Kultur | Salto Afternoon

verwunderliches

ein gespräch mit dem künstler peter verwunderlich. über seine kindheit und jugend, den knast, die kunst, das museion und kleingedrucktes. alles in kleinschreibung.
buch titelbild
Foto: Peter Verwunderlich

salto.bz: in ihrem buch "filmreifes südtirol" zeichnen sie ihre jugend und kindheit nach. eine art dokumentarischer entwicklungsroman?

peter verwunderlich: ja, man kann das buch ruhig als dokumentarischen jugend- und kindheitsentwicklungsroman bezeichnen, bei dessen ausgang ein gesellschaftstaugliches individuum hervorkriecht. vermutlich wird sich noch herausstellen, meinen "bericht" als "klassischen roman" zu veröffentlichen, anstatt als "autobiografie". allerdings wollte ich meine damals durchlebte hippiezeit, zu der ich einen starken gefühlsbezug hatte, authentisch wiedergeben. auch wird sich herausstellen ob der text der südtiroler bevölkerung gewachsen ist, oder nicht. ich hoffe doch. andererseits spiegelt der "roman", meiner meinung nach, viele entwicklungen der heutigen realität in der gesellschaft.


ihr buch endet mit einer trotzigen fußnote auf seite 211. warum die hauptsächlichkeit als nebensächlichkeit im kleingedruckten?

weil im grunde es als künstler nicht wichtig ist, ob man nun einen akademischen grad erlangt hat, oder nicht. vielmehr ist es wichtig, wie die seele sich in der bildsprache ausdrückt, um verstanden zu werden. dies geht auch ohne magister- oder doktortitel. deshalb ist es eine nebensächlichkeit. zur hauptsächlichkeit wird es eben erst durch den gesellschaftlichen zwang. man ist ja erst ein gesellschaftlich anerkannter künstler wenn man den weg: schule, galerie u.s.w. und zum schluss wäre es halt noch gut im museion auszustellen, denn erst dann ist man als künstler rezipiert.

es gibt zum glück mehrere wege…

den „schwierigeren“ weg bin ich gegangen, von der bar und der „straße“ in den gemeindesaal, zur galerie, ins museion. das beweist, dass es auch ohne geht. im übrigen ist zu erwähnen, dass ich ja in wien an der heutigen akademie für angewandte kunst aufgenommen wurde wegen meiner ausserordentlichen begabung, die ich also gehabt haben muss, bevor ich studieren ging. samt meiner abnormalen kindheit. diese kleine „trotzreaktion“ im buch als fußnote festzuhalten wollte ich mir gegenüber meiner damals allzeitigen peiniger doch gönnen. klein und kleingedruckt.

 

sie beschreiben ihre durchaus schweren und turbulenten ersten zwei jahrzehnte ihres lebens. das leben eines außenseiters…

nach meiner jugendlichen phase habe ich mich rückblickend gefragt, wie es möglich war, dass ich nicht den weg gegangen bin, den mir eben „psychologen“und „pädagogen“ vorausgesagt hatten und der eben darin bestehen würde, dass meine nicht in geborgenheit verbrachte kindheit mich für immer als einen gesellschaftlichen außenseiter abgestempeln würde, und mich zu allerletzt auch an dieses ende geführt hätte. ich war ja auch schon auf diesem mir vorhergesagten und quasi geebneten weg unterwegs. aber ich wollte das gegenteil beweisen.

ist das heute anders?

selbst heute scheinen die pädagogen mit ihren maßnahmen überfordert, wenn ökonomische oder familiäre probleme auftreten. weil zum allergrößten teil ist halt doch die gesellschaft, beziehungsweise jeder einzelne darin selbst schuld und nicht das heranwachsende kind an sich, das sowieso von natur aus „gut“ geboren wird und es dann auch ist, unterwegs auf dem pädagogisch vorgegebenen weg, den es später weiter zu gehen pflegt.

ich hatte genug von den andauernden beschuldigungen, vorurteilen und anweisungen. 

sie haben in der kunst bestätigung gefunden und tragen den künstlernamen "verwunderlich". wie ist er ihnen zugefallen?

die bestätigung habe ich natürlich auch in der kunst wiedergefunden und zwar in der allgemeinen damaligen szene. es gab hier in südtirol – in meinen augen keine vielfalt –, so dass es ein leichtes war zu erkennen, „das kann ich auch, samt meiner vergangenheit“. und ganz zum schluss kam das mir eingeredete schlechte gewissen –  „aus dir wird nie etwas“ –, so dass ich meinen familiennamen zum trotz nicht beschmutzen wollte. und so war der künstlername "verwunderlich" geboren. denn tatsächlich wunderte ich mich über mich selber, dass ich es eben trotz allem geschafft habe, meinen kleinen „staat“ im großen staat, wenigstens nach aussen anzupassen. individuell bleibt sowieso jeder wie er ist.

ich habe noch nie ein buch gelesen, in welchem das wort joint derart häufig genannt wird...

da muss ich lachen, weil ich mir das gut vorstellen kann, dass sie so ein buch noch nie gelesen haben, wo joint so oft genannt wird. dafür möchte ich auch um nachsicht bitten, da es natürlich für den aussenstehenden etwas abartig klingen mag. aber man möge bedenken, ich hätte auch scheinheilig nichts, oder weniger darüber schreiben können. ich wollte aber doch beim leser um verständnis und aufmerksamkeit zu meiner und meiner mitmenschen damaligen präkären lage ringen. wie es eben ist, allein und verzweifelt zu sein. jeder möge doch sein leiden als das größte ansehen, dann wird man es leichter verstehen können. die ‘70er jahre waren gekennzeichnet vom streben nach der freiheit von überkommenen bürgerlichen normen. ich hatte genug von den andauernden beschuldigungen, vorurteilen und anweisungen. und der joint hat mir damals den weg hinaus gezeigt und eben dorthin, zu jenen menschen, die mich akzeptierten und mir das gaben was ich damals brauchte.

