Gesellschaft | Gastbeitrag
Bildungsnotstand in Sichtweite
Foto: (c)Pixabay
Kürzlich hat das ASTAT (ASTATinfo Nr. 54/09/2021) über die Entlohnungen im öffentlichen Dienst informiert und dabei einen Fokus auf die Schulen geworfen. Im Zeitraum zwischen 2014 und 2019 haben die öffentlich Bediensteten der Schulen einen Reallohnverlust von 2,5 Prozent hinnehmen müssen. Möglicherweise konnten die jüngst abgeschlossenen dezentralen Landeskollektivverträge eine weitere Öffnung der Schere verhindern, der bereits erlittene Reallohnverlust der Vorjahre wurde aber nicht ausgeglichen.
Sehr schmerzhaft für die Lehrer:innen ist die Tatsache, dass das Jahresbruttoeinkommen im Vergleich zu anderen öffentlichen Tätigkeiten niedrig ist. Verliert ein niedriges Einkommen auch noch an Kaufkraft, dann trifft das die Betroffenen besonders hart.
Besonders hart werden die Schulen von der anrollenden Pensionierungswelle getroffen. Die Babyboomer-Jahrgänge aus den Sechziger Jahren schicken sich an, in den Ruhestand zu treten. Die freien Stellen sollten von Jahrgängen aus den Neunziger Jahren besetzt werden, was rein rechnerisch schwierig ist.
Im Zeitraum zwischen 2014 und 2019 haben die öffentlich Bediensteten der Schulen einen Reallohnverlust von 2,5 Prozent hinnehmen müssen.
Kamen in den Sechzigern noch 9000 Personen pro Jahr auf die Welt, waren es in den Neunziger Jahren nur mehr 5000. Nachdem heutzutage Vollbeschäftigung herrscht, kann über den Daumen gepeilt nur mehr jede zweite freie Stelle nachbesetzt werden. Das heißt in anderen Worten, Arbeitssuchende können unter mehreren Angeboten auswählen: Die Logik der Vergangenheit, dass Arbeigeber Arbeitnehmer:innen aussuchen wird auf den Kopf gestellt, Arbeitnehmer:innen suchen sich zukünftig den Arbeitgeber aus.
Es entsteht also Wettbewerb um die besten Köpfe und um die attraktivsten Stellen. Die Attraktivität einer Arbeitsstelle wird mittlerweile über ein gutes Einkommen und über Faktoren wie Arbeitsklima, Freizeit und Smart Working definiert. Jene, die das beste Gesamtangebot haben, machen das Rennen um die Arbeitskraft. Ob die Schulen dabei mithalten können, ist fraglich.
Was ist aber zu tun? Erstens bräuchte es dringend ein Finanzierungspaket, um die Gehälter der Lehrer:innen auf ein gutes Niveau zu bringen. Kurz- bis mittelfristig wäre das Lohnniveau um mindestens 30 Prozent anzuheben, um nur einigermaßen mit anderen Sektoren und mit den benachbarten deutschsprachigen Regionen mithalten zu können.
Und zweitens bräuchte es „Age Management“ an den Schulen. Wie kann es gelingen, pensionsberechtigte Lehrer:innen noch einige Zeit an den Schulen zu halten? Dafür braucht es kreative Lösungen, die von Schule zu Schule auch unterschiedlich ausfallen können. Die Schulführungskräfte sind dabei besonders gefordert. Bereits eine leichte Streckung der Pensionswelle, könnte dem Bildungssektor helfen.
Der Ball liegt bei der SVP-Lega-Landesregierung, möge sie ihn nicht verstolpern.
Und was macht zurzeit die Landesregierung? Sie verhält sich wie das Kaninchen vor der Schlange: Die Gefahr des Bildungsnotstandes wird zwar gesehen, aber die Bildungspolitik wirkt erstarrt. Dabei gilt es rasch zu handeln. Eine mutige Bildungsinititative bestehend aus einem Finanzierungspaket und neuen organisatorischen Ansätzen wie Age Management oder Smart Working ist zu lancieren. Dafür müsste die üppige Investitionsquote des Landeshaushaltes um ein paar Prozentpunkte gesenkt werden. Nur so kann der drohende Bildungsnotstand abgemildert werden.
Der Ball liegt bei der SVP-Lega-Landesregierung, möge sie ihn nicht verstolpern.
