Umwelt | Interview

Apfelrebellen in Südtirol?

Der Regisseur Berndt Welz spricht über seinen Dokumentarfilm zum intensiven Apfelanbau in Südtirol. Eine Vorgeschmack auf die Fernsehpremiere am heutigen Abend.
Welz
Foto: Berndt Welz

Südtirol gilt als größtes zusammenhängendes Apfelanbaugebiet in Europa. Zehn Prozent der gesamten Apfelernte in der EU kommen von dort. Das sind fast eine Million *Tonnen Äpfel pro Jahr mit einem Umsatz von etwa 600 Millionen Euro. Zugleich steht das Land an der Spitze des Pestizideinsatzes in Europa: Bis zu 20-mal im Jahr werden die Plantagen bespritzt – natürlich nicht ohne Abdrift.

Ein Dokumentarfilm des deutschen Regisseurs Berndt Welz beleuchtet heute, am 9. November um 22:25 Uhr auf 3sat die Gefahren dieses intensiven Apfelanbaus und einen Streit, der – zum Schrecken der Südtiroler Tourismusmanager – Wellen in ganz Europa schlägt: Der Film "Südtirols Apfelrebellen – Zoff in Europas Obstgarten" erzählt vom großen Geschäft mit Äpfeln und dem Widerstand einer kleinen Bürgerbewegung. Salto.bz hat vorab mit dem Regisseur Berndt Welz gesprochen.

 

Salto.bz: Ihr Film dreht sich um den intensiven Apfelanbau in Südtirol. Wie sind Sie auf das Thema gestoßen?

Berndt Welz: Viele meiner Filme drehen sich um die Landwirtschaft und den Gebrauch von Pestiziden; vor allem in Bezug auf das Bienensterben habe ich hier einige Filme zum Thema gedreht. Die Südtiroler Intensivlandwirtschaft kommt natürlich ohne Pestizide nicht aus und häufig werden Dinge gespritzt, ohne, dass es ein Bewusstsein dafür gibt, wie diese Pestizide in die Umwelt eingreifen. Genau das versuche ich in meinen Filmen aufzuzeigen.

Stellt Südtirol diesbezüglich eine Ausnahme dar?

Nein. Alle EU-Länder sind betroffen. Aber Südtirol ist ein Beispiel dafür, wie hochintensiv Landwirtschaft sein kann. Pro Hektar werden in Südtirol rund 50 Tonnen Äpfel geerntet. In Deutschland liegt der Schnitt bei etwa 30 Tonnen pro Hektar. Und Deutschland ist sicher kein Klassenprimus, wenn es um den Einsatz von Pestiziden geht. Aber in Südtirol hat sich die ganze Sache so entwickelt, dass die Pestizide eine Garantie dafür sind, dass es kaum Ausfälle wegen irgendwelchen Schädlingen geben wird, dass sich die Bauern also eigentlich auf eine 100%ige Ernten verlassen können.

 

Pro Hektar werden in Südtirol rund 50 Tonnen Äpfel geerntet. In Deutschland liegt der Schnitt bei etwa 30 Tonnen pro Hektar.

 

Warum hat sich die Landwirtschaft in Südtirol so stark in diese Richtung entwickelt?

Das hat vor allem mit der Geschichte zu tun. Noch vor einigen Jahrzehnten war es durchaus legitim, die Bergbauern zu unterstützen. Die Landwirtschaft ist hoch oben in den Steilhängen natürlich schwieriger und die Erträge weit geringer. Den Menschen ging es wirtschaftlich tatsächlich nicht so gut. Durch den intensiven Apfelanbau, der sich Ender der 1980er-Jahre entwickelt hat, hat man eine Möglichkeit gefunden, dieses Problem zu lösen. Und das Genossenschaftssystem hat zum wirtschaftlichen Aufschwung beigetragen. Gleichzeitig hat es aber auch dazu geführt, dass die Apfelbauern selbst zu den Opfern dieser Genossenschaften wurden: Sie müssen die Sorten anpflanzen, die die Genossenschaften vorgeben. Zudem habe ich das Gefühl, dass weite Teile der Bevölkerung hier nicht wirklich aufgeklärt sind, was die Gefahren in einer intensiv geführten Apfelplantage betrifft.

 

Können Sie hier einige dieser Gefahren skizzieren?

