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Die Gefahr des Pflexit

Die Geschäftsführerin des Landesverband der Sozialberufe Marta von Wohlgemuth über das Urteil von Belluno und den steigenden Druck auf Pflege - und Sozialfachkräfte.

Altersheim
Foto: upi
Das Urteil von Belluno „Ohne Impfung keine Arbeit im Seniorenheim“ befeuert die Diskussion
Mitarbeiterinnen von Seniorenheimen in Belluno wurden suspendiert, weil sie sich nicht impfen ließen und das Gericht diese Entscheidung für zulässig erklärte.
Was ist passiert:
Zwei Krankenpflegerinnen und acht Mitarbeiterinnen von Seniorenheimen wurden suspendiert, weil sie eine Corona-Impfung ablehnten. Die Betroffenen erhalten laut Medienberichten kein Gehalt mehr und ein Arzt hatte erklärt, dass die nicht geimpften Mitarbeiterinnen nicht mehr in den Seniorenheimen arbeiten dürften.
Die Mitarbeiterinnen hatten gegen das Urteil Rekurs eingereicht, dieser wurde abgewiesen.
Sollten sich die  Betroffenen nicht innerhalb weniger Tage impfen lassen, verlieren sie ihre Arbeit.
Das Arbeitsgericht in Belluno sieht den Betrieb, also die Seniorenheime im Recht, diese müssten die Sicherheit ihrer Mitarbeiterinnen garantieren, genauso die Sicherheit der Bewohnerinnen und der Besucherinnen  in den Strukturen. Die Impfung sei dafür notwendig, so der Richter.
Mit dieser Entscheidung, hat das Arbeitsgericht in Belluno ein aufsehenerregendes Urteil gefällt und hat auch die Impfdebatte in Südtirol wieder angeheizt.
Schon vor dem Urteil des Arbeitsgerichtes in Belluno, hat sich der Moraltheologe P. Martin Lintner in ähnlicher Weise geäußert, er spricht sich zwar gegen eine allgemeine Impfpflicht aus, befürwortet  aber für klare Vorgabe bei bestimmten Berufen.
Der Moraltheologe kann sich vorstellen, dass Menschen, die sich nicht impfen lassen, gewisse Tätigkeiten nicht mehr wahrnehmen können, wenn zum Beispiel das Fehlen einer Impfung für sie selbst, besonders aber für die Menschen, mit denen sie in Berührung kommen, ein erhöhtes Risiko bringen würde.
 
 
„Wir respektieren Ihr Recht, dass Sie sich nicht impfen lassen, aber Sie müssen dann auch die Konsequenz tragen, dass Sie zum eigenen Schutz und zum Schutz anderer bestimmte Aufgaben nicht mehr machen können.“  Bei einer Impfung bleibt immer abzuwägen zwischen dem erhofften Nutzen und möglichen Risiken, die natürlich nie ausgeschlossen werden können.
Deshalb gibt es sicher Menschen, die eine Impfung aus guten und berechtigten Gründen für sich oder ihre Kinder ablehnen, aber das trifft nicht auf die Mehrheit zu. Die derzeitigen Kampagnen gegen Impfungen sind aus meiner Sicht unverantwortlich, weil sie nicht auf Fakten basieren oder aber Fakten falsch interpretieren oder zum Teil offensichtliche Falschinformationen verbreiten. Das schafft Verwirrung und Verunsicherung – und das hilft uns in der derzeitigen Situation am wenigsten, so der Moraltheologe weiter.
Politisch bleibt die Herausforderung, Arbeitnehmerschutz und öffentliche Gesundheit, ohne Impfzwang unter einen Hut zu bringen.
Zu viel wird derzeit auf dem Rücken der Pflege- und Sozialfachkräfte ausgetragen und die Pflegedirektorin des Südtiroler Sanitätsbetriebes Frau Marianne Siller, bringt es auf den Punkt:
72 Prozent der Pflegekräfte sind schon geimpft, 1.100 Genesene warten und nur 1.800 hätten sich noch nicht gemeldet. Die Impfung sei ein wichtige, aber nicht der alleinige Weg,
Man müsse weiterhin auch auf Hygiene und Abstandsregeln bauen. Es gehe nicht, dass durch politische Diskussionen Mitarbeiterinnen  "verbrannt und verprellt" würden.
Politisch bleibt die Herausforderung, Arbeitnehmerschutz und öffentliche Gesundheit, ohne Impfzwang unter einen Hut zu bringen.
Das ist zentral, denn es zeichnen sich noch weitere Szenarien ab, die unmittelbar damit zusammenhängen.
In den sozialen Netzwerken und diversen Fachzeitschriften liest man immer öfter über den sogenannten „Pflexit“. Was bedeutet diese Wortneuschöpfung aus „Pflege“ und „Exit,  sie soll den aktuellen Pflegenotstand in den Pflege-und  Sozialberufen verdeutlichen.
Mehr als 50 % der Pflegekräfte in Deutschland denken aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen über einen Ausstieg aus ihrem Beruf nach und dieses Phänomen gibt es nicht nur in Deutschland.
Die Ursachen dafür sind vielseitig und vielschichtig:
 
  • zunehmende Arbeitsverdichtung
  • hohe physische und psychische Belastung im Beruf
  • mangelnde Lohngerechtigkeit und nicht angemessene Bezahlung
  • mangelnde Anerkennung sowohl durch den Arbeitgeber als auch durch die Öffentlichkeit
  • strapaziöse Schichteinteilungen
  • wenig Freizeit
  • Druck
 
Auch in Südtirol wird es zunehmend schwieriger Pflege -  und Sozialfachkräfte zu finden und wenn dann noch das Damoklesschwert der Suspendierungen über diesen Berufen hängt, kann man/frau sich ausrechen was für Aus-und Folgewirkungen hat….
Hier muss und kann gegensteuert werden, die Politik, bzw. die Entscheidungsträgerinnen müssen Geld in die Hand nehmen und Pflege- und Sozialfachkräfte  angemessen bezahlen, so dass sich genügend Anwärterinnen für diese Berufe finden, umso die Pflege und Betreuung in Zukunft gewährleisten und sichern zu können und das nicht nur in den Seniorenwohnheimen.