Gesellschaft | Flugrettung

Schweigen im Himmel

Dass Südtirols Flugrettung Covid-infizierten Patienten den Transport verweigert, ist ein Skandal. Das zeigt ein Blick auf die Hintergründe. Südtirols Politik schaut weg.
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Foto: Denis Costa
Spätestens jetzt wird Südtirol zur internationalen Lachnummer werden.
Am Dienstag veröffentlichte „Austrian Wings“ unter dem Titel „Südtiroler Flugrettung transportiert COVID-positive Patienten nicht“ eine Meldung zum Vorfall, den Salto.bz vergangene Woche aufgedeckt hat. Der Notarzt des Landesrettungshubschraubers „Pelikan 1“ hatte vor zwei Wochen eine 71jährige Schlaganfallpatientin in Innichen am Boden gelassen, weil ein Covid-19-Schnelltest ein zweifelhaftes Ergebnis erbracht hatte. Danach kam so nebenbei heraus, dass es in der Südtiroler Flugrettung eine Order gibt, dass infizierte Patienten selbst in Notfällen nicht an Bord der Rettungshubschrauber dürfen.
Dass die Geschichte „Austrian Wings“ eine Meldung wert ist, liegt vor allem daran, dass diese Regelung für Außenstehende völlig unverständlich ist.
Das Österreichische Luftfahrtsmagazin zitiert in seinem Bericht auch den Direktor der Südtiroler Landesflugrettung Heli, Ivo Bonamico, der erklärt: „Für solche Transporte braucht es eigene Isolationsboxen, damit die Besatzung geschützt ist. In Frankreich sind diese Boxen homologiert, in Italien nicht“. Zudem gebe es – laut Bonamico - klare Vorgaben der Betreiberfirma.
Abgesehen davon, dass in Südtirol anscheinend die Betreiberfirma der Rettungshubschrauber entscheidet wie das Notfallprotokoll des Sanitätsbetriebes aussieht, machen diese Aussagen deutlich, wie unprofessionell und fahrlässig die Heli-Führung in dieser Krisensituation handelt.
Denn die Wirklichkeit sieht etwas anders aus.
 

Die Betreiberfirma

 
 
Südtirols drei Rettungshubschrauber werden vom Unternehmen „Babcock MCS Italia“ (früher INAER) betrieben. Die italienische Tochter eines internationalen Konzerns hat bereits im März 2020 in einer Presseaussendung öffentlich voller Stolz verkündet:
 
„Anche gli elicotteri del 118 potranno trasportare pazienti positivi al Covid-19. Babcock Italia, principale operatore nei servizi di elisoccorso in Italia, ha infatti ottenuto da Enac l’autorizzazione - valida anche per gli altri operatori del settore elisoccorso - all’utilizzo in elicottero di unità di biocontenimento che, applicate alle barelle, consentono di trasportare pazienti affetti da Covid-19, a supporto del Servizio Sanitario Nazionale, garantendo così la sicurezza di equipaggio e passeggeri.“
 
 
Laut Aussendung galt die ENAC-Genehmigung vor sieben Monaten den beiden Hubschraubermodellen „Augusta Westland 139“ und „Augusta Westland 169“. Es handelt sich dabei um Hubschraubermodelle, die 2011 eingeführt wurden.
Südtirols drei Pelikan-Hubschrauber gehören hingegen zu einer weit jüngeren Generation. Hier fliegt die Babcock Italia mit „Airbus Helicopters H145“. Es ist derzeit der Ferrari unter den Rettungshubschrauber.
 

Die Schutzmaßnahmen

 
Genau für diesen Hubschraubertyp H145 hat Airbus Helicopters in Zusammenarbeit mit der französischen „Fondation de l’Académie de Médecine „(FAM) und dem Betreiber Babcock bereits im Frühjahr Schutzabdeckungen und – vorrichtungen zum Transport von Covid-kranken Patienten entwickelt und zugelassen.
Dazu gehört zum Beispiel das EpiShuttle, eine Hartplastikkabine mit integriertem Bett, einstellbarem Kniewinkel und Rückenstütze. In den vergangenen Monaten wurden Airbus-Hubschrauber mit mehr als einem Dutzend modellabhängiger Schutzvorrichtungen ausgestattet, die in Frankreich, Spanien, Deutschland und sogar in Südafrika längst im Einsatz sind. Außerdem hat man zum Schutz der Piloten Trennscheiben zwischen Kabine und Cockpit installiert. Zu den Kunden, die diese Trennscheiben einsetzen, zählen beispielsweise Heli Austria und der polnische Luftrettungsdienst.
 
 
Deshalb dürfte Ivo Bonamicos Verweis auf die Betreiberfirma eine faule Ausrede sein. Denn Babcock hat bereits Zulassungen in mehreren europäischen Ländern geschafft und bereits im März gezeigt, dass das Unternehmen solche Zulassungen auch bei der Luftfahrbehörde ENAC durchbringt.
 

