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Mit Schnelltest schnell aus Lockdown?

Schule und Wirtschaft werden heruntergefahren. Inzwischen soll die Bevölkerung zu einem “Befreiungsschlag” gegen Corona ausholen – und sich einem Antigentest unterziehen.
Corona-Test
Foto: Pixabay

Von “Massentests” will Thomas Widmann nichts hören. Es seien “flächendeckende Tests”, an denen er die Bevölkerung aufruft, teilzunehmen. Und zwar die gesamte Bevölkerung. “Bitte helfen Sie uns!”, so der Appell des Gesundheitslandesrates.

Ab Freitag, 20. November, und bis Anfang übernächster Woche – also übers kommende Wochenende – sollen sich 67 Prozent der Südtirolerinnen und Südtiroler einem Corona-Schnelltest (Antigentest) unterziehen. Rund 350.000 Personen. Eine Mammut-Aufgabe, eine “enorme logistische Herausforderung”, sagt Landeshauptmann Arno Kompatscher, für die eine Steuerungsgruppe beim Zivilschutz eingerichtet wird. Unter der Koordination des Südtiroler Sanitätsbetriebs und in Zusammenarbeit mit den Gemeinden, dem Weißen und Roten Kreuz sowie den Feuerwehren werden 794 Pfleger, Ärzte und sonstiges für Antigentests zugelassenes sanitäres Personal an 184 Standorten im ganzen Land die Testungen durchführen. Der Sinn dahinter? Corona-positive Personen herausfiltern, in Quarantäne schicken und “aus der aktuellen Situation herauskommen”, erklärt Kompatscher. Er nennt es “einen Befreiungsschlag”, den die Südtiroler nun aufgerufen sind, durchzuführen. Bis es soweit ist, werden die Corona-Maßnahmen noch einmal verschärft.

 

Neue Verordnung für zwei Wochen

 

Seit Tagen schnellen die Neuinfektionen in Südtirol in die Höhe. Zuletzt war über ein Test von zweien positiv, mehr als 460 Krankenhaus- und Klinikbetten und 37 der 77 Covid-Intensivbetten sind mit Corona-Infizierten belegt. Es wäre zwar möglich, auf bis zu 100 Intensivbetten aufzustocken, “aber es ist jetzt kritisch, weil jeden Tag Intensivpatienten dazukommen”, schildert der Landeshauptmann die Lage. Außerdem fehlt es an Personal. “Wir stoßen langsam an die Grenzen. Hätten wir im Frühjahr diese Zahlen gehabt, wäre unser Gesundheitssystem längst zusammengebrochen.”

Den Kollaps vermeiden – das soll das oberste Ziel der neuen Maßnahmen sein, auf die sich die Landesregierung am Dienstag verständigt hat. Zunächst informierten der Landeshauptmann und der Gesundheitslandesrat am Nachmittag den Landtag. Auch mit den Sozialpartnern wurde bereits ein erstes Gespräch geführt. Denn die wird es brauchen, wenn die nächste Verordnung des Landeshauptmannes kommt.

Ab Samstag, 14. November, tritt sie in Kraft, für zwei Wochen, bis zum 28. November. “Damit noch Zeit für Vorbereitungen bleibt”, meint Kompatscher. Vorbereiten müssen werden sich vor allem Eltern mit kleinen Kindern. Denn ab Montag, 16. November, werden Kinderbetreuungseinrichtungen, Kindergärten und Grundschulen für die allermeisten geschlossen bleiben. Nur Kinder von Eltern in systemrelevanten Berufen werden weiterhin betreut. Dazu zählen unter anderem Angestellte im Gesundheitsdienst, in Alten- und Pflegeheimen, im Zivilschutz. Möglicherweise auch Beschäftigte im Lebensmittelsektor. “Die vollständige Liste der systemrelevanten Berufe in dieser Situation wird mit den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden erstellt”, kündigt Kompatscher an. Alle berufstätigen Eltern, die nicht darunter fallen, müssen die Betreuung ihrer Kinder selbst organisieren. Zumindest für eine Woche. Ausnahmen soll es für Kinder mit Beeinträchtigung und anderen besonderen Situationen geben.

In der Mittelschule wird ab Montag der Fernunterricht auf alle drei Schulstufen ausgedehnt. Die ersten Klassen Mittelschule, für die es diese Woche noch Präsenzunterricht gibt, werden für zwei Wochen, also bis 28. November, in den Fernunterricht geschickt.

