Wirtschaft | Milch

Bergmilch aus Belgien

Exklusiv die geheime Liste der Milchimporte. Erstmals lässt sich detailliert nachzeichnen was und wieviel Südtirols Milchhöfe aus dem Ausland importieren.
Importe
Foto: salto, bz
Joachim Reinalter ist gleichzeitig Spieler und Schiedsrichter.
Als Obmann der Südtiroler Genossenschaft Bergmilch, die die drei Milchhöfe Mila, Senni und Burgeis vereint, steht er Südtirols größtem Verarbeitungsbetrieb für Milch vor. Als Obmann des Südtiroler Sennereiverbandes hingegen ist er zuständig für die Qualitäts- und Herkunftskontrolle der Milch. Es ist eine komfortable Doppelrolle eines Kontrollierten, der gleichzeitig auch Kontrolleur ist.
Diese Konstellation macht auch verständlich, warum sich der Sennereiverband bisher standhaft weigert die genauen Daten der Milchzukäufe und Importe in Südtirol herauszugeben. Nach zwei Landtagsanfragen des Freiheitlichen Obmannes Andreas Leiter Reber verwies der Sennereiverband auf das Betriebsgeheimnis und der zuständige Landesrat Arnold Schuler musste zugeben, dass das Land diese Zahlen nicht kennt. „Hier führt man den Landtag und die Öffentlichkeit an der Nase herum“, ärgert sich Leiter Reber.
Wir haben Herrn Leiter Reber eigentlich die ganzen Daten geschickt, die in unserem Besitz sind“, konterte der Obmann des Sennereiverbandes am vergangenen Samstag in einem Fernsehinterview mit RAI Südtirol. Es ist eine Frotzelei. Und dann präzisiert Reinalter: „Wir haben auch die Importe, die wenigen Importe, die Südtirol noch praktiziert, geschickt“.
Gemeint ist damit jene Antwort, die Arnold Schuler auf die Anfrage der Freiheitlichen gegeben hat.  „Die Landesregierung kann nun mitteilen, dass die Milchhöfe Brimi, Sterzing und Burgeis im Milchwirtschaftsjahr 2018/2019 insgesamt 20.578.802 kg Milch und im Milchwirtschaftsjahr 2019/2020 insgesamt 18.634.578 kg Milch aus Deutschland und Österreich bezogen haben“ heißt es dort.
 
 
Wie die „wenigen Importe, die Südtirol noch praktiziert“ (Reinalter) in Wirklichkeit ausschauen, lässt sich jetzt detailliert nachzeichnen. Denn Salto.bz kann jene Daten vorlegen, die der Südtiroler Sennereiverband anscheinend nicht hat.
Salto.bz kann jene Daten vorlegen, die der Südtiroler Sennereiverband anscheinend nicht hat.
Die Daten kommen aus einer lange geheim gehaltenen Liste aus dem italienischen Gesundheitsministerium, aus der genau hervorgeht, was und wieviel Südtirols Milchhöfe aus Österreich, Deutschland und anderen EU-Ländern importieren. Es sind nicht nur die bisher angegebene Menge an Tankmilch, sondern auch mehrere Millionen Kilogramm an Rahm, sowie Hundertausende Kilo an Frisch-, oder Weich- und Hartkäse.
 

Die Liste

 
In Italien ist der tierärztliche Dienst für die Aufsicht über die Produktion von Milch und die Verarbeitung derselben sowie die Herstellung und den Vertrieb von Milch und Milchprodukten zuständig. Diesem Dienst muss auch jeder Import von Milchprodukten aus dem Ausland, sei es im Rohzustand als auch in verarbeiteter Form gemeldet werden.
Weil der tierärztliche Dienst zur Sanität gehört, landen die Daten über die Importe in einer Datenbank im Gesundheitsministerium. Die Datenbank wird viermal im Jahr ajourniert.
Jahrelang war diese Liste streng geheim. Der zuständige Generaldirektor für Tiergesundheit im Gesundheitsministerium Silvio Borrello weigerte sich strikt Einsicht in die Liste der Milchimporte zu geben. Als vor eineinhalb Jahren das RAI-3-Fernsehmagazin „Report“ einen Bericht über die Milchimporte machte, rechtfertigte der oberste Tierarzt Italiens die besondere Diskretion mit genau demselben Argument, das jetzt der Südtiroler Sennereiverband vorbringt.
Der italienische Bauernverband „Coldiretti“ zieht gegen diese Auslegung vor Gericht und gewinnt die Klage. Borrello muss die Liste zugänglich machen. Weil es in der Klage aber nur um einen bestimmten Zeitraum geht, rückt das Gesundheitsministerium nur die Daten aus dem 2. Trimesters des Jahres 2017 heraus. Das heißt, die Importe vom 1. April bis zum 30. Juni 2017.
 
