Politik | Pflege & Gesundheit

Impfpflicht. Aber wie?

Gesetz ist Gesetz, aber die Umsetzung der Impfpflicht für Pflege- und Gesundheitspersonal steht den lokalen Sanitätsbetrieben zu. Ein Lagebericht.
Personale sanitario
Foto: (c) unsplash

Einladung, Pflichttermin und – sieht man von einer Impfung ab – Suspendierung.

Dies der per Gesetz verlangte Ablauf der Impfpflicht für das Pflege- und Gesundheitspersonal, die seit Anfang Juli greift. 161 Arbeitskräfte wurden – Stand Dienstag Mittag – bereits suspendiert. Weitere werden folgen. Doch nicht nur das Gesetz selbst wirft Probleme auf: Die Umsetzung des Gesetzes, die auf lokaler Ebene stattfindet, birgt Schwierigkeiten.

 

Privacy und Co.

 

Das Gesetz gibt klare Regeln vor. Die Umsetzung des Gesetzes auf lokaler Ebene steht aber den Sanitätsbetrieben der einzelnen Regionen und autonomen Provinzen zu. Eine Umsetzung, die, so der Sprecher der Krankenpfleger-Gewerkschaft “Nursing up” Massimo Ribetto, auch in Südtirol Fragen aufwirft. Einerseits das viel zitierte Problem der Privacy: Laut dem Garante per la Privacy, darf der Arbeitgeber erst dann über eine anstehende Suspendierung informiert werden, wenn diese aufgrund einer nicht ausreichend begründeten Impfverweigerung feststeht. Wie der Direktor der Rechtsabteilung des Südtiroler Sanitätsbetriebes, Marco Cappello, erklärt, wird die Nichteinhaltung der Impfpflicht gleichzeitig an die betroffenen Arbeitnehmer und -geber mitgeteilt. Sobald dieser formale Akt zur Nichteinhaltung der Impfpflicht eingeht, besteht ein formelles Verbot für den Arbeitnehmer Tätigkeiten auszuüben, die das Risiko einer Verbreitung des Virus bergen. Die Suspendierung greift ab dem darauffolgenden Tag.

 

Manche früher als andere

 

Hier schleicht sich jedoch ein zweites Problem in die Umsetzung des Gesetzes: Aus rein organisatorischen Gründen greifen die Suspendierungen für manche früher als für andere. Für Ribetto enthält diese Tatsache eine “mögliche Diskriminierung zwischen jenen, die bereits Anfang Juli suspendiert wurden, und jenen, die noch immer auf die erste Impfaufforderung warten.”

 

Auf die unterschiedliche Behandlung des zu suspendierenden Personals hingewiesen, verneint Cappello jegliche Art von Diskriminierung und nennt Gründe für die zeitlich versetzten Aufforderungen an die Mitarbeiter: “Wie sollen wir 3.500 Fälle, die mit ihren unterschiedlichen Problematiken alle einzeln analysiert werden müssen, gleichzeitig behandeln?” Da nicht alle Mitarbeiter über eine zertifizierte Mail Adresse (PEC) verfügen, sind circa 1500 Personen mittels Einschreibebrief kontaktiert worden. “Das kann natürlich länger dauern”, erklärt Cappello. Zudem seien die einzelnen Fälle auf Basis der angegebenen Motive für die nicht erfolgte Impfung schneller oder weniger schnell behandelt worden: “Von manchen haben wir überhaupt keine Antwort erhalten. Für diese Personen wurde relativ rasch ein Pflichttermin vorgemerkt. Andere Fälle bedürfen einer genauen Prüfung von Gründen und Tatsachen. Diese Prüfung wird von einer eigens eingerichteten Kommission – darunter auch medizinisches Personal – durchgeführt”, so Cappello. Reichen die angegebenen Gründe laut Prüfungskommission nicht aus, um von der Impfpflicht befreit zu werden, so wird ein Pflichttermin vorgemerkt. Wird dieser nicht wahrgenommen, folgt die Suspendierung. "Es besteht überhaupt keine Diskriminierung", so Cappello. "Wir versuchen die Suspendierungen so schnell wie möglich umzusetzen. Andere Regionen haben überhaupt noch niemanden suspendiert."

 

Fünf Tage Meldefrist

 

Laut Informationen von Salto.bz har der Sanitätsbetrieb in einigen Fällen die Begründungen nicht geimpfter Mitarbeiter nicht wahrgenommen. Cappello bestreitet das: “Jeder Fall, in dem sich die Mitarbeiter innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist von fünf Tagen zurückgemeldet haben, wurde genauestens geprüft”. Eine Tatsache, die nicht zuletzt die Einladung zum Pflichttermin bestätige: “Darin steht explizit, dass die angegebenen Motive – auf Basis der staatlich festgelegten Kriterien – als nicht ausreichend erachtet wurden.”

