Ja, ich muss sagen, es hat mich fast vom Stuhl gehaut an jenem Morgen, als mir Rai Südtirol verkündete, dass zwei Drittel der Südtiroler*innen „die meiste Zeit glücklich, gut gelaunt und entspannt“ sind. Und das im Jahr 2021, nach einem Jahr Corona, zig Toten, einigen Lockdowns und mit einem nach wie vor recht ungewissen Ausblick auf die mutationsfreudige Zukunft. „Das Glück ist ein Vogerl“, sagt der Wiener, unstet und frei zu kommen und zu gehen, wie’s ihm passt. Nicht so das Glück der Südtiroler*innen, scheint’s: Das muss kein quirliger Sperling sein, sondern eine behäbige, fette Stadttaube, die, hat sie sich erstmal irgendwo niedergelassen, alles zuscheißt mit ihrer Glücklichkeit und keine Anstalten macht, wegzufliegen. Ich meine: glücklich. Die meiste Zeit. Da kann man nur neidisch sein. Ich bin nicht mal in wirklich guten Zeiten die meiste Zeit glücklich, einfach weil „glücklich“ ein großes Wort ist. „Es ist schwer, das Glück in uns zu finden, und es ist ganz unmöglich, es anderswo zu finden“, meinte etwa der französische Schrifsteller Nicolas Chamfort (1741-1794), aber er hatte es offenbar auch nie nach Haute Adige zu uns Glückskünstlern geschafft. Wobei: Ich muss gestehen, ich kenne diese Glückskünstler auch nicht. Wenn ich dieser Tage wen frage: „Wie geht’s?“, dann lautet die Antwort meist: „Ma, geat schun.“ „Wert schun giahn.“ Ist das schon Glück? Dann stapeln wir tief. So wirklich tiefenentspannt geht es in meinem Bekanntenkreis auch nicht zu, eher sitzt man seit Monaten auf Nadeln als auf einer rosa Wolke. Aber bestimmt kenne ich nur die falschen Leute. Die restlichen 30 Prozent eben. Die zwei Drittel happy Südtiroler*innen, die James Brown-mäßig an jeder Straßenecke zu ihrem Glück abtwisten, die entgehen mir einfach. Oder, wahrscheinlicher: Ich will sie nicht sehen. Es sind ja so viele, die könnte man ja gar nicht übersehen. Zwei von Dreien glücklich, gut gelaunt und entspannt: Wo versteckt ihr euch, zum Kuckuck? Teilt gefälligst euer Glück mit uns!
Wieso aber kenne ich nur ein paar glückliche Hanseln, wenn Südtirol damit überzugehen scheint?
Gut, je mehr ich drüber nachdenke, einige von ihnen kenne ich vielleicht doch. Die scheiden sich in genau zwei Kategorien: Da sind auf der einen Seite die unverbesserlichen Frohnaturen, die einfach nicht von ihrem Glück abzubringen sind. Die freuen sich über eine Corona-Infektion („Iatz hon i Antikörper!“) und die werden sich auch noch über den Klimawandel freuen („Geil, bold konn i Bananen züchten!“). Die gibt es, sie sind halt so. Mit viel Geduld hält man sie aus. Auf der anderen Seite sind die „Das ganze Leben ist ein Wettbewerb“-Kandidaten. Die sind auch glücklich, oder behaupten es zumindest, weil sie immer einen Tick weiter sein müssen: Ich habe kein Problem. Mir geht es gut. Ich mache alles richtig. Du nicht? Oooh. Sie sind nicht weiter ernst zu nehmen. Ihr Glück ist nur Fassade.
Wieso aber kenne ich nur ein paar glückliche Hanseln, wenn Südtirol damit überzugehen scheint? Es ließ mir keine Ruhe, wo ich doch sonst immer so stolz auf mein mannigfaltiges Umfeld bin. Also grub ich die ASTAT-Studie aus, aus der unser LH so euphorisch zitierte. Tja. Wenn man Glück bloß verordnen könnte wie einen dreiwöchigen Lockdown: „Gonna make you smile (Everbody happy now)!“, unterlegt mit dem passenden Soundtrack. Schön wär’s. Es gibt wohl einen Grund dafür, dass „in der öffentlichen Berichterstattung leider eher die negativen Entwicklungen in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt wurden“, wie Kompatscher bedauerte. Zum Beispiel jenen, dass die negativen Entwicklungen signifikanter sind als die zwei Drittel happy Südtiroler*innen. Dass die happy sind, ist auch gar nicht mehr so erstaunlich, wenn man sich ansieht, wann die Stichprobenerhebung durchgeführt wurde: Im Januar 2021, bezogen auf einen Zeitraum von zwei Wochen, und nicht etwa auf das vergangene Corona-Jahr. Im Januar war eventuell sogar ich etwas happy. Wir hatten Weihnachten mit der Familie gefeiert, durften ohne Rechtfertigungszwang im Land umherstreifen und hatten noch wenig bis keine Ahnung davon, dass uns schon bald nicht nur die Forsythien, sondern auch eine Inzidenz von über 800 blühen würde. Und auch sonst kommt Peter Koler, Direktor des Forum Prävention, in seinem beigefügten Fazit zur Studie zu einem etwas anderem Schluss als unser LH: „Eine bzw. einer von drei, und das ist nicht mehr die Randgruppe, wie wir sie sonst aus ähnlichen Befragungen kennen, ist in ihrem persönlichen Wohlbefinden angeschlagen. Gleich wie bei der Studie zum ersten Lockdown leiden Frauen und insbesondere die jüngste Altersgruppe am stärksten unter den veränderten Lebensbedingungen und den zusätzlichen Belastungen. Bei den 18-bis 29-Jährigen sinkt der Prozentanteil bei den Variablen „ausgeschlafen“, „aktiv“ und „Alltagsinteressen“ auf fast 50%“.
Ich bin nicht mal in wirklich guten Zeiten die meiste Zeit glücklich, einfach weil „glücklich“ ein großes Wort ist
Sollten wir uns darauf konzentrieren, dass es einem Drittel von uns gar nicht gut geht, und dass vor allem die Jugend zunehmend unter der Pandemie und ihren Folgen leidet? Oder sollen wir uns freuen, dass zwei Drittel von uns, vor allem die älteren Semester, im Januar eine verhältnismäßig gute Zeit hatten? Ich entscheide mich für Ersteres, aber ich bin auch ein alter Griesgram und freue mich erst dann über good news, wenn es wirklich uneingeschränkt solche sind, für alle. Und lobe mir eine öffentliche Berichterstattung, die dort hinleuchtet, wo sonst keiner hinschauen will. Auch wenn und grad weil’s weh tut.