"Dass der Markt etwas löst, ist absurd"
Mit dem Zug reist Ulrike Herrmann, von Berlin nach Toblach und über Umwege wieder zurück, um ihre Idee zu präsentieren: Ein neues, antikapitalistisches System – eine Art Britische Kriegswirtschaft ab 1939 – soll das heutige, auf Wachstum basierende System ersetzen. Warum? Um den Planeten vor der Klimakrise zu retten. Dabei ist Herrmann, wie sie im Gespräch mit Salto.bz mehrmals betont, keine Kapitalismuskritikerin.
Ulrike Herrmann ist Wirtschaftsredakteurin der Taz, gelernte Bankkauffrau und Autorin. Letzte Woche war sie bei den Toblacher Gesprächen zu Gast.
Salto.bz: Frau Herrmann, die EU verfolgt den europäischen Green Deal, der das Wachstum fördern soll, aber auch die Emissionen radikal reduzieren will. Kann das gelingen?
Ulrike Herrmann: Nein. Denn der Grundansatz ist falsch. Man geht davon aus, dass es grünes Wachstum gibt; dass wir gleichzeitig die Wirtschaftsleistung steigern und die Emissionen senken können. Das geht nicht. Diese Art von Entkopplung gibt es nicht. Das wissen wir aus der Geschichte. Wenn wir Klimaschutz machen wollen, müssen wir schrumpfen.
Warum kann Wachstum nicht auf erneuerbaren Ressourcen aufbauen?
Wenn man Klimaschutz will, muss man auf Ökostrom umstellen. Aber Ökostrom wird knapp und teuer bleiben. Die meisten Leute denken: Die Sonne scheint doch immer, wo liegt das Problem? Aber man muss diese Sonnenenergie ja einfangen. Dafür gibt es letztlich nur zwei Wege: Wind- und Solarenergie. Aber der Wind weht nicht immer und die Sonne scheint nicht immer. Für diese Zeiten muss eine große Menge an Energie gespeichert werden. Doch diese Speichertechnologien sind technisch aufwendig, teuer und zum Teil noch gar nicht entwickelt. Wir werden also nicht genügend Ökoenergie haben, um weiter wachsen zu können. Dazu kommt: Wir müssen bis 2045 klimaneutral sein. Wir können also nicht auf irgendeine Wundertechnik setzen, die irgendwann vom Himmel fällt. Wir müssen auf die vorhandene Technik bauen, die aber nicht reicht, um grünes Wachstum zu befeuern. Dann bleibt nur grünes Schrumpfen.
Die Klimakrise verlangt also, dass die Wirtschaft schrumpft. Was bedeutet das?
Wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst, wird es schwierig. Denn der Kapitalismus ist ein System, das Wachstum erzeugt und Wohlstand produziert. Aber dummerweise braucht er auch Wachstum, um stabil zu sein. Wenn wir aber kein Wachstum mehr haben können, weil sich die Erde sonst zu stark erhitzt, heißt das nichts anderes, als dass wir aus dem Kapitalismus aussteigen müssen. Das ist schade. Der Kapitalismus war das einzige sozial-dynamische System der Menschheit, nie vorher gab es Wachstum pro Kopf. Ein tolles System. Geht leider trotzdem nicht.
Haben wir denn eine Alternative zum Kapitalismus?
Das Ziel muss eine Kreislaufwirtschaft sein, in der man nur noch das verbraucht, was man recyceln kann. Die entscheidende Frage ist aber, wie kommen wir dahin? Jetzt haben wir den dynamisch wachsenden Kapitalismus und die Vision ist eine Kreislaufwirtschaft, die kleiner und statisch wäre. Jetzt ist die Frage: Wie kommen wir dahin, ohne unterwegs eine riesige Krise zu produzieren, mit Millionen von Arbeitslosen, die alle total panisch sind und einen rechtsradikalen Diktator wählen? Mein Weg – nicht das Ziel – wäre eine Art britische Kriegswirtschaft ab 1939.
Britische Kriegswirtschaft ab 1939 – der Vorschlag klingt radikal.
Die Analogie trägt weiter, als man denken würde. Die Briten hatten ab 1939 das Problem, dass sie den Weltkrieg nicht hatten kommen sehen. Sie mussten also in schnellster Zeit aufrüsten, um gegen Hitler zu bestehen. Sie mussten daher die Friedenswirtschaft radikal schrumpfen, um die Fabriken für die Kriegswirtschaft – Radargeräte, Flugzeuge, U-Boote usw. – freizuräumen. Der Staat hat damals zwei Dinge getan: Er hat vorgegeben, was noch produziert werden darf. Und er hat rationiert. Die knappen Güter wurden also gerecht verteilt. Großbritannien war aber weiterhin eine Demokratie. Es gab keinen Sozialismus und keine Diktatur. Es war staatliche Planung auf makroökonomischer Ebene.