Hanspeter Staffler war Generaldirektor der Südtiroler Landesverwaltung und sitzt seit 2018 für die Grünen im Südtiroler Landtag.
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Das Gesagte trifft auch auf
Das Gesagte trifft auch auf die Landesangestellten zu.
Wieso werden einige
Wieso werden einige Abteilungen, wie die pädagogische Abteilung nicht neu konzipiert? Da gäbe es ja personelles Potential. Aber noch wichtiger, dass dem Beruf des Lehrers die nötige Wertschätzung entgegengebracht wird. Die meisten Junglehrer bleiben im Ausland oder wechseln in die Wirtschaft. Wir brauchen dringend gute Lehrer die auch von Ihren Fach (MINT Fächer) was verstehen bzw. reale berufliche Erfahrungen außerhalb der Schule aufweisen können. Bzgl. Bildung gibt es in Südtirol kein Plan, es ist echt enttäuschend, dass Bildung in diesem Land keine so einen niedrigen Stellenwert aufweist. Ich beurteile es weil ich die Systeme von FIN, NEU, AUT gesehen und erfahren habe..
Der Bildungslandesrat hat auch von einigen LP das folgende Schrieben erhalten.......Reaktion = 0
Die Antwort der Lehrpersonen der staatlichen Schule auf ein Schreiben mit der Betreffzeile: „ein [sic!] Dank“
von Bildungslandesrat Philipp Achammer, das am 07.01.2021 per E-Mail an die Lehrerschaft ging. Das vorliegende Antwortschreiben ist im Pastiche-Verfahren gehalten; Elemente des originalen Schreibens von Herrn Achammer werden zitiert, aufgegriffen und fortgeschrieben.
25.01.2021
Geschätzter Bildungslandesrat
,
ja, „seit uns die Corona-Pandemie vor knapp einem Jahr erfasst hat, reagiert der
Schulbetrieb flexibel auf das Infektionsgeschehen und auf die schulischen
Herausforderungen durch die Pandemie“. Es wird improvisiert, was geht, es wird an Idealismus mobilisiert, was die Austeritätspolitik der regierenden Partei(en) in den vorhergegangenen Jahren noch nicht mürb genug gemacht hat. Gerne präzisieren wir: Die starke Schulgemeinschaft und die bestmögliche Gestaltung des Fernunterrichts sind dabei nicht auf Unterstützung durch die Politik zurückzuführen.
Unser „Einsatz“ und unsere „außergewöhnliche Leistung“ werden alle Jahre wieder um die Weihnachtszeit in Ihren blumigen Schreiben gelobt. Ihre verbalen Ankündigungen und Dankesbekundungen vermögen –falls tatsächlich ernst und nicht etwa ironisch gemeint–kaum über veraltete Arbeitsgeräte, nicht vorhandene oder zu langsame Internetverbindungen, von uns selbst geleistete Eigenaufwendungen für Bücher und Büromaterial (alles teilweise finanzierbar durch die uns nie zugestandene carta docente) und unzureichend ausgestattete Lehrerzimmer hinwegzutrösten. Vor allem aber trösten Ihre Versprechungen uns Staatslehrpersonen nicht über entgangene wie entgehende Be(i)träge
(z.B. durch die längstens überfällige Erneuerung des Landeskollektivvertrags, eine langsamere Karriereentwicklung sowie die fehlende Anerkennung der Landeszulage für die Abfertigung) im Vergleich zu dem landesbediensteten Lehrpersonal hinweg.
Die heiße Luft Ihrer Politikerworte heizt kein einziges der vielen tausend privaten Kämmerchen, deren Ausstattung schon vor Corona, aber auch jetzt, inmitten der Pandemie, ohne irgendwelche öffentlichen Zuschüsse für die Verrichtung der alltäglichen Arbeitsverpflichtungen des Südtiroler Lehrpersonals herhalten mussten und müssen.
Ja, wir sind es, die derzeit unter dem Risiko der Gesundheit „bestmögliche
Bildungschancen für alle gewährleisten“. Wir sind es, die die Tage an beiden Händen abzählen, an denen wir im Präsenzunterricht die spärlich vorhandenen FFP2-Masken auf ein Neues wiederverwenden oder uns für die weniger sicheren chirurgischen Masken entscheiden müssen. Und wir sind es auch, die jetzt noch immer mit einem realen Kaufkraftverlust von mehr als 10% seit der Finanzkrise 2008 hinter Pult und/oder Bildschirm sitzen. Wir sind es, denen –parallel fromm vertröstet mit Hinweisen auf unsere „wertvolle Arbeit“– weiterhin sämtliche staatlichen Lohnerhöhungen mit Lohnelementen des Landes gegenverrechnet werden.
