Gäste zum Feste
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Yunjung Kim kam in Schwarz gekleidet, Tasche unterm Arm, langsam und zögerlichen Schrittes über die Straße. Wobei es sich, wenn Tänzerinnen zögerlich voranschreiten, eher um ein lautloses Vortasten handelt. Mit der Performance „Me and another Me2024“ eröffnete die in Meran lebende und Seoul geborene Tänzerin, den 10 Jahre-Nachmittag sanft zwischen den Stühlen und Tischen umherstreifend, achtsam den Raum durchmessend den „Feier-Abend“ ab 17 Uhr. Zuvor hatte es am Morgen ab 9 bereits eines der monatlichen Creative Mornings Frühstücksformate gegeben, die die Weigh Station in ein Netzwerk aus über 200 Städten einbetten.
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In erster Linie ging es bei der „Aluminium Party“ darum, mit Wegbegleitern und anderen „Wallern“ und Waaghaus-Freunden zu feiern. Yunjung Kim tat dies leise, für die Gäste des Waag Cafés sicher weniger störend als die Kamera und Videodokumentation. Wobei sie schon auch zu einzelnen der Performance folgenden Zusehern die Nähe - nicht Berührung - suchte. Klanglich gleich unaufdringlich begleitete die Performance eine Sound-Installation, die den Barbetrieb, die Musik und das Klackern von Geschirr sowie ferne Gespräche von innen nach außen auf den Kornplatz übertrugen. Im Hintergrund aus weiter Ferne klingt Manu Chaos „Me Gustas Tu“ besonders schön und nach Fernweh.
Es wollte die etwas eigentümliche Programmsetzung, dass auf den Ruhepol ein Kontrastprogramm folgen sollte. Der „Kreative“ Gianluca Iocolano nahm mit Stand Up Comedy nach einem kurzen Umbau Bühne und Mikrofon in Beschlag. Mit einem anfänglich eher hartem, noch nicht eingestimmten Publikum, gelang es ihm mit Politik das Eis zu brechen. Auf die Frage, wer im Publikum Deutsch und wer Italienisch spreche, erhielt er bei der zweiten Abfrage den deutlicheren Zuruf. „Questo vuol dire che Galateo funziona.“, kommentierte Iocolano trocken und erntete Lacher und Applaus, gerade am für diverseste Diversitäten und Außergewöhnlichkeiten offenen Ort. Recht launig schaffte es Iocolano anschließend, nunmehr mit größerer Aufmerksamkeit aus den Arbeitsrealitäten eines Kreativen zu erzählen, ob von Schulworkshops mit „Fra“ und „Bro“ (was übrigens unisex verwendet wird), dem Altern, bürokratischem Wahnsinn und Unterschieden bei den Sprachgruppen, Ausschreibungen und mehr. Das war sicherlich kein Programm voller Schenkelklopfer, sondern mehr ein unterhaltsam verpackter Blick hinter die Kulissen.
Hinter die Kulissen lud im Keller - ab 19 Uhr und bis zum Ende um 23 Uhr - Dora Musola zu einem „Happening“. Ein halber Kostümfundus stand für „Sweat & Messy“ bereit. Zum Sound von unter anderem Charlie xcx - der es ja auch um Empowerment und einen starken ersten Eindruck geht - konnten sich die Partygäste „brat“ kleiden. Ein freier und sicherer Raum wurde jeder und jedem geboten, sich so zu kleiden, wie man sich fühlt, zu experimentieren und zu einem neuen Kostüm zu wechseln.
Talk ist AluEin Stockwerk höher bildete man für den Talk „10 Guests x 10 Years“ einen Sitzkreis, aber auch für die beiden Moderatorinnen und einige mit Begleitung angereisten Gäste brauchte es Liegestühle, um zur Party-Deco samt Planschbecken zu passen. Im großen Kreis war man recht weit voneinander entfernt, es bedurfte Mikrofonverstärkung, um die Statements der Gäste einzuholen. Im Vergleich zur „Bühnen“-Situation zuvor war es auch durch ein weniger aufmerksames Barklientel schwieriger, der Reihe von Statements einer Stunde lang zu folgen.
„Man wird weder reich noch berühmt mit dieser Arbeit.“, stellt Valentina Cramerotti bei der Begrüßung von den allesamt in den letzten zehn Jahren mit der Weigh Station in Verbindung getretenen Gästen fest. Fast alle nicken. „Aber wenn wir nach zehn Jahren hier sind, dann ist es, weil wir daran geglaubt und hart gearbeitet haben.“ Nach zehn Jahren will man in der Runde erzählen, wie man sich getroffen hat, welche Aufgaben man im Kreativen und in der Kulturarbeit akut sieht. Erster Gast war Daniele Lupo, der sich an die Anfänge und eine hölzerne Plattform erinnerte, auf die sein Konzept aufgebaut wurde und die für drei Monate installiert hätte werden sollen, aber dreieinhalb Jahre blieb.
