Gesellschaft | Bildung

“Warum immer wir?”

Die Gewerkschafterin Angelika Hofer kritisiert die Forderungen des Familienbeirats zu den längeren Öffnungszeiten im Kindergarten.
Kindergarten
Foto: Pixabay

Die deutschsprachigen Kindergärten sollen (wieder) länger offen halten – und damit den Bedürfnissen der Familien entgegenkommen. Das verlangt der Familienbeirat des Landes in einem Positionspapier. Die Forderungen, die am Dienstag mit einer Aussendung über die Landespresseagentur öffentlich gemacht wurden, richten sich an Bildungslandesrat Philipp Achammer. Etwas kurios, steht dem Beirat mit Familienlandesrätin Waltraud Deeg doch eine Regierungs- und Parteikollegin Achammers vor.

Auf die Gründe für die reduzierten Öffnungszeiten, die es in den vergangenen Jahren in zahlreichen Kindergärten gegeben hat, und die den Familienbeirat besorgen, wird in dem Positionspapier nicht eingegangen. Eine zentrale Rolle spielt der chronische Personalmangel im Kindergarten, gepaart mit den geltenden Kriterien für die Beanspruchung des erweiterten Angebots, der in vielen Strukturen dazu geführt hat, dass die Betreuung am Nachmittag und am Freitag zurückgefahren wurde.

Darauf weist Angelika Hofer, Generalsekretärin der Fachgewerkschaft Öffentlicher Dienst im AGB/CGIL hin. In einer langen Stellungnahme kritisiert die Gewerkschafterin das Positionspapier des Familienbeirates, verwehrt sich dagegen, den Kindergarten als Betreuungseinrichtung zu betrachten und fordert ihrerseits “einen offenen Dialog”.

 

Die Stellungnahme im Wortlaut

 

“Der deutsche Kindergarten hat die Nachmittagsangebote nicht mit der Absicht reduziert, das Angebot für die Familien einzuschränken und sie damit in Schwierigkeiten zu bringen, sondern sie aufgrund der Anmeldungen, die die geltenden Kriterien erfüllten, eingerichtet. Die geltenden Kriterien sehen vor, dass Kinder auch nach der regulären Öffnungszeit im Kindergarten begleitet werden, falls die Eltern einer beruflichen Tätigkeit nachgehen. Also kann es nie und nimmer sein, dass der Kindergartenbereich gegen die Frauenerwerbstätigkeit ist, denn gerade diese familiäre Situation ist für die Zulassung zu den Nachmittagsangeboten ausschlaggebend.

Mit Erstaunen nehme ich den Forderungskatalog des Familienbeirates zur Kenntnis, der keine weitere Verschlechterung des Kindergartenangebotes, die Wiedereröffnung der Einschreibung für die verlängerten Öffnungszeiten auch am Freitagnachmittag und einiges mehr enthält. Kein Wort wird über die dafür benötigten Ressourcen verloren. Wir kämpfen schon seit Jahren für eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit des Kindergartenpersonals, die immer noch einem Verwaltungsstundenplan näher ist als jenem einer Bildungseinrichtung. Das Ausbildungsniveau der Kindergärtner*innen ist haargenau dasselbe wie für die Lehrer*innen in den Grundschulen, trotzdem gibt es massive Unterschiede. Früher oder später wird sich das Land schwer tun, noch ausgebildetes Personal für den Kindergarten zu gewinnen. Dieses Bewusstsein hat die Politik auch dazu veranlasst, zur Arbeitsreduzierung ein klares Versprechen abzugeben – daher meine Frage an den Familienbeirat: Wer deckt diese Verlängerungen im Kindergarten ab?

Befremdend wirkt die ständige Bezeichnung des Kindergartens als Betreuungseinrichtung. Die Mitglieder des Familienbeirates sind anscheinend über die bildungspolitische Entwicklung der Kindergärten nicht auf dem letzten Stand, wenn in seiner Aussendung ausschließlich von Betreuung und Betreuungsangeboten die Rede ist. Die Bildungsphilosophie in den deutschen Kindergärten ist auf die Ganzheitlichkeit des kindlichen Lernens ausgerichtet, wobei die Kinder von Anfang an in komplexe soziale Interaktionen eingebettet sind, einen eigenen Entwicklungsweg durchmachen, der von Differenzierung, Individualisierung und Beteiligung gekennzeichnet ist. Dieses Bildungskonzept ist doch wohl mehr als reine Betreuung und wird von dem pädagogischen Fachpersonal mit großer Begeisterung, Fachkompetenz und ständiger jährlicher Weiterbildung umgesetzt.

Die Öffnungszeiten im Kindergarten können nicht nur aus der Sicht der Familien gesehen werden, sondern auch aus der Sicht der Kinder und des Personals. Wenn es lediglich darum geht, die Kinder am Nachmittag betreut zu haben, ohne zusätzlichen Kostenaufwand, so müssen anderweitige Möglichkeiten angedacht werden. Es kann nicht sein, dass das pädagogische Fachpersonal stets die Lösung für familientechnische Anforderungen sein soll. Die von mir vertretene Fachgewerkschaft erwartet sich einen offenen Dialog, in dem eine umfassendere Sichtweise Platz finden kann und wo es an der Zeit ist, politische Versprechen endlich umzusetzen.”