Südtiroler Versäumnis

 
Demnach dürfte klar sein, dass sowohl der Landesrettungsverein Heli, der die Südtiroler Flugrettung führt als auch der Sanitätsbetreib monatelang geschlafen haben. Denn man hätte die Zulassung längst beantragen und die Umrüstung durchführen können. Aber anscheinend besteht der Wille dazu nicht.
Man scheut anscheinend auch die Kosten, die eine solche Umrüstung der drei Hubschrauber mit sich bringt. Auch das sieht man im europäischen Ausland grundlegend anders. „Jedes Menschenleben ist einzigartig und unersetzlich – wenn wir mit unserer Anschaffung daher auch nur in einem Fall dazu beitragen konnten, dass ein Leben gerettet oder die Genesung verbessert werden konnte, hat sich die Investition gelohnt“, sagt etwa der medizinische Leiter der deutschen DRF Luftrettung Jörg Braun in einem Interview.
10 Millionen Euro verteilt das Land jährlich an den Verein Heli. Südtirols Landespolitik tut bisher aber so, als würde man von diesem Südtiroler Sonderweg in der Luft nichts wissen.
 

Absurde Regelung

 
Wie absurd die Südtiroler Vorgabe aber ist, dass Covid-Infizierte nicht mit dem Rettungshubschrauber fliegen dürfen, macht ein Blick in die Nachbarländer deutlich.
Denn in allen Ländern Europas werden in Notfällen auch infizierte Patienten mit dem Rettungshubschrauber transportiert. Das ergaben Recherchen von Salto.bz etwa beim österreichischen ÖAMTC oder bei der deutschen Flugrettung DRF.
So etwa hat die Schweizer Flugrettung REGA – nach Recherchen der „Neuen Züricher Zeitung“ (NZZ) seit März über 200 Covid-Patienten transportiert. Wohlgemerkt Covid-Kranke und nicht Covid-Positive.
 
 
Auf der Homepage der Rega kann jede und jede, folgende Fragen und der Antworten nachlesen:
 
"Kann ein Corona-Patient in einem Rega-Helikopter geflogen werden?
 
Der Transport von Patienten mit ansteckenden Krankheiten gehört zu den Aufgaben der Rega und unsere Crews können solche Transporte im Rettungshelikopter durchführen. Die Rega ist darauf gut vorbereitet, die Crews entsprechend geschult.
 
Muss der Helikopter für einen Corona-Transport umgerüstet werden?
 
Der Rettungshelikopter muss für einen solchen Einsatz nicht umgerüstet werden, aber die Crews müssen beim Transport von infektiösen Patienten besondere Vorsichtsmaßnahmen treffen, sich entsprechend schützen sowie die Ausrüstung nach dem Einsatz desinfizieren. Zudem ist der Innenraum aller Rega-Helikopter genug groß, um solche Transporte sicher durchzuführen. Als Vorbereitung auf eine Zunahme solcher Transporte haben die Rega-Crews in den letzten Tagen spezielle Trainings absolviert.“

Besonders aufschlussreich sind diese Antworten, wenn man weiß, dass die Schweizer Flugrettung Rega als Rettungshubschrauber den „Airbus Helicopters H145“ einsetzt. Es ist genau der Hubschraubertyp bei dem all das in Südtirol anscheinend nicht geht.
Demnach wird es augenscheinlich, wie hier die Öffentlichkeit auf (Weiße) Kreuz gelegt werden soll.
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Profil für Benutzer Jürgen Theiner
Jürgen Theiner Mi., 28.10.2020 - 17:49

Man kann sich nur noch wundern .. Da liest man zuerst die Aussendung des Weißen Kreuzes und denkt sich "Ja, das ist sicher nicht ganz einfach.." und dann lernt man hier komplett etwas Anderes.

Danke, Salto.bz, für Eure wichtigen Recherchen!!

Mi., 28.10.2020 - 17:49 Permalink
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Stereo Typ Mi., 28.10.2020 - 17:59

„Jedes Menschenleben ist einzigartig und unersetzlich – wenn wir mit unserer Anschaffung daher auch nur in einem Fall dazu beitragen konnten, dass ein Leben gerettet oder die Genesung verbessert werden konnte, hat sich die Investition gelohnt“ - beruhigende Worte. Ich hoffe, in Südtirol haben sich die Prioritäten nicht grundlegend verschoben, das wäre fatal.

Mi., 28.10.2020 - 17:59 Permalink
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Harry Dierstein Mi., 28.10.2020 - 19:59

Bei Übernahme des Dienstes war es der Betreiberfirma vor allem sehr wichtig, dass die Helikopter schnellstens "orange" werden und nicht mehr "gelb" bleiben.

Diese eitle Entscheidung der Umfärbung hat 70.000 Euro gekostet; auch weil die alte gelbe Farbe -wegen des Gewichts- händisch entfernt werden musste.
(Nur für den Fall, dass sich mal jemand fragen sollte, wie man in Südtirol Geldausgaben priorisiert.)

