Culture | Bibliophile Fragen

„Beglückend, befreiend und bestärkend“

Judith E. Innerhofer leitet das Sachbuch- und Kulturprogramm eines großen österreichischen Verlages. Außerdem hat sie die immer gleichen SALTO-Fragen beantwortet.
Judith Innerhofer
Foto:  Brandstätter Verlag
  • SALTO: Welches Buch hat Sie in Ihrer Kindheit nachhaltiger geprägt, als Sie damals je geglaubt hätten?

    Judith E. Innerhofer: Ganz klar: Ronja Räubertochter. Damals habe ich Astrid Lindgrens wunderbare Erzählung geliebt, weil sie mich tagträumend Abenteuer, Freiheit, Wildnis und auch Zuneigung, erstes Verliebtsein erleben ließ. Was mir als Kind sicher nicht bewusst war, ist die emanzipatorische Dimension dieser kleinen großen Heldinnengeschichte. Noch mehr als über Freiheit im Sinne von Abenteuern schreibt Lindgren über die Freiheit, (auch) als Frau zu tun, was man für richtig und wichtig hält, ungeachtet aller Konventionen und Erwartungen, die von außen an eine:n herangetragen werden. Das ist beglückend, befreiend und bestärkend – egal in welchem Alter!

    Welcher letzte Satz eines Romans ist und bleibt für Sie ganz großes Kopfkino?

    „Das Schlagzeug stürzte sich in den Tanz der Raubtiere, der im Bahnhof widerhallte, dessen halbfertiges, von Granateinschlägen zerschundenes Metallgerüst, Gleise und Lokomotiven noch an Stanleys Eisenbahntrasse erinnerten, an Maniokfelder, billige Hotels, Spelunken, Bordelle, Erweckungskirchen, Bäckereien und das Getöse von Menschen aller Generationen und Nationalitäten.“
    Fiston Mwanza Mujila, Tram 83

    Ein Satz, der wie dieser ganze großartige Roman nicht nur das Kopfkino vor lauter Bildern, Rhythmen, Farben, Klängen, Gerüchen zum Bersten bringt, sondern auch direkt durch den Körper fährt. 
     

    „Höre ich dann Begeisterung über ein Buch von mehreren Seiten, ist das ein ebenso verlässlicher wie praktischer Indikator.“

  • Im Gespräch: Judith E. Innerhofer bei einer Buchvorstellung mit Autorin Ingrid Brodnig Foto: Brandstätter Verlag

    Reimen ist doof, Schleimen ist noch doofer… Auf welches – anscheinend gute – Buch konnten Sie sich nie wirklich einen Reim machen?

    Bei James Joyces Ulysses steige ich aus – keine besonders originelle Antwort, es geht ja vielen so oder ähnlich. Das ist aber keine Bewertung: Ulysses überfordert ganz einfach meine Kapazitäten und Fähigkeiten. Dennoch, ich liebe die wunderschöne, bibliophile Farbschnitt-Ausgabe von Suhrkamp, die ich geschenkt bekommen habe – ein Schmuckstück!

    Ein Fall für Commissario Vernatschio. Wie erklären Sie einem Außerirdischen die geheimnisvolle Banalität von Lokalkrimis?

    Bedienen sie neben der Lust auf Spannung und unkomplizierte Unterhaltung auch Fernweh? Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich kein großer Krimityp bin, weder in Buch- noch in filmischer Form, daher ist das eine ziemlich unqualifizierte Mutmaßung. 

    Gewichtig! Welchen Buch-Tipps schenken Sie noch uneingeschränkt Vertrauen?

    Ich habe das Glück, einige über alle Maßen literaturbegierige Kolleginnen und einen ebensolchen Partner zu haben. Höre ich dann Begeisterung über ein Buch von mehreren Seiten, ist das ein ebenso verlässlicher wie praktischer Indikator.

    Was für ein Fehlschlag! Welches Buch würden Sie auf einer einsamen Insel zurücklassen?

    Vielleicht, weil ich in der Buchbranche arbeite: Ich würde ungern Autor:innen bzw. ein einzelnes Werk für „das Schlechteste aller Zeiten“ erklären. Das wäre ebenso anmaßend wie gemein, wenn man weiß, wie viel Arbeit in einem Buch steckt, egal ob es gelungen ist oder weniger. Wovon ich mich allgemein leichter trennen kann, sind Taschenbuchausgaben. Ein schönes Buch ist etwas, das Freude macht und immer Platz im Regal haben wird.
     

    Wie findet man die richtigen Worte? Gibt es sie, die richtigen? Und vor allem, wie findet man überhaupt Worte? Das beschäftigt mich, seit ich denken, oder sprechen, kann.


    Das Rauschen des Blätterns. Welches Buch würden Sie auf keinen Fall am E-Book-Reader lesen?

    Da sind wir wieder bei der haptischen Anziehungskraft von Büchern. Einen E-Book-Reader habe ich nicht, auch wenn er unterwegs sicher oft praktisch wäre. Ich lese zwar enorme Textmengen auf Displays, dabei geht es aber primär um rasche Informationserfassung, bzw. beruflich natürlich um Manuskripte in den vielen Erst-, Roh- und Zwischenfassungen bis hin zum Tag der Druckdatenübergabe. Was ich dann allein für mich lese, ist Genuss – der auch vom gedruckten, liebevoll gestalteten und produzierten Buch ausgeht, das einem guten Inhalt die entsprechende Form gibt.

    Welches Buch zu Südtirol oder eines/einer Autors/Autorin aus Südtirol würden Sie unbedingt weiterempfehlen?

    Maddalena Fingerles Lingua Madre habe ich sehr gerne gelesen. Wie findet man die richtigen Worte? Gibt es sie, die richtigen? Und vor allem, wie findet man überhaupt Worte? Das beschäftigt mich, seit ich denken, oder sprechen, kann. Fingerles – auch sprachlich großartige – Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Sprache und Identität ist, natürlich, von der Tatsache geprägt, dass sie aus Bozen stammt. Aber sie ist herrlich befreit von jeglichem Hadern mit oder Leiden an der Geschichte dieses Landes. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte: mehr davon!

  • Judith E. Innerhofer

    Leitet seit 2021 das Sachbuch- und Kulturprogramm des Brandstätter Verlags. Geboren in Meran, Studium der Politikwissenschaften, begann als Redakteurin des Wochenmagazins ff. Später Redakteurin der Wochenzeitung Die ZEIT im Büro Wien, tätig als freie Journalistin und Filmemacherin. Host des Podcasts „Feuer & Blitz: Wissen, für das wir brennen“.