Economy | Masken-Affäre

Römisches Waterloo

Paukenschlag aus Rom: Das INAIL hat nicht nur für die Masken sondern auch für die gesamte chinesische Schutzkleidung ein negatives Gutachten ausgestellt.
INAIL
Foto: upi
Selbst wenn der Himmel wolkenlos ist, kann es passieren, dass man vom Regen in die Traufe kommt.
So ergeht es derzeit der Spitze der Südtiroler Sanität. Denn die sogenannte Masken-Affäre ist jetzt um eine Facette reicher. Salto.bz liegt exklusiv das zweite Gutachten des „Istituto nazionale per l'assicurazione contro gli infortuni sul lavoro“ (INAIL) vor.
Das Ergebnis ist dabei der worst case.
Denn das Nationalinstitut für die Arbeitsunfallversicherung hat nicht nur den umstrittenen chinesischen Atemschutzmasken ein negatives Gutachten ausgestellt, sondern der gesamten vom Südtiroler Unternehmen Oberalp gelieferten „persönlichen Schutzausrüstung“  (PSA). Das heißt auch die an den Südtiroler Sanitätsbetrieb gelieferten 400.000 Schutzanzüge und die 30.000 besonderen Schutzanzüge für den aseptischen Gebrauch entsprechen nach Ansicht der zuständigen Behörde nicht den italienischen und europäischen Normen.
Die Folge: Der Sanitätsbetrieb wird nicht nur – wie bereits am vergangenen Donnerstag geschehen – die Verteilung der Schutzmasken und – ausrüstung stoppen müssen. Florian Zerzer & Co werden auch die bereits verteilten Schutzmäntel umgehend an allen Südtiroler Krankenhäuser wieder einziehen müssen.
 

Das erste Gutachten


Die Vorgeschichte ist bekannt.
Damit chinesische Schutzausrüstung in Italien eingesetzt werden kann, bedarf es eines positiven Gutachtens des INAIL. Die zuständige Stelle ist eine technische Kommission, die keine Tests oder Materialprüfungen macht, sondern ausschließlich die beigelegte Dokumentation der Lieferungen bewertet. Es wird dabei vor allem darauf geschaut, ob die zumeist chinesischen Zertifikate echt sind und ob die angegebenen Normen dem EU-Standard entsprechen.
 
 
Der Südtiroler Sanitätsbetrieb hat die Dokumentation für diese Zertifizierung bereits am 26. März zur INAIL-Prüfstelle nach Rom geschickt. Wie Generaldirektor Florian Zerzer vergangene Woche aber erklärte, haben das nationale Arbeitsunfallversicherungsinstitut Anfang April ein erstes negatives Gutachten nach Bozen übermittelt. „Die Dokumente waren zum Teil auf Chinesisch“, erklärte Zerzer auf der Pressekonferenz, „wir haben sie jetzt übersetzt und das INAIL um eine erneute Überprüfung ersucht“.
Das neue Ansuchen und die übersetzten Dokumente wurden am 8. und 9. April aus der Sanitätsdirektion per Mail an das INAIL in Rom übermittelt.
Jetzt ist dieses zweite Gutachten da. Mit einem vernichtenden Ergebnis.
 

Keine PSA

 
Die zuständige Arbeitsgruppe, die aus Lidia Caporossi, Nicoletta Vonesch, Patrizia Anzidei und Ilaria Barra besteht, hat dabei die gesamte Lieferung begutachtet, die der Südtiroler Sanitätsbetrieb über das Unternehmen Oberalp in China um über 10 Millionen Euro erworben hat.
Bereits am 16. April übermittelt die INAIL-Arbeitsgruppe das Abschlussgutachten nach Bozen. Es sind vier Seiten, die aus einer publicityträchtigen Südtiroler Erfolggeschichte um eine Maskenlieferung aus China, ein politisches und wirtschaftliches Fiasko werden lassen.
Denn das Gutachten ist in allen Punkten extrem negativ ausgefallen.
So heißt es in dem Gutachten gleich einleitend:
 
„La documentazione fornita per tutti i dispositivi non risulta sufficiente per condurre una valutazione di conformità alle norme tecniche di riferimento, non è presente evidenza di certificazione CE per i prodotti indicati, non sono fornite neanche fotografie per una valutazione visiva.“
 
 
Die Arbeitsgruppe geht im Gutachten dann einzeln auf alle fünf Produkte ein, die der Sanitätsbetrieb erworben hat. Das Endurteil ist dabei in allen Fällen dasselbe.
Keines der fünf Produkte verfügt über die Voraussetzungen für die Einstufung als PSA. Der Sanitätsbetrieb hat die Masken und Schutzanzüge aber als solche erworben und auch bezahlt.
 