Man muss wissen, dass die Zulassungsverfahren von Pestiziden in der EU in weiten Teilen völlig intransparent sind. Beispielsweise dürfen die Hersteller ihre eigenen Wirkstoffe in Studien für die Zulassung testen und nicht ein neutrales Forschungsinstitut oder eine Behörde. In den so genannten Datenblättern stehen dann die potentiellen Gefahren. Das heißt, ob sie für Bienen gefährlich sind, karzinogene Stoffe enthalten, zu Hautausschlägen führen können, Atembeschwerden hervorrufen… Bei richtiger Anwendung sollte – laut Zulassungsbehörden – nichts passieren. Mittlerweile gibt es aber hunderte von Studien über zugelassenen Pestizidwirkstoffe, die zu ganz anderen Schlüssen über deren Gefahr für Mensch und Umwelt kommen. Die Pestizide werden dann erst nach vielen Jahren vom Markt genommen, weil sich herausstellt, dass man ihre Wirkung auf den Menschen, auf Insekten oder auf Bodenlebewesen unterschätzt hat. Auch in Südtirol wurden Gifte jahrelang versprüht, die heute verboten sind. Hier wohnen die Menschen ganz in der Nähe, touristische Radwege gehen durch die Plantagen und die gespritzten Gifte stauen sich in den engen Tälern. Wegen der geografischen Lage Südtirols sind die Gefahren, die durch den Einsatz von Pestiziden entstehen, also potenziert.

Und zwar nicht nur für Menschen…

Genau. Auch deshalb, weil sich Bienen und andere Tierarten nicht daranhalten, dass am soundsovielten Tag das Spritzverbot – das sie eigentlich schützen sollte – aufgehoben wird. Wenn die Bauern also am Tag, nachdem das Verbot aufgehoben wurde, aufs Feld fahren und heftig sprühen, dann befinden sich immer noch Millionen von Bienen zwischen den Bäumen. Der Obmann der Südtiroler Imker, Erich Larcher, ist vor Kurzem zum ersten Mal vor unsere Kamera getreten und hat gesagt: Wir wollen das nicht mehr, wir machen nicht mehr mit.

Und die Pestizid-Rückstände auf den Äpfeln selbst?

Die Äpfel haben selbst nur sehr wenige Rückstände. Man kann also nicht sagen, dass das, was wir essen, hochgiftig sei. Aber auch hier gibt es mittlerweile Studien, die vor einer Akkumulation chemischer Stoffe im Körper warnen.

 

Die Pestizide werden erst nach vielen Jahren vom Markt genommen, weil sich herausstellt, dass man ihre Wirkung unterschätzt hat.

 

Der Schwerpunkt des Films soll der finanzielle Hintergrund des intensiven Apfelanbaus sein; das heißt, Steuerbefreiungen, EU-Subventionen…

Genau. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU verteilt auch nach der Reform Milliarden an Subventionen auch an Betriebe, die einerseits die Umwelt und das Klima schädigen und andererseits diese Gelder vielfach auch gar nicht nötig haben. Weder bei der Förderung des ländlichen Raums noch bei den Flächenprämien wird hintergefragt, ob die Empfänger die Förderungen tatsächlich brauchen. Ich habe den Eindruck, dass die Genossenschaften in Südtirol mit dem Apfelanbau so viel Geld verdienen, dass sie die zweistellige Millionensumme, die sie an EU-Subventionen bekommen, gar nicht nötig haben. Sie nutzen aber natürlich das System aus. Das ist ja auch nicht illegal, aber es ist ein falsches System.

 

Was müsste getan werden, um hier einen Wandel zu bewirken? 

Zuallererst müsste ein Anreiz geschaffen werden, um auf einen ökologischen Anbau umzusteigen. Eine der Bäuerinnen, die im Film gezeigt wird, bringt die Sache auf den Punkt: Wenn sie Geld dafür bekommen könnte, eine Blumenwiese anzupflanzen, dann würde sie das auch machen. Natürlich gibt es auch die unverbesserlichen Landwirte, aber ich glaube, dass viele von ihnen mitmachen würden. Allein deshalb, weil viele selbst gerne darauf verzichten würden, Gift auf ihren Boden zu sprühen. Die europäische Agrarpolitik muss eine klimafreundliche, ökologische und nachhaltige Finanzierung der Bauern bewirken.