 

der joint als guter begleiter?

ich war in jeder hinsicht unterfordert, es war ja ansonsten niemand da, dem ich mich hätte anvertrauen können. der joint hat mich beruhigt und mir geholfen, meine festgestellten ungerechtigkeiten besser zu verarbeiten und zu vergessen. ich bin ja nicht stolz auf meine taten, aber sicherlich darauf, dass ich sie überstanden habe. das buch soll eben die botschaft enthalten und aufzeigen, dass das leben schwer ist, aber man trotzdem aus gewissen situationen auch wieder herauskommen kann, und sei die kindheit auch noch so schwer gewesen.

in der gesellschaft machte sich somit im lockdown auch eine gleichgültigkeit gegenüber der kunst breit, die zum himmel schreit. im tiefsten mittelalter war diesbezüglich mehr los.

der cannabis-rausch ist für südtiroler rauschkugeln eher untypisch. für sie war er das nicht...

zu den südtiroler rauschkugeln kann ich nur so viel sagen, dass ich für mich persönlich einkehr, ruhe und geborgenheit gebraucht habe und eben manchmal einen joint, um meine damalige lage zu überbrücken, und keinen alkohol. bekanntlich macht der alkohol aggressiv und täuscht kraft vor. das brauchte ich nicht. kraft hatte ich selbst genug. ansonsten wäre es vielleicht wirklich so gekommen, dass ich die betreffende phase des ringens nicht überlebt hätte. dafür danke ich gott. ich habe cannabis immer als ein natürliches, von gott erschaffenes mittel betrachtet, alkohol hingegen nicht. 

 

sie haben erfahrungen im knast gesammelt, wie erleben sie das eingesperrtsein im lockdown?

ja ja, das mit dem knast, – gefängnis – klingt besser, das möchte ich lieber den lesern selbst überlassen, ob ich denn nun wirklich das gefängnis in der form gebraucht habe und erst recht in dem jugendlichen alter. jedenfalls es ist mit dem lockdown kaum zu vergleichen. sagen wir es so, ohne umschweife. als nicht wohlgeborener oder wohlhabend geborener künstler habe ich es schwer in südtirol, sehr schwer. ein lockdown ist somit für einen freischaffenden künstler ohne gesellschaftlich anerkannte arbeit, immer ein problem. man kennt dies schon lange. man könnte sich sogar daran gewöhnen. in der gesellschaft machte sich somit im lockdown auch eine gleichgültigkeit gegenüber der kunst breit, die zum himmel schreit. im tiefsten mittelalter war diesbezüglich mehr los. vom öffentlichen raum sprechen wir gar nicht. man nimmt eben normalerweise nicht gleich das große geschäft in der kunst wahr und somit ist es kein wirtschaftszweig. leid tun mir wegen des lockdown jene leute, die es nicht gewohnt sind, auf dieses und jenes zu verzichten und die obendrein auch noch ihre arbeit verlieren bzw. verloren haben, die leider immer mehr werden, wie die armen, und die alten leute, und manche jugendliche.

ich hoffe, dass für einige der lockdown ein umdenken zu tage fördert und das konsumdenken dadurch etwas redimensioniert wird.

sie sehen sich als sozialkritischer künstler. sind solche mittlerweile in der minderheit? angepasstheit ist doch das gebot der stunde…

mit meiner vergangenheit ist es logisch, dass ich sozialkritische werke schaffe, und immer gemacht habe und auch beim lockdown weiter mache. ich habe immer in mich hineingehört und von kind auf gelernt, wann genug ist, um geistig gesund zu überleben und nicht durchzudrehen, wie man so schön im dialekt zu sagen pflegt. ich hoffe, dass für einige der lockdown ein umdenken zu tage fördert und das konsumdenken dadurch etwas redimensioniert wird.

 

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Georg Peintner Mo., 15.02.2021 - 15:59

Ich wünsche viel Erfolg mit dem Buch und mit allen anderen Werken! Jedenfalls sollte so viel künstlerische Originalität und Ehrlichkeit zu einer Anerkennung führen, die zu einem halbwegs gesicherten Auskommen verhilft!

Mo., 15.02.2021 - 15:59 Permalink
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Sebastian Felderer Mo., 15.02.2021 - 18:50

Schließe mich der Meinung von Georg Peintner an. Kann hinzufügen, dass ich von Peter und seinem neuesten Werk in Buchform fasziniert bin. Habe erst den Anfang gelesen und kann mich voll identifizieren mit seiner Jugendzeit. Der Künstler Verwunderlich ist das Ergebnis eines ständigen Kampfes, oft mit sich selbst, oft gegen Windmühlen und oft, um dem Leben Sinnhaftigkeit zu verleihen. Ich finde die Einzigartigkeit von Peter Verwunderlich wirklich bewundernswert. Bin stolz, ein Freund von ihm zu sein.

Mo., 15.02.2021 - 18:50 Permalink