Politics | Interview

“Das Ölembargo ist Symbolpolitik”

Dass der Westen mit seiner Energiepolitik Russlands Kriegskassen füllt stimmt so nicht, argumentiert taz-Journalistin Ulrike Herrmann: Russlands Kriegsführung ist autark.
Ulrike Herrmann
Foto: KiWi

 Salto.bz: Der deutsche Europaabgeordnete Peter Liese hat am Dienstag erklärt, dass Kohle zwar schmutzig, der Krieg in der Ukraine aber noch schmutziger sei. Deshalb sei es notwendig, eine Rückkehr zur Kohle zu akzeptieren, um vom russischen Gas unabhängig zu werden. Frau Hermann, zuallererst: Inwiefern ist die Unabhängigkeit von russischem Gas überhaupt erstrebenswert?

Ulrike Herrmann: Langfristig müssen wir natürlich allein aus Klimaschutzgründen vom Gas wegkommen. Sofort auf das russische Gas zu verzichten, ist aber nicht möglich. Das Gas wird für Sektoren benutzt, etwa in der Chemie, die überhaupt nicht durch Kohle ersetzt werden können. Ich habe mich immer gegen ein Gasembargo ausgesprochen, da es uns sehr schädigen, Russland aber nicht besonders treffen würde.

Es wird immer wieder argumentiert, dass wir mit unseren Gas- und Öl-Importen die Kriegskassen der Russen füllen würden. Ist das so?

Nein, das ist in dieser Form nicht richtig. So bedauerlich es ist, wenn es um den Krieg geht: Russland ist autark. Das heißt, Russland hat alles, was für einen Krieg benötigt wird und kann den Krieg deshalb in Rubel führen: Sie haben einen Nahrungsmittelüberschuss, sie haben Öl - können ihre Panzer also selbst befeuern - und sie haben eine Waffenindustrie. Russland hat sonst kaum Industrie. Aber dummerweise haben sie eine Waffenindustrie. Mit diesen drei Basisprodukten - Öl, Nahrungsmittel und Waffen - können sie ihren Krieg in der Ukraine führen. Sie brauchen unsere Devisen also gar nicht.

So bedauerlich es ist, wenn es um den Krieg geht: Russland ist autark.

Konkret versucht die EU in diesen Stunden ein Ölembargo durchzubringen. Dieses soll bereits im Oktober beziehungsweise bis zum Ende des Jahres greifen. Was bezweckt die EU mit dieser Maßnahme, wenn Russland seinen Krieg sowieso nicht auf diese Weise finanziert?

Das Ölembargo ist aus meiner Sicht Symbolpolitik. Ein Großteil der europäischen Bevölkerung versteht nicht, dass unsere Ölimporte den Krieg in der Ukraine nicht beeinflussen. Das liegt auch daran, dass Zelensky - aber auch sein Außenminister - immerzu erklären, wir würden die Kriegskassen der Russen füllen. Das stimmt, wie gesagt, nicht. Zelensky will natürlich Druck ausüben, damit wir weiterhin schwere Waffen liefern. Das ist auch richtig. Ich bin absolut dafür, die Ukraine zu unterstützen. Aber durch diesen ständigen Diskurs rund ums Öl hat die EU das Gefühl, sie muss handeln.

Dieses Handeln drückt sich in einem Ölembargo aus. Das Öl soll dann über andere Quellen nach Europa gelangen.

Man will in Europa jetzt einerseits von russischem Öl wegkommen, Energiesparen ist aber nicht geplant. Jede*r verbraucht genau so viel Energie wie vorher. In Deutschland war es nicht mal möglich, ein Tempolimit auf Autobahnen zu beschließen! Dahinter steckt die Vorstellung, dass das Öl auf dem Weltmarkt schrankenlos verfügbar sei. Das ist ein Irrtum. Die Energiemärkte waren bereits vor dem Krieg sehr angespannt. Es gab mehr Nachfrage als Angebot, deshalb waren die Ölpreise auch schon vorher sehr hoch. Wenn wir jetzt kein russisches Öl mehr nehmen, dann führt das allein dazu, dass der Druck auf den Ölmarkt größer wird und die Preise steigen. In Deutschland können wir uns diese Preise leisten. Aber andere Länder - Kenia oder der Libanon - können sich das nicht leisten. Also wird das russische Öl, das wir nicht haben wollen, auf dem Weltmarkt verkauft. Und hinterher sind alle genau so schlau wie vorher - aber der Ölpreis ist gestiegen.

