Gesellschaft | Zuwanderung Bildung

Inklusion & Zuwanderung

Über die bildungspolitische Inklusion durch Zuwanderung - eine der größten Herausforderungen unserer Zeit
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1. Einleitung

Jede Generation hat ihre besonderen Herausforderungen, erkennbar durch den Mangel entsprechender Patentlösungen, sprich, es gibt kein Schema F zu deren Lösung. Eine der größten unserer Zeit besteht im demografischen Wandel, der Zuwanderung von Menschen fremder Herkunft, Kultur und Sprache. Hinzu gesellt sich teilweise ein beträchtliches Bildungsgefälle, da in vielen Herkunftsländern, insbesondere dort, wo Krieg und Armut herrscht, nicht annähernd eine ebenbürtige Schulausbildung gewährleistet ist.

Durch die ausgeprägten Migrationsströme wird Europa mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Diese neuen Tatsachen wurden wohl unterschätzt, doch werden sie unsere Gesellschaft nachhaltig prägen. Entscheidend ist nicht der Umstand, dass sich unsere Gesellschaft verändert - das ist unumgänglich - sondern wie wir damit umgehen.

Die Situation kann nicht ausgesessen werden und muss daher konsequent behandelt werden

2. Interkulturalität

Durch Zuwanderung, insbesondere aus dem arabischen Raum, wird sich unsere Gesellschaft bedeutend erweitern. Dafür sorgen wirtschaftliche Not, Klimawandel, Krieg und soziale Aspekte.

Die Gesellschaft befindet sich derzeit in einer Übergangsphase und wird in den kommenden Jahren weitere maßgebliche Änderungen widerfahren. Das Gesellschaftsbild wird in 15 Jahren ein anderes sein, doch so, wie es noch vor fünfzehn Jahren war, wird es mit Sicherheit nicht mehr. Eine multikulturelle Gesellschaft sollte Ziel unserer Integrationspolitik sein. Menschen verschiedener Kulturen, die in Harmonie und im Sinne unseres Demokratieverständnisses zusammenleben (Interkulturalität). Missachten wir jedoch die Brisanz der Thematik oder deuten wir die gegenwärtigen Zeichen falsch, so kann dies zu weitreichenden Problemen führen und unsere Gesellschaft spalten.

Es sollte allen klar sein, es werden weitere Migrationsströme nach Europa fließen, ob dies erwünscht ist oder nicht. Die Situation kann nicht ausgesessen werden und muss daher einheitlich und konsequent behandelt werden.

Die Entscheidungen, die wir heute treffen, beeinflussen somit kommende Generationen.

3. Die Eingliederung in unsere Gesellschaft

Integration – Inklusion – Immersion

Diese soziologischen Begriffe werden häufig in Zusammenhang mit Migration genannt, häufig aber vermischt. Unter Integration versteht man die „Verbindung einer Vielheit von einzelnen Personen oder Gruppen zu einer gesellschaftlichen und kulturellen Einheit“[1].

Der Begriff Inklusion, hingegen, beschreibt die Einbeziehung von Menschen in die bestehende Gesellschaft.

Der Unterschied liegt u.a. darin, dass die Integration, Menschen oder Gruppierungen auch isoliert in die Gesellschaft aufnehmen kann, während sich durch Inklusion alle Menschen vermischen und sich so eine neue (interkulturelle) Gesellschaft bildet. Eine Ausgrenzung innerhalb der Gesellschaft ist also auch bei der Integration denkbar.

Nun sind das bloß Begriffe. Viel wichtiger ist die praktische Umsetzung, wodurch sich eine isolierte Gesellschaftsbildung, wie es vor allem in der Bundesrepublik Deutschland auch der Fall ist, vermeiden lässt. Das Worstcase - Szenario besteht in einer Subkultur, welche die innerstaatliche Gesetzgebung zu Gunsten eigener religiöser Vorschriften ignoriert (z.B. die Scharia[2]).

Wie gehen wir also mit dieser Situation um?