 

“Jeder Fall, in dem sich die Mitarbeiter innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist von fünf Tagen zurückgemeldet haben, wurde genauestens geprüft”

 

In der Sanitätsdirektion Bruneck hat man indes entschieden, in drei Fällen mit der Suspendierung der Mitarbeiter zu warten. Wie der Leiter der Sanitätsdirektion, Walter Amhof, erklärt, hätten die Mitarbeiter angegeben, vom Sanitätsbetrieb keine Antwort auf die Angabe von Gründen erhalten zu haben. Die Fälle wurden zur Überprüfung an den Sanitätsbetrieb weitergeleitet. Amhof zieht auch mögliche Fehler wie eine falsche Mail-Adresse in Betracht.

 

Noch nicht kontaktiert?

 

Und jene, die noch immer auf die erste Aufforderung zu Impfung warten? Cappello schließt die Möglichkeit, dass es ungeimpfte Mitarbeiter gibt, die noch nicht kontaktiert wurden, nicht aus. Bestätigen will er diese Information jedoch nicht. “Wir arbeiten mit einem von der Provinz erstellten Register. Wie per Gesetz vorgesehen, haben alle Arbeitgeber der Gesundheits- und Pflegeberufe eine Liste ihrer Mitarbeiter an die Provinz geschickt. Aus dieser Datenbank wurde ein Register der nicht geimpften Personen erstellt, die an den Sanitätsbetrieb weitergeleitet wurde. Sollte es Personen geben, die noch nicht kontaktiert wurden, dann deshalb, weil sie in unserem Register nicht aufscheinen”, erklärt Cappello. 

 

Noch kein einziger Rekurs?

 

Während in der Lombardei bereits 500 Menschen aus Pflege- und Gesundheitsberufen sich mit einem Rekurs an die Verwaltungsgerichte in Mailand und Brescia gewandt haben, ist dem Südtiroler Sanitätsbetrieb – Stand Dienstag Morgen – noch kein einziger Rekurs aufgrund der impfbedingten Suspendierungen bekannt. “Es ist verwunderlich, dass uns noch kein Rekurs erreicht hat”, so Cappello. Er vermutet, dass sich einige der Betroffenen an den Arbeitsrichter gewandt haben könnten: “Es kann sein, dass über den Arbeitsrichter Rekurse eingereicht wurden. Wir haben jedoch noch keinen Hinweis erhalten."

 

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Karl Trojer Fr., 09.07.2021 - 10:27

Mit der rigorosen Impfpflicht fürs Sanitätspersonal zu riskieren, dass wesentliche Sanitätsdienste mangels MitarbeiterInnen nicht mehr abgedeckt werden können, widerspricht dem verfassungsrechtlich gesicherten Recht auf Gesundheit.

Fr., 09.07.2021 - 10:27 Permalink
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Peter Gasser Fr., 09.07.2021 - 10:45

Antwort auf von Karl Trojer

... dasselbe gilt für ungeimpfte Personen im Umgang mit Kranken und Risikopatienten; und mit dem Umstand, dass das Sanitätspersonal vermehrt ausfallen würde, wenn sich diese an der Delta-Variante ungeimpft gegenseitig infizieren: positive dürfen auch nicht arbeiten.
Ob der Staat hier vorausschauend eventuell doch richtig abgewogen hat?

Fr., 09.07.2021 - 10:45 Permalink
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Profil für Benutzer Maria Theresia Christandl
Maria Theresia… Sa., 10.07.2021 - 07:52

Als langjährige Krankenkenpflegerin, Brotverdienerin über dem Sanitätsbetrieb beobachte ich mit Bauchweh den Umgang mit unserem Berufsbild. So werden kritische bedachte Kolleginnen mit Stammrollenvertrag einfach strafsuspendiert ohne Gehalt und Rentenversicherung anbei meist Frauen. Es gibt Gründe warum sie sich nicht zwangimpfen lassen. Warum wird nicht eine Alternative angeboten wie einen Abstrich magari immer vor Dienstantritt oder alle 48 Std?? Langsam jedenfalls meine Herrschaften hier wirds brenzlig. Die gutmütig oder wie Sie es wollen die Gesetztreuen werden mehr Dienste schieben, die Nachtdienste mit weniger Personal besetzt, die Krankenstände zunehmen, die Patientenbetten reduziert. Wie ich informiert bin, wird sowas in keinem europäischen Staat praktiziert. Aber wie der ehrenwerte Gesundheitslandesrat Widmann äußerte, es gebe keinen Personalengpass im Pflegebereich. Wen wundert es, wenn noch mehr Claudianaabgänger/Innen das nahe Ausland besonders die Schweiz zum Arbeitsplatz wählen. Jedenfalls bitte Herr Landeshauptmann erklären sie dieses Problem zur Chefsache zugunsten dieser Berufsgruppe, denn inzwischen ist der Applaus verklungen. Meine Augen sind noch müde vom letzten Nachtdienst. Stoppen Sie diese arbeitsrechtlich sehr fragwürdige Suspendierung und wenden Südtirols Autonomiestellung an, Testen ja, bei Positivität bleibt das Personal daheim aber kein Impfzwang!

