Politik | Pestizide

Aktion und Wirkung

Die Pestizidgegner schwingen sich auf das Rad. Und ein Blick hinter die Kulissen bzw. die Zahlen der ‘Pestizidtirol’-Kampagne.
Pestizid-Gegner am Rad
Foto: Alexander Schiebel

Auf humorvolle Weise auf ein sehr ernstes Problem hinweisen. Das wollten rund 30 Pestizidgegner, die am Sonntag als in weiße Schutzanzüge gekleidete und mit Atemschutzmasken ausgerüstete Radfahrer entlang des Etschtalradweges auf “die Gefahren der Pestizidausbringung für Mensch und Natur” aufmerksam machten, wie in einer Aussendung erklärt wird.
Mit dabei, Urban Gluderer vom Kräuterschlössl in Goldrain, der meint: “Die am Sonntag entstandenen Bilder sagen mehr als 1.000 Worte. Im Hintergrund endlose Monokulturen. Im Vordergrund Radfahrer, die sich eigentlich vor jenem Giftcocktail schützen sollten, der hier im Laufe der Vegetationsperiode über 30 Mal ausgebracht wird.” Unter den weißen Gestalten befand sich auch Alexander Schiebel. Der Filmemacher und Autor hatte die Aktion mit ins Leben gerufen: “Von den in Südtirol eingesetzten 68 Wirkstoffen befinden sich 55 auf der schwarzen Liste der gefährlichsten und schädlichsten Pestizide.”

München bewegt

Dieselbe Absicht wie die radelnden Pestizidgegner hat das Umweltinstitut München, das Mitte vergangener Woche seine ‘Pestizidtirol’-Kampagne gestartet und sich den geballten Zorn der Südtiroler Landesregierung, des Bauernbundes, aber auch vieler Südtiroler und Südtirolerinnen zugezogen hat. Kaum ein Thema wurde über das Wochenende derart heftig, aber auch kontrovers in den sozialen Medien und abseits davon diskutiert. Das Umweltinstitut solle doch vor der eigenen – bayerischen – Haustür kehren, welche eine bodenlose Frechheit, Logo und Schriftzug der Südtirol-Dachmarke zu verfremden und für die Aktion zu verwenden – in diese Richtung gehen viele der Kommentare. Hinter die Kulisse bzw. das Plakat scheinen die wenigsten zu schauen.

“Südtirol spritzt durchschnittlich über 42 kg Pestizid-Wirkstoffe jährlich auf jeden Hektar. Das ist sechs Mal so viel wie im italienischen Durchschnitt.” So lautet die Kernaussage der Münchner ’Pestizidtirol’-Aktion, für die Zustimmung vom Bozner WWF kommt. Tatsächlich beziehen sich die Zahlen, die die Münchner verwenden, auf das Jahr 2013 – und nicht ausschließlich auf Südtirol, sondern auf die Region Trentino-Südtirol. Inzwischen gibt es aktuellere Daten. Auch ist die Menge an ausgebrachten Pestizid-Wirkstoffen um einiges geringer.

Die letzten Zahlen

Jedes Jahr fragt das italienische Statistikamt ISTAT bei den Firmen nach, die in Italien phytosanitäre Produkte zum Gebrauch in der Landwirtschaft verkaufen: Fungizide, Insektizide, Herbizide, biologische Mittel u.ä.). Obwohl aus den erfragten Verkaufszahlen kein direkter Rückschluss auf die tatsächlichen Verwendung der Pestizide gezogen werden kann, sind die ISTAT-Zahlen doch aussagekräftig.
“Von 2001 bis 2014 hat es auf nationaler Ebene einen spürbaren Rückgang im Verkauf von phytosanitären Produkten gegeben”, stellt das italienische Umweltministerium bzw. das dort angesiedelte ISPRA (Istituto Superiore per la. Protezione e la Ricerca Ambientale) fest. 2015 wurden allerdings wieder mehr Pestizide verkauft, italienweit 136.054.697 kg (2014 waren es 129.976.843 kg gewesen). In der Region Trentino-Südtirol wurden 2015 insgesamt 4.112.514 kg verteilt – 1.894.551 in Südtirol und 2.217.963 im Trentino. Im Vergleich zum Jahr davor ist der Einsatz von Pestiziden jedoch in beiden Provinzen zurück gegangen (während er von 2013 auf 2014 angestiegen war).

2014 waren 4.502.819 kg an Pestiziden in Trentino-Südtirol verteilt worden – 1.904.803 kg in Südtirol und 2.598.016 kg in der Nachbarprovinz. 2014 lag der Einsatz von Pestiziden laut ISPRA bei 45,02 kg/ha (das Institut hat die Zahlen nur für die Region Trentino-Südtirol errechnet, und nicht nach Provinzen aufgeschlüsselt). Zum Vergleich: Auf nationaler Ebene wurden durchschnittlich 6,66 kg/ha ausgebracht, am wenigsten (1,02 kg/ha) in der Region Molise.

Auch interessant: Laut ISPRA ist die in den verkauften Pestiziden enthaltene Menge an Wirkstoffen zwischen 2004 und 2014 “beachtlich zurück gegangen” (-52,4 Prozent bei den Insektiziden, -30,2 Prozent bei den Fungiziden, -12,8 Prozent bei den Herbiziden) – mit Ausnahmen der biologischen Mittel, bei denen die Wirkstoffe “um schwindelerregende 276 Prozent zugenommen haben”. Nichtsdestotrotz machten die Wirkstoffe in biologischen Pestiziden 2014 mit 0,5 Prozent (313 t) nur einen Bruchteil der insgesamt in Italien eingesetzten Wirkstoffe aus. In Südtirol waren in den 2014 1.904.803 kg verteilten Pestiziden 1.027.337 kg an Wirkstoffen.

 

Zahlen über Zahlen, die, wenn sie so stehen gelassen werden, für verständliche Verunsicherung sorgen können. Weshalb ist unsere Region alleiniger Spitzenreiter bei der Ausbringung von Pestiziden in Italien? Wozu braucht es die ganzen Mittel und Wirkstoffe? In diesem Sinne lanciert Sigmund Kripp, selbst (seit 1998 Bio-)Weinbauer im Burggrafenamt, auf salto.bz einen Appell an die Südtiroler Obstwirtschaft: “Liebe Obstwirtschaftler: steht doch zu dem, was Ihr tut! Erklärt den Menschen, warum Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden müssen! Sie wollen es wissen! (…) Denn der Gast, der ja auch unser Kunde und Konsument ist, ist ja nicht blöd! Er will wissen, was er da kauft! (…) Sagt dem Konsumenten, warum wir etwas tun müssen, dann ist er schon mal ein bewusster Kunde.” Mit Kommunikation und Aufklärung statt Schimpftiraden und Klagedrohungen dürfte wohl auch jenen, die – zugegebenermaßen gewieft – im In- und Ausland gegen Pestizide und die Südtiroler Landwirtschaftspolitik mobil machen, etwas Wind aus den Segeln genommen werden.