Landesrat Achammer äußerte im April 2019: “Es ist wesentlich, sich auf andere Kulturen einzulassen. Das heißt aber nicht, Eigenes dafür aufzugeben”. Dieser Grundgedanke ist trefflich formuliert, die Umsetzung umso schwieriger, zumal protektionistische, rechtslastige Politiker, die Zuwanderung für ihre Zwecke missbrauchen. Laut Philosoph Niels Heisterhagen kann man aber auch längst niemanden mehr weißmachen, dass es keine Sicherheitsprobleme durch Migration gibt[3]. Daher ist auch dieser linksliberale Glaubenssatz befremdlich.

 

 

4. Die Bildungspolitik – der Pfeiler der Inklusion

Die Politik versucht durch das Landesintegrationsgesetz und andere Rechtsnormen, die Migration zu steuern und Migranten und deren Kinder in die bestehende Gesellschaft sowohl sozial als auch gewinnbringend einzubinden.

Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Sprache. Da es in Südtirol drei Landessprachen gibt, erlegen wir den Zuwanderern und deren Kindern die (zumindest moralische) Pflicht auf, sowohl Deutsch als auch Italienisch zu erlernen. Dieser Umstand ist nicht zuletzt aufgrund des Proporzes von Bedeutung, um das bestehende „Gleichgewicht“ beizubehalten.

Vom Standpunkt deutschsprachiger Familien, ist die Aufnahme nicht-deutschsprachiger Kinder in deren Kindergärten und Schulen daher positiv zu betrachten. Dies betrifft im Umkehrschluss italienischsprachige Familien ebenso.

Ein wesentliches Problem wird hierbei ausgeklammert. Bestimmte Maßnahmen können einer Sache dienlich sein, doch zeitgleich ein neues Problem aufwerfen. Das macht die Integrationspolitik derart komplex.

 

5. Die reale Situation

Wechseln wir spontan die Perspektive.

Welche Auswirkung hat die Situation für einheimische Familien? Treffender formuliert, wie stellt sich die Situation für ein Kleinkind im Kindergarten oder ein Kind in der Grundschule, im Rahmen der aktuellen Situation dar? Mit welchen Herausforderungen werden einheimische Kinder heute konfrontiert?

Die Dimension wird am Beispiel der deutschen Kindergärten und Schulen deutlich. In den städtischen (dt.) Kindergärten, bspw., sinkt die Einschreibung deutschsprachiger Kinder im Verhältnis zu nicht-deutschsprachiger seit Jahren[3b. Die restlichen Kinder stammen aus italienisch-, gemischt- oder fremdsprachigen Familien. Somit kann das eigene Kind auch einer mehrheitlich nicht deutschsprachigen Gruppe zugeordnet werden.

Die Lösung dieser Situation führt nun über die (dt.) Struktur, um den Kontakt mit den nicht deutschsprachigen Kindern herzustellen und ein Verhältnis aufzubauen. Doch sind alle Strukturen für diese Herausforderungen ausgelegt? Die Landespolitik hat reagiert und mehr Kindergartenpersonal bereitgestellt sowie eine Gruppenverkleinerung auf 22 Kinder festgesetzt. Auch gibt es mittlerweile eine Vielzahl an sinnvollen Projekten zur Förderung der Inklusion. Diese sind einerseits sicherlich dienliche Maßnahmen, da dieser Umstand naturgemäß einen Mehraufwand darstellt.

Es besteht aber, am Beispiel der Kindergärten, die konkrete Gefahr, jene Kinder hinten anzustellen mit denen eine verbale Kommunikation leichter ist. Es wird oftmals verkannt, dass ein Kindergarten keine Sprachschule an sich ist, sondern eine Vorschule in denen Kinder die ersten sozialen Kontakte knüpfen und eine wichtige Entwicklung erfahren[4]. Dies führt (ab der Kindergartenzeit) maßgeblich über verbale Kommunikation, die durch die gegenwärtige Realität erschwert wird.

Die italienischen und fremdsprachigen Kinder sind mit dem Erlernen einer neuen Sprache natürlich ge- und teilweise überfordert. Die logische Konsequenz ist eine sprachhomogene Gruppenbildung separater Gruppierungen, zwischen deutsch, italienisch und fremder Sprachen. Exklusion. Präzise das Gegenteil von der ursprünglich guten Absicht der Politik und der nicht deutschsprachigen Eltern.

