß an Körperhygiene hinausgeht. Auf letzterer und einem gewissen Mindeststandard beim Anziehen möchte ich dann doch beharren. Nicht, dass Sie mir morgen mit Polsterfrisur und ungeputzten Zähnen im Bademantel ins Büro gehen, weil „die Kienzl hot gsogg, des isch iatz okay“. Uns unseren Mitmenschen so zu präsentieren, dass sie sich nicht vor uns ekeln müssen, das ist eine Frage des Respekts und machbar. Aber verlieben müssen sie sich nicht in uns. Frauen sind nicht verpflichtet dazu, immer das Höchstmaß an der ihnen möglichen Attraktivität aus sich herauszuholen – außer, sie wollen das selbst so. Wieso sollen Frauen sich peinlichst genau die Beine enthaaren müssen, während mein Bekannter mit Jogginghose und kilometerlangen Ohrenhaaren unbeirrt durchs Leben gehen kann? Nicht, dass ich letztere uneingeschränkt empfehlen würde, aber bitte gleiche Standards für Mann und Frau. Dass diese eben nicht so sind, wird vor allem im Alter sichtbar: Während Männer wie ein Häuschen in der Toskana mehr oder weniger charmant verfallen dürfen, stehen gerade bei Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, aufwändige Renovierungsarbeiten an. Wie ein Hotel, das seine Gäste nicht verlieren will, heißt es, jedes Jahr ein bisschen umbauen – bis das Gesamtbild oftmals ein Groteskes ist, weil einfach nicht mehr stimmig. Wenn das aus freien Stücken passiert, fein. Wenn Frau aber das Gefühl hat, sie schuldet es ihrem Umfeld bzw. verliert ihre Daseinsberechtigung, wenn sie nicht mitmacht: nein. Dass der Druck dabei ironischerweise großteils von anderen Frauen ausgeht, wurde auch deutlich, als letzthin die italienische Journalistin Giovanna Botteri von Michelle Hunziker für ihren Look kritisiert wurde. Wir merken: Wenn Frau auffallen will, kann sie sich das Dekolleté bis zum Schambein sparen; es genügen eine graue Mähne und das (scheinbar) immer gleiche schwarze T-Shirt. Dass Hunziker daraufhin selbst jede Menge Kritik einfuhr, lässt hoffen, dass die Zeiten sich wirklich ändern, und der Maßstab künftig dieser ist: Fühlst du dich wohl? Und: Würde ein Mann damit durchkommen? Wenn Sie beide Fragen mit „ja“ beantworten können, dann haben Sie wohl nichts falsch gemacht.