Politik | Salto-Interview

„Ich will das Richtige tun“

Landeshauptmann Arno Kompatscher über seine Fehler, den Streit in der Landesregierung, die Tatsache, dass sich mancher selbst der Nächste ist und die Lehren daraus.
Kompatscher
Foto: LPA/Ivo Corrà
Salto.bz: Herr Landeshauptmann, können Sie nachts noch schlafen?
 
Arno Kompatscher: Ja. Ich schlafe gut. Auch weil ich meistens erst nach Mitternacht heimkomme und dann hundemüde ins Bett falle.
 
Hätten Sie sich jemals vorstellen können, dass Sie als Landeshauptmann Maßnahmen treffen müssen, die indirekt über Leben und Tod entscheiden?
 
Der direkte Zusammenhang ist hier nicht so unmittelbar darstellbar, weil das Instrumentarium an Verordnungen, die mir zu Verfügung stehen, sich am europäischen Standard orientiert. Es geht hier vor allem um den Zeitpunkt, wann ich etwas schließe oder öffne, zulasse oder nicht zulasse..
 
Trotzdem: Ein falscher Schritt kann Tausende infizieren und auch zu Toten führen?
 
Bis jetzt haben wir immer anhand der Daten entschieden. Als wir im Frühjahr früher aufgemacht haben, dann aus einem einfachen Grund: Unsere Zahlen waren besser als der nationale Durchschnitt. Umgekehrt haben wir aber auch im Herbst zugemacht, lange bevor wir offiziell zur roten Zone erklärt wurden, weil die Zahlen einfach explodiert sind. Es ist nicht so, dass du als Landeshauptmann hier eine einsame Entscheidung aus dem Bauch heraus triffst.
 
Die Landesregierung hat vor über einem halben Jahr mit großem Trara einen internationalen Expertenrat eingesetzt. Kennen Sie die Fernsehsendung „Chi l´ha visto“?
 
(Lacht) Da verkennen Sie etwas. Der Expertenrat, auch so wie er zusammengesetzt ist, könnte nie tagesaktuelle Entscheidungen fällen. Er kann nicht darüber entscheiden, ob wir in Mals diese Gruppe so testen oder diese Personen nach Gossensaß bringen. Dafür sind die Covid-19-Taskforce und der Sanitätsbetrieb zuständig. Der Expertenrat wird regelmäßig zu Grundsatzfragen und -entscheidungen angehört, vor allem zur Bewertung und Einschätzung unserer Pläne und Vorgaben. Die Verantwortlichen sollen hier ein fachliches Feedback bekommen, ob man richtig liegt. Die Experten sind eine Art Spiegel auf der Metaebene.  
 
Der Spiegel scheint aber etwas beschlagen zu sein?
 
Nein. Diese Treffen finden regelmäßig mit dem Gesundheitsressort statt und sie sind auch sehr wichtig. Gesundheitslandesrat Thomas Widmann berichtet mir, dass es sehr angeregte und wichtige Diskussionen gibt. Dabei sind sich auch die Experten sehr oft nicht einig. Der Schweizer ist liberaler, der Wiener ist hingegen vorsichtiger. Hier merkt man die unterschiedlichen Herangehensweisen, denn diese Leute sind ja auch Berater ihrer jeweiligen Regierungen. In diesem Austausch bekommen wir aber ein Gefühl, ob wir mit unseren Einschätzungen richtig liegen oder nicht.
 
Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich auch oft daran orientiert habe, wie kommt das oder jenes an? Ich habe in dieser Krise gelernt, diese Überlegung in den Hintergrund zu stellen.
Sie haben seit März 2020 einige Fehler begangen?
 
Ja sicher. So wie in meinen sechs Amtsjahren zuvor auch.
 
Sie sind im Mai sehr mutig mit dem Südtiroler Sonderweg vorgeprescht, davon ist am Ende aber nichts mehr übriggeblieben?
 
Wieso?
 
Man hat einen Schritt nach vorne und dann gleich wieder zwei rückwärts gemacht?
 
Was Sie ansprechen, hat es genau einmal gegeben: Bei den Öffnungszeiten der Restaurants.
 
Der berühmte Zick-Zack-Kurs von Kompatscher?
 