Unabhängig davon kann die Inklusion lediglich über Immersion stattfinden, welche immer nur bis zu einer bestimmten Gewichtung realisiert werden kann (Verhältnis bestehende / neue Gruppierung).

[Es muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass die Fachkräfte des Kindergartens, mit dem der Autor in Kontakt steht, eine hervorragende Arbeit leistet und durchaus schwierige Situationen professionell lösen.]

Die Inklusion darf nicht im Spannungsfeld mit der Entwicklung einheimischer Kinder stehen

6. Forderungen zum Schutz unserer Kinder

So wichtig die Inklusion für eine funktionierende Gesellschaft auch ist, sie darf niemals im Spannungsfeld mit der Entwicklung einheimische Kinder stehen. Viele sehen ausschließlich Vorteile einer sprachlich heterogenen Bildungseinrichtung, wie Kindergärten und Grundschulen. Diese Medaille hat jedoch zwei Seiten. Sobald ein sprachliches Über- bzw. Ungleichgewicht besteht, kann die dortige Minderheit benachteiligt werden. Passen sich deutschsprachige Kinder in einer deutschsprachigen Schule, dem Tempo der Fremdsprachigen an, reduziert dies womöglich deren Entwicklung. Es obliegt nun dem Lehrpersonal mehrere Tempi vorzugeben, um kein Kind zu benachteiligen. Eine Herkulesaufgabe für das Kindergarten- und Lehrpersonal.

7. Kriterien zur Aufnahme der Kinder in den Kindergärten

Diese fußen auf den Landes-Beschluss Nr. 4866 des Jahres 20015]. Dabei ist ersichtlich, dass auf ein ethnisches und/oder sprachliches Kriterium verzichtet wird. Diese Sichtweise war im fernen Jahr 2001 sicherlich noch nachvollziehbar, da sich das Verhältnis deutsch – italienisch – fremdsprachig allein reguliert hatte.

Aufgrund der unterschiedlichen Verteilung besteht jedoch ein weitläufiges Ungleichgewicht in den Kindergartengruppen und Pflichtschulklassen.

Es gilt diese Realität unpolitisch anzuerkennen und faire Verteilungskriterien festzulegen, um ein grobes Ungleichgewicht zu verhindern. Denn wird diesem Umstand nicht Rechnung getragen, begünstigen wir Gruppenbildungen, Isolation und Exklusion.

Es gilt den Spagat zwischen gesellschaftlicher Inklusion von Kindern mit Migrationshintergrund und hemmungsfreier Bildung, einheimischer Kinder zu spannen

8. Exodus

Eltern fürchten nun häufig, ihr Nachwuchs werde einer mehrheitlich fremdsprachigen Klasse / Gruppe zugewiesen. Diese Angst hat keinen xenophoben Hintergrund. Sie besteht vollkommen unabhängig von einer politischen Gesinnung und darf hierüber nicht bewertet werden. Dieser Befürchtung liegt ein essenzieller und biologischer Schutzinstinkt zugrunde, seinen Nachwuchs vor Isolation und sozialem Ausschluss zu schützen.

Die Folge davon ist die Abwanderung in eine Struktur, die der Vorstellung der Eltern eher entspricht, wodurch sich die Problematik verschärft.

Die bestmögliche Entwicklung des Kindes ist und bleibt ein bedingungsloses Grundrecht, welches nicht durch falsche Toleranz geschmälert werden darf. Dies gilt ebenso für Menschen mit Migrationshintergrund.

Eine konstruktive Steuerung kann über faire und zeitgemäße Verteilungskriterien realisiert werden. Dabei darf der Gleichstellungsgrundsatz (Art. 3 Verf.) nicht verletzt werden, was über eine Verhältnisverteilung erreicht werden könnte.

Es gilt den Spagat zwischen gesellschaftlicher Inklusion von Kindern mit Migrationshintergrund und hemmungsfreier Bildung, einheimischer Kinder zu spannen. Sicherlich eine Herkulesaufgabe, dennoch sollten wir hierüber eine unpolitische und offene Debatte führen.