 
In dieser Liste finden sich mehr als 1.800 Produzenten, Händler und Wiederverkäufer, die Milch oder Milchprodukte aus dem Ausland importieren. Darunter auch 63 Unternehmen aus Südtirol, die in diesen drei Monaten genau 49.661 Importmeldungen nach Rom übermitteln.
Diese fast unglaubliche Zahl erklärt sich dadurch, dass diese Meldepflicht sowohl für Großimporteure wie die „Gramm Spa“, „Stuffer Spa“, „Peri Spa“, „Wörndle Interservice“ oder „Gastrofresh“ als auch für Handelsketten wie „MPreis“, „Metro“ oder „Aspiag“ gilt. Ebenso für den Rittner Waffelhersteller „Loacker“.
 

Vergessener Milchriese

 
Besonders interessant dabei sind aber die Importe der Südtiroler Milchhöfe.
Die Importzahlen, die Landesrat Arnold Schuler, in seiner Antwort auf die freiheitliche Landtagsanfrage nennt, kommen vom Sennereiverband. Es fällt auf, dass darin nur die Milchhöfe Brixen, Sterzing und Burgeis genannt werden.
Hat Joachim Reinalter hier den Milchriesen, dem er vorsteht, zufällig „vergessen“? Oder importiert Südtirols Milchkoloss Bergmilch nichts?
Auch hier findet man in der römischen Liste unbequeme Antworten.
 
 
 
Die Genossenschaft Bergmilch machte vom 1. April bis zum 30. Juni 2017 insgesamt 91 Importmeldungen. Also mehr oder weniger eine Importmeldung pro Tag. So führte man in dieser Zeit 575.000 Kilo Frischmilch aus Deutschland ein. Dazu muss man auch die Milchimporte der kleinen Sennereigenossenschaft Burgeis zählen, die ebenfalls zur Bergmilch gehört. Immerhin führte die Vinschger Tochter in diesen drei Monaten weitere 162.000 Kilo Frischmilch aus Österreich ein.
Die Genossenschaft Bergmilch importiert aber auch verarbeitet Milchprodukte aus Österreich. Im zweiten Trimester 2017 waren es 29.211 Kilogramm Frischkäse und 3.327 Kilo Hart- und Weichkäse.
Besonders auffallend aber ist die massive Einfuhr von Rahm (Crema di latte). Rahm wird bei der Herstellung von Butter und Käse, aber auch als Sahne verwendet. Bergmilch lässt den gesamten importierten Rahm an den Brunecker Milchhof Senni liefern. So werden allein in den drei Monaten 2017 550.000 Kilo Rahm aus Deutschland, 400.000 Kilo aus Belgien und 44.783 Kilo aus Österreich importiert.
Rechnet man das auf das Jahr hoch, kommen gut 4,5 Millionen Kilogramm Rahm zusammen, die Bergmilch aus dem Ausland importiert.
Weil alle bisher immer nur nach den Milchzukäufen gefragt haben, hat man das einfach unter den Melkstuhl fallen lassen.
 

Brixner Deutscherella?

 
Der Brixner Milchhof Brimi ist vor allem durch seine Mozzarella-Produktion erfolgreich. Aus der Liste geht hervor, dass die Brimi in diesen drei Monaten 2017 sogar 168 Importmeldungen ins Gesundheitsministerium machte. So wurden insgesamt 1.337.000 Kilogramm Frischmilch importiert. 377.000 Kilo aus Österreich und 959.000 Kilo aus Deutschland. Auch der Brixner Milchhof importierte 52.000 Kilo Rahm aus Deutschland, sowie 5.220 Kilo Frischkäse und 1.658 Kilo Hart- und Weichkäse aus Österreich.
 