Dieser Vorwurf wird genau gleich gegenüber Sebastian Kurz, gegenüber Markus Söder, gegenüber Armin Laschet oder gegenüber Giuseppe Conte erhoben. Es ist das Virus, das sich nicht linear verhält. Das heißt einmal vor, einmal zurück. Und da braucht es nun mal immer wieder Anpassungen. Der Punkt, wo dieser Vorwurf gerechtfertigt ist, ist die Entscheidung, die Bars um 18 Uhr zu schließen und die Restaurants bis 22 Uhr offen zu lassen. Was ist passiert? Die Restaurants haben ganz einfach Bar gespielt. Deshalb hat das nicht funktioniert. Nach drei Tagen musste ich deshalb korrigieren. Das war eine Fehleinschätzung von mir. Dazu stehe ich.
Jetzt werden wir noch an den Toten gemessen, später werden wir dann an der Zahl der Konkurse gemessen werden.
Zurück zum Südtiroler Sonderweg. War es ein Irrweg?
 
Nein, ganz im Gegenteil. Wir haben die Skigebiete früher gesperrt. Daraufhin hat es den Frontalangriff von gewissen Medien gegeben, dass ich das Land kaputt machen würde. Im Rückblick war es höchst an der Zeit. Ischgl lässt grüßen. Denn auch wir hatten bereits unsere Hotspots. Aber was gut geht, wird immer schnell vergessen. Denn auch diese Entscheidung war schon „Südtiroler Weg“. Wir haben zugemacht, obwohl es Rom nicht vorgeschrieben hatte. Wir waren es aber auch, die danach alles früher aufgemacht haben. Was dann von vielen anderen Regionen gefordert wurde und die Entscheidungen der italienischen Regierung nachhaltig beeinflusst hat.
 
Die meisten ihrer Dekrete mussten mehrmals korrigiert werden?
 
Das waren zumeist kleinere Korrekturen, die juristisch notwendig waren. Wissen Sie, was die ideale Verordnung in Corona-Zeiten wäre? „Liebe Leute, ab jetzt soziale Kontakte, wo immer es geht, vermeiden.“ Da steht alles drinnen. Das ist die beste Covid-Verordnung. Aber: Verzichtet deshalb jemand auf die private Geburtstagsfeier oder schließt das Pub mit dieser Verordnung? Sicher nicht. Man kann in einer Demokratie nicht Solidarität und Verantwortung verordnen. Diese Krise hat gezeigt, dass eine solche Gangart in einer völlig individualisierten und entsolidarisierten Gesellschaft nicht umsetzbar ist. Deshalb muss die Politik zu Verboten greifen und zu Verordnungen, die in normalen Zeiten völlig absurd erscheinen.
 
Der Zorn der Bevölkerung gegen Sie war noch nie so groß?
 
Der Zorn der Bevölkerung ist zur Zeit in Europa jedem regierenden Politiker gegenüber groß. Daraus aber zu schließen, dass die Politik alles falsch gemacht hat, ist ein Denkfehler.
 
Schaut man sich die aktuelle Corona-Situation in Südtirol an, kann man diese Aussage auch als große Arroganz werten?
 
Nein, das liegt mir fern. Schauen wir uns aber an, was in Südtirol passiert ist. Wir hatten den ganzen Sommer über fast keine Infektionen. Der August war einer der bestausgebuchten Monate in der Geschichte des Südtiroler Tourismus. Wir hatten auch im September alles voll. Wir sind ein Land, wohin die Menschen von überall her kommen. Zudem haben wir nachweislich extrem viel interne Mobilität und ein reges gesellschaftliches Leben. Und im Herbst haben wir dann die Rechnung dafür präsentiert bekommen. Wir hatten und haben höhere Infektionszahlen als viele andere in Italien. Deshalb haben wir – noch bevor uns die Regierung zur roten Zone erklärt hat - auch wieder zugemacht. 
 
Corona hat auch gelehrt, dass eine Pandemie den Tod der Autonomie bedeutet?
 
Natürlich muss man sich immer wieder fragen, wie weit unsere Autonomie in dieser Situation reicht. Können wir überhaupt die Skilifte gegen den Willen der Regierung öffnen?
 
Ihre Antwort?
 