Hinterher sind alle genau so schlau wie vorher - aber der Ölpreis ist gestiegen.

Das heißt, ein russisches Energieembargo ist weder erstrebenswert noch fair?

Aus meiner Sicht ist ein solches Embargo zum jetzigen Zeitpunkt Unsinn. Aber die EU fühlt sich unter Druck. Natürlich müssen wir langfristig allein aus Klimaschutzgründen auf Öl verzichten. Aber das kann nicht auf eine so naive Art organisiert werden.

 

Einerseits werden die Preise weltweit steigen, andererseits wird es kurzfristig wahrscheinlich auch in Europa zu Versorgungsengpässen kommen: In Deutschland beträgt der Anteil an russischem Öl im Moment 12 Prozent. Wäre es denn möglich, bis Oktober auf Alternativen zu russischem Öl umzusteigen?

Beim Öl ist das kein Problem. Wenn man kein russisches Öl kaufen möchte, kann das Öl auf dem Weltmarkt eingekauft werden. Hier kann Deutschland andere Länder überbieten. Der Nachteil ist, dass dann auch die Ölpreise für die armen Länder steigen. Der EU ist es im Augenblick aber egal, was mit dem globalen Süden passiert. Schwierig ist es beim Gas. Dieses kann nicht einfach ersetzt werden, da es vor allem durch Pipelines geleitet wird, die Russland und Europa verbinden. Die einzige Möglichkeit wäre also Flüssiggas, das in Schiffen transportiert wird. In Deutschland gibt es aber bisher gar keine Terminals, wo diese Schiffe entladen werden könnten. Zudem gibt es weltweit kaum Gastransporter. Ein Verzicht auf russisches Gas würde im nächsten Winter also zu großen Schwierigkeiten führen. Ich nehme aber an, dass heimlich - und nicht zu Unrecht - viele Politiker davon ausgehen, dass der Krieg bis dahin vorbei ist. 

Was verleitet Sie zu dieser Annahme?

Die Russen sind wahnsinnig unter Druck. Moskau wird - wie jetzt vor Kiew oder Kharkiv - beschließen, die Truppen zurückzuziehen. Das dauert nicht bis Weihnachten. Gas könnte im nächsten Winter trotzdem knapp werden, da die Speicher im Fall eines Gasembargos über den Sommer nicht aufgefüllt werden können. Im Augenblick wird aber noch Gas geliefert.

Ein mögliches Gasembargo könnte vor allem von russischer Seite beschlossen werden, die EU hat hier kein Interesse.

Ja, genau. Putin hat vor einiger Zeit verlangt, dass der Westen russisches Gas in Zukunft in Rubel bezahlen soll - reine Symbolpolitik. Die europäischen Staaten haben sich zunächst dagegen aufgelehnt, erst vor Kurzem hat aber Italien ein Zugeständnis angekündigt. Das zeigt, wie abhängig Europa vom russischen Gas ist. Darauf zu verzichten scheint unmöglich.

Die Sanktionen, die beschlossen wurden, sind genau das richtige Mittel. Sie sind der Grund, warum Putin mit den europäischen Devisen im Moment gar nichts anfangen kann.

Sie haben den Krieg bereits vor einigen Wochen als “wirtschaftlichen Selbstmord Russlands” bezeichnet. Die Folgen dürften jedoch vor allem durch die Zivilbevölkerung getragen werden.

Das betrifft natürlich auch die Zivilbevölkerung - aber nicht nur. Auch die russische Industrie wird lahmgelegt. Während ich von einem Öl oder Gasembargo nichts halte, sind die Sanktionen, die beschlossen wurden, genau das richtige Mittel. Sie sind der Grund, warum Putin mit den europäischen Devisen im Moment gar nichts anfangen kann.

Wie meinen Sie das?

Er kann damit gar nichts einkaufen. Es gibt hier drei Gründe: erstens, die Sanktionen im Technologiesektor. Sie treffen die gesamte Industrie, darunter auch die Waffenindustrie. Die zweite Maßnahme, die gar nicht offiziell beschlossen wurde, ist, dass westliche Firmen sich aus Russland zurückgezogen haben. Die dritte, dass Containerschiffe - auf freiwilliger Basis - überhaupt keine russischen Häfen mehr anfahren. Das heißt, Russland ist komplett vom Westen abgekoppelt. Das kann keine Wirtschaft lange durchhalten.

