Politik | Recovery Fund

Zu grün, um wahr zu sein?

“Etikettenschwindel”, “Wunschzettel der Lobbys”, am ökologischen Wandel vorbei: Die Kritik am Südtiroler Recovery Plan wird lauter. Dabei dürfte der Zug abgefahren sein.
Grüne Farbe
Foto: David Pisnoy on Unsplash

2.418 Millionen Euro, 2,4 Milliarden. So viel wird Südtirol – voraussichtlich – aus dem Recovery Fund der EU erhalten. Eine Menge Geld, die eine Menge Begehrlichkeiten weckt. Bereits im Herbst 2020 hat die Landesverwaltung begonnen, einen Plan auszuarbeiten, wie die Gelder verwendet werden sollen. In den sechs vorgegebenen Förderbereichen (“Missionen”) sollen 47 Projekte realisiert werden. Dabei gilt es, Vorgaben der EU einzuhalten, zum Beispiel “effektive und sofortige Umsetzbarkeit” oder “Kohärenz mit den allgemeinen Grundsätzen des ‘Europäischen Recovery Fund’”. Der Südtiroler Recovery Plan ist bereits der Regierung in Rom vorgelegt worden. Und auch wenn der Generaldirektor des Landes Alexander Steiner lange betonte, dass es sich dabei um eine “rein provisorische Auswahl” an Projekten handle, gehen die Wogen hoch.

Nach welchen konkreten Kriterien und unter Einbeziehung welcher Stakeholder wurden bzw. werden die Gelder verteilt? Und an wen? Sind die 47 Projekte tatsächlich im Sinne der EU? Oder vielmehr dazu gedacht, bestimmte Interessen zu bedienen? Diese Fragen stellt sich nicht nur die Opposition. Die Abgeordneten der Minderheit wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. “Wir können uns nur noch darüber aussprechen, ob der Zug abfährt oder nicht. Die Richtung aber können wir nicht mehr mitbestimmen”, kritisiert der Grüne Landtagsabgeordnete Hanspeter Staffler. Auf Antrag der gesamten Opposition findet diese Woche – mit Beginn am morgigen Freitag – eine Sondersitzung des Landtags zum Südtiroler Recovery Plan statt.

 

1.020 der 2.418 Millionen Euro sind für 30 Projekte im Bereich “Grüne Revolution und ökologischer Wandel” vorgesehen. Dieser macht somit den weitaus größten Bereich aus. Grund zur Freude, möchte man meinen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Zahlreiche Umwelt- und Naturschutzverfechter klagen im Vorfeld der Sondersitzung an: Was die Landesverwaltung bzw. -regierung da vorhat, folgt keinen ökologischen Interessen, sondern weitestgehend ökonomischen.

“Es fällt auf, dass bestimmte Bereiche prominent vertreten sind: Landwirtschaft und Aufstiegsanlagen dürfen sich auf viele Millionen freuen”, halten Georg Simeoni, Klauspeter Dissinger und Claudia Plaikner fest. In Vertretung des AVS, des Dachverbands für Natur- und Umweltschutz und des Heimatpflegeverbands haben sie den Mitgliedern der Landesregierung und des Landtags einen offenen Brief geschickt. Auch die Südtiroler Biologenvereinigung hat ein Positionspapier ausgearbeitet und den politischen Vertretern zukommen lassen.

 

Grüne Fassade für “Lobbyisten Fund”

 

Fehlende Transparenz, Einbeziehung und Nachvollziehbarkeit werfen die Kritiker den Erstellern des Recovery Funds grundsätzlich vor. Was den hoch dotierten Bereich “Grüne Revolution und ökologischer Wandel” betrifft, bezweifeln AVS, Dachverband, Heimatpfleger und Biologenvereinigung, dass “all die angeführten Projekte wirklich den Zielsetzungen von Klimaneutralität, Nachhaltigkeit, gerechter Entwicklung und Resilienz entsprechen”. Einige Beispiele, die für die Umweltverbände nach einem “Etikettenschwindel” schreien: 20 Millionen Euro für die Gärten von Schloss Trautmansdorff; 31 Millionen Euro für die Reorganisation des Straßennetzes im Gewerbegebiet Bozen; 67 Millionen Euro für ein Projekt “(…)zur Schaffung einer wiederkehrenden, digitalen und nachhaltigen Lebensmittelkette in den Bergen”; Gelder für den Bau von Verbindungsanlagen zwischen bestehenden Skigebieten; 21 Millionen Euro Speicher- und Multifunktionsbecken für die Beschneiung in den Skigebieten. “Diese Vorhaben stellen nicht nur einen erheblichen Eingriff in die alpine Landschaft dar. Sie sind zudem weder klimatauglich, noch nachhaltig und widersprechen klar dem Prinzip des EU Recovery Plans, wonach Maßnahmen, die der Umwelt erheblichen Schaden zufügen, nicht finanziert werden dürfen”, zeigt Norbert Dejori, Vorsitzender der Südtiroler Biologen, auf.