Für Grundschulkinder findet kein Fernunterricht statt, sondern es werden Arbeitspakete vorbereitet, die sie zu Hause erledigen müssen.

Neben der Bildung ist auch die Wirtschaft von weiteren Einschränkungen betroffen. Für zwei Wochen (vom 14. bis 28. November) müssen Handwerker und Dienstleister den Kundenkontakt einstellen bzw. “auf ein Minimum reduzieren”, so Kompatscher. “Baustellen dürfen abgeschlossen, Reparaturen und notwendige Instandhaltungsarbeiten durchgeführt werden.” Der Produktionssektor soll weiter arbeiten, aber die Risikovermeidung weiter verbessert werden. An einem neuen Corona-Hilfspaket für die Wirtschaft wird gearbeitet.

 

Das große Frei(willigen)testen

 

“Es ist kein völliger Lockdown” in den er das Land ab Samstag schicke, betont der Landeshauptmann. Die Schließung bzw. Teilschließung der Schule werde gemacht, um mithilfe der angekündigten Testreihe weitere Corona-Infizierte herauszufinden und -zufischen. Die Testkapazitäten seien ausreichend, beteuert Widmann. Umgehend nachdem die Antigentests in Italien homologiert wurden (im August), habe man zwei Mal 300.000 Tests angefragt. “Über 100.000 sind angekommen, weitere sind auf dem Weg”, so Widmann. Außerdem habe Gesundheitsminister Roberto Speranza weitere Tests schriftlich zugesichert.

Die Tests sind freiwillig. “Bei uns ist es nicht so wie in der Slowakei, wo, wer nicht mitmacht zu Hause bleiben muss”, meint Kompatscher. Allerdings spielt man den Ball sehr wohl der Bevölkerung zu.

Wer im Zuge dieser Antigentest-Serie positiv getestet wird, muss in Quarantäne, aus der er erst mit einem negativen PCR-Test kommt. Dass diese Tatsache manch einen davon abhalten könnte, teilzunehmen, weiß Kompatscher. “Daher haben wir auch lange diskutiert, ob eine Wiedereröffnung bestimmter Dienste mit der Teilnahme kombinieren.”

 

Tatsächlich verkündet der Landeshauptmann: “Die Strategie, jetzt weiter herunterfahren und testen, dient dazu, um Schulen und Betriebe möglichst rasch wieder zu öffnen.” Doch damit die Strategie aufgeht, müssen sich genügend Menschen beteiligen. Was aber, falls das nicht passiert? Wird es dann nach zwei Wochen keine Lockerungen geben? Wird der Schulbetrieb dann nicht nach einer Woche wieder aufgenommen? Klar und deutlich äußert sich Kompatscher zu dieser Frage nicht: “Die Zielsetzung der Landesregierung ist, den Dienst nur eine Woche reduziert durchzuführen. Wir wollen mit den Tests aus der aktuellen Situation herauskommen und müssen schauen, es hinzukriegen – sonst könnte es sowieso langfristig Probleme geben.”

 

Warum die Zahlen?

 

Während der Landeshauptmann am Dienstag Nachmittag dem Landtag berichtet, wird er von mehreren Abgeordneten gefragt, wie die aktuelle Situation, aus der nun die geplante Testreihe herausführen soll, erklärbar ist.
Zum einen, weil Südtirol “ein Land mit extrem viel Mobilität” sei: “Wir sind ein Transit- und Tourismusland, aber auch die Südtiroler selbst bewegen sich viel”. Zum anderen weil sich “allzu viele Menschen nicht allzu sehr bemüht” hätten, die Regeln einzuhalten.

 

Ein Versagen der Sanitätsbehörden will er nicht einräumen. Und auch der “Südtiroler Weg” habe nicht dazu beigetragen, dass das Land aktuell eine der höchsten Infektionsraten in Italien und wohl auch Europas aufweist. “Der Südtiroler Weg war, im Frühjahr früher aufzutun und jetzt, früher strenge Regeln zu erlassen.” Selbstkritik übt Kompatscher keine, meint einzig: “Es ist nicht alles perfekt gelaufen, weder im Frühjahr noch jetzt und wohl auch im Sommer nicht.”