9. Fazit und Lösungsansatz

Eine nachhaltige Regelung muss durch Abwägung, Vergleiche mit anderen Ländern und Erfahrung ermittelt und kann a priori nur schwer festgelegt werden.

Zur aktiven Integration wird das Bestehen einer bereits existierenden Gruppendynamik vorausgesetzt, ohne welche die Gefahr einer homogenen Gruppenbildung und Isolation begünstigt wird.

Angedacht werden sollte ein logisch nachvollziehbarer Verteilungsschlüssel für fremdsprachige Kinder, um die Immersion zu ermöglichen. Auch hier gilt es die Perspektive zu wechseln, um die Voraussetzung für die Inklusion zu schaffen, denn die Anzahl einheimischer Kinder in den Strukturen darf hierfür ein bestimmtes Maß nicht unterschreiten.

Das Konzept und der Verteilungsschlüssel müssen grundsätzlich überdacht werden. Jedenfalls wird die Aufnahme der sprachlichen Kompetenz in die „Vorrangskriterien“ der Kindergärten nahegelegt, ohne an dieser Stelle den Anspruch auf Erfolg in Aussicht zu stellen.

Der Erfolg darf nicht auf der Annahme beruhen, Kinder würden in Schulen und Kindergärten, erst einmal dort eingeschrieben, die deutsche Sprache zwangsweise erlernen

10. Kompetenzen und Wille

Inklusion wird einerseits von den Strukturen realisiert, welche bereits eine hervorragende Arbeit leisten und nach Kräften bemüht sind. Doch erfordert eine gelungene Inklusion von Kindern auch außerschulische Aktivitäten.

Eine von vielen Ansätzen lässt sich auch durch Projekte auf (auch traditions-) Vereinsebene finden, die Kultur, Sprache und Geschichte vermitteln. Es scheint nicht abwegig, würden sich Familien afrikanischer Abstammung historisch bspw. für die Südtiroler Freiheitskämpfe begeistern lassen, zumal die Situation in deren Herkunftsländern u.U. nicht so weit entfernt sein könnte. Dies lediglich als Beispiel.

Die fremdsprachigen Familien müssen das breite Integrationsangebot aber auch annehmen und die Förderung ihrer Kinder nicht auf Strukturen abwälzen. Der Erfolg darf nicht auf der Annahme beruhen, Kinder würden in Schulen und Kindergärten, erst einmal dort eingeschrieben, die deutsche Sprache zwangsweise erlernen (fördern und fordern[6].)

Inklusion erfolgt auch durch einheimische Familien. Entgegen des ersten Reflexes oder aus Bequemlichkeit, kann mit fremdsprachigen Familien (soweit möglich) konsequent deutsch gesprochen werden. Dadurch ebnet man diesen eine gesellschaftliche Anteilnahme (bspw. am Spielplatz mit den eigenen Kindern) und agiert auf Augenhöhe. Und wer kann sich denn bitte einem herzhaften „Grüß Gott“ auch entziehen?

Letztlich kann der Gesetzgeber nur die Grundlage für eine gesellschaftliche Inklusion fördern und durch Finanzierung verschiedene Projekte ausdehnen. Der konkrete Erfolg ist jedoch ein fortlaufender Prozess und hängt von der gesamten Gesellschaft ab.

Zum Autor

Reinhard Bauer
Jurist, Rechtsberater und Verbraucherschützer

Für Anregungen bitte eine Email an: [email protected]

 

 

 

[1] dude.de

[2] bmjv.de/SharedDocs/Archiv/Downloads/Studie-Paralleljustiz.pdf?__blob=publicationFile&v=4

[3]derstandard.at/story/2000097675822/linksliberale-ueberheblichkeit-geht-mir-auf-die-nerven

[3 genaue Zahlen folgen

[4] Ein Bsp. unter vielen: fritzundfraenzi.ch/gesellschaft/kindergarten/beziehungen-lernen-im-kindergarten

[5] provinz.bz.it/bildung-sprache/kindergarten/downloads/Vorrangskriterien_zur_Aufnahme

_der_Kinder_in_den_Kindergarten.pdf

[6]stol.it/artikel/politik/integration-foerdern-und-fordern