Staatliche Planung mit privaten Eigentümern?
Genau, es war kein Sozialismus. Im Sozialismus wird alles enteignet und eine riesige Planungsbehörde bestimmt die Abläufe in den Unternehmen bis zur letzten Schraube. In Großbritannien blieben Fabriken, Läden oder Restaurants in privater Hand. Es wurde vorgegeben, was produziert wird und wie viel davon. Wie das dann gemacht wurde, das konnten die Eigentümer weiterhin selbst entscheiden. Das hat extrem gut funktioniert.
Was ist denn der Ansporn der privaten Eigentümer, in so einem System zu produzieren?
Wer in so einem System nichts macht, hat kein Einkommen. Zudem sind technische Verbesserungen weiter möglich. Wer effizienter wird, indem er Energie oder Rohstoffe spart, kann auch mehr produzieren. Aber es geht nicht mehr um herkömmliches Wachstum, wie wir es bis jetzt haben, sondern es wäre eine Wirtschaft, die die Grenzen des Planeten berücksichtigt.
All das, was die Briten für die Kriegswirtschaft freigeräumt haben, müsste also weg, und nur was fürs Überleben nötig ist, kann bleiben? Was bedeutet das für die Arbeitsplätze?
Der Klimawandel wird viele neue Arbeitsplätze schaffen. Ich mache Ihnen ein Beispiel: Die Wälder, wie wir sie kennen, werden nicht überleben können. Für Birken, Kiefern, Buchen, Eichen oder Fichten wird es in Deutschland zu heiß. Dieser Prozess lässt sich schon gar nicht mehr aufhalten, die Bäume werden auf jeden Fall sterben. Es braucht also Aufforstungsarbeiten, was viele Leute beschäftigen wird. Auch müssen jetzt in Massen Häuser gedämmt werden, und es wird Personal für die ökologische Landwirtschaft gebraucht. Alle Menschen werden Arbeit haben. Aber das Einkommen wird schrumpfen.
Die Leute denken immer, dass ich dringend in einer Kriegswirtschaft leben möchte. So ist es nicht. Aber ich glaube, dass wir keine Alternative haben.
Spinnen wir die Analogie mit der Britischen Kriegswirtschaft nochmals weiter: Es gab damals einen konkreten Feind – Hitler – aber auch die Möglichkeit, diesen zu bekämpfen.
Hitler war natürlich eine konkrete Person und eine Bedrohung, die direkt vor der Haustür stand. Und die Briten waren überzeugt, dass sie den Zweiten Weltkrieg gewinnen würden. Der Sieg war für die meisten Briten überhaupt keine Frage. Ihre Perspektive war klar: Wir müssen uns alle reinhängen und anstrengen, aber irgendwann ist Hitler besiegt und dann geht es weiter wie bisher. Alles wird wieder schön: Wachstum, Kapitalismus, Wohlstand. Das ist jetzt natürlich anders. Wir werden auf Dauer schrumpfen müssen. Das ist eine völlig neue historische Situation.
Ein weiteres Problem: Deutschland oder Italien können nicht allein gegen den Klimawandel kämpfen.
Stimmt. Die Klimagase halten sich an keine Grenzen. Aber ich glaube, dass die globale Bereitschaft groß ist, sich für den Klimaschutz einzusetzen. So zynisch das ist, Deutschland oder Südtirol haben es ja noch gut! Sie liegen geographisch relativ weit im Norden und werden nicht so extrem aufheizen wie andere Gebiete. Fast alle anderen Regionen der Welt werden noch viel stärker vom Klimawandel betroffen als wir. Es gäbe also überall die Bereitschaft, etwas zu tun. Es fehlt aber das Konzept, auf das sich alle einlassen können.
Sie sprechen immer noch von einer Demokratie. Wie schaffen wir die demokratische Basis, um so eine Britische Kriegswirtschaft umzusetzen?
Noch fehlen die Mehrheiten, aber eines Tages wird es sie geben. Schon allein deshalb, weil die Klimakatastrophe immer schlimmer werden wird. Aber man wird zu spät anfangen. Das nötige Problembewusstsein wird erst eintreten, wenn der Klimawandel schon außer Kontrolle geraten ist. Wir haben vielleicht noch zehn Jahre, um zu verhindern, dass sich die Klimakrise verselbstständigt.
Worauf setzen Sie Ihre Hoffnung?