“Viele der angeführten Bauprojekte werden uns nicht in Richtung Klimaneutralität führen”, stimmen Simeoni, Dissinger und Plaikner zu. “Ein neues Gebäude für die Agentur für Klimaschutz für 35 Millionen Euro allein spart noch keine Tonne CO2 ein – im Gegenteil.” Für die Umweltverbände ist klar: “Die vorliegende Liste ähnelt viel eher einem Wunschzettel bestimmter Interessengruppen mit Projekten, für die bis dato die notwendige Finanzierung nicht vorhanden war.” Sie fordern “einen echten Recovery Fund und keinen Lobbyisten Fund!”.

 

Es gäbe Alternativen

 

Ihre Bedenken haben AVS, Dachverband und Heimatpflegeverband mit einem neunseitigen Dokument an Landesregierung und Landtagsabgeordnete geschickt – samt Alternativvorschlägen, für die die Gelder aus dem Recovery Fund eingesetzt werden könnten bzw. sollten. Darunter etwa die Förderung eines “umweltverträglichen, kleinstrukturierten Tourismus” und eines “Paradigmenwechsels in der Landwirtschaft”; die Nutzung des Leerstands; die Förderung und Nutzung von Dach- und Fassadenflächen für alternative Energiegewinnung. Als ersten und prioritären Vorschlag nennen die Umweltverbände die Förderung der Biodiversität. Die sieht auch die Biologenvereinigung als dringend anzugehen.

 

Angesichts des “dramatischen Schwunds von Arten und Lebensräumen” brauche es eine landesweite und umfassende Strategie “zur Erfassung und Erforschung und vor allem zum tiefgreifenden und nachhaltigen Schutz von Lebensräumen sowie von bedrohten Tier- und Pflanzenarten in Südtirol”, erklärt Norbert Dejori. Das laufende Biodiversitätsmonitoring sei dafür nicht ausreichend. Daher seien Landesregierung und -verwaltung aufgefordert, die Chance des Recovery Funds “eine umfassende und koordinierte Südtiroler Offensive in den Bereichen Artenschutz, Schutz von Lebensräumen und nachhaltige  Landwirtschaft einzuleiten”. Die Biologenvereinigung hat dazu ein detailliertes Ideenpapier mit konkreten Maßnahmen ausgearbeitet. Die insgesamten Ausgaben würden sich auf 32 bis 107 Millionen Euro belaufen – maximal ein Zehntel der für den Bereich “Grüne Revolution und ökologischer Wandel” veranschlagten Gelder aus dem Recovery Fund.

 

Zug schon abgefahren?

 

Dass es noch Spielraum bei der Umplanung der Gelder, für neue Projekte und Prioritäten gibt, darf bezweifelt werden. Fest steht: Bis 30. April müssen die nationalen Recovery Pläne in Brüssel eingereicht werden – die EU-Kommission hat die Einreichefrist verlängert und danach zwei Monate Zeit für die Bewertung.

Im Rahmen der Fragestunde teilte Landeshauptmann Arno Kompatscher am Dienstag im Landtag mit: Alle 47 Projekte seien in Rom auf die Zulässigkeit laut EU-Kriterien geprüft und als zulässig erklärt worden. Und weil das Geld laut Vorgaben der EU innerhalb 2023 verpflichtet und innerhalb 2026 ausgegeben sein müsse, “werden kaum neue Projekte aufgenommen werden”. Indes herrscht Unklarheit darüber, in welcher Form die Gelder für die Projekte ausgeschüttet – an den Staat oder die Regionen und Autonomen Provinzen? – und investiert werden können bzw. ob es sich dabei um Kredite handelt, die zurückgezahlt werden müssen. Ursprünglich habe es geheißen, dass es sich bei den 2,4 Milliarden nicht um Kredite handle, so Kompatscher. “Aber man kann es nicht ausschließen.” Die Regionen hätten dazu eine Aussprache mit Ministerpräsident Mario Draghi verlangt.