Ich schaue weniger auf den rechtlichen Rahmen als auf die Zahlen. Erlauben uns die Infektionszahlen eine Öffnung? Hier ist die Antwort einfach: Nein. Wir haben nicht die Zahlen, um die Skigebiete jetzt öffnen zu können. Die Grenzen des Südtiroler Sonderwegs sind die Infektionszahlen. Das ist der Punkt. Fakt ist, wir haben noch immer zu viele Infektionen und zu viele Covid-Patienten in unseren Krankenhäusern.
 
 
Wenn wir die Zahlen, die wir jetzt Ende Oktober hatten, bereits im März gehabt hätten, wäre der Südtiroler Gesundheitsbetrieb innerhalb von fünf Tagen zusammengebrochen.
Warum aber steht das Trentino bedeutend besser da?
 
Das Trentino hat ähnlich schlechte Zahlen wie wir. Allein aus den übermittelten Testdaten lässt sich noch keine Infektionsinzidenz ablesen. Objektiv vergleichbar sind die Zahlen der stationär aufgenommenen Patienten, jene der Betreuten in Intensivtherapie und jene der Verstorbenen, Trient hat derzeit in der Intensivtherapie 48 Patienten und in der Subintensiv 50. Wir haben keine Subintensiv und unterscheiden hier nicht. Südtirol hat derzeit insgesamt 30 Menschen im Intensivbereich…
 
Sie wollen damit sagen, dass die offiziellen Zahlen nicht stimmen?
 
Schauen Sie, der Krankheitsverlauf ist überall derselbe. 10 Prozent der Infizierten mit Symptomen landen im Krankenhaus, ein Prozent in der Intensivstation. Dabei muss man sagen, dass das Trentino offiziell immer gelbe Zone war und immer noch ist. Diese Einstufung ist also nicht unbedingt nachvollziehbar. Trotzdem bedeutet das nicht, dass unsere Zahlen gut wären, im Gegenteil, sie sind immer noch schlecht.
 
Genau dieselbe Argumentation gebraucht auch Gesundheitslandesrat Thomas Widmann. Dieses Misstrauen der Politiker gegenüber den offiziellen Zahlen dürfte aber Wasser auf die Mühlen der Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker sein.
 
Es gibt Regionen, die testen, und jene, die nicht testen. Und es wird auch unterschiedlich getestet. Wir haben die Antigen-Schnelltests gemacht und die Positiven innerhalb von drei bis fünf Tagen mit PCR-Test nachgetestet. Dabei waren weitüber 90 Prozent positiv. Venetien hat genau dasselbe gemacht, mit demselben Ergebnis. Was aber hat Trient getan? Auch dort wurde nachgetestet. Aber am 12. Tag. Das Ergebnis: Rund 10 Prozent Positive, weil viele inzwischen genesen sind. Beide Vorgangsweisen sind rechtlich korrekt. Das ist das Problem der Vergleiche.
Es ist inzwischen leider eine politische Gepflogenheit, dass man Entscheidungen zwar nachvollziehen kann, in der Öffentlichkeit aber anders auftritt, um bei der Bevölkerung gut anzukommen.
Wenn Sie als Landeshauptmann frei entscheiden könnten, was würden Sie tun?
 
Wir haben keine anderen Mittel als jene, die wir anwenden. Italien war mit seinem Maßnahmenkatalog der erste europäische Staat, deeinen Lockdown verfügt hat. Alle anderen europäischen Länder haben sich daran orientiert und dieselben Maßnahmen gesetzt. Manche etwas später, etwas weniger, aber im Prinzip die gleiche Gangart. Auch die Einstufung  der Risikosituation in Gelb, Orange und Rot finde ich absolut sinnvoll. Die abgestuften Maßnahmen haben eine klare und nachvollziehbare epidemiologische Logik. Das was nicht funktioniert hat, ist die Zuordnung dieser Einstufung auf die einzelnen Regionen anhand der Inzidenzzahlen, weil der Vergleich aus den bereits genannten Gründen manchmal hinkt.
 
 
Die Führung des Südtiroler Sanitätsbetriebes hat in den vergangenen neun Monaten alles andere als eine gute Figur gemacht?
 
(Denkt lange nach) Vielerorts in Europa wird diese Frage gestellt und dieser Vorwurf erhoben. Vielleicht muss man aber einfach zur Kenntnis nehmen, dass wir es hier mit einer Pandemie und mangelnden Erfahrungswerten zu tun haben.
 
