Politik | Meran

Halbe-halbe rettet nicht vor Neuwahlen

Meran kommt in die Hände eines Kommissärs. Auf allen Seiten läuft die Suche nach den Schuldigen für die gescheiterte Regierungsbildung.
Gemeinderat Meran
Foto: Stadtgemeinde Meran

“Chiudo il consiglio comunale.” Der Versprecher der Gemeinderatspräsidenten am Ende der Sitzung, die er eigentlich schließt, könnte für Erheiterung sorgen. Doch Grund für gute Laune besteht in Meran keiner. Zumindest offen zeigen wird sie niemand. Ist der Plan der italienischen Bürgerlisten und der SVP, Neuwahlen zu erwirken, aufgegangen? Oder hat Paul Rösch versagt? Die Lesart der vergangenen vier Wochen und des Endresultats könnte unterschiedlicher nicht sein – und zeigt, wie gespalten die Passerstadt ist. Inmitten der Corona-Pandemie wird nun ein kommissarischer Verwalter die Geschicke übernehmen. Denn der Bürgermeister ist mit seinem allerletzten Vorschlag für die Stadtregierung untergegangen.

 

Der Halbe-halbe-Vorschlag

 

Nachdem bereits am Dienstag die Mehrheit Nein zur von Rösch vorgeschlagenen Übergangsregierung gesagt hat, legt der Bürgermeister am Tag danach einen neuen, letzten Vorschlag zur Abstimmung vor und überlässt es Madeleine Rohrer, ihn zu verkünden. Die 37-Jährige hätte, als erprobte Stadträtin, als Vertraute des Bürgermeisters und politisches Ziehkind der Grünen Strategin Cristina Kury, aber allen voran als meist Gewählte weiterhin die Agenden Urbanistik, Umwelt und Mobilität übernehmen sollen. Dadurch wäre für die SVP nur ein Posten im siebenköpfigen Stadtrat, dem drei Mitglieder der deutschen Sprachgruppe angehören müssen, übrig geblieben. Ein Affront für die Meraner Volkspartei, die auf zwei Assessoren und, genauso wie die italienischen Bürgerlisten Alleanza und Civica per Merano, auf eine Dreier-Koalition Liste Rösch/Grüne-Bürgerlisten-SVP und ohne Team K, Ökosoziale Linke und PD beharrte.

“Eine halbe Madeleine Rohrer im Stadtrat” – so sollte die Lösung aussehen, die Rohrer am Mittwoch Abend präsentiert. Voraus schickt sie folgende Worte: “Bestimmte Kreise haben mich als Stolperstein für die Bildung der Stadtregierung dargestellt. Das tut aus mehreren Gründen sehr weh: weil ich fünf Jahre lang viel Arbeit und Leidenschaft in meine Aufgabe als Stadträtin gesteckt habe und dafür bei den Wahlen honoriert wurde; weil viele Frauen Hoffnung in mich gesetzt haben; weil ich als meist Gewählte plötzlich das Handtuch werfen sollte, bloß weil die Arithmetik für Gewisse nicht aufgeht und ich Bereiche verwaltet habe, die Gier nach Geld wecken.” Dann bietet sie der SVP folgendes an: den Stadtratsposten teilen. “Zweieinhalb Jahre werde ich ihn innehaben, danach ein Vertreter oder eine Vertreterin der SVP übernehmen.”

“Der Schritt zurück und damit aufeinander zu” falle ihr nicht leicht, meint Rohrer. “Aber wir befinden uns in einer Situation, in der es keine leichten Entscheidungen mehr geben kann, sondern nur mehr vernünftige.”

 

Vermutlich wissen Rohrer und Rösch, dass die Würfel bereits gefallen sind. Die Zeiger stehen längst auf Neuwahlen. “Das Problem ist, dass die italienischen Bürgerlisten auf Neuwahlen aus sind” – weil sie sich Chancen auf den am 4. Oktober knapp verpassten Wahlsieg erhoffen, heißt es bereits seit Beginn der zähen Verhandlungen nach den Stichwahlen aus Röschs Umfeld.

Es geht nur mehr darum, wer die Verantwortung für die gescheiterte Regierungsbildung übernehmen soll.

 

Keine Chance auf Bewegung

 

Schuld ist Rösch, der in den Wochen nach seinem Wahlsieg vom 4. Oktober Vertrauen zerstört, kein Entgegenkommen gezeigt und “erst 5 nach 12” die Ämterrotation aus dem Sack gezogen hat. Das meint die SVP. “Es ist ein bisschen unseriös, dass dieser Vorschlag so lange gebraucht hat”, sagt Ernst Fop. Abgesehen davon gehe er “in die falsche Richtung” und könne bei ihm “nur auf Ablehnung stoßen”, ergänzt Martin Ganner. Und Karl Freund unterstellt Kalkül, weil Rösch & Co. gewusst hätten, dass die SVP Nein sagen wird: “Brauchen die Grünen einen Schwarzen Peter?” Stefan Frötscher, der fünf Jahre lang in Röschs Stadtrat saß, als ausgleichend gilt und mit dem Bürgermeister gut zusammenarbeitete, ergreift den ganzen Abend über nicht das Wort. Nur am Ende wird er “Nein” zur Stadtregierung sagen, in der er selbst als Assessor vorgesehen war.

