Der Mob marschiert im Web

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Wir treffen uns in meinem ZOOM-Wohnzimmer, das ich immer sehr gerne für intensiven Austausch nutze und für eine wichtige technische Errungenschaft halte. Mir gegenüber sitzt ein selbstbewusster junger Mann, der sich im weiteren Verlauf des anregenden einstündigen Gesprächs selbst als „stolzer Latino“ bezeichnen wird.
Das hat mit der Geschichte seiner Familie zu tun, die mütterlicherseits aus Chile stammt. Sebastian Bohrn Menas Großvater, Gregorio Mena Barrales, war politischer Weggefährte von Salvador Allende und fungierte als Gouverneur der Provinz Puente Alto – mit der Absetzung des Allende-Regimes im September 1973 wurde er entmachtet, inhaftiert und vom Pinochet-Regime im Lager Chacabuco auch gefoltert. 1975 konnte er nach einer Intervention von Bruno Kreisky ausreisen und landete mit seiner Familie in einer Flüchtlingsunterkunft in Wien.
In Wien lernte seine Tochter, die Psychotherapeutin Aida Alejandra Mena Olivares, den österreichischen Psychotherapeuten und Gesundheitspsychologen Karl Bohrn kennen, den Vater meines Gesprächspartners.
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Harte Kritik aus dem rechten Lager
Sebastian Bohrn Mena ist österreichisch-chilenischer Doppelstaatsbürger und lebt mit seiner Frau Veronika und seinen beiden Söhnen im Waldviertel. Nach dem Studium der Ökonomie und einer Promotion als Psychotherapie-Wissenschaftler war Bohrn Mena in der Erwachsenenbildung und kurzzeitig in der Politik-Beratung tätig und engagierte sich unter anderem beim österreichweit recht erfolgreichen Tierschutzvolksbegehren. Das verschaffte ihm einen gewissen Bekanntschaftsgrad, sodass ihm Wolfgang Fellner einen Job beim Boulevardsender oe24.TV anbot, wo er als erklärter Linker bis vor kurzem wöchentlich im Rahmen eines Debattenformats mit dem rechten Agitator Gerald Grosz stritt. Parallel dazu gründete Bohrn Mena 2020 zusammen mit seiner Frau die Stiftung Comùn, die als Basis für die Vertiefung und Verbreitung ökosozialer Themen dient.
Seine auf oe24.TV ausgetragenen öffentlichen Kontroversen mit Grosz, der sich gerne als zynisch-arrogante und wortmächtige Speerspitze der politischen Rechten geriert, setzten ihn immer stärker harter Kritik aus dem rechten Lager aus, die sich hauptsächlich auf sozialen Netzwerken ausbreitete und immer aggressiver und hasserfüllter wurde. Auch Veronika Bohrn Mena, die früher als Gewerkschafterin tätig war und ebenso wie ihr Mann bei oe24.TV tätig war, wurde zur Zielscheibe wüster Beschimpfungen und Drohungen, die sehr häufig sexistischer Art waren und sind.
„Wenn Du dutzende und aber-dutzende Male Kommentare findest, in dem irgendwelche Typen schreiben, man sollte dir ins Gesicht schießen, du solltest nach Chile remigriert werden oder Deine Frau müsse mal ordentlich vergewaltigt werden, dann kann man das zwar ein Weile wegstecken, aber es macht dann doch etwas mit dir“, fasst Bohrn Mena die Gemütslage zusammen und führt das darauf zurück, dass die Politik vor ein paar Jahren irgendwie falsch abgebogen ist, als sie sich vor dem immer aggressiver werdenden gesellschaftlichen Klima wegduckte.
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Verschlechterung des politischen Klimas während der Pandemie
Die Covid-Krise, die die Welt unvorbereitet traf, erwies sich im Nachhinein als Katalysator für die rapide Verschlechterung des politischen und gesellschaftlichen Klimas und trug zur Vergiftung des öffentlichen Diskurses bei. Rechtskonservative politische Bewegungen, die schon seit Jahrzehnten im Aufwind sind und die sich immer besser vernetzten und die immer mehr Mittel und Organisationen für ihre Zwecke nutzen konnten, nutzten diese Entwicklung und heizten das gesellschaftliche Klima weiter an. Im Falle der Familie Bohrn Mena führte das so weit, dass sie unter Polizeischutz gestellt werden musste, nachdem Sebastian sich öffentlich für die Respektierung der restriktiven Anti-Covid-Regeln ausgesprochen hatte.
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„start.klar. im UFO Bruneck“
Am 22.10. findet „start.klar. im UFO Bruneck“ statt. Das Thema lautet „Demokratie in Gefahr | Was macht den Rechtsextremismus so verführerisch?“. Zu Gast bei Moderator Markus Lobis sind die Wiener Politologin und Extremismusexpertin Natascha Strobl und der Sozialpädagoge und OstWestClub-Macher Thomas Kobler aus Meran. Der Livestream des start.klar.-Abends wird auf SALTO übertragen.