Sa., 10.07.2021 - 07:52 Permalink
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gorgias Sa., 10.07.2021 - 09:05

Antwort auf von Maria Theresia…

>So werden kritische bedachte Kolleginnen mit Stammrollenvertrag einfach strafsuspendiert ohne Gehalt und Rentenversicherung anbei meist Frauen. Es gibt Gründe warum sie sich nicht zwangimpfen lassen.<
Was hat denn hier bitte die Stammrolle zu tun? Fahrlässiges Verhalten bleibt fahrlässiges Verhalten. Was für Gründe meinen Sie überhaupt? Eigene gesundheitliche können es nicht sein Sofern jemand zu einer Risikogruppe gehört, gibt es keine Suspendierung.

>Warum wird nicht eine Alternative angeboten wie einen Abstrich magari immer vor Dienstantritt oder alle 48 Std?? <
Das ist kein gleichwertiger Ersatz zur Impfung.

>Wie ich informiert bin, wird sowas in keinem europäischen Staat praktiziert.<
In Frankreich schon.

Die Delta-Variante steht vor der Tür und man muss sich mit sowas herumschlagen.

Sa., 10.07.2021 - 09:05 Permalink
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Profil für Benutzer Manfred Klotz
Manfred Klotz Sa., 10.07.2021 - 11:52

Antwort auf von pérvasion

In der BRD beispielsweise gibt es zwar kein Gesetz, das Sanitätspersonal verpflichtet sich impfen zu lassen, aber einerseits sind wir uns glaube ich alle einig, dass dort die Mentalität verschieden ist (auch bezüglich ethischer Grundsätze) und zweitens braucht es so ein Gesetz gar nicht, denn es gibt dennoch bereits arbeitsrechtliche Konsequenzen, wenn sich Sanitätsbedienstete nicht impfen lassen.
"Wenn es überhaupt keine Einsatzmöglichkeiten mehr gibt für einen solchen Beschäftigten, der sich nicht hat impfen lassen, dann käme als schlimmste Konsequenz die personenbedingte Kündigung in Betracht." Prof. Richard Giesen, LMU München

Sa., 10.07.2021 - 11:52 Permalink
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Profil für Benutzer pérvasion
pérvasion Sa., 10.07.2021 - 12:18

Antwort auf von pérvasion

Hier ein Beitrag über die Situation in Deutschland: https://www.rnz.de/nachrichten/metropolregion_artikel,-kliniken-der-reg…

Selbst da wo härter durchgegriffen wird, geht es nur um die Entlassung nach der Probezeit und um die Verlängerung/Entfristung von Arbeitsverträgen. Geltende Arbeitsverträge scheinen nicht aufgehoben oder gar aufgekündigt zu werden. Die meisten Arbeitgeber beschränken sich auf nachdrückliche Empfehlungen und Anreize.

Wichtig ist (genau so wie übrigens in Frankreich), dass 80% der Belegschaft geimpft wird — nicht 100% wie hierzulande, wo man das Kind mit dem Bade ausschüttet.

Sa., 10.07.2021 - 12:18 Permalink
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Peter Gasser So., 11.07.2021 - 10:48

es gibt jene, welche gern *in der Sache* argumentieren und den Disput lieben, und andere, welche den Streit ad personam suchen und - gern abwertend - *über andere urteilen*... aber so ist der Mensch...
.
... und auch dies - mit diesen anderen umzugehen und dabei gut & freundlich zu bleiben - ist eine wertvolle Übung, daher besten Dank.

So., 11.07.2021 - 10:48 Permalink
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Profil für Benutzer Stefan S
Stefan S So., 18.07.2021 - 10:28

So wie die Impfpflicht derzeit zaghaft in einigen Ländern angewandt wird hat diese keine messbaren Auswirkungen auf den Verlauf der Pandemie. Bisweilen ist hier keine logische Konsequenz zu erkennen und eine kleine bedeutende Berufsgruppe muss hier als Spielball der Politik herhalten. Das ist weder fair noch gerecht.

So., 18.07.2021 - 10:28 Permalink