 
Allein der Milchhof Sterzing importierte in diesen drei Monate fast 4 Millionen Frischmilch. 3.528.783 Kilo davon kommen aus Österreich. Das liegt daran, dass der Sterzinger Milchhof seit 2013 einen Liefervertrag mit der Milchgenossenschaft Wipptal-Stubai hat. Über 200 Nordtiroler Bauern liefern ihre Milch über den Brenner nach Sterzing. Auch diese Lieferungen gelten verständlicherweise als Importe. Der nördlichste Südtiroler Milchhof produziert selbst keinen Käse. Dafür führte er in diesen drei Monate 3.600 Kilo Frischkäse und 1.162 Hart- oder Weichkäse aus Österreich ein.
Auch die Algunder Sennerei importierte in dieser Zeitspanne rund 5.000 Kilo Käse aus Österreich.
 

Milch aus Südtirol

 
Die Liste und die angeführten Zahlen sind heute über vier Jahre alt. Dennoch lassen sie direkte Rückschlüsse auch auf die aktuelle Situation zu. Denn der Milchmarkt hat sich kaum verändert. Die Importe haben nicht abgenommen.
Wo der belgische Rahm oder die deutsche Tankmilch, die an die Südtiroler Milchhöfe geliefert werden, letztlich aber landen, das bleibt bis heute ein Geheimnis des Glaubens. Finden wir sie auch im Südtiroler Bergkäse oder in einem Produkt, das zu „100 Prozent aus Südtiroler Bergmilch“ besteht?
Die offizielle Version der Milchhöfe lautet: Die importierte Milch würde nur für Produkte verwendet auf denen weder die Herkunftsbezeichnung Südtirol noch das Südtiroler Qualitätssiegel prangt. Aber genau das kontrolliert bis heute niemand.
Zudem sprechen wir hier nur von den Importen aus dem Ausland. Interessant wird es aber dann, wenn in Zukunft auch die Zukäufe aus anderen italienischen Regionen genau deklariert werden müssen.
Dann wird klarer, ob dort wo Südtirol draufsteht, wirklich nur Südtirol drinnen ist.
So wie es Joachim Reinalter und der Sennereiverband behaupten.

Mich würde ja immer noch das Bezeichnungsrecht bei Milch interessieren. Denn erst wenn dieses gebrochen wird, entsteht der Skandal. Wenn die "Bergmilch" nur als Händler auftritt und auf den Produkten nicht "Südtirol" steht, ist das ja u.U. legal. Wie beim Wein: Dort kann ich auch Weine aus Spanien, Italien und Deutschland mischen, es muss dann halt auf der Flasche stehen: "Wein aus verschiedenen Ländern der EU". Herr Franceschini, oder Robert Zampieri: Wie ist das bei Milch geregelt?

Fr., 08.10.2021 - 09:25 Permalink

QUALITÄTSZEICHEN SÜDTIROL – L.G. 12/2005
Pflichtenheft für den Sektor Milch- und Milchprodukte
DEKRET NR. 4333 VOM 11.03.2021

Auszüge:

3. Herkunftsbestimmungen
Die gesamte Rohmilch, die zur Herstellung der Milch und Milchprodukte mit dem Qualitätszeichen „Qualität mit Herkunftsangabe“ verwendet wird, muss aus dem Land oder der Region, die auf dem Qualitätszeichen für die Herkunft steht, stammen, in den dortigen Produktions- oder Handelsbetrieben erzeugt, verarbeitet, abgepackt und von dort aus in den Verkehr gebracht werden. Ein Zukauf aus anderen Provinzen oder Ländern ist nicht zulässig. Wenn die Abpackung außerhalb des Betriebes erfolgt, bedarf es einer ausdrücklichen Genehmigung der zuständigen Landesabteilung.

1. Kontrollorgan
Das Kontrollprogramm wird für jede Erzeugniskategorie von einer unabhängigen und akkreditierten Kontrollstelle durchgeführt, die von der Vereinigung, der Organisation oder dem Konsortium der Erzeuger der jeweiligen Kategorie beauftragt wird und die Kompetenz zur Durchführung der Kontrollen nach den gültigen europäischen Normen nachweisen kann. Das Kontrollprogramm wird unter Beachtung der Pflichtenhefte durchgeführt, die für die verschiedenen Erzeugniskategorien vorgesehen sind. Die unabhängige Prüfeinrichtung überwacht die Einhaltung der Bestimmungen des Pflichtenheftes. Die unabhängige Prüfeinrichtung erfasst alle Daten und Ergebnisse und bewahrt sie auf

2. Qualitäts- und Herkunftskontrolle

Die Überprüfung der Qualität und der Herkunft erfolgt stichprobenweise im Betrieb selbst oder am Markt. Der Nutzer des Qualitätszeichens hat auf Anforderung der Kontrollorgane jederzeit genauen Nachweis über die Herkunft des mit dem Qualitätszeichen gekennzeichneten Produkts zu erbringen.
...Die unabhängige Prüfeinrichtung ist für die Durchführung der erforderlichen Produktanalysen verantwortlich. Die Produkte können sowohl im Erzeugerbetrieb als auch im Handel kontrolliert werden.