Bevor es um 21.37 Uhr zur Abstimmung kommt, ergreifen auch die Vertreter von Civica und Alleanza per Merano das Wort. Er sei sehr wohl bereit, sich als Stadtrat an der Regierung zu beteiligen, beteuert Dario Dal Medico. Einer “proposta preconfezionata” und einer Regierung, in der sein Gewicht “gleich null” wäre, könne er aber nicht zustimmen. Man solle “das Theater jetzt beenden”, findet Nerio Zaccaria. Auch er hat fünf Jahre lang in der Regierung Rösch gesessen und hätte weitere fünf als Vizebürgermeister dranhängen können (was den Kommentar von Dal Medico erklärt, der ursprünglich als Vizebürgermeister im Gespräch war). “Die Civiche haben stets versucht, verantwortungsbewusst zu agieren und wir haben unsere Vorstellung nie geändert – weil sie die gerechteste war”, fährt Zaccaria fort. Dann bricht der Livestream aus dem Meraner Gemeinderat und damit die restliche Wortmeldung ab.

 

“Der Bürgermeister hätte eine Einigung finden müssen, die nur ein Gesicht haben konnte”, sagt Ganner und lässt damit dasselbe wie die Bürgerlisten durchblicken: Selbst wollte man von den eigenen Vorstellungen einer Koalition “3 mal 8” nicht abrücken, in Berufung auf den Willen der Meraner Wähler, die – Zitat Ganner – “drei Gruppierungen eine Mehrheit” gegeben hätten, die jeweils Anrecht auf zwei Assessoren hätten. Es wäre also am Bürgermeister gelegen, eine Lösung für alle zu präsentieren, einen Schritt zurück zu machen und auf Rohrer als deutschsprachige Assessorin zu verzichten, um den gesetzlich vorgeschriebenen Proporz bei der Zusammensetzung des Stadtrats einhalten zu können.

Welcher Sprachgruppe die Mitglieder des Stadtrats angehören müssen (die Zusammensetzung erfolgt proportional zur Stärke der Sprachgruppen im Gemeinderat), regle das Gesetz schon, “aber es sieht nicht vor, welcher Partei die Vertreter im Stadtrat angehören müssen”, präzisiert David Augscheller (Ökosoziale Linke). Ihm tue es “Leid zu sehen, dass Meran in seiner politischen und sozialen Entwicklung in diesen Wochen um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurückgeworfen wurde – immer wieder überwiegt die ethnische Logik und die SVP maßt sich an, das Monopol auf die Vertretung der deutschen Sprachgruppe zu haben; aber sie wird sich damit anfreunden müssen, dass auch Nicht-SVP-Leute institutionelle Rollen einnehmen werden und werden müssen”.

 

Zwei Drittel für Neuwahlen

 

Paul Rösch, Andrea Rossi (beide Liste Rösch/Grüne), Nerio Zaccaria (Alleanza), Dario Dal Medico (Civica), Elena Scala (extern berufen), Madeleine Rohrer (Liste Rösch/Grüne) bis zur Halbzeit Anfang 2023, dann übernimmt die SVP: Das ist der Vorschlag, über den am Mittwoch abgestimmt wird.

Gegen Ende der Debatte werden die Töne noch einmal deutlicher. “Die Civiche verteidigen die SVP und die SVP verteidigt die Civiche – es hat nie ein wahrer Wille bestanden, mit uns zusammenzuarbeiten”, stellt Rohrer fest. Hörbar erzürnter ist Francesca Schir (Team K): “Wenn der Vorschlag – wie es den Anschein hat – nicht angenommen wird, ist das der x-te Beweis dafür, dass die Absicht der Civiche und der SVP immer war, an die Urnen zurückzukehren. Das ist eine Verarschung (‘presa in giro’) der eigenen Wähler.” Daniela Rossi (PD) kündigt Zustimmung an, bezeichnet Rohrers Angebot, nach Hälfte der Amtsperiode abzutreten, als “vermittelnd”, “großzügig” und “mutig”. “Auch wenn der PD in der Stadtregierung nicht vorgesehen ist, wollen wir den Bürgermeister unterstützen und Nein zur kommissarischen Verwaltung sagen.”

Damit bleibt Rossi in der deutlichen Minderheit. Mit 12 Ja und 24 Nein wird Röschs allerletzter Vorschlag abgelehnt und der Weg für den Kommissär freigemacht. Für den Vorschlag des Bürgermeisters stimmen Liste Rösch/Grüne, Team K, Ökosoziale Linke und PD, dagegen Alleanza, Civica, SVP, Lega, Fratelli d’Italia, Südtiroler Freiheit, Freiheitliche.

 

Paul Rösch muss nun seinen Rücktritt einreichen. Dann wird die Landesregierung in Absprache mit dem Staat einen Beschluss fassen und den Landeshauptmann ermächtigen, per Dekret den kommissarischen Verwalter einzusetzen. In sechs Monaten wird es dann zu Neuwahlen kommen – vorausgesetzt, die epidemiologische Situation aufgrund der Corona-Pandemie erlaubt es. Manch einer in Meran befürchtet bereits heute, dass es länger als ein halbes Jahr bis zu den Neuwahlen dauern wird. Und trotz Versprechers hat Gemeinderatspräsident Marcello Scaccia nicht ganz unrecht, als er am Mittwoch kurz vor 22 Uhr sagt: “Ich schließe den Gemeinderat.” Denn es war effektiv das letzte Mal, dass die am 20. und 21. September gewählten Vertreter dort zusammengesessen haben.