Wirtschaft | Start Europe Up

„Die EU hat schon einen CO2-Preis“

Selber Lebensstil, aber ohne CO2-Ausstoß? „ForTomorrow“ will EU-Bürgern das ermöglichen – mit einem Mechanismus, der seit 2005 besteht, aber kaum genutzt wird.
Bäume Pflanzen
Foto: For Tomorrow

Ruth von Heusinger, gelernte Physikerin, kam nach Jobs im Bereich der erneuerbaren Energien und der CO2-Kompensation zum Schluss: Wir müssen mehr Treibhausgase in Europa ausgleichen und reduzieren, anstatt nur im globalen Süden, denn in der industrialisierten Welt werden die meisten verursacht. Dafür gründete sie 2020 in Berlin das gemeinnützige StartUp „ForTomorrow“ und macht sich damit einen Mechanismus zu eigen, den es in der EU schon seit 2005 gibt, den aber wenige kennen und nutzen: Den Emissionshandel. Wir sprechen über den Handel mit CO2, und wie wir einer klimaneutralen Gesellschaft näherkommen können.

Dein StartUp ForTomorrow verspricht den Leuten: Ihr könnt jeden Tag CO2- neutral leben. Erklären wir zunächst einmal den Begriff: Was heißt es, CO2-neutral zu leben?

Ruth von Heusinger: Jeder Mensch hat einen CO2-Ausstoß, allein schon dadurch, dass wir atmen. Den werden wir also nie auf 0 kriegen. Aber wir müssen schauen, dass wir den in einem nachhaltigen Kreislauf produzieren. Also zum Beispiel wenn wir pflanzliche Nahrungsmittel essen, dann nehmen die Pflanzen das CO2 während sie wachsen auf, wir essen es, und atmen es dann wieder aus. Das ist ein Kreislauf. Problematisch wird es, wenn der Ausstoß von Treibhausgasen nicht ausgeglichen wird.

 

 

Wieviel CO2 dürfte jeder Mensch ausstoßen, um nachhaltig zu sein?

Das kommt darauf an: Je mehr CO2 wir aus der Luft holen, desto mehr können wir auch ausstoßen. Es muss ein ausbalancierter Kreislauf sein. Aber im Moment stoßen wir ganz viel CO2 aus, und holen nur wenig zurück. In Deutschland liegt der CO2-Fußabdruck durchschnittlich bei 10 Tonnen pro Person. Um klimaneutral zu werden, müssten wir auf unter 1 Tonne kommen.

Das klingt nach hartem Verzicht: Kein Fleisch, kein Auto, keine Flugzeugreisen.

Natürlich kann jeder seinen eigenen Konsum reduzieren, seine Ernährung nachhaltiger gestalten. Aber auf viele Dinge, die unseren modernen Lebensstil bestimmen, haben wir keinen Einfluss. Dazu gehört zum Beispiel die öffentliche Infrastruktur oder die Industrie. Da müssen wir also den CO2-Ausstoß, den diese Dinge verursachen, kompensieren.

Was macht ForTomorrow, um den CO2 Ausstoß der Menschen auszugleichen?

Die Leute können sich entweder ein Abo kaufen, um den durchschnittlichen CO2-Ausstoß für sich selbst zu kompensieren, oder sie können für ein Familienpaket zahlen. Weil wir ein gemeinnütziger Verein sind, kann man sich dieses Geld zum Teil von der Steuer wieder zurückerstatten lassen. Diese 10 Tonnen CO2 des Durchschnittsdeutschen kompensieren wir zu 50 Prozent über den europäischen Emissionshandel. Das heißt, wir kaufen 5 Emissionsrechte, die stehen für 5 Tonnen CO2.

Kannst du genauer erklären, wie dieser Emissionshandel in der EU funktioniert?

Den Emissionshandel gibt es seit 2005, um den CO2 Verbrauch in bestimmten Sektoren zu deckeln. Dazu gehören die Industrie, der Energiesektor, später kam noch die Luftfahrt hinzu, und ab 2023 wird auch die Schiffahrt dazuzählen. Rund 40 Prozent der EU-weiten CO2 Emissionen sind unter diesem Emissionshandel reguliert, das heißt: Die EU setzt ein Budget fest, wieviel CO2 bis 2030 noch ausgestoßen werden darf. Jedes Unternehmen, das unter diesen Emissionshandel fällt, und CO2 ausstoßen möchte, muss sich aus diesem Budget ein Emissionsrecht kaufen. Diese sogenannten Emissionsrechte werden von der EU jedes Jahr versteigert, und zwar jedes Jahr weniger.

Und wo kommt ihr ins Spiel?

Wir von ForTomorrow kaufen solche Emissionsrechte raus und legen sie still, also benutzen sie nicht. Dadurch verringern wir die Menge an CO2, die in der EU ausgestoßen wird. Und es kommt zu einem doppelten Effekt: Denn wenn die Menge an Emissionsrechten knapper wird, dann steigt auch deren Preis. Da lohnt es sich für Unternehmen nicht mehr, klimaschädlich zu wirtschaften. Dass man dieses System auch für den Klimaschutz nutzt, hatte die EU übrigens von Anfang an angedacht. Es wird aber noch viel zu wenig gemacht.

Vielleicht, weil kaum jemand dieses System kennt, und noch viel zu wenig davon berichtet wird?