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„Orchestrierter rechter Hass"
„Rechte Empörung und rechter Hass werden regelrecht orchestriert und immer wieder tauchen von verschiedenster Seite dieselben oder sehr ähnliche Kommunikationsmuster auf. Es ist kein Zufall, dass sich rechte Agitatoren von überall her beispielsweise beim AfD-Ideologen Götz Kubitschek treffen und dort und anderswo systematisch geschult werden. Da stecken international organisierte Kooperationsnetzwerke dahinter“, bringt es Bohrn Mena auf den Punkt. „So kommt es dazu, dass nicht mehr wie vor hundert Jahren die SA mit Fackeln und Trommeln durch die Straßen marschiert, sondern es marschiert nun – wie meine Frau immer sagt – der digitale Prügelmob durch das Internet.“
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Die Sturmabteilung (SA) bei der Bücherverbrennung: „So kommt es dazu, dass nicht mehr wie vor hundert Jahren die SA mit Fackeln und Trommeln durch die Straßen marschiert, sondern es marschiert nun – wie meine Frau immer sagt – der digitale Prügelmob durch das Internet.“ Foto: wikicommons, unbekannter Fotograf, Photo agency, Robert Sennecke, Internationaler Illustrations-Verlag Berlin SW 11
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Der Kickl-FPÖ ist es gelungen, sich in diesen Netzwerken zu etablieren und die Verbindungen mit radikalen Kräften in Ungarn, Deutschland und den Niederlanden aber auch nach Übersee zu festigen. Die klassischen Volksparteien erweisen sich derweil in vorauseilendem Eifer als veritable Steigbügelhalter für die rechte Wende. Das mag auch damit zu tun haben, dass die wichtigsten Player des Trumpismus – allen voran Peter Thiel – Protagonisten der europäischen Volksparteien in ihre politischen Netzwerke einwerben. Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz und der aktuelle Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktioon, Jens Spahn, seien an dieser Stelle nur beispielhaft genannt.
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Hass und Häme aus dem Netz
Für Sebastian und Veronika Bohrn Mena wurde die Situation immer unerträglicher, immer wieder flutete ihnen aus dem Netz Hass und Häme entgegen. „Mir ist schon klar, dass ich einiges wegstecken können muss“, räumt Sebastian Bohrn Mena ein, „schließlich stelle ich provokante Thesen und Forderungen in den Raum, habe auch schon vorgeschlagen, die FPÖ zu verbieten und muss mit geharnischter Reaktion rechnen. Das sieht auch die Rechtsordnung so vor: wer sich am öffentlichen Diskurs beteiligt, darf nicht allzu zimperlich sein. Dies auch, um ein möglichst breites und freies Meinungsspektrum zuzulassen. Aber es gibt Grenzen“, schließt Bohrn Mena: „unsere Rechtsordnung bietet Möglichkeiten, sich vor Beleidigungen, übler Nachrede, Drohungen und anderen Exzessen der freien Meinungsäußerung zu schützen und die persönlichen Rechte zu wahren.“
In der Theorie zumindest. In der Praxis gestaltet sich die Wahrung der persönlichen Rechte als aufwendig, vor allem, was die Kosten betrifft, die dabei anfallen. Bohrn Mena musste bei der Prüfung der juristischen Möglichkeiten bald feststellen, dass eine groß angelegte Klage-Serie seine Budget-Möglichkeiten bald übersteigen würde, zumal es sich um hunderte von Anlassfälle handelte, die anzugehen wären. Was nun? Soll das Feld den radikalen Hetzern überlassen werden? Ist ein Rückzug ins Private das Mittel der Wahl?
In dieser Situation trat ein Prozessfinanzierer auf den Plan und bot den Bohrn Menas seine Dienste an. Es handelt sich dabei um Unternehmen, die Klagen finanzieren und bei Erfolg einen Teil der erstrittenen Summen einbehalten. Im Gegenzug tragen sie das Prozessrisiko. Geht die klagende Partei leer aus, entstehen ihr daraus keine Kosten.
Bohrn Mena will nicht sagen, wer sein Prozessfinanzierer ist, das unterliegt der ausgehandelten Verschwiegenheit. Bekannt ist dagegen, wer ihn vertritt und dadurch wohl auch weitere Bekanntheit erlangt: Es ist der Lienzer Anwalt Robert Kerschbaumer, der sich intensiv in die Materie eingearbeitet hat und sich mit Hilfe spezieller Software auf die Suche nach Hass-Postings macht. Er dokumentiert auch, wer die entsprechenden Posts mit einem Like versehen hat.
Das Liken eines strafrechtlich relevanten Kommentars bedeutet die Aneignung desselben und ist daher genauso zu bestrafen, wie der Kommentar selbst.