Ich bin Pessimistin. Aber das Gute ist, dass die Zukunft prinzipiell unsicher ist. Durch ein Wunder – obwohl ich eigentlich nicht an Wunder glaube – könnte es trotzdem so kommen, dass die Bereitschaft schneller vorhanden ist, ernsthaft mit dem Klimaschutz zu beginnen.
Sie setzen Ihre Hoffnung also auf ein Wunder und nicht auf die Aktivitäten von Einzelnen.
(lacht) Das muss ich zugeben.
Abgesehen von radikalen Lösungsansätzen gibt es auch Dinge, die innerhalb des Systems umsetzbar wären; eine CO2-Steuer zum Beispiel. Macht es denn Sinn, über solche systeminterne Lösungen zu diskutieren?
Die Co2-Steuer funktioniert nicht. Unsere Wirtschaft und das Wachstum basieren auf Klimaverbrauch. Wenn wir eine Co2-Steuer einführen, die hoch genug ist, um das Klima zu schützen, würde die Wirtschaft morgen zusammenbrechen. Also wird eine niedrigere Co2-Steuer eingeführt. Eine Tonne Co2 kostet in Deutschland derzeit 25 €. Das ist viel zu niedrig. Aber die Steuer soll ja nicht stören. Nur: Dann bringt dieses Instrument nichts. Das zweite Problem ist, dass eine Co2-Steuer die unteren Schichten mehr belasten würde als die oberen: Die Armen, die nicht sparen können, sondern alles ausgeben müssen, sind von indirekten Steuern am stärksten betroffen.
Dieses Problem könnte durch ein Energiegeld gelöst werden, das die Co2-Steuer an die Bürger zurückgibt.
Das ist der Vorschlag der Grünen – ich bin übrigens grünes Parteimitglied. Aber dann hat die CO2-Steuer fast gar keinen Effekt mehr. Der einzelne Flug nach Mallorca wird dann zwar teurer, aber dadurch, dass die Einnahmen an die Bevölkerung zurückgehen, hat man das Geld, um den teureren Mallorca-Flug zu bezahlen. Es ändert sich also nicht viel.
Trotzdem könnte es eine gerechte Maßnahme sein, weil jene, die die Umwelt am meisten belasten, für die Kosten, die sie produzieren, aufkommen müssen.
Stimmt. Trotzdem wäre die Maßnahme sogar kontraproduktiv. Das Geld, das Reiche bisher gespart haben, würde an die Armen, die bis dahin wenig Energie verbraucht haben, weitergegeben. So wird noch mehr Wachstum geschaffen als bisher. Das zeigt, wie paradox diese Wirkungen sind, wenn auf den Markt gesetzt wird. Wir müssen aus diesem System aussteigen: Kein freier Markt, sondern Rationierung. Rationierung ist nicht nur gerecht, sondern kann gleichzeitig steuern.
Diese Idee, dass der Markt etwas löst, ist absurd. Immer wenn es schwierig wird, ist vom Markt keine Rede mehr.
Klammern wir die CO2-Steuer mal aus. Die EU setzt auf den Emissionshandel, um den Co2-Abdruck zu verringern. Eine brauchbare Maßnahme?
Das ist kompletter Schwachsinn. Der Emissionshandel ist allein deshalb schwierig, weil die Unternehmen nicht wissen, wie teuer welche Energie in einem gegebenen Moment ist. Dafür müssen wir gar nicht über den Klimawandel sprechen. Einerseits gibt es die schwankenden Emissionspreise, andererseits schwanken auch die Energiepreise. Die Unternehmen wissen also gar nichts. Es kann sein, dass der Ölpreis fällt und der Emissionspreis gar nicht auffällt, weil der Ölpreis gesunken ist. Insgesamt wäre es also Quatsch, auf grüne Energie zu setzen, weil Öl so billig ist.
Gibt es denn überhaupt systeminterne Lösungen, die funktionieren können?
Ja, eine Energiesteuer zum Beispiel. Diese gibt einen fixen Ölpreis vor, der stetig steigt, damit es sich lohnt, in erneuerbare Energien zu investieren. Ein Rechenbeispiel: Die Regierung könnte vorgeben, dass im Jahr 2030 ein Barrel Öl für die Endverbraucher 100 Dollar kostet. Und zwar egal, was auf dem Weltmarkt los ist. Wenn das Barrel auf dem Weltmarkt 30 Euro kostet, dann ist die Steuer 70. Wenn das Barrel auf dem Weltmarkt 70 kostet, dann ist die Steuer 30. So hätten die Unternehmen in der EU eine ganz klare Investitionsperspektive. Es bräuchte an der EU Außengrenze dann natürlich einen Grenzausgleich: Für Produkte, die außerhalb der EU verkauft werden, wird diese Steuer zurückerstattet. Und für Produkte, die importiert werden, wird eine zusätzliche Steuer erhoben. So kann die Wettbewerbsverzerrung vermieden werden. Aber wir müssen weg vom Emissionshandel, hin zur absolut fokussierten Steuer, die einen Preis vorgibt. Den Emissionshandel würde ich heute abschaffen. Aber es wurde bereits unheimlich viel Energie in diese Scheinlösung investiert: Börsen, Zuständige… Wir haben also nicht nur ein System, das sowieso keinen Klimaschutz macht, sondern in diesem System noch dazu das falsche Instrument.