Wir sind es, die sich Ihren „Sommergesang“ auch im Frühling, Herbst und Winter geduldig anhören müssen. Und wir sind es, die Ihre Hinhaltetaktik satthaben.
Und ja, Politiker*innen wie Sie sind es, die den Sparstift sehr großzügig bei denjenigen ansetzen, die sich kaum wehren können: unseren Kindern und unserer Jugend. Sie sind es, die durch Ihre fehlenden Investitionen in den Bildungssektor die Bildungsarmut tatsächlich fördern und zur folgenschweren gesellschaftlichen Realität werden lassen.
Sie sind es auch, der „zunächst erfolglose Vertragsverhandlungen“ mit den
Gewerkschaften mit Krokodiltränen bedauert und nicht Verantwortung für das taktische Hinauszögern und letztendliche Scheitern der Verhandlungen mit übernehmen kann. Und während Sie uns zugleich unsere eigene, jahrelang real stagnierende Gehaltssituation mit dem Versprechen einer kargen Einmalprämie schmackhaft machen wollen, genehmigen sich Politiker*innen wie Sie weniger sparsam fixe monatliche Gehaltsaufbesserungen.
Politiker*innen wie Sie sind es also, die an uns pädagogischen Fachkräften seit Jahren sparen. Gleichzeitig halten Sie aber im kürzlich medienwirksam präsentierten Strategiedokument Aktive Arbeitsmarktpolitik 2020-24 die Notwendigkeit der Fachkräftesicherung hoch.
Jetzt schon und noch mehr in den nächsten Jahren werden sich Politiker*innen wie Sie nicht ganz so plötzlich und unerwartet mit dem Mangel an jungen Lehrkräften auseinandersetzen müssen- allesamt nicht „gesicherte“ Fachkräfte, weil Sie diesen in Südtirol keinen ausreichend attraktiven Arbeitsplatz bieten. Unsere fertig ausgebildeten cervelli werden in Zukunft also immer öfter ins Ausland abwandern; und unsere Kinder und Jugendlichen, die noch auszubildenden cervelli, werden einen hohen Preis dafür zahlen.
Sie sind es, der wiederholt wenig fachkräftesichernd an unseren Idealismus appelliert ohne eine konstante, konkret greifbare, also pekuniäre Anpassung der Würdigung unserer Leistungen, die wir seit Jahren – nicht erst seit Corona– für unser aller, auch Ihr, Bildungssystem erbringen.
Politiker*innen wie Sie sind es, die uns immer wieder „Unklarheiten“ eingebrockt haben und uns doch „Vertrauen“ Ihnen gegenüber abringen wollen.
„An dieser Stelle: ein Dank“?
Wir sind Prof(i)s, und wir sind Kompromisse und Herausforderungen gewohnt. Dafür braucht uns keiner zu loben. Wir brauchen keine Durchhalteparolen. Wir brauchen keinen Applaus.
Wir erwarten uns, dass sich ein Politiker mit der Berufsbezeichnung Bildungslandesrat ernsthaft und nachhaltig für die Belange der Schule einsetzt. Wir erwarten uns von einem Bildungslandesrat, dass er nicht die Lobbys seines anderen Steckenpferdes Wirtschaft gegen die Schule, die Jugend und deren Eltern und auch uns Lehrpersonen ausspielt.
Damit entscheidet er sich stellvertretend für die Südtiroler Bevölkerung nämlich nicht nur gegen die Zukunft der Jugend und der Bildung im Allgemeinen, sondern auch klar gegen den Ausbau des Innovationspotentials und damit auch gegen die Potenzierung wirtschaftlicher Weiterentwicklung unseres Landes. Genau diese Art von Sparen wird die Allgemeinheit in naher Zukunft teuer zu stehen kommen.
„In diesem Sinne“ wünschen wir Ihnen „trotz dieser herausfordernden Zeit ein gutes neues Jahr 2021, weiterhin viel Kraft und Engagement“, und möge Ihnen uns gegenüber endlich das gelingen, was Sie uns Jahr für Jahr aufs Neue versprechen.