Die Südtiroler Affären und Pannen aufzuzählen würde hier zu weit gehen. Nehmen wir nur eine heraus. Der Sanitätsbetrieb hat 1.300 Personen, die bei den Schnelltests positiv waren, über zehn Tage lang einfach „vergessen“. Nach Expertenmeinungen war das einer der Hauptgründe für die Explosion der Fallzahlen in Südtirol.
 
Dass das, was hier passiert ist, ein Fehler war, dürfte allen klar sein. Inwieweit das entscheidend zur Erhöhung der Infektionszahlen beigetragen hat, sei dahingestellt. Tatsache ist aber auch, dass die italienische Gesetzgebung einen Schnelltest lange nicht für ausreichendgehalten hat, um jemand in die Quarantäne zu schicken. So waren die Spielregeln in Italien. Deshalb verlangte die zuständige Beamtin verständlicherweise auch eine Dienstanweisung des Generaldirektors.
 
Hätte hier nicht die Landesregierung viel früher eine klare Vorgabe machen müssen?
 
Nein, denn das ist eine rein medizinische Entscheidung. Das ist keine politische Entscheidung. Inzwischen hat es hier auch in Italien zum Glück ein Umdenken gegeben, und der Schnelltest reicht jetzt als Voraussetzung für die Quarantäne.
 
Mancher in der Landesregierung ist sich eben selbst der Nächste.
Kommen wir zu einem anderen Thema. Innerhalb der Landesregierung gibt es seit Wochen harte Auseinandersetzungen?
 
Das liegt in der Natur dieser komplexen Herausforderung. Aufgrund ihrer jeweiligen Zuständigkeiten vertreten die einzelnen Mitglieder der Landesregierung spezifische Interessen und machen entsprechend Druck. Schwieriger stellt sich die Situation für jenen dar, der am Ende unterschreiben muss. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass es am Ende ein Nein gibt. Man kann aber auf jeden Fall darauf verweisen, sich eingesetzt zu haben.
 
Es ist ein recht mieses politisches Spiel?
 
In Rom ist das nicht anders. Unterrichtsministerin Lucia Azzolina fordert, wir müssen die Oberschule aufsperren, Gesundheitsminister Roberto Speranza sagt: Nein, das geht nicht. Auch in Deutschland und Österreich läuft es so. Das Einzige, was bei uns vielleicht anders ist: Hier hat der Gesundheitslandesrat in der Landesregierung auch ein großes Herz für die Wirtschaft…
 
Ein offener Giftpfeil gegen Thomas Widmann….
 
…er hat einfach eine liberale Einstellung. Aber es ist überall dasselbe. Jemand muss am Ende die Verantwortung übernehmen und in diesem Fall ist es halt jener, der die Verordnungen unterschreibt.
 
Es ist kein Geheimnis, dass Philipp Achammer, Waltraud Deeg und Thomas Widmann mit ihrem Kurs in Sachen Corona ganz und gar nicht einverstanden sind?
 
Das weiß ich nicht. Da müssen Sie die drei Landesräte fragen. Worauf gründen Sie diese Aussage?
 
Der heftige und andauernde Streit in der Landesregierung hat diese Frage wohl mehr als klar beantwortet.
 
Es ist inzwischen leider eine politische Gepflogenheit, dass man Entscheidungen zwar nachvollziehen kann, in der Öffentlichkeit aber anders auftritt, um bei der Bevölkerung gut anzukommen.
 
Die Geschichte mit der Impfung beginnt für uns Ende Jänner, hat aber ihre Wirkung erst im Herbst. Denn Südtirol wird im Jänner kaum mehr als ein paar Tausend Impfdosen bekommen.“
Wagen Sie eine Prognose: Wie wird es weitergehen?
 
Das hängt in erster Linie vom Verhalten und vom Verantwortungsbewusstsein der Menschen ab. Es kann sein, dass wir aufgrund der anstehenden Feiertage im Jänner wieder strenger sein müssen. Es kann aber auch sein, dass die Zahlen im Jänner soweit gesunken sind, dass wir uns das eine oder andere wieder erlauben können. Wir werden uns jetzt mit Auf und Abs durch den Winter wackeln.
 
Die große Hoffnung liegt jetzt in der Impfung.
 