Ja, man hört immer wieder "Wir brauchen einen CO2-Preis" und ich denke mir dann: wir haben ja schon einen CO2-Preis in der EU. Es gibt zwar einige StartUps in diesem Bereich, aber die meisten Unternehmen und Privatpersonen kompensieren über Projekte im globalen Süden. Das ist schade, weil wir haben ein gutes System, das wir nutzen können, um unseren eigenen CO2-Ausstoß zu senken. Es gibt einen McKinsy-Report vom letzten Jahr, da sieht man schön: in den Sektoren, wo der Emissionshandel greift, wird wirklich weniger CO2 ausgestoßen als früher. Wo noch nicht weniger CO2 ausgestoßen wird, ist der Mobilitätssektor, der nicht unter den Emissionshandel fällt. Da muss die EU auf jeden Fall was machen. Es gibt zwar Grenzwerte für die Autobauer, aber die haben dann einfach größere Autos gebaut.

 

Dass wir in Ländern wie Nigeria den CO2-Ausstoß reduzieren, der dort durchschnittlich bei 0,5 Tonnen pro Kopf liegt, um unsere 10 Tonnen pro Kopf auszugleichen, das hat sich nicht richtig angefühlt.

 

Auch Importe in die EU werden noch nicht reguliert. Das soll mit dem "Carbon Border Adjustment Mechanism", den die EU gerade diskutiert, geändert werden.

Genau. Weil auch wenn die Stahlindustrie der EU unter dem Emissioshandel reguliert ist, besteht die Gefahr, dass Unternehmen ihre Industrieprozesse einfach in andere Länder verlagern, wo es noch keine Regulation gibt, und den Stahl von dort importieren. Genau deshalb sollen auch Importe mit Hinblick auf deren CO2-Fußabdruck reguliert werden. Eine andere Lösung wäre, dass auch andere Länder einen Emissionshandel einführen, so wie es China gerade gemacht hat. Auch wenn Chinas Emissionshandel noch nicht so streng reguliert ist wie in Europa.

 

Wie kompensiert ihr die restlichen 5 Tonnen, die jeder Deutsche im Durchschnitt produziert?

Diese 5 Tonnen kompensieren wir darüber, dass wir Bäume pflanzen, die CO2 wieder aus der Luft holen. Die Bäume müssen allerdings 80 Jahre wachsen, um 5 Tonnen aus der Luft zu holen und in ihrem Holz zu speichern.

Haben wir diese Zeit?

Eigentlich müsste alles viel schneller gehen. Aber dann würde es sehr sehr teurer werden. Und wir sind schon teurer als andere Kompensationsanbieter. Deswegen haben wir uns für den langen Zeitraum entscheiden. Auch entfaltet CO2 seine Klimawirkung zum Glück erst später also zeitlich versetzt. Die Erderhitzung, die wir heute spüren, wird durch CO2 hervorgerufen, was vor Jahrzehnten ausgestoßen wurde. Doch je schneller wir CO2 aus der Luft holen, desto besser. 

Das funktioniert nur, wenn die Bäume langfristig erhalten bleiben.

Das ist der Grund, warum wir in Deutschland aufforsten. Hier werden Waldbrände relativ schnell gelöscht. Außerdem pflanzen wir den Mischwald auf staatliche Brachflächen, wo vorher kein Wald stand. Laut deutschem Bundeswaldgesetz muss der Staat diesen Wald, wenn er zum Beispiel abbrennt, wieder aufforsten. So hat man hat zumindest die Sicherheit, dass die gesamte Waldfläche mehr wird und nicht immer weiter verschwindet, wie es zum Beispiel in Brasilien der Fall ist.

Wie stellt ihr sicher, dass der Wald auch wirklich gepflanzt wird?

Wir haben im März den ersten Hektar Wald auf einem ehemaligen Bergbaugebiet aufgeforstet. Da habe ich selbst mitgepflanzt. Wir teilen den Standort auch, sodass jeder hinfahren und es sich anschauen kann. Unser Kooperationspartner "Schutzgemeinschaft deutscher Wald" kümmert sich vor Ort darum. Und dann gibt es noch eine Reihe an Vorgaben, zum Beispiel dass es ein Mischwald ist, der ökologisch wertvoll ist, dass er ohne Pestizide gepflanzt wird und so weiter.

 

 

Wie kamst du eigentlich dazu, ForTomorrow zu gründen?

Ich habe früher bei Atmosfair gearbeitet, einer gemeinnützigen Klimaschutzorganisation.

An Atmosphair kann man spenden, wenn man einen Flug bucht, um den damit verbundenen CO2-Ausstoß zu kompensieren.

Genau, die Kompensation findet dort aber über Projekte in Entwicklungsländern statt. Dass wir in Ländern wie Nigeria den CO2-Ausstoß reduzieren, der dort durchschnittlich bei 0,5 Tonnen pro Kopf liegt, um unseren Ausstoß auszugleichen, der ja den Großteil ausmacht, das hat sich nicht richtig angefühlt. Wir müssen bei uns was ändern, wenn wir effektiv CO2 reduzieren wollen. So kam ich auf die Idee durch ForTomorrow den Menschen zu ermöglichen, ihren CO2-Ausstoß zu kompensieren, aber hier in Europa, nicht im globalen Süden.

Wie viel habt ihr bis jetzt CO2 kompensiert?

Wir sind jetzt bald bei 10.000 Bäumen und 2.500 Emissionsrechten. Das entspricht fast 5 Tausend Tonnen CO2. Die entzogenen Emissionsrechte sorgen z.B. dafür, dass ein Steinkohlekraftwerk für zwei Tage und 5 Stunden abgeschaltet werden muss.