Film | Erfahrungsbericht

Kontrollbesuch bei Walt Disney

Die Filme von Disney sind für viele ein Teil der Kindheit. Aber was passiert, wenn man sich als Erwachsener inmitten einer zum Leben erwachten Disney-Welt wiederfindet?
Donald Duck und Daisy Duck
Foto: Disney
  • Disney begleitete mich durch meine Kindheit. Von den ersten Zeichentrickfilmen, die ihren Weg auf VHS-Kassette in den elterlichen Videorekorder fanden, darunter Schneewittchen, Dornröschen oder Der König der Löwen, über erste Kinobesuche, neue Entwicklungen wie der 3D-Animation, bis hin zum Älterwerden und Begreifen, wie das Prinzip Disney in seiner zutiefst US-amerikanischen Art funktioniert. Irgendwann habe ich mich abgenabelt, die Faszination für den Disney-Kitsch erlosch, übrig blieben nur nostalgische Erinnerungen. Das Gefühl, viele gute Stunden mit den immergleichen Filmen verbracht zu haben. In Dauerschleife flimmerten die weniger als 24 Bilder pro Sekunde über den Röhrenmonitor. Nun ist er längst verschrottet, die Zukunft ist jetzt, ich bin erwachsen und Disney erreicht mich mit seinen neuen Filmen kaum noch. 
     

    Erst einmal durch die Tore des Parks getreten, prasseln sofort unzählige Bilder auf mich ein.


    Wie es der Zufall wollte, befand ich mich jüngst jedoch in unmittelbarer Nähe zu einem Disneyland. Auch diese Parks, die aus mitteleuropäischer Sicht mit Paris zwar ein nicht ganz so weit entferntes Exemplar vorweisen können, haben mich als Kind fasziniert. Zu einem Besuch kam es jedoch nie. Jetzt, viele Jahre später, entschied ich mich, dem Disney Resort in Tokio eine Chance zu geben. Freizeitparks an sich mag ich, und kombiniert mit der Ästhetik und den Themen von Disney, was soll da schon schiefgehen? 

  • Das berühmte Cinderella-Schloss, das bereits vom Eingang aus zu sehen ist. Foto: Disney
  • Erst einmal durch die Tore des Parks getreten, prasseln sofort unzählige Bilder auf mich ein. Da sind sie wieder, die Heldinnen und Helden der Kindheit, in ihrem ikonischen Design, mit ihren Liedern, die mir an diesem Tag unaufhörlich in die Großhirnrinde geprügelt werden. Die Farben, die Formen, die überaus gute Stimmung – alles ist auf Überwältigung ausgelegt. Und gleichzeitig merke ich, wie ich nach wenigen Schritten in diesem Wunderland erneut zum Kind werde. Ich begreife, dass ich hier alles tun und lassen kann, was ich will. Alle Tore stehen mir offen, ich muss sie nur durchschreiten. Ich kann den beliebten Figuren einen Besuch abstatten, mich in ihren Attraktionen zum Lachen, Schreien und Staunen bringen lassen. Die kindliche Faszination erfasst Körper und Geist, lässt mich mit federndem Gang durch den Park spazieren, und das Dopamin sprudeln.
     

    Ich suhle mich im Kitsch und im Optimismus, der im Disney-Park ewig währt.


    Dass die Parks Teil einer gut geölten, turbokapitalistischen Maschinerie sind, sei dahingestellt. Das weiß jeder, das ist Schnee von gestern. Für die paar Stunden Rausch in Nostalgie habe ich gerne bezahlt.

  • Längst eine Ikone der Disney-Geschichte: Schneewittchen aus dem ersten, abendfüllenden Zeichentrickfilm von 1937. Foto: Disney
  • Was zu meinem Erstaunen funktioniert: Für einen ganzen Tag vergesse ich die Welt jenseits des Disney-Parks. Eine Welt voller Probleme, Konflikte, fehlender Happy Ends. Und obwohl ich mit den Jahren die formelhaften Geschichten der Disney-Filme zunehmend abgelehnt habe, ist mir diese Haltung plötzlich fremd. Ich suhle mich im Kitsch und im Optimismus, der im Disney-Park ewig währt. Ich nehme die künstlichen Welten mit ihren vor Details strotzenden Kulissen als real an. Liegt dem der Wunsch zugrunde, wieder Kind zu sein? Oder bloß, vor der echten Welt zu fliehen? So wie mir scheint es vielen zu gehen. Denn anders als man im ersten Moment denken mag, sind der Großteil aller Besucher*innen keine Kinder. Sicher, es gibt zahlreiche Familien hier, aber die Mehrheit bilden Erwachsene, die sich nur für die eigene Bespaßung artig in Wartschlangen einreihen, um dann für ein paar Minuten in das jeweilige Erzähluniversum abzutauchen. 

    Letztlich tritt derselbe Effekt ein, wie wenn ich als Kind einen Film von Disney geschaut habe. Ich wurde von ihm eingesogen, die Immersion war perfekt. Damals war das Bild der VHS-Kassette schlecht aufgelöst, der Ton nicht perfekt, die Geschichte nach dem ersten Ansehen bereits bekannt. Im Disney-Park ist all das zur Perfektion getrieben. Alles ist dreidimensional und kann angefasst werden, sieht gut aus und klingt sauber, und trotz der Nähe zu den filmischen Vorlagen schaffen es die Fahrgeschäfte, mich jedes Mal aufs Neue zu überraschen. Ich kann nur ahnen, wie überwältigend der Besuch für ein Kind sein muss. Schon als Erwachsener taumele ich am Abend nach Hause, im Kopf noch immer versunken in der Illusion einer Welt, in der das Gute siegt. Und darum ging es dem Optimisten Walt Disney am Ende. 

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