Kultur | Salto Weekend

Servierte und erlebte Geschichten 

Kh Beyer arbeitet seit Jahren als Saisonkoch in Südtirol. Mal da, mal dort. Nun hat er seine Geschichte aufgeschrieben. Sie führt in ein Land, das es nicht mehr gibt.
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Foto: Salto.bz

„Nach dem Zerfall des RGW, volkstümlich als Ostblock bezeichnet, wurden Millionen von Arbeitern über Nacht arbeitslos. Die unter sozialistischen Verhältnissen aufgewachsenen Bürger wurden dadurch, von Heut‘ auf Morgen, unvorbereitet unter neuen Gesetzen zu erpressbaren Tagelöhnern und Sklaven. Sie verrichten seitdem Arbeiten als Erntehelfer, Tagelöhner, Fernfahrer und Saisonarbeiter, fernab ihrer Nachbarn und Familien. Sie werden von einer unbeschreiblichen Bürokratie, von einer sie betrügenden kapitalistischen Gesellschaft rechtlos behandelt und maßlos ausgebeutet. Ihre gesamten beruflichen als auch intellektuellen Bildungsabschlüsse und Urkunden werden nicht anerkannt und sind wertlos geworden.“ 
Diese Zeilen stellt der Koch und Autor Kh Beyer (Pseudonym) an den Anfang seiner Geschichte. Beyer stammt aus einem vor über drei Jahrzehnten untergegangen Staat, der sich DDR nannte – und mitunter gerne für lustige Vergleiche mit Südtirol (Reinhold Messner, Ulrich Zieger ect.) herangezogen wurde. „Wir haben damals mit 120.-DM und zwei kleinen Taschen das Land verlassen. DDR-Pässe, -Führerschein, -Ausweise usw., sind mir im Westen alle abgenommen worden“ erinnert sich der seit gut zwei Jahrzehnten in Südtirols Küchen tätige Beyer an die Wendezeit. Trotzig fügt er hinzu: „Ausweise von West-Besatzern wollte ich nie annehmen.“ 

In der DDR gingen Silvesterfeiern bedeutend länger und die Feierlichkeiten waren wesentlich intensiver. Das lag einfach daran, dass in der DDR sämtliche Getränke und Speisen in der Gastronomie, erheblich preiswerter waren und kaum einen Unterschied zu den Ladenpreisen darstellten.

Im vergangenen Jahr hat Beyer sein erstes Buch Der Saisonkoch - Die Abenteuer eines Saisonarbeiters in der Alpenregion im Eigenverlag publiziert. Nun ist der zweite Teil erschienen. Am dritten schreibt er gerade. Das Bücherschreiben im Lockdown „geht mir erstaunlich leicht von der Hand“ gesteht der Koch und zweifache Küchenmeister und gibt in süffisantem Ton, Einblicke in sein Leben. „Ich war sowohl Bergmann als auch Gleisarbeiter, beinahe hätte ich es sogar zum Lokführer geschafft. Das hat aber eine Farbenblindheit verhindert.“ Sogar als Genossenschaftsbauer in einem Betrieb in Hohenstein-Ernstthal – Geburtsort des Abenteuerschriftstellers und Südtirolurlaubers Karl May – arbeitete Beyer, direkt an der Quelle der zu verarbeitenden Produkte: „Wir hatten dort übrigens mehr Erbeeranbaufläche als hier im Martelltal.“ Außerdem wirkte er „am Bau der Druschba-Trasse in Sibirien“ mit, dem 550 Kilometer langen Bauabschnitt der insgesamt 2.750 Kilometer langen Erdgasleitung Sojus.

Ich habe nie gedacht, dass ich mich als Meisterkoch fühlen darf wie ein Lehrling im ersten Lehrjahr. Dank Südtirol darf ich das. Leider werde ich nicht jünger dabei.