„Rapporti alterati“

 
Im INAIL-Gutachten steht zu jedem Produkt der Schutzausrüstung, die längst an den Südtiroler Krankenhäusern und Altersheimen im Einsatz ist: „Es wurde eine Zertifizierung vorgelegt, die man nicht bewerten kann, weil sie von einer Stelle stammt, die nicht für eine Analyse der Persönlichen Schutzausrüstung akkreditiert ist“.
Gemeint ist damit das „Fujian Provincial Institute of Medical Devices and Drug Packaging Materials“, das die von Oberalp und dem Sanitätsbetrieb vorgelegten Schutzmasken und Schutzanzüge zertifiziert hat.
Die vier Fachfrauen, die in diesen Wochen Millionen von ähnlichen Produkten zu Gesicht bekommen und begutachten, weisen in ihrem Gutachten auf einige Angaben in den offiziellen Dokumenten hin, die ihrer Ansicht nach nicht stimmigen sind.
Etwa bei den Schutzanzüge für den aseptischen Gebrauch. Dazu heißt es im Gutachten:
 
„ Vengono presentati alcuni documenti nominati genericamente ‘Rapporto di ispezione’, relativi a indumenti protettivi medici monouso, nei quale non sempre viene citato lo standard di rispondenza alle prove presentate. I rapporti inoltre appaiono alterati in varie parti (scritte
sovrapposte a cancellature); sono riportate foto del prodotto confezionato. Viene presentato un parere sulla prevalutazione dei requisiti tecnici per i prodotti dispositivi medici, non riferibile a specifico prodotto oggetto di tale parere."
 
 
Viene fornito un ulteriore rapporto di prova su indumenti protettivi medici monouso, emesso da Shujian Food and Drug Quality Inspection and Research Institute, che parrebbe fare riferimento alla norma tecnica GB/T 142312-2005 (Metodi di ispezione per apparecchiature mediche per infusione, trasfusione di sangue e iniezione), non sono forniti test prestazioni.“
 
Das Wort „alterato“ kann sowohl mit geändert, wie auch gefälscht übersetzt werden.
 

Die Masken

 
Aber auch die umstrittenen KN95 Atemschutzmasken erhalten in dem Gutachten die Note ungenügend.
 
"Per le semimaschere filtranti i test report prodotti in lingua cinese non sono valutabili. Nel test report in lingua inglese redatto da GTT si evince l'applicazione della norma 632626-2006, equivalente alla norma UNI EN 149:2001+A1:2009; tale test riporta i risultati di efficienza filtrante e resistenza alla respirazione, ma non quello relativo alla perdita di tenuta verso l'interno, considerato imprescindibile se l'ente che ha eseguito il test risulta essere accreditato ma non peri DPI (dispositivi di protezione individuale - Anm. der Redaktion)). Si evidenzia inoltre che manca un chiaro riferimento al modello di semimaschera oggetto del medesimo. La certificazione di conformità alla norma è redatta da ente non accreditato per la valutazione dei DPI."
 
 
Die Gutachter stellen auch den chirurgischen Masken kein gutes Zeugnis aus:
 
"Per la mascherina chirurgica viene presentato un Rapporto di ispezione relativo ad una generica maschera medica monouso, redatto da Fujian Provincial Institute of Medical Devices and Drug packaging Materials, nel quale non viene peraltro citato lo standard di rispondenza alle prove presentate. Si rappresenta infine che la mascherina chirurgica non è un DPI."
 
Damit aber muss sich die Spitze der Südtiroler Sanität eine andere unangenehme Frage stellen lassen.
Das negative INAIL-Gutachten liegt seit über drei Tagen in Bozen. Warum hat man die Öffentlichkeit und vor allem jene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die diese Schutzausrüstung tragen müssen, bisher davon nicht informiert?
Oder hat man auch dieses Gutachten „archiviert“?
Es ist eine unangenehme Frage, die Thomas Widmann und Arno Kompatscher diesmal wohl kaum damit vom Tisch schieben können, in dem man Florian Zerzer als mustergültigen Beamten lobt.