Mi., 28.10.2020 - 19:59 Permalink
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Harry Dierstein Do., 29.10.2020 - 06:20

Antwort auf von Josef Auer

Sie haben natürlich Recht, Josef Auer, denn Rettungshubschrauber sind ja fast auf der ganzen Welt "gelb"!

Da kann es natürlich unmöglich sein, dass ein Schwerverletzter, der halbtot über der Leitplanke hängt, versehentlich glaubt, der Helikopter, der ihm das Leben retten möchte, käme vom ADAC oder vom ÖAMTC, anstatt vom Rettungdienst aus Vaccaland.

Do., 29.10.2020 - 06:20 Permalink
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Klemens Riegler Mi., 28.10.2020 - 21:38

Der Autor bleibt leider die Antwort auf die wichtigste Frage schuldig: Darf der 118er-Heli rechtlich gesehen nun fliegen oder nicht? Ist das "Nachrüst-Set" (siehe von Airbus-Publikation) in Italien zugelassen oder nicht? Zudem ist die Schweizer REGA komplett anders organisiert ... so gut wie privat. Und es scheint so, als ob kein Gesetz und keine Vorschrift ihnen den Transport von Covid-Patienten verbieten würde.
Übrigens: Natürlich sollte es im Notfall möglich sein (selbst als Infizierter) vom Heli gerettet zu werden. Alles andere lässt sich schließlich auch desinfizieren ... und mit entsprechender Schutzausrüstung sollte auch die Crew "geschützt" sein. So wie bei der REGA.

Mi., 28.10.2020 - 21:38 Permalink
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G. P. Do., 29.10.2020 - 09:20

Antwort auf von Klemens Riegler

Wenn das Nachrüst-Set schon in Frankreich zugelassen ist, dann dürfte das für Italien doch auch kein Problem darstellen. Anzunehmen ist, dass Frankreich als EU-Land - kein Dritte-Welt-Land - schon einen gewissen Standard fordert, welcher auch für Italien hoch genug sein sollte.
Und zudem hätte man jetzt sechs Monate Zeit gehabt, sich um die Zulassung zu kümmern.

Do., 29.10.2020 - 09:20 Permalink
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Sebastian Felderer Mi., 28.10.2020 - 22:07

Bravo Christoph, hast wieder einmal ganze Arbeit geleistet. Das Beispiel Innichen hat mich so betroffen gemacht, dass ich für 2021 meinen Mitgliedsbeitrag nach mehr als 30 Jahren nicht mehr entrichten werde. Wobei noch zu sagen ist, dass der erste Test, der zur Verweigerung führte, nicht fachgemäß durchgeführt wurde. Der zweite war dann ja negativ. Corona-Test bei einem Schlaganfall, da lachen wohl die Hühner, oder? Wird das auch bei Bergunfällen praktiziert? Lassen sie den Verunglückten oben liegen, weil er ein zweifelhaftes Testergebnis hat. Wenn man sich nun noch dazu Christophs Recherchen ansieht, dann ist das schon ein starkes Stück. Und wenn diese Leute maßgeblich in der Taskforce mitwirken, dann gute Nacht Südtirol. Ich frage mich, was das Personal in den Pflegheimen und Intensivstationen tun würde, wenn sie nach Flugrettungskriterien agieren würden. Ich glaube, da hat wirklich jemand abgehoben, aber ohne Hubschrauber.

Mi., 28.10.2020 - 22:07 Permalink
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Hansjörg Zuech Mi., 28.10.2020 - 22:44

Vorausgesetzt dieser Bericht stimmt, dann fragt sich Frau und Herr Südtiroler mit Recht: Haben wir überhaupt kompetente Verantwortliche im Landesrettungsverein Heli oder schafft da nur einer?
Eigentlich müsste der Landeshauptmann dem Herrn Franceschini für diese Recherche, in Innsbruck den Orden für Lebensretter überreichen. Wenn dieses System eingebaut werden kann (siehe Bericht) dann passt es ja und rettet Leben. Was mich wundert, das Land zahlt 10 Millionen und darf nur zuschauen?
Übrigens, wie wird dieses Thema beim Aiut Alpin behandelt? Und wie viel kosten 4 Hubschrauber in Österreich?

Mi., 28.10.2020 - 22:44 Permalink
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Michael Kerschbaumer Do., 29.10.2020 - 02:04

In Anbetracht der Umstände wäre es möglich einen Ganzkörperschlauch über den Patienten zu ziehen oder über den gesamten Hubschrauber? Dr Widmann hat schließlich große erfahrung in der Verpackung und noch dazu wäre Südtirol wieder weltweites Vorbild und ganz Europa würde folgen. Geld spielt keine Rolle.

Do., 29.10.2020 - 02:04 Permalink