„Alles Gute!“
Hocherwartungsvoll
Das Lehrpersonal der staatlichen Schulen
Die Kommunikation läuft im
Die Kommunikation läuft im Bildungsbereich nur von oben nach unten. Alles, auch das Unrealistische wird auf die Lehrpersonen als unterstes Glied abgewälzt, natürlich ohne Frage. Alle noch so sachlichen und fundierten, und auch von vielen vorgetragenen Kritiken und Verbesserungsnotwendigkeiten, die nach oben getragen werden, um dringende Reformen oder Änderungen anzuregen, verhallen oder werden mit Nichtreaktion abgetan. Die Haltung ist abschätzig, ich unterstelle sogar bisweilen Arroganz, die Wertschätzung folgt dem Motto: das können die faulen Lehrer auch noch machen. Der Unterricht erfolgt nach bestem Gewissen, aber aufgrund der mittlerweile strukturellen Schwachstellen kann Unterricht nur noch nebenbei erfolgen. Der Lehrinhalt wird nebenbei vorbereitet (es bleibt zu wenig Zeit) und Hektik prägt die Atmosphäre rund herum. Lehrpersonen, die gut und gerne arbeiten sind frustriert, bewährte tolle Leute flüchten, sobald sie können in die Pension (nicht ohne vorher ihre sorgvolle Einschätzung über die derzeitigen Zustände den Jüngeren mitgeteilt zu haben). Das oft zitierte schwarze Schaf (komoter Lehrer), den es so vielleicht in längst vergangenen Tagen einmal gegeben hat, wird auch von den politisch Verantwortlichen als Bild aufrechterhalten, um eine ganze Berufsgruppe, die aus Idealismus bleibt und lehrt, zu diffamieren.
Antwort auf Die Kommunikation läuft im von Anna Renzler
genau die guten Lehrpersonen
genau die guten Lehrpersonen sind frustriert und viele dieser LP möchten den beruf wechseln....und dann bleiben die LP zurück welche 10Min statt 50Min Unterricht machen, die Unterlagen bzw. Stoff von 1950 lehren....selber erfahren, es werden Unterlagen welche 20a alt sind verteilt....da muss was passieren aber ich glaube der jetzige LandesR. hat keine Ahnung von GUTEN Unterricht bzw. Bildung
Antwort auf genau die guten Lehrpersonen von Albert Baekeland
Ach Himmel, es ist verspielt.
Ach Himmel, es ist verspielt...(längst)...
Dank an Hanspeter Staffler
Dank an Hanspeter Staffler für dieses Signal aus der Landespolitik und für die nachfolgenden Ergänzungen. Es ist bekannt, dass von der Regierungspartei SVP samt „Arbeitnehmer:innen“ und Lega und vom zuständigen dreifachen Landesrat für Wirtschaft, Arbeit und Bildung nur eine Unbedarftheit in Bildungsfragen demonstriert wird. Und auch die Bildungsdirektion in der Amba-Alagi-Straße übt sich darin, die unübersehbaren Defizite durch Beschweigen unter den Teppich zu kehren. In diesem Sinn wurde vor Jahren die pädagogische Abteilung (das ehemalige Pädagogische Institut) durchaus „neu konzipiert“, aber eben von oben nach unten, und auf Sparmodus gesetzt. Dort darf man an zeitgemäßen Lernprogrammen und Unterrichtskonzepten arbeiten, für die Umsetzung draußen fehlen aber die materiellen und strukturellen Bedingungen.
Die Schule ist durch den Ausnahmebetrieb in der Pandemie gelähmt und die zahlreichen Alarmrufe, allen voran die der Initiative Lehrerwunderland mit der Stimme von über 3000 Lehrkräften, werden mit Schulterzucken abgetan.
Die Chronik dazu ist über die folgenden Links und auch auf Salto nachzulesen: https://www.openpetition.de/petition/online/lehrerwunderland-suedtirol (siehe „Neuigkeiten“) und https://www.salto.bz/de/article/29092021/una-storia-di-successo
Es spricht einiges dafür, dass man die Ursachen für diese Entwicklung in einem völlig aus den Fugen geratenen Verhältnis zwischen öffentlichen, kollektiven und privaten Interessen suchen muss. Aber das ist der Stoff für eine andere Geschichte.