Gelassenheit. Zuversicht. Die Krise als Chance: Ich kann es nicht mehr hören. Weil ich stuff bin. Nicht nur ein bisschen stuff, sondern supermegastuff. Ich will wieder raus, raus aus meinem Dorf, raus ins Leben, raus zu Freunden und Familie. Stattdessen heißt es nach wie vor: Njet, zuhause bleiben. Abstand halten, die Krise ist noch nicht vorbei. Das Impfen läuft gottlob (zwar schleppend, aber es läuft), die Inzidenz geht zurück, Schulen und Kindergärten bleiben trotz anderslautender Meldung katastrophengeiler Tageszeitungen zumindest vorerst geöffnet, aber: Die Intensivbetten sind schon wieder knapp (und ich fange an zu schreien, wenn ich nochmal das Märchen von den hundert höre), beinahe täglich schaut eine neue Mutante vorbei, und die Menschen sind einfach nur müde. Wir haben seit einem Jahr Corona, und es ist ein grausliches Déjà-vu, wenn jetzt schon wieder alles zu blühen und zu sprießen beginnt, und man sich schaudernd erinnert: Wah, letztes Jahr war das genauso: Die Natur schlägt aus und lockt mit praller Lebenslust, während wir buchstäblich kaum vom Fleck kommen und fast alles meiden, was wir unter „leben“ verstehen. Es muss so sein, schon klar, aber es zehrt. Hat man sich vor Wochen noch gegenseitig Mut zugesprochen, „dai, geat schun!“, taumeln wir jetzt in einem kollektiven Schlafwandel von einem Tag in den (identischen) anderen. Gelassenheit? Zuversicht? Chance? Uff. Vielleicht morgen wieder, heute suhle ich mich im Verdruss.
Domme auf der Vertigine, das war eine Parabel auf unser Jetzt, das war die laut Wikipedia 102 Kilo schwere Fleischwerdung der conditio humana in Zeiten von Corona
Wie wohltuend war es da, Dominik Paris, „unseren Domme“, auch bar jeder Gelassenheit und Zuversicht zu erleben. Bei der WM-Abfahrt in Cortina d’Ampezzo kam er auf der Vertigine vom Kurs ab und reagierte darauf auch eher nicht mit „dai, geaht schun!“ oder einem meditativen „Ommm“. Stattdessen entfuhr ihm ein gepresstes „ZIO KANEE!“, an dem wir uns dank der Mikros entlang der Strecke erfreuen können. Lustig, der Domme flucht, dachte ich, und wollte es schon dabei belassen, dass der fidele Ultner halt wieder mal sein naturburschiges Naturell unter Beweis gestellt hatte. Doch die Szene ging mir nicht aus dem Kopf. Wieder und wieder musste ich sie mir ansehen, bis ich schließlich einen Moment der, ich kann es nicht anders nennen, Erleuchtung hatte: Domme auf der Vertigine, das war nicht nur ein Skirennläufer mit Hang zu Kraftausdrücken, der grad seine Chance auf eine Medaille schwinden sieht.
Domme auf der Vertigine, das war eine Parabel auf unser Jetzt, das war die laut Wikipedia 102 Kilo schwere Fleischwerdung der conditio humana in Zeiten von Corona. Alles eine schlittrige, an steilster Stelle 61 Prozent Gefälle aufweisende Rutschpartie aus Ansteckungsrisiko, Hospitalisierungsraten, psychischem und wirtschaftlichem Notstand, sozialer Isolation und sich verschärfender Ungleichheit: Und wir mittendrin, verzweifelt um unser Gleichgewicht bemüht, auch darum, Haltung zu bewahren, nicht total zum Tier zu werden, das nur mehr auf Facebook rumpöbelt, die versuchen, da irgendwie einigermaßen heil runter zu kommen. Weil: Zurück geht’s eh nicht mehr, das Vorher ist vorbei, und wir werden an der Ziellinie auch nicht mehr dieselben sein, die oben gestartet sind.
Man kann nicht immer, und schon gar nicht mehr nach einem Jahr, geduldig, optimistisch und zuversichtlich sein
Ist da Dommes inbrünstiges ZIO KANEE!, ebenso die Gegebenheiten verfluchend wie um gnädigen Ausgang flehend, nicht der einzig legitime, den Umständen angemessene Kommentar? Domme, du Genie, du bist der Hohepriester unserer Zeit, der (Zio)Kan-Buddhist von Corona, ich folge mein Haupt in Ehrfurcht beugend deiner Religion und komme seither „ZIO KANEE!“ zischend durch den Tag. Ich zische es, wenn ich im Radio höre, dass da und dort schon wieder eine südafrikanische Mutante aufgetaucht ist (ZIO KANEE!), ich zische es, wenn ich lese, wie Menschen um ihre Existenz bangen (ZIO KANEE!), ich zische es, wenn es schon wieder Abend wird, und ich nicht weiß, worin sich dieser Tag vom vorhergehenden unterschieden hat (hat er nicht) und das auch vom folgenden nicht wissen werde: ZIO KANEE! Es befreit, es erleichtert, es tut gut, dieses verdammte Virus und seine Folgen mehrmals täglich von ganzem Herzen zu verfluchen; das Virus, wohlgemerkt, und nicht unsere Mitmenschen, besonders jene an den politischen Schalthebeln wie’s grad so Usus ist, weil die leiden genauso darunter.
Als der Landeshauptmann zuletzt „Am Runden Tisch“ von Zuversicht sprach, da dachte ich: Ha, schöne Worte, aber erzähl mir nichts, LH. Ich sehe genau, wenn du morgens aufwachst, und dir einfällt, was da wieder für ein Schlamassel auf dich wartet, da denkst du nicht: „Arno, Zuversicht!“ Da denkst du Dommes Worte, vielleicht auch noch Schlimmeres, und beißt womöglich in den Polster. (Vielleicht auch nicht, aber die Vorstellung gibt uns jetzt allen Kraft.) Wir alle hassen, hassen, hassen Corona, und es tut einfach gut, das zu verbalisieren, weil man nicht immer, und schon gar nicht mehr nach einem Jahr, geduldig, optimistisch und zuversichtlich sein kann. Ein herzhaftes, kathartisches ZIO KANEE! wird uns durch die letzten Monate der Pandemie tragen, bis wir immunisiert oder geimpft sind, und bis dahin gilt ein anderer Leitspruch des an (derben, aber validen) Lebensweisheiten reichen Ultners: „Do muasch die Eier aussertian!“ Es wird uns nichts anderes übrigbleiben.