Was nehmen Sie den von den Toblacher Gesprächen mit?
Die Toblacher Gespräche sind ein Ort, wo tatsächlich nach Lösungen gesucht wird. Für mich als Deutsche ist es noch dazu interessant, wie das Thema in anderen Ländern diskutiert wird. Sowohl in Südtirol als auch in Italien sind die Diskussionen andere als in Deutschland.
Und was geben Sie uns noch mit?
Die Leute denken immer, dass ich dringend in einer Kriegswirtschaft leben möchte, dass das mein persönliches Hobby ist und ich mir nichts Schöneres vorstellen kann. So ist es nicht. Aber ich glaube nicht, dass es eine Alternative dazu gibt.
Und Ihr Vorschlag, eine Art Britische Kriegswirtschaft ab 1939, wäre lebenswert?
Die Alternative ist: Der Planet heizt sich solange auf, bis wir nicht mehr darauf leben können. Sobald der Klimawandel so stark fortgeschritten ist, dass wir alle die Konsequenzen täglich spüren, werden staatliche Planung und Rationierung sowieso kommen. Die Betroffenen stehen dann alle beim Staat: Wie wird das Wasser verteilt? Wer kümmert sich um den Wiederaufbau nach Murenabgängen? Kein Mensch wird mehr vom Markt sprechen. Diese Idee, dass der Markt etwas löst, ist absurd. Immer wenn es schwierig wird, ist vom Markt keine Rede mehr. Das konnten wir auch bei den Überschwemmungen in Westdeutschland beobachten. Entweder wir führen also jetzt ein System der staatlichen Steuerung und Rationierung ein, um Klimaschutz zu betreiben - oder wir werden in einigen Jahren durch den Klimawandel dazu gezwungen.
interessante Thesen und wohl
interessante Thesen und wohl viel Wahrheit ...
Ich kenne die Thesen von
Ich kenne die Thesen von Ulrike Herrmann schon länger und finde das was sie in diesem Interview sagt durchaus plausibel. Der einzige Punkt, wo Sie sich widerspricht, ist wenn sie zwar Mindest- bzw. Fixpreise für Rohöl befürwortet, aber dies bei einer CO2-Steuer (Energie, Benzin usw. ) abtut. Wo ich ihr nicht zustimme ist, dass auch wenn Menschen die CO2-Abgaben wieder durch Pauschalbeträge zurück erhalten, werden Menschen trotzdem ihr Verhalten ändern. Denn die Kosten werden dann direkt mit dem Konsum verbunden sein und wenn Autofahrer beim Tanken, die Eurobeträge hochschnellen sehen, werden sich diese gut überlegen welche Fahrten sie in Zukunft mit dem Auto zurücklegen möchten. Shoppingfahrten nach Verona oder München werden dann nicht mehr so attraktiv sein. Und dass in den letzten Jahren der Flugverkehr so zugenommen hat, liegt vor allem daran, dass er so billig ist.
Wo ich mir schon jetzt eine stärke Regulierung wünschen würde, ist dass Produkte in Zukunft Mindeststandards in Bezug auf Haltbarkeit (ohne geplante Obsolezenz) und Reparierbarkeit erfüllen müssen, damit diese auf dem Markt zugelassen werden können. Die Herstellergarantie sollte von zwei Jahren auf fünf oder gleich auf zehn erhöht werden.
Des weiteren möchte ich anmerken, dass man an den Fragen sehen kann, dass sich der Interviewer intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt hat.
Ich teile die Meinung, dass
Ich teile die Meinung, dass die neoliberale "immer mehr, immer schneller-Wirtschaft" ehestens durch eine zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft mit breiter, sozialer Partizipation ersetzt werden müsste, um den Klimakollaps und die Schere "reich-arm" friedlich zu überwinden .
Antwort auf Ich teile die Meinung, dass von Karl Trojer
Mit wen teilen Sie einen
Mit wen teilen Sie einen Ansatz >mit breiter, sozialer Partizipation