Es blieb beim folgenden Talk ein wirklicher Dialog aus, auch da das Format fürs Freie mit enthusiastischen Kellnern und Gästen einen eher ungeeigneten Rahmen fand. Da bleiben dann nur die Sager in Erinnerung. Eleonora Castagna, Kuratorin der Galerie Doris Gheta, erinnerte sich etwa an ihre Rückkehr nach Südtirol aus Berlin zu Beginn der Corona-Pandemie und den aufgezwungenen Stillstand mit überfälliger Reflexion. „Leider kommt es noch viel zu oft vor, dass Kulturarbeit so erzählt wird, dass man sich am Anfang eben hocharbeiten müsse und sich mit Reputationsgewinnen zufriedengeben müsse.“, moniert sie.
David Hoffmann, Klimaaktivist und Neurowissenschaftler, sieht die Aufgabe der Kultur und Kreativarbeit in der „Vorstellung von Alternativen“, in seinem konkreten Beispiel sollte es eher ums (gesellschaftliche) Klima denn um die Neurowissenschaft gehen. Greta Marcolongo und Sandra Passarello vertraten gemeinsam die Perfas: Passarello erinnerte sich und monierte die „Zerstückeltheit“ der Kultur und Trennungen in der Gesellschaft. „Ich bin 56 Jahre alt und ich erinnere mich, dass von einer gemeinsamen Schule die Rede war, die sich mehrsprachig an Deutsche, Italiener und Ladiner richtete. Ich war 18 Jahre und gab meinen erste Stimme Alexander Langer, weil er davon sprach, sich zusammenzuschließen, zusammenzuarbeiten.“ Sie wünschte sich, dass wir alle ein Stück weit aus unserer Bubble herauskommen.
Alessandro Rubini, Digitalisierungsexperte, sah die Aufgabe der „Kreativen“ auch im Hinterfragen eines sich beschleunigenden technologischen Wandels. Veronica Veronesi, Galeristin, erinnerte sich an ihren Erstkontakt und mit einer Mischung aus Belustigung und Begeisterung an ihre Teilnahme als Tutorin bei der WS Instrumenta und nahm das „Werkzeug“ oder „Instrument“ sein im übertragenen Sinn als nützlich wahr. Auf ihrer Wunschliste für die Kultur steht Verlangsamung, Akzeptanz für ein Innehalten oder Pausieren und Neuorientierung. Luca Capriotti, der sich mit Firmenkultur befasst, fand, dass in einer Zeit, in der Kreativität in seinem Sektor bereits zu einem guten Teil durch künstliche Intelligenz und Texte von Chat-GPT geschrieben werden, die Aufgabe des Künstlers eine neue, alte sei: „Wiederentdecken, was es heißt, Mensch zu sein“.
Nicole und Adriana haben an der WS Call, die heuer übrigens pausiert, zur Neuausrichtung und Überdenkung teilgenommen. Die beiden Damen präsentierten das Open-Mic Projekt „Sidewalk“, das durch die Call gefördert wurde. Das Sidewalk-Projekt entstand übrigens 2017 in Beirut, kam 2018 nach Trient, 2019 nach Bozen. In der Pandemie verstand man auch, dass Begegnung nicht unbedingt im physischen Raum stattfinden müsse. In ihrem Fall habe es funktioniert, sowohl analog im Print als auch online, so die Veranstalterinnen.
Joris Jaccarino, Regisseur, Kurator und mehr hatte man unter anderem über das Dante-Jahr-Projekt Diverso in Verso kennengelernt und erinnerte daran, dass auch in der Welt der Kultur häufig um Logiken der Auswirkung ginge, ökologisch, wirtschaftlich und überhaupt. Kwanza Musi Dos Santos, brachte zum letzten Moment noch einmal die Menschlichkeit zurück. Wir könnten keine Maschinen sein, auch wenn der Produktivitätsdruck von außen groß ist. Auch negative Gefühle und unschöne Aspekte - etwa die „poverophobia“ bräuchten einen Platz.
Leichter und sicherlich noch länger klang der Abend anschließend mit zwei DJ Sets aus: Eines analog von den Plattentelern und das andere digital und aus dem Kofferraum des neuen „Schiffs“ des Künstlerkolektivs Borlotee. Auf zehn weitere Jahre.