Russland steht aufgrund der Kriegsführung einer enormen Inflation gegenüber, gleichzeitig erlebt das Land ein Schrumpfen der Wirtschaftskapazität. Welche langfristigen Folgen zeichnen sich für das Land ab?

Die Russen haben selbst eine – dramatische Schätzung abgegeben, die aber immer noch überoptimistisch sein dürfte: Man erwartet, dass die Wirtschaft um etwa 11 Prozent einbrechen wird. Das ist enorm viel - vor allem in einem Land, das schon vor dem Krieg pro Kopf gerechnet ärmer war als Rumänien. Mit den übrigen 89 Prozent - faktisch dürfte der Einbruch aber noch viel größer sein - muss Russland jetzt zusätzlich noch einen Krieg in der Ukraine finanzieren, indem Geld gedruckt wird. Das führt wiederum zu einer enormen Inflation. Das ist eine gute Grundlage für einen totalen Wirtschaftskollaps.

 

Was bedeutet diese Situation für den Westen?

Eigentlich nichts. Wenn Russland wirtschaftlich stark leidet, ist das für Europa kein Problem. Das muss so hart gesagt werden. Zwischen Russland und dem Westen gab es schon vorher wenig Handel. Deutschland ist eine große Exportnation - aber trotzdem haben selbst wir nur 2,6 Prozent unserer Wirtschaftsleistung nach Russland exportiert. Wir machen mit Russland vor allem Importgeschäfte: Energie und andere Rohstoffe.

Das heißt, langfristig stellt der russische Angriffskrieg für die EU-Staaten wirtschaftlich kein großes Problem dar.

Ganz im Gegenteil. Wenn der Krieg vorbei ist, wird die Ukraine sehr enge Handelsbeziehungen mit der EU aufbauen. Europäische Firmen werden sich in der Ukraine ansiedeln. Das heißt, dass sich der europäische Markt stark nach Osten erweitern wird. Davon werden alle profitieren.

Kurzfristig werden hingegen aber auch in Europa die Preise in die Höhe getrieben. 

Das stimmt - dabei muss uns aber bewusst sein, dass die Inflation, die wir jetzt sehen, nicht nur auf dem Krieg basiert. Die Inflation war schon im Januar hoch. Energie ist weltweit knapp. Das Energiesparen können wir uns also auch auf lange Sicht nicht sparen.

Wenn wir feststellen, dass ein Gut knapp wird - und das ist bei Öl nun mal der Fall -, ist das Einzige, was wir machen können, die Nachfrage zu senken.

Die internationale Energieagentur (IEA) hat vor einiger Zeit die effektivsten Maßnahmen genannt, um die Energiepreise in Schach zu halten, nämlich: partielle Fahrverbote in größeren Städten, ein Verbot von Kurzstreckenflügen, Homeoffice oder ein Umstieg auf Elektroautos. Können diese Maßnahmen tatsächlich wirken?

Wenn wir feststellen, dass ein Gut knapp wird - und das ist bei Öl nun mal der Fall -, ist das Einzige, was wir machen können, die Nachfrage zu senken. Zudem muss man das vorhandene Öl effizient einsetzen. Deshalb sind Tankgutscheine oder die Aufhebung der Mehrwertsteuer auf Benzin und Diesel genau das falsche Signal.

Ohne staatliche Beihilfen wird es für viele aber knapp.

Es braucht natürlich Beihilfen, aber nur für die Bedürftigen. Dass man wie in Deutschland die Porschefahrer entlastet, bringt nichts. Ganz im Gegenteil. Dadurch machen alle weiter wie bisher.

Warum wird das Energiesparen auf politischer Ebene weitläufig ignoriert?

Weil viele immer noch denken, das wir uns in einer vorübergehenden Situation befinden. 1973 gab es den ersten Ölpreisschock - damals gab es autofreie Sonntage, man konnte auf der Autobahn spazieren gehen - ganz toll. Und auch 1979 gab es aufgrund der Revolution im Iran nochmals einen Preisschock. Das Öl war 1979 so teuer wie nie wieder*. Der Ölpreis ist anschließend aber wieder gesunken und war dann 40 Jahre lang sehr niedrig. Viele glauben, dass das auch jetzt der Fall sein wird. Ich denke jedoch nicht, dass das nochmals so kommen wird: Die großen Ölfelder gehen zuneige und die Förderung wird immer teurer und aufwendig. Öl wird es immer geben, aber nicht mehr in diesen Mengen und zu diesen niedrigen Preisen.

 

* kaufkraftbereinigt