Fr., 08.10.2021 - 10:56 Permalink
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gorgias

Herr Franceschini,
ohne Ihrer journalistischen Leistung jetzt etwas abtun zu wollen, frage ich Sie, ob Sie zu einem späteren Zeitpunkt auch die Liste als Datei in einem Tabellenformat nachreichen werden, oder ob man sich bis auf weiteres mit einem Screenshot begnügen muss.

Fr., 08.10.2021 - 14:25 Permalink

Hochinteressant...viele kaufen aus Überzeugung keine Mila-Produkte, aber bewusst Südtiroler Milchprodukte - alles für (fast) die Katz. Also ist die Heumilch vom Meraner Milchhof auch nicht das, was sie verspricht?
"Die Frischmilch aus Deiner Nähe garantiert Frische und schützt die Umwelt."

Fr., 08.10.2021 - 14:53 Permalink

Es geht eigentlich nicht um die genaue Rechtsauslegung für Michverarbeitung bzw Rahmenbedingungen für Herkunftsangaben und deren Ausreizen.
Handel und Verbraucherrechte folgen allem Voran dem Grundsatz, dass Täuschung unlauter ist.
Und genau damit lässt sich oft erst die Wertschöpfung erzielen:
Dort einkaufen wo billiger produziert wird und dort verkaufen, wo eine andere Produktionsweise den Markt und damit den Preis geprägt hat.
Etikettenschwindel ist immer dann der Fall, wenn Abnehmer glauben, etwas anderes zu bekommen als sie wirklich erhalten.
Jede Wertschöpfungs-steigernde Angabe (Regionalitätsbezeichnungen oder zB Bilder, die Bioproduktion erwarten liesen) kann meist sehr manipulativ und kreativ abgewandelt werden.

Fr., 08.10.2021 - 15:57 Permalink

... es werden übrigens auch diverse Milchprodukte im Laufe des Produktionsprozesses quer durch Europa gekarrt. Gemolken in Kampanien, entrahmt in Bayern, zu Mozzarella-Kugelen geformt in Parma, abgepackt für XY in Augsburg und dann als Büffelmozzarella made in EU verkauft. Orte sind frei erfunden! ... so oder ähnlich hat es mir jedenfalls ein Tanklast-Fahrer aus Bayern erzählt, der sich in einer kleiner Straße in BZ verfahren hatte und Hilfe beim manövrieren benötigte.

Sa., 09.10.2021 - 19:57 Permalink

Mir kommt noch ein Gedanke: kein Land in der EU hat so protektionistische Maßnahmen in der Gemeinschaft durchsetzen können. Viele Produkte können nur mit Auflagen bzw unsinniger Extra-Verwaltung nach Italien geliefert werden. zB Fleisch, alkoholhaltige Produkte, Milch, etc
Aber selbst diese Sonderregelungen reichen den Betrieben nicht, da geht noch mehr.

So., 10.10.2021 - 18:15 Permalink

Meiner Meinung unterschätzt selbst der Raiffeisenverband den tatsächlichen Ankauf von Dritten. Kürzlich habe ich mir den Jux erlaubt, die verkauften Jahresmengen von Milch, Frischkäse, Käse und Joghurt in Kilogramm Milch umzurechnen. Das überschlägige Ergebnis konnte ich fast nicht glauben, denn es würden mindestens 550 Millionen Kilogramm Milch von Südtirols Milchhöfen verarbeitet, davon werden rund 400 Millionen Kilogramm von den hiesigen Milchbetrieben gestellt. Die Differenz von über 150 Millionen Kilogramm müsste daher aus Importen und aus Italien stammen. Bin gespannt, ob irgendwer mehr bieten wird?

Mo., 11.10.2021 - 20:06 Permalink