Dass auch jene zur Verantwortung gezogen werden, die ein Hass-Posting liken, erregt viel Zorn und Unverständnis. Bohrn Mena verweist in diesem Zusammenhang auf Urteile der obersten Gerichtsinstanzen in Österreich und Deutschland: „Die Gerichte begründen die Urteile damit, dass das Liken eines strafrechtlich relevanten Kommentars die Aneignung desselben bedeutet und daher genauso zu bestrafen ist, wie der Kommentar selbst“, fasst er die Urteile zusammen: „Das wird auch dadurch begründet, dass die Posts durch die Likes in ihrer Aufmerksamkeitswirkung potenziert werden.“
Zurzeit laufen nach ausgiebiger Vorprüfung durch den Rechtsanwalt rund 150 Verfahren, die stets mit einer Unterlassungsklage beginnen und dann zur Anklage gelangen, je nach Ausgangslage und Fall mit Bezug auf das Medien-, das Straf- und das Zivilrecht. Bei der Bearbeitung der ersten Fälle hat es sich herausgestellt, dass rund ein Drittel der Beklagten Mandatare oder hochrangige Funktionäre der FPÖ sind. So tauchen nun immer wieder gerichtliche Mitteilungen auf den Social-Media-Kanälen bekannter Politiker auf. Zu den prominentesten Fällen zählt der steirische Landeshauptmann Mario Kunasek (FPÖ). In Kürze werden die ersten Prozesse stattfinden.
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Gegen voranschreitende Verrohung im Netz wehren
Sebastian und Veronika Bohrn Mena haben inzwischen ihre Jobs bei oe24.TV verloren und bauen sich eine neue Existenz auf. Eine ganze Reihe von FPÖ-Influencern, maßgeblich Gerald Grosz, haben regelrechte Medienkampagnen gestartet und über FPÖ-nahe Medien wie Info-Direkt, AUF1, Report24, RTV und andere Kanäle gestreut und damit den Druck auf oe24.TV-Herausgeber Wolfgang Fellner erhöht, bis dieser die Zusammenarbeit mit den beiden beendete. Das wurde in diesen Medien dann auch als großer Erfolg im Kampf für deren Verständnis von Freiheit und gegen linke Umtriebe gefeiert.
Was aber bringt ihre Flucht nach vorne? „Wir merken, dass die Hass-Postings abnehmen, weil die Leute mitkriegen, dass ihnen das Vorstrafen einbringt,“ resümiert Bohrn Mena und fährt fort: „Andererseits erleben wir jetzt massive, skrupellose und orchestrierte Kampagnen aus dem FPÖ-Lager gegen uns. Wir hätten nicht gedacht, dass das so weit geht, dass wir aus unseren Jobs gedrängt werden. Diese Reaktion des rechten Randes zeigt uns aber, wie stark wir durch die Klagen das ‚Geschäftsmodell Hass‘ stören. Bislang lebten rechte Parteien, Alternativmedien aus ihrem Umfeld sowie verbundene Influencer davon, dass sie mit ihrem Hass im Netz mehr Klicks und damit letztlich mehr Stimmen beziehungsweise Einnahmen lukrieren können. Dem wollen wir einen Riegel vorschieben und das passt ihnen natürlich nicht“
Es wird Jahre dauern, bis alle aufgeworfenen Fälle von Hass und digitaler Gewalt durchjudiziert sein werden. Zudem erweisen sich die rechten Kommunikationsprofis als gerissene Manipulatoren von Fakten und Stimmungen und schaffen es immer wieder, auch schwierige diskursive Ausgangslagen auszunutzen und im Sinne der Ziele ihrer rechtsautoritären Auftraggeber in strategische Vorteile zu drehen. Dafür werden von Parteien, Think Tanks, Stiftungen, Vereinen, Unternehmen und Initiativen Mittel und Fachwissen bereitgestellt.Trotzdem ist Bohrn Mena davon überzeugt, dass sich die Mühen am Ende auszahlen werden: „Es geht nicht nur darum, dass wir künftig von Hass verschont bleiben, sondern auch um die Demokratie insgesamt. Wir müssen uns gegen die fortschreitende Verrohung im Netz wehren, insbesondere in Zeiten, in denen soziale Netzwerke zu wahren Radikalisierungsmaschinen mutieren. Auch für unsere Kinder.“
Wer aus erster Hand mitbekommen will, wie es mit den Verfahren und den Bohrn Menas weitergeht, kann sich auf der Steady-Seite BOHRN & MENA auf dem Laufenden halten. Dort veröffentlichen Sebastian und Veronika Bohrn Mena Informationen zum den juristischen Schritten und Erfolgen und einschlägige Artikel und bauen ein Netzwerk gegen Hass und Gewalt im Internet auf. -
SALTO change im Oktober
„Die Demokratie und die Gefahr von rechts“ lautet das Thema von SALTO change im Oktober:
Alle Artikel der Reihe SALTO change findet ihr unter www.salto.bz/change
Wenn ihr Ideen für weitere SALTO-change-Themen habt, schickt uns eure Vorschläge und Anregungen an [email protected].
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