Die Geschichte mit der Impfung beginnt für uns Ende Jänner, hat aber ihre Wirkung erst im Herbst. Das muss uns bewusst sein. Schon allein wegen der begrenzten Verfügbarkeit der Impfdosen. Das ist ein weltweites Problem. Es wurden klare Abkommen über den gemeinsamen Ankauf getroffen. Kein Staat kann hier einen Sonderweg fahren. Das ist nicht möglich. Die EU kauft für alle ein und der Impfstoff wird nach dem Bevölkerungsschlüssel verteilt. Fakt ist, Italien bekommt 1,7 Millionen Dosen im Jänner. Man muss jeden zweimal impfen und Italien hat 60 Millionen Einwohner. Damit wird klar, dass Südtirol im Jänner kaum mehr als ein paar Tausend Impfdosen bekommen wird. Danach werden sicher die zweite und dritte Tranche folgen. Aber das wird alles nicht so schnell gehen. Das heißt, wir müssen es bis in den März/April hinein mit den bekannten Vorsichtsmaßnahmen schaffen. Danach dürften wir das Schlimmste überwunden haben.
 
Hält die Landesregierung so lange?
 
Wieso nicht?

Die Spreng- und Zentrifugalkräfte werden in dieser Ausnahmesituation immer stärker?
 
Es gab eine relativ große Nervosität in den vergangenen Wochen, weil diese zweite Welle eine Heftigkeit hatte, die sich niemand so erwartet hatte. Damit meine ich nicht nur die Politiker. Auch kein Virologe hat das so vorhergesehen. Kein einziger hat im August davon geredet, dass im Oktober die zweite Welle in dieser Geschwindigkeit anrollt und dass sie fünf bis zehn Mal höher ist als die erste Welle. Deshalb ist der Vorwurf an die Politik, man habe geschlafen oder im Sommer zu wenig getan, auch völlig ungerecht. Wenn wir die Zahlen, die wir jetzt Ende Oktober hatten, bereits im März gehabt hätten, wäre der Südtiroler Gesundheitsbetrieb innerhalb kurzer Zeit zusammengebrochen. Das ist nun aber nicht geschehen, weil wir uns vorbereitet haben.
 
 
 
Die große wirtschaftliche Krise wird erst dann kommen, wenn die Pandemie überwunden ist. Der Verteilungskampf wird damit ungleich härter werden. Keine rosigen Zeiten für die Politik?
 
Jetzt werden wir noch an den Toten gemessen, später werden wir dann an der Zahl der Konkurse gemessen werden. Das wirklich Erschreckende daran sind die Überlegungen, die manche deshalb ernsthaft machen: Wir müssen jetzt mehr Tote zulassen, um danach weniger Konkurse zu haben…
 
Jetzt sind wir wieder bei der Entscheidung über Leben und Tod. Der Druck auf die Politik wird damit unweigerlich immer größer?
 
Hier gibt es für mich nur einen Ausweg. Man kann und darf nicht darauf schauen, ob eine Entscheidung gut ankommt oder nicht, sondern man muss das tun, was man ethisch-moralisch für richtig hält. Man muss auch damit leben, dass es im Nachhinein viele besser gewusst hätten.
 
Ist diese Situation nicht erschreckend, wenn man merkt, dass man mit Leuten in der Regierung sitzt, die wenn es darauf ankommt…
 
…sich selbst der Nächste sind..
 
und sich am Anderen abputzen?
 
Hier geht es nicht um persönliche Animositäten. Oder darum, dass der eine gegen den und der andere gegen jenen ist. Das Ganze ist eine Folge der Situation. Fast überall in den westlichen Demokratien findet genau dasselbe statt. Die einen fordern und am Ende muss der, der die Verantwortung trägt, bremsen. Durchbrochen wird diese Dynamik nur in Diktaturen oder in Situationen, wo jemand den uneingeschränkten Führungsanspruch hat.
 
Dieser politische Konflikt wird perfekt getimt mit der Weichenstellung für die Landtagswahlen 2023 ausgetragen werden. Keine Angst, am Ende als der einzige Schuldige dazustehen?
 
Ich habe zum Glück diese Sorge nicht. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich auch oft daran orientiert habe, wie kommt das oder jenes an? Ich habe in dieser Krise gelernt, diese Überlegung in den Hintergrund zu stellen. Ich möchte in den Spiegel schauen können und sagen, ich habe nach bestem Wissen und Ermessen das getan, was ich für richtig und notwendig gehalten habe.