Gelernt hat der in den 1950er Jahren geborene Beyer beim bekannten DDR-Fernsehkoch und Chefkoch Kurt Drummer, dessen Buch Von Apfelkartoffeln bis Zwiebelkuchen mit über 700 Rezepten immer noch als Klassiker durchgeht. „Unsere Lehre fand in Anlehnung an die französischen Grundregeln statt“, erinnert sich Beyer, vor allem „an Herings Lexikon der Küche, auch wenn man das Buch in der DDR nicht kaufen konnte.“ Während der Ausbildung mussten in der DDR obendrein verschiedene Praktika absolviert werden, etwa „im Schlachthof, in Gärtnereien, bei Bauern. So bekam man den Durchblick für die mühevolle Herstellung von Nahrungsmitteln.“
Köche hatten zu Wendezeiten kaum Aussichten auf eine gute Zukunft und es war am besten, das Land schleunigst zu verlassen, denn „die Gastronomie gab es nicht mehr und die Besatzer wollten uns Löhne zahlen, die nicht mal für die Miete reichten. Viele Genossen sind nach Italien gegangen. Die Kontakte zu ihnen sind mittlerweile nahezu alle gekappt.“ 

Speckknödel proklamieren eigentlich die Südtiroler als ihre Erfindung. Ich mach es kurz: Das ist sie nicht.

Wie hält es der Koch-Migrant mit der Südtiroler Regionalküche? Erst in diversen Altersheimen konnte Beyer in Gesprächen „mit wirklich alten Bäuerinnen erfahren, was wirklich einheimische Küche ist“, erzählt er und bemerkt „dass es gerade die italienischen Landsleute sind, die sie sogenannte Arme-Leute-Küche abgöttisch lieben.“  Bei der Verarbeitung von Fleisch „mussten wir DDR-Köche uns hingegen in Südtirol erst mal dreißig Jahre zurückversetzen.“ 


Beyer war einer der ersten Köche in Südtirol, der „alles was auf den Almen und im Wald wächst, verkochte“, zu „Likören und Saucen ansetzte“, oder damit Brot und Kuchen machte. „Ich bin ein Pionier der einheimischen Südtiroler Küche“ erzählt er schmunzelnd, „lange bevor meine Südtiroler Kollegen anfingen, Alpenheu unter die Steaks zu legen.“
Die beschränkte Reisefreiheit in der DDR empfand Beyer nicht sonderlich problematisch und betont: „Immerhin konnten wir bis in die Sowjetunion, Mongolei, Nordkorea, Vietnam, Kuba und über die Südroute bis nach Bulgarien.“  Spöttisch fügt er hinzu: „Südtirol isoliert sich hingegen selbst. Das ist eigentlich besorgniserregend, wobei eine gewisse westdeutsche Hörigkeit festzustellen ist, die sich mit der Europaeuphorie deckt.“ 

Man ignoriert jegliche Ausbildung von Ausländern und Migranten.

Beachtlich findet der Saisonkoch den Standpunkt, den ein Großteil der Südtiroler und Südtirolerinnen bezüglich Migranten und Migrantinnen einnimmt: „Egal, was die studiert, gelernt und gearbeitet haben. Man ignoriert jegliche Ausbildung von Ausländern und Migranten.“ Er muss es wissen, hat er es doch am eigenen Leib erfahren.

 

Sozusagen als Nachspeise zum geschichtlichen Austausch mit salto.bz serviert Beyer noch das Rezept zu seinem Leibgericht, das ihn in seine alte und neue Heimat führt – Brathuhn mit Reis: „Es ist ein sächsisches Gericht“ betont er und beginnt mit den Ausführungen: „Der Reis wird in Sachsen gleich gewürzt gekocht wie in Südtirol. Manche geben etwas Lorbeer dazu, andere Zwiebel und wieder andere, Knoblauch, Piment, auch Pfefferkörner und etwas gekörnte Brühe. Abgeschlossen wird immer mit Butter. Der Unterschied zu Südtirol ist lediglich, dass wir etwas edelsüßen Paprika als Gewürz mit zum Hähnchen geben. Das ergibt einen leicht bräunlichen Saucenton mit dem Säftl des Huhnes. Hierzulande gebe ich Rosmarin, Salz, Pfeffer dazu, verrühre das in Öl – manchmal auch in Knoblauchöl – und reibe damit das Hähnchen ein.“
Mahlzeit!